Die meisten Sonnentage, die schönsten Strände, der längste Wasserfall, die höchste Bergaussicht: Dänemarks schrägste Insel schmückt sich mit Landesrekorden und fällt auch sonst gern aus dem Rahmen. Bornholm, vor langer Zeit ein selbstständiges Königreich mitten in der Ostsee spricht eine eigene Sprache, hat Echotäler, Wackelsteine und runde Kirchen. Text: Carsten Heinke

Zwischen Ostsee, Himmel und Dünen

Der Strand von Dueodde ist so strahlend weiß, dass er mich blendet. Nur blinzelnd sehe ich ohne  Sonnenbrille, wohin der Sommerwind mich weht. Lauf ich im Zickzack, geradeaus oder im Kreis? Egal.  Bornholm ist eine Schüttelkugel. Und ich bin mittendrin, lass mich treiben zwischen Ostsee, Himmel, Dünen – so wie der Sand. Der ist so fein, dass man ihn sammelt, um damit Stundengläser zu befüllen. Ausgerechnet hier, wo nichts überflüssiger erscheint als Zeit. Doch auch ohne Messung zeigt die Küstendüne, wie eine Sanduhr tickt. Vom permanenten Wind gelenkt, ist das Berg-und-Tal-Gebilde aus winzig kleinen Körnchen in ständiger Bewegung, rinnt wie von einem Glas zum anderen – von hier nach da, bildet ständig neue Formen.

Schnell erhebt es sich an irgendeiner Stelle, anderswo senkt es sich plötzlich ab – meterhoch und metertief. Und immer wieder wunderschön. Früher machte sich die weiße Wüste noch viel breiter. Als sie im 19. Jahrhundert das Inselinnere erobern wollte, gab man ihr die grüne Keule. Indem sie Gräser, Sträucher, Kiefern pflanzten, gewannen die Bornholmer Land. Einen ganzen Wald setzten sie auf diese Weise in den Sand. Was daraus wurde, möchte ich bei einer Fahrradtour erkunden.

Carsten Heinke

Wonne in Rønne

In der Inselhauptstadt Rønne strample ich los, vorbei an Häuschen im bunt-weißen Skandinavien-Look, an Hafen, Schiffen, Ostseeblicken. Bald rollt das Rad durch Robbedalen. Hier leben zwar schon lange keine Robben mehr, doch dafür Spuren des wohl größten Inselbewohners aller Zeiten, des Dromaeosauroides bornholmensis. Entdeckt wurde die Art erst vor wenigen Jahren, als eine Schülerin den fossilen Zahn eines dieser Raubdinosaurier gefunden hatte. Teils über die Trasse der ehemaligen Eisenbahn, die bis 1968 um die Insel dampfte, teils über kleine Nebenstraßen und gut ausgebaute Radwege geht die Fahrt vor allem durch Natur. Doch Bornholm wäre nicht Bornholm, gäbe es in seinem Hügelwald, der Almindingen heißt, nur Gras und Bäume.

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Das Echo bleibt im Dickicht stecken

Die wohl einschneidendste landschaftliche Besonderheit der Insel sind ihre Spaltentäler: rund 70 schmale, dicht bewachsene Schluchten mit steil abfallenden Wänden, aus denen nur die Wipfel der Baumkronen herausragen. Entstanden sind sie in der letzten Eiszeit, als – bedingt durch Spannungen im Untergrund – die großen Felsen auseinanderplatzten. Gletscher haben sie geformt. Den »letzten Schliff« verpasste ihnen das Schmelzwasser, als es in die Ostsee abfloss. Das größte und bekannteste Bornholmer Spalttal, Ekkodalen, öffnet sich nun vor mir – zwölf Kilometer lang, 60 Meter breit, 20 Meter tief. Um herauszufinden, ob das »Echotal« auch wirklich funktioniert, rufe ich – zunächst wohl etwas schüchtern und zu leise: Hallo! Die abgenutzte Frage »Wie heißt der Bürgermeister von Wesel?« verkneife ich mir ganz bewusst. Hat mir doch die Dame vom Tourismusbüro erzählt, dass man immer wisse, wenn Deutsche in Ekkodalen unterwegs seien. »Dann hört man ständig … esel, … esel«, verriet sie mir.

Ich fühle mich allein und fasse Mut, entscheide mich spontan für »Wie viel Geld hat die Königin von  Dänemark?« und schreie es, so laut ich kann. Doch es ist Sommer. Busch und Baum sind dicht belaubt. So erstirbt mein Ruf im grünen Dickicht, noch ehe er den glatten Fels erreicht. Kein Echo, keine Auskunft zum Vermögen Ihrer Majestät. Vielleicht klappt es im Winter besser, wenn die Äste kahl sind. Mindestens frustrierte Skispringer hätten damit einen kleinen Spaßersatz, wenn es wieder mal wie meistens keinen Schnee gibt auf der Insel, die zu den wärmsten und sonnenreichsten in der Ostsee zählt.

Carsten Heinke

Verstreute Riesenkiesel auf der Insel

Immerhin steht – für alle Fälle – zwischen Østerlars und Gudhjem eine funktionsfähige Skipiste nebst Liften, Skihütte und Skiverleih bereit. Die längste der drei Abfahrten ist 250 Meter lang und überwindet 38 Höhenmeter. Seine Existenz verdankt das Kuriosum einem Gag, der ernst genommen wurde: Ein Bornholmer Spaßvogel hatte für das »Projekt« einen Förderantrag an die EU gerichtet, der prompt genehmigt wurde.

