Im Norden des US-Bundesstaates Oregon steht die »Timberline Lodge«, besser bekannt als »The Overlook Hotel« aus dem 1980er Horrorklassiker »Shining«, in dem Jack Nicholson zähnefletschend seine eigene Familie durch die Flure jagt. Ein Hotel mit Gruselfaktor?
Text: Susanne Pahler

Horrorfilm hier, Horrorfilm da

»Nein, Jack Nicholson war noch nie hier. Wir haben ihn eingeladen, er hatte offensichtlich kein Interesse. Aber immerhin: Es gibt ein Schwarz-Weiß-Foto von Regisseur Stanley Kubrick, er war vor Jahrzehnten mal bei uns«, erzählt Jon Tullis, in der Timberline Lodge für die Pressearbeit zuständig – und ist ein bisschen genervt von meinem Anliegen: schon wieder Fragen nach dem Horrorfilm »Shining« beantworten. »Jeden Tag geht es darum«, sagt er. Dabei wurden hier nur die Außenaufnahmen gedreht, vor allem für die dreiminütige Eröffnungsszene aus der Luft.

Die aber ist legendär. Schon der düstere Synthie-Soundtrack zur Anreise von Jack Torrance alias Jack Nicholson verspricht nichts Gutes. Er fährt mit Frau und Sohn im eierschalengelben Käfer in völliger Einsamkeit durch die prächtige, herbstliche Berglandschaft, das meiste davon übrigens nicht in Oregon, sondern im Glacier-Nationalpark in Montana gedreht. Dann kommt die rustikale Timberline Lodge auf knapp 2.000 Metern ins Bild, mitten im Nirgendwo, dicht an den mächtigen, sommers wie winters schneebedeckten Gletscher Mt. Hood geschmiegt. Im Film heißt die Lodge »The Overlook Hotel«.

Die Timberland Lodge ist ein idealer Ausgangspunkt für Wanderungen

Susanne Pahler & Daniel Schrenker

Eine schaurig-schöne Erfolsgeschichte

Jon Tullis verrät dann doch noch sehr bereitwillig ein paar Details zum Dreh. Zum Beispiel, dass das meiste in einem Studio in London produziert wurde. Dort hatte man auch das Äußere des Hotels detailgetreu nachgebaut. Das albtraumhafte Labyrinth gab es in Oregon nie, das bemerkt man schon bei der Anfahrt: Dort, wo es stehen müsste, mündet die Bergstraße in einen betonierten Parkplatz, dahinter bricht die Hangkante ab. »Es gab damals auch eine Premierenveranstaltung in Portland, zu der wir eingeladen waren. Alle dachten, das wird ein totaler Flop. Und dann wurde es zu diesem Klassiker!«

Wie viele Gäste nur wegen des Thrills kommen, weiß Tullis nicht genau. Klar ist aber, dass der Ruf der Timberline Lodge als Spukhotel, völlig abgeschottet von der Außenwelt, funktioniert. Und darum ist man natürlich auch froh. Gerade die etwas brüchigen Holzschindeln an der Fassade und die beinahe menschliche Form des Gebäudes – zwei breite Schultern, in der Mitte ein sechseckiger Turm – wirken schon ziemlich schaurig. Doch öffnet man die oval zulaufende Eingangstür mit dem bunten Indianerkopf, ist man überrascht: Hier sieht es ja gar nicht aus wie im Film! »Shining«-Autor Stephen King hatte sich für das Innere nämlich von einem anderen Hotel inspirieren lassen, dem »The Stanley« in Estes Park, Colorado.

Im Gegensatz zu dessen hohen, kühlen Hallen hat die Timberline Lodge etwas von einer Höhle, eng und behaglich.

