Es ist dunkel geworden, und ein Arbeitstag geht zu Ende. Zeit, ein Bier aufzumachen. Das denken sich auch Mahelo Pahuatini, Tino Tsien Youn und ein halbes Dutzend ihrer Kollegen. Sie sind Matrosen der »Aranui 3« – ein Schiff, das gleichzeitig Fracht- und Gästeschiff ist. Autor und Fotograf Stefan Weißenborn begab sich mit ihnen auf eine Reise durch die Inselwelt der Marquesas in Französisch-Polynesien.

Die knackebraunen und mit Tattoos übersäten Seebären haben es sich zwischen Reling und Neonbeleuchtung bequem gemacht und lassen es zischen. »Willst Du auch eine?« fragt Tino, verantwortlich für die Fracht an Bord, und reicht eine Dose Hinano-Bier rüber. Tino ist einer der Matrosen der »Aranui 3« – ein Frachtschiff, das zur Hälfte ebenfalls Gästeschiff ist. In der Kreuzfahrtbranche faktisch also bereits exotisch. Noch exotischer ist jedoch das Fahrgebiet des 117-Meter-Kahns mit den zwei gelben Liebherr-Kränen an Deck. 6000 Kilometer sind es bis Australien, 4000 bis nach Hawaii.

Wir sind unterwegs in der Inselwelt der Marquesas, einem zu Französisch-Polynesien gehörenden Archipel, das selbst von Tahiti noch über zwei Flugstunden ins blaue Nichts des Pazifiks bedeutet. Es ist die am weitesten vom Festland liegende Inselgruppe der Welt, bewohnt von knapp 10 000 Menschen. Alle drei Wochen sticht die »Aranui 3« für 14-tägige Kreuzfahrten in Papeete, Tahitis Hauptstadt, in See – mit bis zu 200 erlebnishungrigen Passagieren. Sie können beobachten, wie an Bord des Frachters gearbeitet wird. Mancher lugt durch das Bullauge seiner schlichten Kabine. Andere stehen an der Reling. Wenn das Schiff Häfen angelaufen hat mit Namen wie Hakahau, Vaipaee oder Taiohae und seinen Bauch öffnet, kraxelt Kranführer Mahelo in sein Führerhaus in luftiger Höhe und hievt Gitterkästen, Container und Fässer an Land. »Auch gebrauchte Autos nehmen wir mit«, sagt Cruise Director Vaihere Vivish.

Die »Aranui« ist das Versorgungsschiff für die Menschen auf den Inseln

Während der Großteil der Crew von den Marquesas stammt, sind die meisten Passagiere aus Europa, Nordamerika und Australien. Irgendwann nach dem Frühstück im Bordrestaurant, was mit Bacon, Ei oder Würstchen eher als global eingestuft werden muss – wenn nicht die zuckersüßen lokalen Melonen, Bananen, Guaven oder Papayas wären –, trappeln die im Durchschnitt recht betagten Gäste die klapprige Gangway hinunter und nehmen erst einmal die Ladung unter die Lupe. Eine Frau mit Sonnenhut hat sich über einen der Gitterkästen gebeugt und kann es nicht fassen. Dort liegen tiefgekühlte belgische Fritten, verpackt in Kartons, die in der Hitze dampfen. Erst gestern habe sie frittierte Brotfrucht gegessen.»Schmeckt fantastisch.« Die Frau wundert sich über die Lieferung aus der alten Welt zu der heute auch Chicken Wings, Hühnerbouillon, Fertigkaffee, Benzin und Zement gehören.

Immer, wenn die »Aranui« am Horizont auftaucht, versetzt sie die Hafendörfer in Aufruhr

Einheimische fahren mit ihren von Frankreich aus subventionierten Pick-ups vor, Gabelstapler cruisen im Zickzack. Menschen hantieren mit Zetteln und schwärmen mit voll beladenen Pritschen wieder auf die Inseln aus.

