Côte d’Azur: Früher waren es nur die adeligen und betuchten Engländer, die der nassen Kälte in ihrem Land überdrüssig waren und im 19. Jahrhundert die Region als Urlaubsziel entdeckten – der Beginn des modernen Tourismus, aber wohlgemerkt im Winter. Text: Dieter Klaas

Sommerurlaub in Nizza oder Cannes? Niemals! Heute ist das Gegenteil der Fall. Aber: Ist der Traum von der wärmenden Sonne, den Farbenspielen des Lichts, dem unbeschwerten Leben und dem azurblauen Meer nur ein Sommertraum? Überwinterungstipps für einen Winterurlaub an der Côte d’Azur eines Frankreichkenners!

Meinem Bruder Bernd sind Frustration und Wut fast beängstigend anzumerken: »Sieben Monate Kälte, Schnee, Eis, Nebel und Regen, ohne einen Sonnenstrahl, ohne Licht oder ein Farbenspiel, das war ja nicht auszuhalten. Das mache ich nicht noch einmal mit!« sagt er. Den Äquator überqueren? Zu weit. Des Deutschen 17. Bundesland Mallorca? Zu oft besucht. Wie wäre es denn mit Winter an der Côte d´Azur? Da spricht einiges dafür!

Da wäre zunächst das Licht, ein wahres Antidepressivum. So wie die satten Farben, die auf jedem Spaziergang eine unterhaltsame Begleitung sind.

Wie ein Kaleidoskop, ein Füllhorn voll leuchtender Helligkeit strahlen sie, sodass einem das Herz aufgeht. Nicht umsonst versammelten sich Maler wie Matisse, Chagall, Renoir und Picasso an der Côte. Die klare Luft des Winters gibt dem Meer ein tiefes Blau und bildet mit den schneebedeckten Dreitausendern der Seealpen am Horizont einen atemberaubenden Kontrast mit dem Grün der Vegetation und dem felsigen Hinterland. Fast wirkt es als sei die Landschaft im Photoshop bearbeitet, die Kontraste geschärft und die Farben kraftvoller gemacht worden.

Der Tourist im Sommer sieht die Côte d´Azur eigentlich gar nicht, Dunst und Hitze vernebeln die Weitsicht, verdecken die Farben und lassen sie blass erscheinen. Natürlich ist es während der Wintermonate auch einmal Grau in Grau, aber die ständige Angst der Gallier, dass einem der Himmel auf den Kopf fällt, die kann man getrost ablegen.

Einen besonderen Charme entfalten die kleinen Karnevalsumzüge

Tatsächlich geht die Côte d’Azur im Winter so verschwenderisch mit ihren Farben um wie der Nikolaus mit seinen Geschenken. Und wenn dann im Februar die Karnevalszeit eingeläutet wird, steht die Küste Kopf. Denn Karneval gibt es nicht nur im Rheinland oder in Rio de Janeiro. Nehmen wir mal den bekanntesten Karneval in Nizza mit seinen grandiosen Umzügen, den so genannten »Batailles des Fleurs«, wahren Blumenschlachten.

Karneval an der Côte d'Azur

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Der Korso der Motivwagen zuckelt auf der Promenade des Anglais mit riesem Tamtam vorwärts und wunderbar duftende »Strüssjer«, wie der Kölner sie nennt, aus Mimosen, Gerberas und Lilien werden freigiebig in die wartende und mitfeiernde Menge am Wegesrand. Die Fröhlichkeit der Menschen, die ausgelassene Stimmung – all das ist eine Reise wert. Aber – und hier ändert sich die Ausgangslage -, immer mit Zehntausenden anderer.

Dabei sind es die kleinen Umzüge, die ihren besonderen Charme haben.

So zum Beispiel die »Fête des Mimosas« (das Mimosenfest) in Mandelieu La Napoule, einem kleinen Küstenstädtchen vor den Toren Cannes. Wie der Name es schon verrät: die Mimose steht im Mittelpunkt. Das gelbe Blümchen ist das Symbol schlechthin des mediterranen Winters. Während der Karnevalszeit strahlen das Gelb der Sonne mit dem gelb der Mimosen um die Wette.

Gelb blühende Mimose

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Im Hinterland von Cannes, im Massiv des Tanneron kann man stundenlang durch ganze Wälder von Mimosenbäumen wandern – ein Duft, so wunderbar blumig, um den sich jede Parfümerie reißen würde. Und die Ausblicke auf Meer, Berge und den Himmel als Beigabe! Da wären sie wieder, die Farben der Côte: diesmal gelb, weiß und blau.

Aber der Winter und der Karneval haben noch andere Farben. Bleiben wir beim Gelb und nehmen einmal orange hinzu und gehen damit nach Menton, der italienischsten Stadt der Côte. Hier stehen traditionell Zitrusfrüchte im Mittelpunkt des Karnevals. Jedoch bestehen die Motivwagen ausschließlich aus Zitronen und Apfelsinen. Wer sich allerdings nicht in den Trubel der Umzüge stürzen möchte, kann sich in den »Jardins Biovès« die Skulpturenausstellung anschauen. Der schöne Park mitten in Menton verwandelt sich im Karneval in eine atemberaubende Landschaft aus Millionen von Zitrusfrüchten, die zu ganz erstaunlichen, bezaubernden Figuren zusammengefügt werden. Hier können die Besucher sich so viel Zeit nehmen wie sie wollen ohne angerempelt zu werden.

