Belarus – die auch als Weißrussland bekannte ehemalige Sowjetrepublik ist voller Naturschönheiten, europäischer Geschichte und Kultur. Seit diesem Sommer kann man sie visafrei entdecken. Carsten Heinke hat sich auf den Weg nach Minsk, Njaswisch und Mir gemacht.

Spielt ein Dokumentarfilm in Paris oder London, sieht man in der Regel – wenn auch nur ganz kurz – die eine oder andere bekannte Sehenswürdigkeit wie den Eiffelturm oder die Tower Bridge durchs Bild huschen. Dann wissen alle Bescheid. Man war ja meist selber schon mal dort. Aber was weiß man als Mitteleuropäer vom weißrussischen Minsk, Hauptstadt eines Landes nicht kleiner als Großbritannien, keine zwei Flugstunden von Berlin entfernt?

Platz der Unabhängigkeit in Minsk

Carsten Heinke

Recht wenig. Wer dann noch Filme sieht, die sich bemühen, alles Äußere möglichst trist und hässlich erscheinen zu lassen, kommt eher nicht auf die Idee, sich diese spannende Metropole und das wunderschöne Land um sie herum einmal selber anzuschauen.

Kaputte Straßen und herunter gekommene oder seelenlose neue Wohngebiete, wie sie etwa der schwedische Regisseur Staffan Julén in seinem unbestritten berührenden Dokumentarfilm über die Liebe »Lyubov – Love in Russian« (der in Minsk gedreht wurde und kürzlich bei DOK Leipzig zu sehen war) zeigt, gibt es auch in westlichen Ländern – ebenso jedoch ein modernes Zentrum und eine liebenswerte, schmuck zurechtgemachte Altstadt.

Stadtzentrum Minsk

Carsten Heinke

Der Maler Vladimir Schelkun, zufällig einer der Protagonisten des Films, zeigt seinem Gast aus Deutschland mit Stolz das hübsche historische Quartier in der Oberstadt. Nachdem Minsk 1499 das Magdeburger Stadtrecht erhalten hatte, entstanden hier neben dem Rathaus Bürgerhäuser, Straßen, Plätze, Kirchen.

Kathedrale als Sporthalle

»Leider ist von der ursprünglichen Bebauung nur wenig übrig geblieben«, sagt der 60-jährige Künstler. Umso mehr freut er sich, dass in den letzten Jahren soviel saniert und originalgetreu rekonstruiert wurde, darunter das Rathaus, das 1857 unter Zar Nikolai I abgerissen worden war.

Die prunkvolle Mariä-Namen-Kathedrale gleich daneben hatte schon in den 1990er-Jahren ihre barocken Türme und Fassade zurückerhalten. Während der Sowjetzeit wurde das Gotteshaus des katholischen Jesuitenkollegs als Sporthalle genutzt.

Besucher im Gorkipark in Minsk

Carsten Heinke

Weitere markante Bauwerke des alten Minsk sind die strahlend weiße, grün bedachte barocke orthodoxe Kathedrale des Heiligen Geistes, gegenüber die Josefskirche und Teile des ehemaligen Bernhardinerklosters, in dem sich jetzt unter anderem ein Restaurant befindet. Überhaupt ist das Viertel voller Lokale – teils gemütlich rustikal mit nationaler Küche, teils sehr schick und stylish wie Vladimirs Lieblings-Weinbar, die »Svobody 4«.

Vom Rand der Oberstadt schaut man auf den Swislatsch-Fluss und seine weitläufigen Promenaden, die durch mehrere Parks führen, sowie die Dreifaltigkeits-Vorstadt, ein kompletter Nachbau aus dem 19. Jahrhundert. Überragt wird alles von hohen Wohnblöcken, die sich rund um die Mitte und bis zum Stadtrand drängen. Irgendwo dazwischen funkeln die vergoldeten Zwiebeltürme der orthodoxen Allerheiligen-Gedächtniskirche im altrussischen Stil. Sie wurde erst nach der Wende gebaut und 2008 fertiggestellt.

Stalinistische Protz-Architektur im Zentrum von Minsk

Über rund 15 Kilometer zieht sich der Unabhängigkeitsprospekt durch die Zweimillionenmetropole. Die breite Prachtstraße, geprägt von stalinistischer Protz-Architektur der Nachkriegszeit, verbindet die wichtigsten Plätze und Gebäude, darunter Monumentalbauten wie das konstruktivistische Haus von Regierung und Parlament sowie Ministerien, Unis, Banken, Kinos, Geschäfte und Hotels.

