Keinem lateinamerikanischen Land eilt ein derart guter Ruf voraus wie Costa Rica. Eine üppige Natur, eine schier grenzenlose Artenvielfalt und ein Staat, der nicht mal Militär hat. Ein idealer Fleck also, um die Natur am eigenen Körper zu erleben. Text: Andreas Dauerer

Grün, grüner, Costa Rica

Wäre die Farbfotografie noch nicht erfunden, man musste dies allein für Costa Rica nachholen. Jeder, der dieses Land betreten und sich ein wenig umgeschaut hat, dem wird schnell klar, dass der Herr eine ganze Menge richtig gemacht hat. Wenn ich allerdings an die unzähligen Nuancen der Farbe Grün denke, glaube ich fast, dass einer allein fur die schier unbeschreibliche Naturvielfalt Costa Ricas gar nicht verantwortlich sein kann. Grau gibt es höchstens in der Hauptstadt San José, der unrühmlichen Ausnahme. Wer hier ankommt, sucht schnell das Weite.

Und wer wie ich quer durchs Land reist, der fühlt sich getrieben, ob es hinter dem nächsten Hügel nicht vielleicht doch noch etwas Buntes zu entdecken gibt. In einem Land, das so groß ist wie die Slowakei und allein zwölf Vegetationszonen besitzt sowie etwa zehn Prozent aller Vogelarten der Welt beherbergt, stehen die Chancen dafür überaus gut. »Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt «, sagt ein Sprichwort – und das trifft nirgendwo besser zu als in jenem Land, das die Spanier recht einfallslos »reiche Küste« nannten.

Pura Vida

Pünktlich zum Frühstück beginnt die Saunatortur: Der Körper versucht, sich gegen das feuchte Klima zur Wehr zu setzen. Binnen Minuten klebt das Hemd am Körper, und mir wird schlagartig bewusst, warum die Ticos vieles gemächlicher angehen lassen. Pura Vida, reines Leben, so die fröhliche Standardantwort auf die Frage nach dem eigenen Wohlbefinden. Zwar denkt ein Einheimischer dabei nicht ans Schwitzen. Ich bin mir aber mit jedem Tag sicherer, dass diese Phrase genau deshalb entstanden ist. Spätestens aber nachdem ich aus der lästigen Metropolregion San José raus und zum »Golfo Dulce« geflogen bin, schwirrt »Pura Vida« nur so um meinen Kopf herum.

Schon allein die Fahrt mit dem Boot zur Nicuesa Lodge zieht mich in den Bann. Fliegende Fische und Delfine begleiten uns auf der einen Seite, auf der anderen zieht der immergrüne Tieflandregenwald vorbei. »Wart mal ab, wenn wir erst mit dem Kajak durch die Mangrovenwälder paddeln«, freut sich Guide Enrique sichtlich. »Schildkröten, Krokodile, Iguanas und naturlich jede Menge Vögel wie Eulen oder Sittiche kannst du da sehen. Aus nächster Nähe, wohlgemerkt.«

Ein von Linda (@gold_gelb) gepostetes Foto am

Im Reich von »Rana del Golfito«, Faultier und Kapuzineraffe

Keine Stunde später biegen wir samt Skipper und Guide sowie vier bunten Kajaks in eine der zahlreichen Flussmündungen, um im ruhigeren Gewässer durch die Mangroven zu schippern. Schon am zweiten Baum klebt eine junge, braungelbe Anaconda, die unser Treiben auf dem Wasser beäugt. Auch wenn sie klein ist, nötigt sie mir dennoch eine gehörige Portion Respekt ab. Niedlicher sind da schon die kleinen Schildkröten am Uferrand. Eigentlich sieht man nur ihre Köpfe, die aus dem Wasser lugen. Ein Iguana döst unbeteiligt in der Sonne, und ich warte die ganze Zeit darauf, dass sich ein Kaiman zeigt. »Die sind hier schon irgendwo, aber die haben mehr Angst vor uns als wir vor ihnen«, wird mir erklärt.

