In Bhutan sind die eigenen Füße noch immer das zuverlässigste Fortbewegungsmittel. Und so passen auch wir, mein Guide Karma und ich, uns dieser »gängigen Art« an, um das letzte Königreich im Himalaya zu erkunden. Der Ausgangspunkt unserer Tagestouren ist Paro, von wo wir zu Dzongs, Yaks und Eremiten aufbrechen. Wir wandern auf 4.000 Metern Höhe, den Göttern ganz nah. Text: Karolina Golab
Wandern in Bhutan ist mehr als eine sportliche Betätigung
Mit jeder Stunde, den Karma und ich in der unberührten Natur verbringen, gleicht unser Pfad nach und nach dem Weg zur inneren Erleuchtung – zumindest im Ansatz. Warum? Fast immer ist das Ziel einer Wanderung ein Mönchskloster oder eine Klosterfestung, auch Dzong genannt. Und mit jedem Blick hinter die Kulissen lerne ich einen neuen Aspekt des Buddhismus kennen.
Regel Nummer eins: Spreche nie wie ein Wasserfall, denn der Weg zur Erleuchtung führt über die Meditation.
Zwar fällt unter diesen Voraussetzungen die Begegnung mit Mönchen eher wortkarg aus, aber ich passe mich an, schweige und beobachte. Regel Nummer zwei: Versuche nie mit Eremitenmönchen zu spaßen. Die Kommunikationspalette der schweigenden Männer umfasst lediglich einige Gesten, wie das Reichen der Butterlampe, eine Art Teelicht, die der Gläubige vor einer Buddhastatue anzündet.
Regel Nummer drei: Gerate nicht in Versuchung, die kahl geschorenen Köpfe der jungen Klosterschüler zu berühren. Das Haupt ist der Sitz der Gedanken, die höchste Stelle des Körpers, und sollte respektiert werden, auch bei Mönchen, die noch im Kindesalter sind. Regel Nummer vier: Nehme die dir gereichten Dinge immer mit beiden Händen entgegen. Eine Regel, die ich häufig anwende, zum Beispiel, wenn mir Buttertee gereicht wird oder nachdem ich mein Notizbuch zurückbekomme, in dem sich die Kindsmönche des Lhakhang-Karpo-Klosters im Haa Valley verewigt haben.
Bei Kindermönchen müssen Regeln Nummer eins und zwei nicht unbedingt gelten, und es kann schon mal lauter werden, weil sie, wie alle Kinder, Fangen spielen. Ansonsten ist Bhutan ein Land der Stille: Die wenigen Autos des Landes lassen sich an einer Hand abzählen (weshalb auch die Hauptstadt Thimphu ganz ohne Verkehrsampel auskommt), und in der Stadt Paro landet täglich nur ein Flugzeug. Während unserer Wanderungen werden Karma und ich von einem einzigen Rauschen begleitet, dem der Flüsse und Wasserfälle.
Ruhe bitte!
Die Stille ist in einem Agrarland, das etwa so groß ist wie die Schweiz und etwa so viele Einwohner hat wie Düsseldorf, leichter zu realisieren als in einem Industrieland. Die Bhutaner wissen jedoch: Durch Meditation lässt sich jedes Unglück abwenden, wie es der Religionsstifter Guru Rimpoche im achten Jahrhundert vorgemacht hat. Durch seine jahrelange Meditation in einer dunklen Höhle hat er die Gegend vom Fluch der Berggeister befreit. Seitdem ist Stille eine Tugend, und mit Götter und Geistern gehen die gläubigen Bhutaner sehr behutsam um. So sind bergsteigerische Aktivitäten in den Bergregionen ab 6.000 Meter Höhe, dem Wohnort der Götter, nicht erlaubt.
Deshalb befindet sich der mit 7.541 Metern weltweit höchste bislang unbestiegene Gipfel Gangkhar Puensum hier in Bhutan.