Figuren aus Zitrusfrüchten an der Côte d'Azur

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Tipp: das Esterel-Gebirge zwischen Cannes und Fréjus

Neben dem Feuerwerk der Farben und der Leichtigkeit des Karnevals spricht vor allem eines dafür, die Côte d’Azur im Winter zu bereisen: den Massen des Sommers zu entfliehen. Im Juli beträgt die minimale Fahrzeit von Cannes nach Nizza eineinhalb Stunden.

Der Lindwurm der Blechlawine windet sich im ständigen Stop-and-go durch die Landschaft. Egal, ob auf der Küstenstraße oder der Autobahn. Zu Fuß ist man garantiert schneller.

Im Januar braucht man für dieselbe Strecke gerade einmal eine halbe Stunde – und hat zudem keinerlei Probleme einen Parkplatz zu finden oder gar ein Plätzchen am Strand. Es kann sogar passieren, dass man allein an der kilometerlangen Pampelonne, dem Strand der Reichen und Schönen in St. Tropez, ein Sonnenbad nimmt.

Klippen an der französischen Côte d'Azur

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Viele Naturschutzgebiete im Hinterland des Côte d´Azur sind im Sommer wegen der Waldbrandgefahr gesperrt und nicht zu erreichen. Ein besonders lohnendes Gebiet ist das Esterel-Gebirge zwischen Cannes und Fréjus. Es ist einmalig, vom Pic de l´Ours oder einem der anderen Gipfel des Massivs auf die ganze Küste von St. Tropez bis Monaco zu schauen. Und überall die Garantie, dass man das jeweilige touristische Ziel auch wirklich ungestört in Augenschein nehmen kann.

Selbst in Monaco halten sich die Menschenmassen in Grenzen. Sicher: Der Schlossplatz auf dem Felsen in Monaco ist nie ganz leer, aber man bekommt auf jeden Fall einen Einblick in die Atmosphäre im Hintergrund – Monaco mutet an wie eine Puppenstube, wie eine Kulisse für ein Marionettentheater, neben den Wolkenkratzern der Eigentumswohnungen der Schickeria in Monte Carlo fast kindlich naiv, kitschig, aber doch irgendwie sympathisch.

Hervorragende Kunst gibt es im Museum Annonciade in St.Tropez

Und wenn es doch mal regnet? Dann verzieht man sich nach drinnen. Natürlich dürfen, wenn es um die Farben des Winters an der Côte d’Azur geht, die Farben der Künstler auf den Leinwänden nicht fehlen. Die Arbeiten und Sichtweisen der Côte d’Azur von Matisse, Chagall, Renoir und Picasso bewundern Kunstinteressierte in z. B. Cagnes-sur-Mer, in Antibes, oder im kleinen aber feinen Museum Annonciade in St.Tropez. Das Wesentliche, was man aus den Museen mitnimmt – das ist das Licht und das sind die Farben – mal wieder.

Fisch-Skulpturen an Strandpromenade

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Auch die Kinokultur, die »septième art« (die siebte Kunst, wie sie die Franzosen nennen), sollte nicht unerwähnt bleiben. Dies ist ein wichtiger Aspekt des kulturellen Lebens, vor allem in der Film-»Hochburg« Cannes – und nicht nur später im Jahr, im Mai, wenn die Internationalen Filmfestspiele Publikum aus der ganzen Welt anziehen.

Jeder Ort, der etwas auf sich hält, hat ein Kino, so auch jenes im Städtchen Mandelieu.

Wer das Kino betritt, trifft auf Jean Francois Leblanc, den Kartenabreisser, der – auf den ersten Blick irritierend – eine Feuerwehruniform trägt, denn das Kino ist eine »One Man Show«. Der alte Leblanc ist Kartenabreißer, Getränkewart und Brandschutzbeauftragter in einem. »Unser Kino mag ja schon einige Jahre auf dem Buckel haben, aber wir haben immer das neueste Programm«, sagt er. Sein Kino versprüht den Charme der späten Achtziger. Die Bestuhlung ist fast antik zu nennen und wer dreimal da war, der kennt die meisten Gesichter. Man ist eher »unter sich« – vor allem im Winter.

Ein deutliches Plädoyer also für die Lichttherapie im südlichen Winter. Selbstverständlich ist es auch manchmal regnerisch, und wenn es regnet, können sich die Niederschlagsmengen in der Tat sehen lassen. Ja, sogar Schnee kann kurzzeitig auf den Palmenblättern liegen – die Durchschnittstemperaturen, Licht und Farben aber sprechen für sich. Das findet auch Bernd. Er hat für den nächsten Februar zwei Wochen Côte d’Azur gebucht.

Info. Mehr Informationen rund um die Côte d’Azur finden sich auf der Website des Fremdenverkehrsbüros.