»Das Be- und Entladen stört nicht im Mindesten«, sagt Christa Stelling aus Düsseldorf, die mit ihrem Lebenspartner mitreist. »Ganz im Gegenteil.«

Nach dem Logistikschauspiel à la Südseehafen erkunden die »Aranui«-Passagiere die Inseln selbst. Wie die Fracht landen sie im Drei-Wochen-Rhythmus auf jeder der sechs angesteuerten Eilande an. Dabei hält das 3800-Tonnen-Schiff eine Art touristisches Monopol: »2000 der jährlich rund 2500 Besucher, die die Marquesas besuchen, erreichen sie mit uns«, sagt Jörg Nitzsche aus Erfurt, der vor fünf Jahren als Guide auf der »Aranui« anheuerte.

Die Reise mit der Aranui ist durchaus eine Bildungsreise

Wenn das Schiff nicht an der Kaimauer anlegen kann, hebt Mahelo mit seinem verlängerten Kranarm Beiboote ins Wasser, die die mit Sonnenschutz bleich gecremten Besucher an Land bringen. Dort wartet jedes Mal ein Kulturprogramm, denn eine Reise mit der »Aranui 3« versteht sich auch als Bildungsreise. Besucht werden alte Zeremonienplätze der Ureinwohner, die regelmäßig mit der Machete vom Grün befreit werden, weil sonst der Dschungel sie sich wieder einverleiben würde.

Zum Beispiel Paeke auf Nuku Hiva, dort, wo einst der mächtige Taipi-Stamm herrschte und später um die Wende zum 20. Jahrhundert der deutsche Ethnologe Karl von den Steinen forschte. Heute steht dort noch der »Gott des Schattenvolkes«, eine dieser steinernen Figuren, die den Ureinwohnern als Repräsentanten der Ahnen dienten und die sie Tikis nannten. Die Marquesas sind die Gipfel eines versunkenen Gebirges vulkanischen Ursprungs. Ihre schroffen Klippen und felsigen Monolithen erheben sich steil teils bis in Höhen von über 1000 Metern, und meist nur dort tritt der nackte Stein hervor. Ansonsten herrscht tropischer Bewuchs vor – Banyanbäume mit ihrem Gestrüpp aus ellenlangen Luftwurzeln, in dem Ureinwohner einst die Toten bestatteten, prächtig blühende Bougainvilleen- und Hibiskussträucher, und man kann durch luftige Palmwälder wandern. Mit dem Südseeklischee haben die Inseln dabei nichts zu tun: Strände und weißer Sand sind Mangelware, kein Korallenriff schützt sie vor dem anbrandenden Ozean.

Der Bruch mit den Insel macht die Reise interessant

Ein besonderes Erlebnis verspricht Ua Pou – die mit ihren steinernen Säulen geologisch beeindruckendste Insel des Archipels. Die »Aranui 3« hat an der Pier von Hakahau angelegt. Im Dorf findet gerade ein Schulfest statt, das vor allem eine Art Tanzfestival zu sein scheint – getrennt nach Geschlechtern. Eine Jungengruppe, alle spärlich bekleidet, mit Palmblättern dekoriert und folkloristisch bemalt, führt den berüchtigten Schweinetanz auf, der die tägliche Arbeit wie das Öffnen von Kokosnüssen aufgreift. Laut brüllende Heranwachsende mit Schweiß auf der Stirn, umsäumt von Zuschauern von anderen Erdteilen im besten Alter – größer könnte der Kontrast nicht sein.

Vor Ort aber genügt sich die Inselwelt voll und ganz. Vom Dorf aus führt ein 16 Kilometer langer Weg bis in die nächste Bucht. Wer möchte, kann marschieren, während der Frachter den Weg übers Wasser nimmt – die massiven Felsgiganten immer im Blick. Ua Pou ist neben Ua Huka, das auch per Pferd erkundet werden kann, eine der kargeren Marquesas.

Die Tour führt durch Geröllfelder, über Felsplatten, vorbei an steilen Abhängen, unten krachen die Wellen gegen das Land. Im Inselinnern liegt der Urwald unter dichten Wolken, die den Himmel entlanghetzen. Neben einsamen Naturerlebnissen lernen »Aranui«-Kreuzfahrer auch eine nahezu isolierte Kultur kennen, die sich derzeit neu erfindet. Erst seit einigen Jahren gibt es Internetanschluss auf den Inseln. Und unter den katholischen Missionaren war vieles verboten: Ihre Sprache durften die Einheimischen nicht mehr sprechen – Französisch war verordnet. Tänze waren untersagt, auch die Kunst des Tätowierens. Die Körperverzierung diente einst als soziales Unterscheidungsmerkmal – je dichter die Zeichnungen auf der Haut, desto reicher war man.