Ich kann mich an diesem wundervollen Julitag im Ekkodalen auch ohne Bretter und Stimmenwiderhall erfreuen. Rund um das Tal stoße ich auf das Moor Vallensgård, die Jägergrotte und Dronningestenen, einen für Bornholm typischen Findling. Die zahlreichen, einst vom Gletschereis verschleppten, rund geschliffenen Riesenkieselliegen quer über die Insel verstreut. Manche lassen sich ein ganz klein wenig hin und her bewegen und werden deshalb »Rokkesten« – Wackelstein – genannt.

Über Heilige Klippen bis zu den höchsten Gipfeln

Typisch für Bornholm wie auch seine Burgruinen, Windmühlen und Rundkirchen (die unter anderem als Lager- und Schutzräume dienten) sind die etwa 250 Bautasteine – überwiegend in der Bronze- und Eisenzeit zu Kultzwecken oder auf Gräbern aufgestellte längliche Felsbrocken. Ganze Formationen natürlich geformter Türme und Säulen aus Granit bekomme ich hinter Tejn an der Ostküste zu sehen: die Helligdomsklipperne (Heilige Klippen). Einige ragen bis zu 22 Meter aus dem Meer – ein hübsches Wanderziel, ebenso wie die Spalttäler mit Wasserfällen. Der mit 20 Metern landeshöchste plätschert ins Døndalen, unweit südlich der kleinere des Flüsschens Kobbeå. Zwischen Slotslyngen und Vang an der Westküste stürzt sich der Abfluss eines kurzen Baches in die Tiefe. Dass hier kaum jemand badet, liegt wohl an seinem Namen, den auch Deutsche gut verstehen: Pissebækken.

Thomas Nykrog

Was Bornholm durchaus für Mountainbiker interessant macht, ist seine Wellenform. Der Scheitelpunkt liegt auf Rytterknægten. Mit 107 seiner 162 Metern gehört der höchste Inselhügel zugleich zu den Top 10 des Landes: Nach allerneuesten Messungen liegt er auf Platz sieben auf der Liste aller Gipfel Dänemarks und damit gar nicht so weit weg von Møllehøj in Mitteljütland, der sich als höchster Berg des sonst eher flachen Königreichs stolze 170,86 Meter in den Himmel zwischen Nord- und Ostsee reckt. Zu Ehren ihres Landesherren errichteten die Bornholmer 1856 auf Rytterknægtens Gipfel den Steinturm Kongemindet. Als der Wald ringsum so hoch geworden war, dass er den Blick versperrte, verlängerte man das Bauwerk kurzerhand. Von der Plattform des Metallaufbaus genieße ich ein wunderbares Inselpanorama, 184 Meter über dem Meeresspiegel. Und das wiederum ist nun tatsächlich die höchste Bergaussicht im Staate Dänemark. Bücklinge und Büffel.

Bücklinge und Büffel

Eine andere, relativ neue Bornholmer Attraktion steht ganz in der Nähe und frisst gerade Gras. Am Lindesbjerghus, zwischen den Seen Svinemose und Bastemose, wohnt seit einigen Jahren eine Wisent-Familie. Die friedlichen Waldbüffel, seit Aussterben des Auerochsens größten Landsäugetiere Europas, sollen helfen, die Inselvegetation auf natürliche Art zu erhalten. Die aus Polen stammende, ursprünglich siebenköpfige Herde hat sich mittlerweile verdoppelt. Dass die scheuen Tiere den Kontakt zu Menschen meiden, weiß ich zum Glück bereits, als ich ein Stück durch ihr 200 Hektar großes, begehbares Gehege laufe. Darum nehme ich es nicht persönlich, dass sich die sanften Riesenrinder in den Wald verziehen, als sie mich entdecken. Langsam kommt der Hunger.

Das Meer lockt mich zurück, macht Appetit auf Fisch. Auch wenn der heute wegen zurückgegangener Bestände oft aus anderen Gebieten der Ostsee oder aus der Nordsee stammt: Die Bornholmer Küche wäre ohne ihn nicht denkbar – genauso wenig wie ohne all die hier erzeugten Lebensmittel und Spezialitäten von Feld- und Gartenfrüchten über Pasta, Öl, Lakritz, Pralinen bis zum Wein sowie die vielen guten Restaurants. Längst gilt die Insel unter Kennern als kulinarisches Schlaraffenland. Seit letztem Jahr hat sie sogar ein saisonales Sternerestaurant. Im Michelin-gekrönten Kadeau in Vester Sømarken genießt man leichte nordische Küche aus regionalen Zutaten mit Dünenblick in einem umgebauten Strandkiosk – wenn man denn beizeiten reserviert hat, nicht so wie ich.

Niclas Jessen

Kein Problem. Fast überall an Bornholms Küsten gibt es Räuchereien. Bis zur nächsten ist es nur ein Möwenflügelschlag. Ich folge den großen Schornsteinen und dem leckeren Geruch. Seit Jahrhunderten ist
Bornholm berühmt für seinen geräucherten Bückling, einer Heringsart. Ich bestelle das rustikale Nationalgericht, ein Smørrebrød »Sol over Gudhjem« (Butterbrot »Sonne über Gudhjem«) mit noch warmem Bückling aus dem Erlenrauch, rohem Eigelb, Schnittlauch und Radieschen. Es schmeckt wunderbar nach Sommer, Ostsee, Wiese, Wald und Garten – oder eben nach Bornholm.

Bornholm auf einen Blick

Ausführliche Reiseauskunft zu Bornholm. In unserem Reise-Guide Bornholm gibt’s noch mehr Tipps.