Trotz ultrarapider Modernisierung haben sich in China einige uralte Gärten erhalten. reisen-EXCLUSIV-Autorin Daniela David reiste nach Shanghai, zum Westsee in Hangzhou und in die chinesische Gartenstadt Suzhou, um dem Ursprung aller Gartenkunst nachzuspüren: Sie hat paradiesische Gärten gefunden.

Tradition, Teehäuser und Touristengetummel

»Gärten, wo?« »In China.« »Du willst wirklich Gärten in China besuchen?« Und dann prasselte es Warnungen: Bei dem Smog wirst du nie blauen Himmel sehen, bei den Menschenmassen nie Ruhe finden, mit den chinesischen Schriftzeichen dich hoffnungslos verirren …! Und dann mein erster Garten in China, der Yu Yuan mitten in Shanghai. Diagonal über einen Teich führt der Steg zu einem der berühmtesten Teehäuser der Welt, dem Huxing Ting. Selbst die Queen hat sich dort schon feinen chinesischen Tee servieren lassen. Jeder Shanghai-Besucher muss da mal hin- und scheinbar alle gerade in diesem Moment. Dicht gedrängt, Körper an Körper, bewegen sich die Besuchermassen. Hatten meine Bedenkenträger recht?

Traditioneller roter Pavillon mit Ornamenten

Daniela David

Die Brücke ist als Zickzackkurs gebaut, damit die bösen Geister außen vor bleiben. Die können nämlich nur geradeaus gehen. Im historischen Teehaus möchten die Gäste einen Hauch vom alten China erleben. Es ist randvoll. Egal, ich will ja in den Garten gleich nebenan. Der Yu-Garten liegt im Zentrum von Shanghai, dieser riesigen Glitzermetropole mit den spiegelnden Wolkenkratzern, die nachts unermüdlich bunt blinken. Es ist ein Erlebnis der Gegensätze: ein Garten aus dem 16. Jahrhundert mitten in einer Stadt, die augenscheinlich ganz auf Zukunft setzt.

Hohe Mauern in Form von Drachenkörpern schirmen ihn vom fortschrittsgläubigen, immerwährenden Veränderungsmodus dieser Stadt ab. Der Yu-Garten ist die perfekte Einführung in den klassischen Chinesischen Garten. Er birgt all seine typischen Elemente. Da ist stets ein stattlicher Empfangspavillon. Ein Garten im alten China sollte repräsentieren und Macht symbolisieren. Je weiter ich in den Garten vordringe, desto mehr Pavillons tauchen auf – zum Sitzen, Studieren, Sinnieren. Ich stelle mir vor, wie der ursprüngliche Eigentümer, ein hoher Beamter aus der Ming-Dynastie, dort philosophierte. Oder wie er einem Gast den »Großen Felsengarten« zeigt, ein 14 Meter hohes, künstliches Felsengebirge.

Verschwinden im begehbaren Landschaftsgemälde

Darum geht es im Chinesischen Garten: Ideallandschaften zu inszenieren, immer mit Hügeln, Wasser und durchdacht arrangierten Pflanzen, die nie symmetrisch stehen oder etwa akkurat zu Hecken getrimmt werden. Diese chinesische Art, Gärten anzulegen, ist übrigens auch der Ursprung unseres englischen Landschaftsgartens und für manche sogar der Ursprung aller Gartenkunst. Wie in einem begehbaren Landschaftsgemälde bewege ich mich von einem Gartenbereich in den nächsten, steige durch ein rundes Mondtor, gehe über Brücken, vorbei an einem 400 Jahre alten Ginkgo-Baum und weiß am Ende nicht mehr, wo ich bin.

Ein winziger Hof erweist sich als Sackgasse. Mein Blick geht nach oben. Dachziegel mit Ornamenten umschließen die Öffnung, »gerahmter Himmel« nennen das die Chinesen. Von den Mauerkronen herunter fixieren mich Drachenköpfe. Speien sie gleich Feuer? Durch seine geschickte Gestaltung wirkt der zwei Hektar umfassende Yu-Garten viel größer, als er ist. Von keinem Punkt kann man ihn ganz überblicken. Selbst wenn man die Orientierung dort schnell verliert, verloren gehen kann man in einem Garten in China nicht, dazu sind viele andere Besucher da.

