Die Mongolei – das Ende der Welt? Von wegen! Die Flugzeit von Frankfurt nach Ulan-Bator, der Hauptstadt, dauert keine zehn Stunden, und schon ist man da: im Land des legendären Dschingis Khan, der Seidenstraße, der Wüste Gobi und reicher Traditionen. Ein faszinierender Ort. Anders. Weiter. Vielfältiger und voller Gegensätze. Text: Ina Bohse

Ankunft in UB

Endlose Grassteppen, Wüstenlandschaft und weiche, weite Täler. All das ist kilometerweit entfernt, denn mein Trip beginnt wie für die meisten Mongolei-Reisenden in der pulsierenden Hauptstadt Ulan-Bator. Von allen nur kurz UB genannt. Rund 1,4 Millionen, gut die Hälfte der drei Millionen Einwohner des Landes, leben hier. Ulan-Bator unterscheidet sich mit seinen gläsernen Hochhausfassaden und dem alltäglichen Verkehrschaos kaum von anderen asiatischen Millionenstädten. Doch der Kontrast zum Rest des Landes könnte nicht größer sein.

Ich stehe im zwölften Stock meines Fünf-Sterne-Hotels »Shangri-La« und schaue aus dem Fenster – mit freiem Blick auf einen kleinen Freizeitpark mit Riesenrad und Achterbahn. Drum herum viele Baustellen. Und Kräne, so weit das Auge reicht. Die Stadt ist interessant, wirkt aber irgendwie unfertig. Fast so, als habe der liebe Gott mit all seiner Kreativität an ihr gebaut, um sich am sechsten Tage dann doch den Nachmittag freizunehmen.

Ulan-Bator wird häufig als hässlichste Stadt der Welt bezeichnet, und ganz abwegig ist der Gedanke nicht.

Kochen – in der Mongolei Frauensache

Umso schöner ist es in der weiten Steppe. Ein Meer aus Gras und Erde. Darüber der heilige, tiefblaue Himmel. Ich sitze auf einem kleinen Hocker in der Jurte einer Nomadenfamilie mitten im Terelj Nationalpark. Mehr schlecht als recht versuche ich, der Mutter bei der Essensvorbereitung zu helfen. Sehr zur Belustigung ihrer beiden Töchter. Ayunta ist elf Jahre alt, Khulan drei Jahre älter. Das lange dunkle Haar haben beide zu einem Zopf zusammengebunden, sie tragen Jeans und T-Shirt. Die Schwestern sind sehr schüchtern und sagen nicht viel. Kichern hauptsächlich. Englisch kann hier keiner. Gut, dass unser Guide Buya dabei ist und die wenigen Worte übersetzt: »Du sollst genau zuschauen und es ihr nachmachen. Vorsichtig den Teig zusammendrücken.«

 

Ina Bohse

Anscheinend stelle ich mich besonders doof beim Zubereiten der gefüllten Teigtaschen – Buuz genannt – an, denn für eine ganze Weile bin ich für die Mädchen sogar interessanter als das Handy, das sie zuvor gar nicht aus der Hand legen wollten. Kochen – das ist in der Mongolei Frauensache. Auf dem Speiseplan steht vor allem eines: Fleisch. Bevorzugt Hammel und Rind.

Sogar Babys nuckeln schon an einem Stück Fett vom Schafsschwanz.

Auch das Sammeln des zum Kochen notwendigen Brennmaterials, getrocknete Kuhfladen, übernehmen die Frauen – mit einem großen Korb auf dem Rücken waren wir vorher gemeinsam auf den Wiesen unterwegs. Viel gesagt haben wir auch da nicht. Uns nur angelächelt.

So ein Nomadenleben ist eine ganz schöne Knochenarbeit.

Ina Bohse

Einblick in eine Jurte

Und die Frauen übernehmen sehr viel davon, beschweren sich aber nicht. Sie sorgen dafür, dass alle satt werden und die Jurte sauber bleibt. »Wenn man auf so engem Raum wohnt, muss alles seinen Platz haben, und es muss aufgeräumt sein«, sagt die Frau des Hauses. Und ordentlich ist es. Rechts neben der Tür – die immer nach Süden zeigt – steht ein Regal, auf dem sorgfältig Tuben von Cremes, Zahnpasta, Seife aufgereiht sind. Sogar roter Nagellack blitzt hervor.

Dahinter stecken Zeitschriften mit hübschen mongolischen Frauen. Hallo, neue Welt.