Mann liegt in Minsk auf großer Bank in Sonne

Ömürden Cengiz

Im Kontrast zu den überwiegend farblosen strengen Formen, die nicht von Werbung gestört werden dürfen, steht die neoromanische Simon-und-Helena-Kirche. Der rote Backsteinbau diente im Sozialismus als Kino.

Echte Sehenswürdigkeiten am Unabhängigkeitsprospekt sind auch das runde Kuppelgebäude des Staatlichen Zirkus sowie der Supermarkt Centralny, beide aus den 1950ern. Die hohen, mit prächtigen Säulenbögen, Lüstern, Stuck und Wandgemälden ausgestatteten Räume des Lebensmittelladens erinnern an feudale Schlösser. Statt gekrönter Häupter zeigt die Bildergalerie jedoch – passend zu Schinken, Brot und Käse, die darunter verkauft werden – stolze Bäuerinnen mit Kühen, Korn und Früchten. Ein markantes Beispiel für die Epoche, in der nach Stalins Willen selbst Metrostationen als »Paläste der Werktätigen« gestaltet wurden.

Mit dem Bus aufs Land, zunächst nach Njaswisch

Aufs Land soll es nun wirklich gehen, diesmal allerdings zu Schlössern echter Fürsten. Noch ein Blick vom Hauptbahnhof auf das »Stadttor« (verwandt etwa mit dem Frankfurter Tor in Berlin) im stalinschen Hochzeitstortenstil mit seinen beiden eckigen Wohntürmen – dann startet der Linienbus nach Njaswisch.

Die bis 1941 stark von Juden geprägte Kleinstadt liegt 120 Kilometer südwestlich von Minsk.

Straßenszene in Njaswisch in Weißrussland

Carsten Heinke

Sie hat ein hübsches Rathaus und mit der Fronleichnamskirche aus dem 16. Jahrhundert eines der ältesten Jesuitengotteshäuser der Welt. Bekannt ist sie aber vor allem für ihr Schlossensemble, das, umringt von einem Wassergraben, in einem Park am See liegt. Eigentümer des imposanten Anwesens waren über Generationen die Radziwiłłs, mächtigste Adelsfamilie in Polen-Litauen, zu dem auch das Gebiet des heutigen Weißrusslands gehörte.

Schloss in Njaswisch

Carsten Heinke

Mir, ehemals Zentrum des polnisch-litauischen Staates

In Mir, nur eine halbe Autostunde entfernt, begannen vor 300 Jahren Handwerk und Handel zu blühen. Rasch entwickelte sich die Stadt zu einem bedeutenden Zentrum des polnisch-litauischen Staates. Wirtschaftlich, geistig und kulturell geprägt wurde sie maßgeblich von ihrer jüdischen Bevölkerung. Mit sieben Synagogen war Mir bis zum Holocaust eines der wichtigsten Schtetl Osteuropas. Nur wenig ist davon übrig geblieben: zwei ehemalige Gotteshäuser, eine Mikwe (rituelles Badehaus), eine Jeschiwa (Hochschule), ein Cheder (Grundschule) sowie ein Friedhof mit rund 100 Gräbern. Allemal sehenswert sind auch die kleinen, teils hölzernen historischen Wohn- und Geschäftshäuser rund um den Marktplatz sowie eine katholische und eine russisch-orthodoxe Kirche.

Überragt wird das heute recht verträumte, ländliche 2.500-Seelen-Örtchen von einem gewaltigen Schloss. Wie das in Njaswisch gehörte es zum Besitz der Radziwiłł-Fürsten. Beide Paläste sind wunderschön und stammen aus dem 16. Jahrhundert. Mit ihren dicken und hohen Mauern wie wehrhafte Festungen ausgebaut, erinnern sie zugleich an Märchenschlösser aus dem Bilderbuch. Sie vereinen Baustile von Gotik bis Barock, sind Unesco-Weltkulturerbe und bieten außer Museumsbesuchen preiswerte Übernachtungen und Gastronomie an.

Schloss in Mir in Weißrussland

Carsten Heinke

Bei einem Spaziergang um den nahe gelegenen kleinen See entfaltet das rot-weiße Schloss von Mir seine ganze Pracht dank Wasserspiegelung gleich doppelt. Erstaunlich große Fische holen Angler hier heraus. Wer nicht so lange auf sein Essen warten möchte, kehrt ins Mirum ein. Der rustikale Gasthof liegt dem Schloss direkt gegenüber und bietet Deftiges mit bester Aussicht. Unbedingt probieren: Draniki – hausgemachte Kartoffelpuffer, das weißrussische Nationalgericht!

