Matera im Herzen der Basilikata war bis zu den 1950er Jahren einer der »nationalen Schandflecken« Italiens. Das ist heute Schnee von gestern. Unsere Autorin Susanne Wess berichtet, wie aus dem einstigen Schmuddelkind ein hippes Kulturerbe – und sogar die Europäische Kulturhauptstadt 2019 – wurde.

Bereits 1945 prangerte der Schriftsteller Carlo Levi in seinem Roman »Christus kam nur bis Eboli« die katastrophalen sozialen Verhältnisse in den Höhlensiedlungen, den sogenannten »Sassi« an. Die Sassi di Matera, das sind die Tuffgrotten in der Schlucht von Gravina nahe der heutigen Altstadt. Sie waren von der Frühgeschichte bis zum Zweiten Weltkrieg dauerhaft bewohnt.

Mensch und Tier lebten hier in Höhlen ohne Fenster, Wasser und Heizung auf engstem Raum zusammen. Oftmals hausten bis zu 15 Personen pro Grotte. Stallungen, Keller und selbst Kirchen wurden einst in den weichen Tuffstein gegraben. Oft gruppierten sich mehrere Wohnviertel um einen einzigen Innenhof. Alle Bewohner der Höhlensiedung nutzten gemeinsam nur eine Zisterne.

Blick aus Höhle auf Materna

Luca Micheli

Die hygienischen und gesundheitlichen Missstände waren dementsprechend enorm. Als die Lebensumstände in den Sassi immer öfter auch in der Öffentlichkeit angeprangert wurden, beschloss man in den 1950er-Jahren, die rund 15.000 Bewohner in eigens gebaute Sozialwohnungen umzusiedeln. Doch erst über 15 Jahre später, im Jahr 1967, begann man mit der Renovierung der immer mehr verfallenden Höhlen.

Wandel vom nationalen Schandfleck zum hippen Kulturerbe

Nochmals gut 20 Jahre später, in den 1990er-Jahren, erkannte man schließlich den kulturellen Wert der Sassi. Seit 1993 zählen die »Sassi di Matera« zum Unesco-Welterbe. Inzwischen sind viele einstige Höhlen top renoviert. Es entstanden schicke Läden und Galerien, Eigentumswohnungen, moderne Cafés und auch eigenwillige und charmante Hotels.  Heute leben inzwischen wieder rund 3.000 Menschen in den Sassi.

Schlucht bei Matera

Victor Malyushev

Bei einem Spaziergang durch diese Schlucht, die sich in Sasso Caveoso und Sasso Barisano aufteilt, werden die ganze Faszination und der herbe Reiz der renovierten Höhlensiedlungen spürbar. Kommt man aus der Altstadt, so führt eine Treppe direkt ins Sasso Barisano, der Richtung Bari ausgerichtet ist und daher vermutlich den Namen hat.

Während es hier neben den Höhlen auch gemauerte Häuser gibt, besteht der ältere und südlichere Teil, der Sasso Caveoso, fast ausschließlich aus Höhlenwohnungen. Treppen, Höhlen und Gänge sind ineinander verschachtelt wie bei einer neapolitanischen Weihnachtskrippe.

Besonders sehenswert sind neben den Grotten auch die Felsenkirchen, darunter vor allem die Höhlenkirche Santa Lucia alle Malve mit ihren zahlreichen verspielten Details und den wunderbar erhaltenen Fresken.

Frau mit Sonnenhut und Brille steht fotogen auf Mauer, im Hintergrund die Altstadt von Materna

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Wer einen tieferen Einblick in das einstige Höhlenleben bekommen will, dem sei unbedingt die Besichtigung der Casa Grotta empfohlen. In dieser original eingerichteten Höhlenwohnung erfährt man bei einer Führung detailliert, wie Menschen und Vieh hier einst mehr überlebt als gelebt haben.

Ein Besuch in Matera, Europas Kulturhauptstadt 2019, gibt jenen, die etwas Zeit für ihre Besonderheit mitbringen, tiefe Einblicke in das einstmals so karge Leben im Mezzogiorno.

Innenhof in Materna, Italien

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Tipps für einen Besuch in Matera

Hotel Locanda di San Martino, 28 Zimmer auf 4 Ebenen, jeweils mit kleiner Terrasse, DZ 90-150 €. Sassi Hotel ist die erste Herberge, die 1996 in den Sassi entstanden ist; fantastischer Ausblick, DZ 69-134 €.

Botteghe, hier gibt es wunderbare frische Pasta und Fleischgerichte vom Grill, Piazza San Pietro Barisano 22. Il Terrazzino, Pizzeria mit grandiosem Ausblick auf die Sassi, Vico San Giuseppe 7. 

Weitere Informationen über die Stadt gibt es hier.

Matera im Dunkeln

Massimo Garanzelli