Stattdessen zieht ein weißer Ibis direkt an meinem Kajak vorbei und landet sanft auf einem Baumstumpf im Wasser, um dann gerade so lange darauf sitzen zu bleiben, bis ich meine Kamera umständlich aus dem wasserfesten Plastikbeutel gekramt habe, um doch kein Bild von ihm zu bekommen.

Fester Boden bedeutet (meist) Sicherheit

Immerhin hab ich es vermieden, in den Fluss zu fallen. Nicht mal 20 Zentimeter tief kann man ins Wasser sehen, da möchte ich gar nicht wissen, welches Getier unsichtbar unter mir schwimmt. Fester Boden bedeutet da Sicherheit. Hier heulen nur die Brüllaffen vom Baum, und in der Dämmerung sollte man bei den Wanderungen in jedem Falle feste Stiefel und lange Hosen mitnehmen. Mit giftigen Ottern ist hier nicht zu spaßen.

Im Übrigen auch nicht mit dem »Rana del Golfito«, einem kleinen, nicht mal drei Zentimeter großen, schwarzorangenen Frosch, der nur hier in dieser Region vorkommt. Er gehört zu den Pfeilgiftfröschen, und gelangt sein Gift etwa in die Augen, ist das nicht nur unangenehm, man könnte sogar daran erblinden. Wie selten man diesen kleinen Zeitgenossen jedoch zu Gesicht bekommt, kann man noch eine Woche später an Enriques Gesicht ablesen. Er strahlt seitdem wie ein Honigkuchenpferd. Da macht auch die Regenfahrt nach Quepos zum berühmtesten Nationalpark des Landes, Manuel Antonio, nicht mehr viel aus.

Nationalpark Manuel Antonio

Linda Ruckes

Die Gegend um Quepos dürfte die wohl touristischste Angelegenheit Costa Ricas sein. Der kleine Nationalpark Manuel Antonio zieht nämlich nicht nur Touristen an, sondern auch die Einheimischen kommen gerne hierher. Weniger jedoch, um die Tier- und Pflanzenwelt im Park zu erleben als vielmehr wegen des traumhaften Sandstrandes. Dementsprechend bunt geht es im Park zu. Touristen mit Ferngläsern auf der einen, gemächliche, den Weg blockierende Ticos, unter einem Arm die Luftmatratze und mit der anderen den Fresskorb für die nächsten Stunden festhaltend, auf der anderen Seite. Pura Vida eben.

»Laaaaaaaangsam.«

Doch die Tierwelt lässt sich nicht lange bitten. Eine Horde Kapuzineraffen wartet auf eine günstige Gelegenheit, um die Straße zu überqueren, posiert jedoch brav für die Kameras der Besucher. In den Wipfeln über uns recken bunte Tukane ihre mächtigen Schnäbel in die Luft, und darunter zieht sich in Zeitlupe ein Faultier am Baum hoch, was den Guide zur Frage animiert: »Weißt du, wie die Faultiere Liebe machen?« Nach einem kurzen Schulterzucken meinerseits schießt die Antwort auch schon aus ihm heraus. »Laaaaaaaangsam.«

Vielleicht zählen diese seltsam hässlichen Tierchen deshalb zu meinen Favoriten. Welches Lebewesen kann schon von sich behaupten, ein Leben in Zeitlupe zu führen, und dennoch einen derart zufriedenen Eindruck machen? Das kleine Städtchen Quepos selbst ist ein Konglomerat an kleinen Geschäften, Restaurants, Bars und Kneipen – und wirkt ziemlich amerikanisch.

Wenn Abenteuertouristen baden gehen

Was der Ort aber in rauen Mengen hat, sind Reiseveranstalter, die mit den verschiedensten Outdoor-Aktivitäten um die Gunst der »Abenteuer-Touristen« buhlen. Kayaking, Canyoning, Horse Riding, Abseiling, Sailing, Surfing, Rafting. Letzteres wollte ich dann auf dem Rio Savegre ebenfalls ausprobieren.