Links neben der Tür befindet sich der Küchenteil, direkt daneben steht das Bett der Hausfrau, gegenüber das des Hausherrn. Auf der Nordseite steht eine Truhe, die als Sitzgelegenheit dient. Darüber hängen Fotos von der Familie, vom Dalai Lama und von Dschingis Khan. Er machte die Mongolei zum Weltreich, und bis heute ist er immer noch überall präsent: Als riesiges Denkmal steht er kilometerweit sichtbar mitten in der Wüste Gobi, sein Porträt hängt in jeder mongolischen Schulklasse, in jeder Jurte. Und wohl jedes Kind in der Mongolei träumt davon, so reiten und kämpfen zu können wie er.

Ina Bohse

Gastfreundlichkeit als Erhalt nomadischer Tradition

So sicher auch Batu, der mit seinen vier Jahren auf dem Yak sitzt wie ein ganz Großer. Trotz seines jungen Alters weiß er ganz genau, wie er mit den Tieren umzugehen hat. Er springt vom Yak, als sei es nichts. Zieht es zum Gatter und bindet das Tier an, als würde er nie etwas anderes machen. Nicht schlecht. Ich bin beeindruckt.

In der Mongolei können Kinder oft eher reiten als laufen.

Ich treffe den kleinen Mann, seine beiden Brüder und die Eltern in einem Camp, das Besuchern die mongolischen Traditionen veranschaulichen soll. Zur Begrüßung haben sich alle herausgeputzt und sich traditionelle Trachten angezogen. Auch das Fell der Tiere wurde frisch gestriegelt und glänzt in der Sonne.

Wir werden mit dem traditionellen Nationalgetränk Airag, vergorener Stutenmilch, in der Jurte willkommen geheißen. Dazu gibt es kleine Stückchen aus getrocknetem Quark – genannt Aaruul. Batus Vater reicht uns, wie bei der Begrüßung üblich, sein Schnupftabakfläschchen mit der rechten Hand, wir nehmen es ebenfalls mit der rechten Hand entgegen. So will es die Tradition.

Ina Bohse

Unser Guide Buya erklärt, dass man nicht wirklich schnupfen muss, sondern es reiche, wenn wir an dem Fläschchen riechen. Ich probiere es trotzdem und habe nun für die nächsten Minuten ein starkes Kribbeln in der Nase. Hatschi. Anschließend geht es nach draußen, wo wir gemeinsam traditionelle Spiele lernen. Auch hier gebe ich wieder mein Bestes. Kann das kleine Holzstück aber partout nicht so weit schnippen wie Batus Vater. Der Kleine hat irgendwann keine Lust mehr auf seine Tracht, macht sich nackig und hilft, jetzt nur noch in Unterhose, beim Eintreiben der Ziegen.

Ab in die Wüste

Unsere Reise geht weiter. Leider. Hier hätte ich noch ewig bleiben können. Die Familie war so herzlich, und alle wirkten glücklich und zufrieden mit dem, was sie haben. Über eine Schotterpiste geht es immer tiefer hinein in die Wüste Gobi. Ich schaue aus dem Fenster und sehe nichts als Weite.

Die Landschaft ist unbeschreiblich schön, und ich kann mich gar nicht sattsehen.

Geteerte Straßen sucht man hier vergebens. Wir werden in unserem Auto gut durchgeschüttelt. Und dann passiert es. Ein kleiner Ruck, ein leichtes Schlittern. Der rechte hintere Reifen ist geplatzt. Das passiert hier anscheinend häufiger, denn binnen Minuten hat der Fahrer einen neuen montiert. Hoffentlich hält dieser, denn ein weiteres Ersatzrad haben wir nicht dabei. Das Glück ist auf unserer Seite, und so kommen wir mit vier heilen Reifen an unserem Ziel an: einem Nomadencamp in der Nähe des Hustai Nationalparks. In der Hoyor Zagal Lodge. Die nächsten zwei Nächte schlafen wir in einer Jurte. Schön ist es hier. So ruhig. Ich sitze auf einer kleinen Mauer vor meiner Schlafstätte, neben mir eine Flasche Chinggis Mongolian Lager und ein Beutel Aaruul. Ich schaue in die Ferne.

Eine Herde Wildpferde grast friedlich vor der untergehenden Sonne.

Ein paar Minuten später ist es stockdunkel. Der Himmel sternenklar. So schön – und so einfach. Da kommt man schon mal ins Grübeln: In einer Zeit, in der wir hierzulande oft so viel mehr wollen, als wir je brauchen können, ist die Lebensidee der Nomaden vielleicht doch gar nicht so karg und entbehrungsreich, wie sie auf den ersten Blick scheint. Es ist ein Leben zwischen den Welten – denn längst finden sich Spuren der modernen Mongolei auch im traditionellen Leben der Nomaden:

Fernseher und Computer – per Autobatterie betrieben – flimmern in den Jurten.

