Auf den richtigen Takt kommt es an? Buenos Aires ist so vielseitig wie ein Tango: ein bisschen exzentrisch, manchmal melancholisch, ab und an ausgelassen, aber stets leidenschaftlich und liebenswert.

Melancholie schwappt über mich wie eine Welle. Es scheint, als hätte die Hauptstadt Argentiniens einen Trauerfall zu beklagen. Eine graue Wolkendecke drückt die Stadt nieder, und Regentropfen verschleiern die Sicht. Haben die Gründer »Buenos Aires« nicht nach der Heiligen Maria des Guten Windes benannt, um sich für das gute Wetter bei ihrer Anreise zu bedanken? Aber bekanntlich gibt es ja kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung. So schlendere ich die Avenida Alvear entlang in Richtung des Friedhofs von Recoleta, um Eva Perón, der unvergessenen First Lady Argentiniens, einen Besuch abzustatten.

Prachtvolle neoklassizistische Mausoleen stehen ordentlich an von Bäumen gerahmten großen Boulevards, die sich mit zahlreichen kleinen Gässchen kreuzen. Evitas Grabmal ist mit bunten Blumen geschmückt, die sich vom glänzenden Schwarz des Marmors abheben. Egal ob tot oder lebendig – wer in Recoleta haust, hat Geld, Macht und Privilegien. Die Gehsteige sind breiter und sauberer als in anderen Vierteln, die Geschäfte nobler, die Hotels luxuriöser, wie etwa das elegante klassizistische Alvear Palace Hotel. Eben das reichste Viertel der Stadt, wo die feudalen Jugendstilbauten von glanzvollen, vergangenen Zeiten zeugen. Vergangene Zeiten? Die um 1900, als in ganz Amerika nur New York größer war und Buenos Aires die einzige Straßenbahn Südamerikas besaß. Leidenschaftlich! Laute Schüsse und Getrommel hallen zwischen den Häuserfassaden wider. Eine Passantin sagt etwas auf Spanisch zu mir, wovon ich nur »Junge Peronisten «, »Plaza de Mayo« und »demonstrieren« verstehe.

Freidhof Buenos Aires

Scott Biales/Shutterstock.com

Unwissenheit, die sie bis heute quält

Ich mache mich auf in Richtung des ältesten Platzes der Stadt, dem Plaza de Mayo. Die Demonstrierenden sind nicht mehr zu sehen, als ich dort ankomme. Dafür flattern mit Parolen beschriftete  Leinentücher und Plakate wie stumme Vorwürfe im Wind. Hier prangt sozusagen die Stimme des Volkes. Und jeden Donnerstag um 15.30 Uhr steht sie leibhaftig hier, denn dann versammeln sich die Madres de Plaza de Mayo mit ihren weißen Kopftüchern und demonstrieren schweigend.

Grund dafür ist die Ungewissheit, die sie bis heute quält. Während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 verschwanden Zehntausende Menschen. 14 Mütter von Verschollenen versammelten sich im April 1977 zum ersten Mal auf diesem Platz, ein Jahr später waren sie schon zu 300. Unermüdlich setzen sie sich für die Aufklärung und die Verfolgung der Verantwortlichen der Militärdiktatur ein. Der Plaza ist der perfekte Ort für eine Demonstration, liegt er doch zwischen dem Präsidentenpalast, dem Finanzministerium und zahlreichen Museen. Ausgelassen geht es im Künstlerviertel La Boca zu. Es ist sonnig, und die bonbonfarbenen Fassaden leuchten blau, gelb, rot und grün.

Asado gehört zu den Argentiniern wie der Tango

Die Häuser sind aus dem Blech von abgewrackten Schiffen erbaut worden und mit Schiffslack angestrichen. Aber in dem armen Arbeiterviertel wohnen nicht nur Fischer und Hafenarbeiter, sondern mittlerweile auch viele Künstler, denn La Boca ist zu einer Künstlerkolonie herangewachsen. Das heruntergekommene Flair gepaart mit bunten Häusern und den Künstlern, die tagsüber ihre Statuen, Büsten und Bilder ausstellen, wirkt wie ein Magnet auf die Touristen. So geht es hier zu wie auf dem Rummel: Tangotänzer legen eine dramatische Kür auf das Kopfsteinpflaster und werden von Fotoapparaten umringt. Wer möchte, darf auch selbst ein Tänzchen wagen. Pflichtprogramm ist auch der Besuch einer Bar oder eines Restaurants. Dort Empanadas, die typischen Teigtaschen, bestellen und dazu stets eine kleine Tangoshow serviert bekommen. Buenos Aires ist eben die Welthauptstadt des Nationaltanzes und beansprucht für sich, der Geburtsort des Tangos zu sein.

Ulrike Klaas

Abends sind die Straßen von La Boca allerdings menschenleer. Außer es spielen die Boca Juniors, denn der Fußball gehört zum Viertel wie Eva Péron zu Argentinien. Hier kickte einst Maradona im Stadion La Bombonera, was übersetzt Pralinenschachtel heißt. Weil man nie weiß, was man bekommt? Die gelb-blaue Fassade verdankt das Station jedenfalls einem schwedischen Schiff, das im Moment der Gründung vorbeifuhr. Exzentrisch oder konsequent?

Fleisch ist das Gemüse der Argentinier. Ich gehe durch die Sträßchen in Richtung Puerto Madero, dem neuen und hippen Stadtteil von Buenos Aires, wo die Speicher mit viel Glas restauriert worden sind. Es duftet herrlich nach gebratenem Fleisch. Asado gehört noch mehr zu den Argentiniern als der Tango. Nirgendwo auf der Welt bekommt man wohl ein so gutes Steak für so wenig Geld. Allerdings finden die Argentinier Beilagen überbewertet, diese muss man immer extra dazubestellen. Vor den Bars brutzelt das »Carne« auf dem Grill, und die Einheimischen trinken ihren geliebten bitteren Mate-Tee … und streiten. Keine Sorge, dies ist die normale Form der Konversation: laut und gestenreich.

Melodramatisch? Strahlender Sonnenschein am Abreisetag. Von tränenreichem Abschied keine Spur. Don’t cry for me, Buenos Aires. Eine Träne zum Abschied hätte die Stadt schon um mich   vergießen können, finde ich. Denn mir fällt der Abschied ziemlich schwer!

Infos

Anreise. Mit Tam Airlines über Sao Paolo nach Buenos Aires.

Hotel. Alvear Palace in Recoleta: Wunderschönes plüschiges Fünf-Sterne-Grandhotel. Die Nacht kostet im DZ ab € 337.

Tango. Gratis bekommt man gute Shows täglich in La Boca geboten. Wer selbst tanzen möchte, hat Hunderte von Tangoschulen mit unterschiedlicher Qualität und Preisen zur Auswahl