Die Fahrt zum Fluss dauert eine knappe Stunde, ist aber nichts für Leute mit Rückenproblemen. Erst mal zwingen uns die muskelbestückten Tourguides im fürchterlichsten amerikanischen Singsang auf die Pritsche eines alten Unimogs. Sitzt man erst mal auf dem Kinderpopo großen Stühlchen, geht die Rumpelfahrt los. Stoßdämpfer hat der alte Wagen schon länger keine mehr spendiert bekommen, und zum Leidwesen aller ist der provisorische Aufbau abgedichtet – wahrscheinlich, damit man bei den Regengüssen nicht nass wird –, aber eigentlich wurde je- dem der Insassen hier Frischluft überaus gut tun.

Ein Schlauchbootausflug auf dem Chiemsee?

Langsam beginne ich, das Pura Vida zu hassen. »Jetzt geht’s erst richtig los«, lacht mein Guide. Wenn ich die anderen drei Boote anschaue, die vor unserem ins Wasser gelassen werden, dann frage ich mich allerdings, ob wir jetzt wirklich Raften gehen oder ob es sich nicht doch um einen Schlauchbootausflug auf dem Chiemsee handelt. Im ersten steckt eine Familie mit zwei Kindern im Vorschulalter, das zweite Boot hat ein rüstiges Rentnerpärchen und einen dicken Mexikaner geladen, und im dritten sitzen zwei verschüchterte Pärchen, eines aus Costa Rica und das andere aus Japan, die kaum die Paddel halten können.

Und so geht es erst einmal recht gemütlich den Fluss hinunter. Jorge, unser Steuermann, muss schon mit aller Kunst auf irgendwelche Steine fahren, damit sich das Boot wenigstens etwas »abenteuerlich« dreht. Immerhin, Jorge gibt alles und erklärt, dass der Fluss gerade nicht allzu viel Wasser führt, verspricht aber, alles zu tun, um uns glucklich zu machen. An Schnellen, an denen unsere »Vorfahrer« brav einen Bogen machen, fahren wir mittendurch.

Zahlen, bitte!

Jorge brüllt seine Anweisungen, wann wir unsere Züge machen sollen, lacht und stemmt sich in sein Steuerpaddel. Unglaublich, wie er mit seinen gefühlten 60 Kilo und nur wenigen Bewegungen unserem Gummiboot spielerisch die Richtung vorgeben kann. So spielerisch, dass es bei der nächsten Stromschnelle jemanden aus dem Boot holt. Schließlich gehört das zu einem richtigen Rafting dazu – und wer als Erster über Bord geht, zahlt schließlich die abendliche Runde.

Vorsicht walten lassen muss man aber nur bedingt. Die Guides sind ziemlich gut darauf getrimmt, die Gruppendynamik zu erkennen, und wissen genau, wie weit sie bei dem Wasserspaß gehen können. Und eins ist klar: Bei der unerbittlichen Sonne geht man schon mal gern ins 20 Grad kalte Flusswasser.

Wenig Tiere, aber umso mehr Grün

Immer noch feucht, aber deutlich trockener ist da schon die Drahtseiltour durch die Baumwipfel im Nebelwald von Monteverde. Leider befindet sich das Städtchen Santa Elena samt seiner einzigartigen Vegetation nicht nur etwa 200 Kilometer von Quepos entfernt, sondern zu allem Übel auch noch in luftiger Höhe und auf teilweiser ungeteerter Straße, sodass der Trip dorthin gute fünf Stunden dauert. Wer aber immer schon mal im Harnisch durch mächtige Bäume sausen wollte, der kann das wahrscheinlich nirgends so eindrucksvoll wie hier. Zwar sieht man auf den insgesamt drei Kilometern am Seil wenig Tiere, dafür umso mehr Grün.