Auch Handys sind allgegenwärtig. Technischer Fortschritt hin oder her – was mich am meisten beeindruckt, ist die Gastfreundschaft. Die Menschen wirken auf mich stolz und gleichzeitig voller Demut. Nie würden sie einem Fremden den Zutritt in ihr Haus verwehren, jederzeit sind sie bereit, selbst das Wenige, was sie haben, zu teilen. Ich denke an den kleinen Batu und seine Familie und wie herzlich sie uns aufgenommen haben.

Tradition oder doch Moderne?

Zurück in der Zivilisation, im turbulenten UB, laufe ich ziellos durch die Stadt. Nach ein paar Tagen in der Steppe fällt es noch mehr auf: Die Stadt platzt fast aus allen Nähten, viel zu viel Verkehr, immer mehr Menschen. Vor allem die jungen Mongolen zieht die Stadt an wie ein Magnet. Auf dem Dschingis-Khan-Platz – einem beliebten Treffpunkt mitten in all der Hektik – komme ich zufällig mit Oonoo ins Gespräch, der gerade auf seine Freunde wartet. Der 22-Jährige wuchs in der Steppe auf und ist, wie viele Kinder von Nomadenfamilien, für sein Studium in die Stadt gekommen. Er wohnt bei seinem Onkel – eine eigene Wohnung können er und seine Familie sich gar nicht leisten. Noch nie hatte die Mongolei so viele Studierende wie jetzt. »Es verändert sich gerade sehr viel, und ich habe ein wenig Angst davor. Es hat sich hier vieles vermischt, und meist ist die Globalisierung stärker als die Tradition«, erklärt Oonoo. »Aber ich werde mein Bestes geben und versuchen, all die Traditionen meiner Heimat zu erhalten. Ich schätze sie viel zu sehr, als dass ich sie aussterben lassen würde. Wenn ich mal Kinder habe, werde ich sie lehren, und sie werden es mir hoffentlich gleichtun.«

Ina Bohse

Die auf Hochglanz polierte Welt, die viele aus dem Fernsehen kennen, weckt längst neue Bedürfnisse und stellt die Schönheit des schlichten Graslandes infrage. Es scheint fast, als müssten die jungen Mongolen sich entscheiden zwischen der Welt der Nomaden, die sich seit Jahrhunderten nicht verändert hat, und der schnellen modernen Welt der neuen Mongolei. Keine einfache Wahl. Ob Oonoo sie schon getroffen hat? Er zieht die Nike-Mütze tiefer ins Gesicht und sagt zum Abschied:

»Wenig zu brauchen, macht mindestens genauso glücklich, wie viel zu besitzen. Denn wer viel hat, hat auch viel Gepäck.«

Anreise. MIAT Mongolian Airlines fliegt donnerstags und sonntags direkt von Frankfurt a. M. nach Ulan-Bator und zurück (nur im Sommer, 19. Juni bis 04. September). Zweimal wöchentlich geht es von Berlin via Moskau nach Ulan-Bator an. www.miat.com

Einreise. Deutsche Staatsangehörige benötigen für einen Mongolei-Aufenthalt bis zu 30 Tage lediglich einen Reisepass, der noch sechs Monate nach der Einreise gültig sein muss.

Unterkunft. Ulan-Bator: Shangri-La Hotel. Luxus vereint mit nomadischer Tradition. Fünf-Sterne-Haus mit insgesamt 290 Zimmern auf 28 Etagen. Doppelzimmer kosten ab circa E 200 pro Nacht. www.shangri-la.com. Steppe: Hoyor Zagal Lodge. www.hoyorzagal.mn/web/

Reisezeit. Die mongolischen Winter sind bitterkalt, mit Minusgraden in der Nacht. Von Juni bis September ist es deutlich wärmer.

Reiseanbieter. Juulchin Travel Corporation bietet verschiedene Tages- und Mehrtagesausflüge an. Die Guides sind allesamt Mongolen und haben echte Geheimtipps auf Lager. www.juulchin.com

Infos. www.discovermongolia.mn

Tipp. Ein saisonales Highlight ist das Naadam-Festival vom 11. bis 13. Juli. Beim Nationalfest der Mongolen messen sich die Besten im Ringen, im Bogenschießen und beim Pferderennen.

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