Die Kunst der Körperbemalung ist hier noch sehr lebendig

Heute bieten kleine Tattoo-Läden ihre Dienste gegen wenig Geld an, manche Touristen reisen mit einem neuen Muster wieder ab, und Menschen wie Kranführer Mahelo arbeiten mit Stolz an dem Gesamtkunstwerk »eigener Körper«. Dass die Fertigkeit der Körperbemalung nicht vergessen wurde, ist Karl von den Steinen zu verdanken. Er dokumentierte die Muster und Zeichen in Form detaillierter Zeichnungen, die heute im Museum auf Ua Huka ausgestellt sind.

Auch alte Handwerkskunst lebt wieder auf, mit der einheimische Frauen ein Zubrot verdienen, sobald die »Aranui 3« mit ihren Gästen aufkreuzt. Auf Fatu Hiva können die Touristen zusehen, wie Tapas gefertigt werden – ein Tapa ist ein aus Rindenbast gefertigter, bemalter Wandschmuck im Posterformat. Früher wurde auf gleiche Weise die Kleidung gefertigt. Bei aller Andersartigkeit und Entlegenheit der Marquesas – neben dem Erbe der Missionare können Touristen auch auf europäischen Spuren wandeln. Beispielsweise auf denen des französischen Malers Paul Gauguin. In sein Haus der Wonnen (Maison du Jouir) lud er einheimische Männer zu Trinkgelagen ein, der Alkoholismus kam in deren Familien nicht gut an. Umstritten war auch sein Versuch, die Inselbewohner gegen die katholische Kirche aufzubringen. Nach Gauguins Tod 1903 brannten Einheimische die Hütte ab. Er hinterließ eine Tochter, die er mit seiner 14-jährigen Freundin gezeugt hatte, die meisten seiner Nachfahren leben heute im Nachbarort Puamau.

Nach sieben Tagen geht es Richtung Tahiti

Erst Jahre später, als man begann, das Erbe des Post­impressionisten zu pflegen, wurde das Maison de Jouir wieder errichtet. Auch ein kleines Museum entstand, in dem allerdings kein Original, sondern nur Nachbildungen einiger Werke Gauguins ausgestellt sind. Wo sein Leichnam begraben liegt, weiß heute keiner so genau. »Er wurde mehr vergraben, als begraben«, sagt Guide Bernard. Es ist nicht gesichert, dass er unter dem Grabstein mit seinem Namen auf dem Calvaire-Friedhof von Atuona liegt. Nach sieben Tagen Cruise durch die Inselwelt der Marquesas sticht der Frachter wieder in See Richtung Tahiti.

Auf der Überfahrt wartet dann doch noch ein Südseeklischee: Rangiroa, ein Atoll mit Lagune und zahlreichen Motus, also kleinen Riffinseln mit wuscheligem Palmbewuchs. Tino hat es sich mit den anderen Seebären wieder zwischen Reling und Neonlicht bequem gemacht. Der Herr über die Fracht tritt bald eine noch längere Reise an. Tino will nach Berlin. Wenn er 2015 nach fast 30 Jahren als Matrose in den Ruhestand geht, plant er, nach Deutschland auszuwandern, wo seine Freundin lebt. »Ich habe sie hier auf der Aranui kennengelernt«, sagt er. Mit Tino ist auch die »Aranui 3« gegangen –heute gibt es eine neue »Aranui«. Das luxuriösere Schiff, ausgelegt für 280 Passagiere, ist bereits in der Südsee unterwegs.

Anreise. Papeete wird regelmäßig zum Beispiel von Air Tahiti Nui ab Paris über Los Angeles angeflogen. Für die Anreise müssen rund 30 Stunden eingeplant werden.

Infos. Informationen über Reisen mit einem Aranui-Schiff gibt es hier.