Großer Drachenkopf aus Stein an Pavillon

Daniela David

Wenn Einheimische singen und lauschen

Dennoch ist in Shanghai ein Gartenerlebnis auch ohne Touristen möglich. Im Zui Bai Chi-Garten im Südwesten der Stadt sehe ich vor allem Einheimische aus dem Viertel. In diesem Garten, der bereits im 12. Jahrhundert angelegt wurde, sitzen alte Männer still im Schatten einer Pergola, andere debattieren – wie an einem Stammtisch – in einem Teehaus. Und in einem Pavillon singen ein Mann und eine Frau chinesische Lieder, die sich wie Schlager, wie Herz-Schmerz-Duette anhören. Ein entzücktes Lächeln zeigt sich auf den Gesichtern der ihnen lauschenden älteren Chinesinnen. Für sie scheint in diesem Moment die Welt rundum in Ordnung.

Staunend bewege ich mich in einem überdachten Korridor über den See des Gartens. In subtropischer Üppigkeit ist er fast völlig mit Lotuspflanzen bedeckt. Ich setze mich auf einen Steg, der ins Wasser hineinragt. Löwenskulpturen schmücken seine Balustraden. Riesige Blätter des Lotus umgeben mich. Die Sonne durchstrahlt sie und bringt die Blattadern wie ein Flussdelta zum Vorschein. Gleich am Ufer wächst ein Baum voller Granatäpfel. Eine dem Paradies entliehene Szenerie.

mysthischer grüner See mit kleiner Brücke und Kletterpflanzen

Daniela David

Majestätisch Konträr

Das moderne Shanghai hat seine eigenen Gartenanlagen hervorgebracht. Am Bund, der berühmten Prachtstraße am Ufer des Huangpu, fotografieren sich Leute vor vertikalen Gärten mit bunten Blütenpflanzen, die spektakulären Hochhäuser auf der anderen Flussseite in Pudong im Hintergrund. An den großen Ausfallstraßen beobachte ich Gärtner, die Parks anlegen und Bäume pflanzen, kilometerlang, teils in doppelten Reihen. Bald werden sie kühlende Alleen bilden. Ohne Zweifel: Shanghai soll grüner werden. Und dann mein überraschter Blick vom Taxifenster aus auf die Blumenkästen, die an der Brüstung der Stadtautobahn hängen. Minigärten buchstäblich am Straßenrand.

Zwei moderne Wolkenkratzer aus der Froschperspektive

Daniela David

Chinesisches Essen im Familienlokal

Doch der Ort der Gärten schlechthin in China ist Suzhou, eine halbe Zugstunde westlich von Shanghai. In der 2.500 Jahre alten Stadt gab es einst mehr als 200 Gärten. Einige besonders schöne aus dem 14. bis 20. Jahrhundert haben sich erhalten. Ein mildes Klima und viel Wasser schaffen im Jangtse-Flussdelta ideale Bedingungen für das Gärtnern.

Am Abend noch schnell zum Essen in ein richtiges Familienlokal, wo sich Chinesen an großen Tischen auftischen lassen. Man steht Schlange. Ich komme mit Lee ins Gespräch. Der Chinese spricht gut Englisch. Es ist »Elterntag« in China. Da macht Lee mit seinem alten Vater und seiner Mutter einen Wochenendausflug. Die drei schwärmen von Suzhou mit seinen Holzhäusern und Kanälen, wo sich das alte China noch erhalten hat. Suzhou zählt zu Chinas Sehnsuchtsorten.

»Bei uns gilt Suzhou als Paradies auf Erden«, sagt Lee, »vor allem wegen der Gärten.«

Der Duft eines Osmanthusstrauches

Lee erzählt mir von den nächtlichen Vorführungen im berühmten »Garten des Meisters der Netze« (Wangshi Yuan) – heute Abend. Obwohl ich hundemünde bin, kann ich nicht widerstehen und mache mich nach dem Abendessen auf. Ich streife durch das nächtliche Suzhou zu diesem, wie ich später wissen sollte, für mich schönsten Garten der Stadt. Im Dunklen taste ich mich an Mauern entlang zum Eingangsportal. Im ersten Hof empfängt mich eine bezaubernde junge Chinesin. Mae ist eine von den Guides, die die Besucher durch den nächtlichen Garten führen.

Im ersten Pavillon spielen Musiker in traditionellen Kostümen auf chinesischen Instrumenten. Ihr rätselhafter Klang erfüllt den Garten und der intensive Duft des Osmanthusstrauches meine Nase. Die Atmosphäre wirkt geheimnisvoll. Der Weg führt weiter zum Teich, in dem sich der Vollmond spiegelt. Auch die sanft beleuchteten Gebäude spiegeln sich im Wasser. Mit off enen Augen und Ohren lauschen die Gäste dem Flötenspiel auf der anderen Uferseite. Im nächsten Hof präsentieren Schauspieler mit grell geschminkten Gesichtern einen Ausschnitt aus der traditionellen chinesischen Oper.