Das Highlight: Tiger’s Nest
Dem Guru jedenfalls dankten es die Gläubigen mit einem Kloster, das sie an der Stelle seiner Meditationshöhle errichten ließen. Das Taktsang, auch als Tiger’s Nest bekannt, gehört zu den wichtigsten nationalen Heiligtümern, die jeder Buddhist mindestens einmal im Laufe seines Leben gesehen haben muss. Auch wir lassen uns dieses Wunderwerk im Parotal nicht entgehen. Bei dem schweißtreibenden Anstieg von etwa vier Stunden überwinden wir rund 900 Höhenmeter und werden dafür reichlich entlohnt.
Im Tal hatte ich noch die Vermutung, das Königreich ähnele unserem Schwarzwald – zumindest auf den ersten Blick: Wälder, so weit das Auge reicht, schmucke Fachwerkhäuschen, geordnete Ackerfelder. Aber mit jedem Höhenmeter wird die Luft dünner und die Andersartigkeit des Landes immer augenscheinlicher: Gebetsfahnenwälder, die mal zwischen Bäumen flattern, mal auf Speeren in die Erde gerammt sind, um böse Geister abzuwehren; Rhododendronbüsche in allen nur denkbaren Farbschattierungen; wundersame Bartgeflechte, die an hochgewachsenen Zedern herunterbaumeln; Yaks, deren Komfortzone auf 4.000 Metern Höhe liegt, und Klöster, die an einer senkrechten Felswand zu kleben scheinen, wie das Tiger’s Nest.
Ich frage mich, wie schwindelfrei die Erbauer gewesen waren, oder war ihr Glaube so stark, dass sie ein solches Bauwerk erschaffen konnten?
Der Weg zur Erleuchtung
Ich werfe noch einen kurzen Blick zurück auf die Esel, die vollgepackt mit unserem Picknick hinter uns her trotten, und schwanke, ob ich mich ihnen auf dieser Zwischenstation anschließe und die Aussicht auf das Kloster von hier aus genieße, während Karma den letzen Abschnitt des Pilgerweges, der nun schmäler und steiler wird, allein fortsetzt. Aber der Weg zur Erleuchtung führt über die Selbstüberwindung. Also los! Bisher sind wir keiner Menschenseele begegnet und werden wohl die Einzigen sein, die den Mantra-Sprechgesang der Mönche hören werden. Der tiefe und gleichmäßige Bass trifft direkt ins Herz. Hier scheint die Welt noch in Ordnung. Als Souvenir kaufe ich einem der Mönche für ein paar Ngultrum einen Dorje ab, ein Symbol der Erleuchtung. Zum ersten Mal stand der sportliche Aspekt weit hinter dem geistlichen, denn die Wanderungen haben mir den Buddhismus sehr nahe gebracht und mich vielleicht auch ein wenig erleuchtet. Im Lotussitz säße ich heute jedenfalls noch im Dunkeln.
Anreise. Ab Frankfurt a.M. und ab Berlin drei Mal wöchentlich mit Lufthansa nach Kolkata. Weiterflug mit Drukair nach Paro. Oder täglich via Bangkok nach Paro
Reiseveranstalter. Ikarus Tours GmbH, Am Kaltenborn 49–51, 61462 Königstein, Tel.: 06174 29020, E-Mail: info@ikarus.com, www.ikarus.com
Buch. Heinrich Harrer, »Denk ich an Bhutan«, S. 240, Herbig Verlag, 24,95 Euro und Wilhelm Klein & Günter Pfannmüller, »Bhutan«, Frederking & Thaler, S. 192, ca. 100 Farbfotos, 29,95 Euro
Kulturtipp. Die Filme des bhutanesischen Regisseurs Khyentse Norbu »Von Reisenden und Magiern« und »Das Spiel der Götter« sind Oden an sein Land und vermitteln anhand der prächtigen Panoramabilder die Schönheit des Königreichs