Hängebrücken Monteverde

Simon Dannhauer/ Shutterstock.com

Wo die Natur noch nicht mit Füßen getreten wird

Aber mich beruhigt es ungemein, dass unter mir nicht nur 100 verschiedene Säugetierarten leben sollen, sondern auch etwa 5.000 Mottenarten und 420 verschiedene Orchideen gedeihen. Runterfallen ist also diesmal wirklich tabu. Die wichtigste Sehenswürdigkeit wartet indes auf Bodennähe unmittelbar vor dem Eingang zum Nebelwaldschutzgebiet.

30 Kolibriarten leben hier in der Region, und es ist unglaublich, welchen Radau diese kleinen Vögel mit ihren Flügeln veranstalten können. Hier werden sie mit gesüßtem Wasser angelockt, und die Chancen, die Minivögel mit der eigenen Kamera einzufangen, stehen ziemlich gut. Ein wenig Glück und viel Geduld vorausgesetzt.

Weitere 100 Kilometer nördlich und gerade mal 40 vor der Grenze Nicaraguas, im Nationalpark Rincón de la Vieja, ist es jetzt wieder brütend heiß. Kein Wunder, bewege ich mich doch auf einem Vulkan. Noch ehe man die zahlreichen, blubbernden Schwefelquellen sieht, riecht man sie. Ich finde die Gegend mit dem faulen Eiergeruch auf den ersten Blick ziemlich lebensfeindlich.

Aber die liebe Natur wäre schlecht beraten, wenn sie nur wegen ein paar brodelnden Sulfitteichen gleich alles aufgeben würde. Wundervolle Tukane segeln etwas unbeholfen von Ast zu Ast, ein Nasenbär kreuzt den Weg, und die Brüllaffen scheinen sich die Seele aus dem Leib zu schreien, werden aber deutlich kleinlauter, wenn wir exakt unter ihrem Baum stehen. Entfernen wir uns ein paar Schritte, beginnen sie noch lauter, irgendwie schadenfroh. Vielleicht ist es gerade das, was dieses kleine mittelamerikanische Land ausmacht – die Liebe zur Natur, wo sogar die Tiere etwas zu sagen haben.

Als eines der wenigen Länder Lateinamerikas haben die Ticos schnell verinnerlicht, wie einzigartig ihre Natur und deren Bewohner sind und wie wichtig es ist, diesen noch paradiesischen Zustand zu bewahren. Werfen Sie doch mal ein Stückchen Schokoladenpapier aus einem öffentlichen Bus. Ich habe es versucht, aber nicht nur die strengen Blicke aller, wirklich aller Passagiere hinderten mich daran, sondern meine tatkräftige Sitznachbarin, die mir, unter Flüchen begleitet, in den Arm griff. In fast jedem anderen Latino-Land hätte das nicht mal ein Achselzucken hervorgerufen.

Dazu eine etwas ruhigere Mentalität der Einheimischen, die gute Infrastruktur und der unglaubliche Artenreichtum, der jeden Naturfan vom Hocker haut. Egal, ob man das jetzt auf sportlichem oder gemütlichem Wege kennenlernen will, es ist in jedem Fall ein unvergessliches Erlebnis. Pura Vida eben.

Infos

Kreuzfahrt. Mit der Star Flyer 7 Nächte zwischen Costa Rica und Panama schippern. Termine: Rundreise von Puerto Caldera , www.starclippers.de

Übernachten. Die touristische Infrastruktur ist in Costa Rica sehr gut. Entsprechend vielfältig ist auch das Hotelangebot. Stilvoll logiert man etwa in Quepos im Hotel Parador.

Nationalparks. Rund 25 Prozent des Landes stehen unter Naturschutz. Die bekanntesten Parks neben der Region um den Golfo Dulce und dem Nationalpark Manuel Antonio sind der Vulkan Irazú und Monteverde im Zentrum sowie Palo Verde und Santa Rosa im Norden

Reisezeit. Costa Rica kennt nur zwei Jahreszeiten: Trocken- und Regenzeit. Beide haben ihren Reiz. Die Hauptreisezeit ist vor allem November bis Juli.