Zwei Chinesen (Mann und Frau) spielen in traditionellem Pavillion Instrumente

Daniela David

Rätselhafte Paradiesgärten

Ein Spektakel, faszinierend und rätselhaft zugleich. Das ist er: der klassische Chinesische Garten als Ort der Kultur, der Musik, der Literatur, der Poesie, der Philosophie. Immer wieder nimmt mich die Führerin zur Seite und füttert mich – als einzige Nicht-Chinesin auf Englisch – mit Geschichten vom Garten. All meine Müdigkeit ist verschwunden, so sehr hat mich die theaterhafte Szenerie gefangen und verzaubert. Und am Ende des klangvollen Rundgangs durch den Garten drückt sie mir ein Päckchen in die Hand: Nun bin ich völlig verwirrt.

Im Hotel öffne ich es: Eine fein gearbeitete, gepolsterte Dose kommt zum Vorschein und darin ein winziges Kissen mit Rosenmuster an einem Bommel. Mein Herz leuchtet. In einem Land mit rund 1,4 Milliarden Einwohnern schenkt mir ein völlig unbekannter Mensch einen Glücksbringer. Einfach so. Mein erster Garten in Suzhou – wie eine Nachtansicht vom Paradies.

Von Hotspots und einsamen Idyllen

Ich wache auf. Und gleich am Morgen mache ich mich in den »Garten des bescheidenen Beamten« (Zhuozheng Yuan) auf. Dieses Gartenreich erweist sich als ziemlich unbescheiden: fünf weitläufige Hektar groß und mit sehr viel Wasserfläche. Wie in einem Wasserlabyrinth bewege ich mich über Brücken auf gewundenen Pfaden von Inselchen zu Inselchen. Die schiere Fülle an Pavillons und Pagoden voller Details und Formenvielfalt ist überwältigend. Ich wandle an den glaslosen Fenstern vorbei. Jeder Ausschnitt bietet einen Blick auf ein wohl komponiertes Bild aus gestalteter Landschaft. Wie Bilderrahmen sind diese Fensterdurchbrüche zum Schauen gestaltet.

Je weiter ich wandere, desto mehr Landschaftsszenerien tun sich in diesem Zaubergarten Suzhous auf. In einem versteckt gelegenen Hof entdecke ich ein idyllisches Teehaus. Ich kann mein Glück kaum fassen: Während an den Hotspots des Gartens sich inzwischen die selfie-verliebten Besucher zahlreich drängen, sitze ich fast allein bei einer Tasse dampfenden Chrysanthemen-Tees in einem der vier berühmtesten Gärten Chinas. Da beginnt eine junge Chinesin zu singen, begleitet von einer Liuqin, einer Art chinesischen Mandoline. Später reicht sie mir den Liedtext mit englischer Übersetzung. Es geht um Sehnsucht nach der idealen Landschaft als Herzensort. Ein Lied vom alten Suzhou, ein Lied vom Zauber der Gärten.

traditioneller, roter Pavillon vor Ginkoblättern

Daniela David

Drei Kanäle umgeben den Garten des Paares

China scheint von der Gartensehnsucht infiziert. Wie auf einer Zeitreise fühle ich mich auch im »Garten des Paares« (Ou Yuan). An drei Seiten ist er von Kanälen umgeben. Direkt im Garten besteige ich eine nostalgisch anmutende Barke. Gleich einem Gondoliere manövriert mich eine Chinesin durch die Kanäle, die die Altstadt von Suzhou durchziehen. Noch rasch am Nachmittag in den kleineren »Löwenwald-Garten«( Shizi Lin). Vor Jahrhunderten war er ein Tempelgarten, in dem gedichtet und gemalt wurde. Gemalt wird immer noch. Kunststudenten skizzieren die schroffe, künstliche Berglandschaft. Doch gefühlte Massen von Menschen klettern auf die Gipfel und in die Höhlen der Felsformation aus dem 14. Jahrhundert. Es ist der falsche Besuchszeitpunkt.