In der rusikalen Lodge riecht es nach Kaminfeuer und Kaffee

Susanne Pahler & Daniel Schrenker

Ein Hoffnungsträger

Und so ist es fast tatsächlich: Das Bauwerk ließ Präsident Roosevelt während der Großen Depression errichten. Die Skilodge, von Arbeitslosen errichtet, sollte Symbol der Hoffnung sein und den Tourismus in der Gegend ankurbeln. 15 Monate später waren Holz, Stein und Eisen aus der Region kunstvoll verarbeitet, die Lodge wurde 1937 von Mr. President himself eröffnet. »Sie ist eines der wenigen Baudenkmäler der USA, das noch immer seine ursprüngliche Funktion hat«, sagt Tullis. Die Einrichtung hat sich seit damals kaum verändert: dicke, handgearbeitete Holzmöbel und ein Rundum-Balkon im ersten Stock, viele massive Granitblöcke, schneekristallförmige XXL-Leuchter an den Decken und gewebte Textilien mit einem Hauch Indianermuster.

Auch der große Kamin mit internem Schornstein ist nach wie vor Mittelpunkt der Lodge. Nicht in allen Räumen ist der Komfort auf dem neuesten Stand, viele Zimmer sind aber inzwischen schallisoliert, die Bäder modernisiert, auch wenn man es ihnen nicht sofort ansieht. Alles Absicht, erklärt Jon Tullis: »Wir versuchen, möglichst nah am Original zu bleiben. Müssen wir auch, denn das Haus steht seit 1977 unter Denkmalschutz. Aber genau das lieben die Leute: Sie kommen rein, und es sieht aus wie in ihrer Kindheit.«

Die Timberline Lodge ist eigentlich ein bewohnbares Museum

Susanne Pahler & Daniel Schrenker

Retter in der Not

Wie wertvoll die Lodge als späteres nationales Wahrzeichen sein wird, hat man allerdings nicht immer geahnt: 1955 sollte sie niedergebrannt werden, nachdem keiner der vielen Betreiber schwarze Zahlen schreiben konnten, das Hotel zu einer Spielhölle samt Prostituierten geworden war und niemand für die Stromrechnung aufkommen wollte. Alte Fotos in der kleinen Ausstellung im Erdgeschoss des Hotels zeigen: Möbel, Wände, Bars – alles schwer ramponiert. Der Retter kam in Gestalt des Sozialarbeiters Richard Kohnstamm. Der lebte im knapp 100 Kilometer entfernten Portland, war oft zum Skifahren am Mt. Hood, verliebte sich sofort in die Lodge und widmete von Mitte der 1950er-Jahre an sein Leben und sein Geld ihrem Erhalt. Er ließ die alten Möbel restaurieren, Neues im Originalstil nachbauen, einen beheizten Pool und ein Konferenzzentrum errichten und die 70 Gästezimmer ausstaffieren

Hier schläft man heute urgemütlich zwischen holzvertäfelten Wänden, alten Weckern auf dem Nachtkästchen und dicken, gewebten Bettüberwürfe.

Manche Zimmer haben einen eigenen Kamin, die meisten Blick auf den Mt. Hood oder den in der Ferne liegenden Mt. Jefferson. Wer allerdings den gruseligen »Room 237« aus dem »Shining«-Film sucht, wird enttäuscht: Richard Kohnstamm fürchtete, die Gäste könnten sich damit unwohl fühlen, deshalb gibt es keinen Raum mit dieser Nummer. Lustig aber: In der Stephen-King-Vorlage ist es Room 217 – und den gibt es in der Timberline Lodge tatsächlich. Kein anderes Zimmer wird bei der Buchung öfter verlangt.

Skifahren und Wandern. Rund um die Timberline Lodge dauert die Ski-Saison in den USA am längsten: Bis auf wenige schneearme Jahre kann man zwölf Monate lang auf den Brettern stehen. Aus Portland kommen im Sommer und Winter viele Tagesausflügler, die Lodge samt ihrer Restaurants und Bars steht allen Besuchern zur Verfügung – auch den Wanderern, die auf dem vorbeiführenden Fernwanderweg »Pacific Crest Trail« unterwegs sind.