Anreise, Einreise, Hotels: Tipps für eine Reise nach Weißrussland

Anreise: Flug von Stuttgart nach Minsk über Wien mit Austrian Airlines ab ca. 220 Euro (Gesamtzeit etwa 4 Stunden), mit Lufthansa über Frankfurt ab ca. 260 Euro oder mit der weißrussischen Airline Belavia über Paris oder Amsterdam ab 140 Euro (teils mit langen Umsteige- bzw. Wartezeiten).

Flughafengebäude Minsk

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Einreise: Am Flughafen Minsk ist die Einreise für Touristen max. 30 Tage visafrei. Wichtig ist der (auf Papier ausgedruckte) Nachweis einer in Belarus anerkannten Reisekrankenversicherung. Mehr Infos hier.

Hotels: Nahe des Minsker Zentrums, mit dem Bus 15 Minuten vom Bahnhof, 15 Gehminuten vom Platz des Sieges, bietet das »Gostinitsa 40 Let Pobedy« einfache, komfortable Zimmer, teils mit Gemeinschaftsbad. Es gibt ein Restaurant und eine 24-h-Rezeption, einen Friseursalon und einen Souvenirladen. DZ mit Bad für zwei ab 32 Euro.

Das President Hotel (5 Sterne) im Herzen von Minsk, fünf Minunte vom Oktjabrskaja-Platz, drei Minuten von der Metrostation Kupalovskaya, in einer ruhigen Seitenstraße gelegen, hat klassisch-elegant eingerichtete, klimatisierte Zimmer, WLAN, ein kostenlos nutzbares Fitnesscenter sowie ein Spa mit Sauna, Dampfbad, Innenpool. Das Frühstück wird im Restaurant Stolitsa serviert. Es gibt weißrussische und europäische Küche. DZ für zwei mit Frühstück ab 136 Euro. www.mirzamak.by

Moderne Gästezimmer in historischen Gemäuern sowie je ein Restaurant findet man in den beiden Schlössern von Njaswisch („Palatz Otel“, DZ ab 48 Euro, Frühstück p. P. 5 Euro) und Mir („Otel Mirski Samok“, DZ ab 60 Euro inkl. Frühstück im Gewölberestaurant „Ritterhof“). Beide verfügen über kostenfreies WLAN und 24-h-Rezeption. , www.palacehotel.by 

Unbedingt probieren: das Nationalgericht Dranniki

Restaurants. Svobody, eine coole und stylische Weinbar mit großer Speisekarte (moderne internationale Küche) in der Altstadt ist das Svobody 4.

Das Nationalgericht »Dranniki« (Kartoffelpuffer) in vielen deftig-leckeren Varianten und andere weißrussische Speisen kann man im Café Mirum probieren. Das traditionelle Restaurant befindet sich direkt gegenüber von Schloss Mir, Krasnoarmeyskaya Ulitsa 1a, Telefon +375 29 357 42 37 (keine Website).

Kartoffelpuffer mit Hering

Carsten Heinke

Schlossmuseen. Interessante Einblicke in Baukunst und Geschichte vermittelt die Ausstellung im Schloss Njaswisch, täglich von 9 bis 18 Uhr (Tickets bis 17 Uhr), Eintritt in den Schlosskomplex 5,70 Euro (Kinder und Studenten die Hälfte). In Schloss Mir werden viele sachfremde, wenig originale Exponate gezeigt. Geöffnet ist dort täglich von 10 bis 18 Uhr (Kasse 10–17.20 Uhr), Eintritt 1,60 Euro (Kinder und Studenten die Hälfte).

Pauschalreise. Der Reiseveranstalter Intrepid Travel bietet die 9-tägige Rundreise »Highlights von Belarus« ab 1.410 Euro (ohne Flug) in Gruppen von etwa 10 Personen. Ebenfalls Belarus im Programm hat der in Hamburg ansässige Spezialveranstalter (Osteuropa und Asien) Go East, z. B. eine 4-tägige Entdeckungsreise ab 349 Euro,

Geld. Laut aktuellem Wechselkurs bekommt man für einen Euro 2,45 Weißrussische Rubel (BYN).

Literatur. Eine aktualisierte Neuauflage des Reiseführers »Weißrussland« von André Böhm und Maryna Rakhlei erscheint im März 2019 im Berliner Trescher Verlag – ISBN 978-3-89794-461-9. Weitere Infos gibts beim Fremdenverkehrsamt des Landes.