Vor Sonnenaufgang am Ufer

Ich sehne mich nach meinem Glücksbringer-Garten zurück. Muss ihn nochmals sehen. Ich muss Mae noch danke sagen. So eile ich vor der Abreise aus Suzhou am nächsten Morgen in aller Frühe nochmals zum »Garten des Meisters der Netze«. Als sich seine Tore öffnen, gleite ich rasch hinein und frage nach Mae. Sie ist nicht da. Also betrete ich den Garten allein, als erste Besucherin des Tages, und bin ganz alleine in einem der berühmtesten Gärten Chinas. Dazu scheint die Sonne. Da kommen mir wieder die Warnungen von zu Hause in den Sinn. Wie zum Gegenbeweis beleuchtet das warme Licht die kunstvollen Dächer der Pavillons am Teich. Alles ist ruhig, alles ist Harmonie. Jahrhundertelang durchdachte perfekte Gartenkunst. Ohne Rasen, ohne Blumen. So fremd, so schön.

Pavillon am Fuße eines Sees mit Spiegelung der Landschaft

Daniela David

Balkon eines Pavillons hinter Bambus

Daniela David

Neben Suzhou gilt der Westsee (Xi Hu) in Hangzhou südwestlich von Shanghai als Chinas Paradiesgarten. Das Paradies wird sicher voll sein, also bin ich bereits vor Sonnenaufgang am Ufer und werde tatsächlich mit paradiesischen Momenten belohnt. Im zartesten Licht der Morgendämmerung tuckert ein Fischerboot über den See. In den Parkanlagen direkt am Wasser machen einige Tai Chi-Kämpfer konzentriert und synchron ihre Übungen. Zwischen den Pflanzen stehen Chinesinnen völlig versunken in Qi Gong-Meditationen.

Ganz langsam geht der Sonnenball über dem Westsee auf. Pure Magie. Ich wandere am See entlang, durch die Ufergärten, vorbei an Lotusteichen mit Pavillons und Teehäusern. Oben in den Bäumen zwitschern lautstark die Vögel, unter den Bäumen zelebrieren Anwohner ihre Morgengymnastik, allein oder in Gruppen. Mitten im Grünen sitzen ältere Leute zusammen und spielen Karten. Eine Stimmung harmonischer Gemeinschaft. Morgens im Garten ist China noch traditionell.

Pavillion bei Sonnenaufgang zwischen Bäumen

Daniela David

Vier Tai Chi-Kämpfer bei Sonnenaufgang an See

Gartenkunst in China. Lotusteich bei Sonnenaufgang mit Weitblick auf Hügellandschaft

Daniela David

Tipps:

Anreise. Mit Lufthansa von Frankfurt a. M. und München oder mit Air China nonstop nach Shanghai. Vom Flughafen in Pudong mit dem Transrapid weiter. Individualreisende bewegen sich mit Zug, U-Bahn und Taxi fort.

Unterkunft. Shanghai Broadway Mansions Hotel Historisches Hotel (Mittelklasse) mit großartigem Blick auf den Bund, den Huangpu-Fluss und die Hochhäuser auf der Pudongseite. Suzhou Nanlin Hotel Modernes Hotel in zentraler AltstadtLage in der Nähe vom »Garten des Meisters der Netze«. Shangri-La Hotel Hangzhou Hotel inklusive Hotelgarten am Westsee. Uferparks und -gärten sind in Gehweite. Auf Leihfahrrädern lässt es sich schön um und über den Westsee radeln.

Gärten. Im überschaubaren Areal der Altstadt von Suzhou gibt es mehr als zehn besonders prächtige Gärten, teils zählen sie zum Unesco-Weltkulturerbe. Im ehemaligen Residenzgebäude des »Gartens des bescheidenen Beamten« befindet sich das Gartenmuseum. Modern gestaltet, erklärt die Ausstellung die Prinzipien und die Geschichte des Chinesischen Gartens. In Hangzhou lässt sich auch der Garten des Mausoleums des Generals Yue Fei besuchen; Morgens ist es noch still. Über einen kleinen Hofgarten mit Heilpflanzen verfügt das Museum für TCM –Traditionelle Chinesische Medizin – in einer tollen 200 Jahre alten, noch aktiven Apotheke.

Reiseveranstalter. Der China-Spezialist Ikarus Tours bietet u.a. die 23-tägige Große China-Rundreise, die den Besuch der kulturhistorischen Höhepunkte und zahlreicher landschaftlicher Attraktionen des Landes beinhaltet, sowie eine viertägige Yangtse-Kreuzfahrt. Reise inkl. Flüge mit Air China ab € 2.950 p. P. Die Südwestprovinz Yúnnán kann auf einer 15-tägigen Rundreise »Höhepunkte Yúnnáns« entdeckt werden. Reise inkl. Flüge mit Air China ab € 2.598 p. P. ,