Luxusuhren sind neben Käse und Schokolade wohl der berühmteste Exportschlager der Schweiz. Selbst die Bahnhofsuhr ist eine Erfindung des Alpenlandes. La Chaux-de-Fonds ist die Wiege der Uhrmacherei und der perfekte Ausgangspunkt für eine kleine Reise in die Zeit. Text: Karolina Golab

Irgendwie ticken die Uhren in La Chaux-de-Fonds anders. Die schachbrettartig angelegten Straßenzüge der 38.000 Einwohner zählenden Stadt wirken verschlafen, fast wie ausgestorben.

La-Chaux-de-Fonds aus der Vogelperspektive

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Die Wiege der Uhrmacherei ist nicht gerade für volle Straßencafés oder überhaupt für Straßencafés berühmt. Ebenso wenig für Gässchen, in denen es vor niedlichen Konditoreien wimmelt. Würde man Kalkgrund – so der deutsche Name von La Chaux-de-Fonds – mit drei Worten umschreiben, lauteten diese: pragmatisch, demokratisch und auch ein wenig skurril. Aber dazu gleich mehr …

La Chaux-de-Fond: Uhren von Ebel, Breitling, Omega

La Chaux-de-Fonds entwickelte sich ab Mitte des 18. Jahrhunderts vom Bauerndorf zu einer florierenden Industriestadt. Zunächst boomte das Geschäft mit der Spitze, und ab 1800 folgte dann die Uhrenindustrie. Nach und nach wurde die Stadt von und für das Feinmechanikmonopol gebaut. Anfang des 20. Jahrhunderts kamen 50 Prozent der weltweit verkauften Uhren aus der Stadt im Juragebirge (im Vergleich dazu waren es 90 Prozent aus der gesamten Schweiz), dazu gehörten Uhren von Ebel, Breitling, Eberhard & Co, Girard-Perregaux, Omega, Parmigiani, Tissot, um nur ein paar zu nennen.

Nach einem Einbruch der Industrie in den 80er-Jahren – das war zu der Zeit, als chinesische Digitalzeitmesser den Markt bestimmten und eine kurzfristige Bedrohung für das schweizerische Traditionshandwerk darstellten – wurde besonders »La Tschaux« von der Krise gebeutelt, waren doch die Einwohner der höchstgelegenen Stadt in Europa auf das Uhrenhandwerk angewiesen.

Auch heute noch dreht sich das Leben um die Uhr. Das erkennt man schon rein visuell: An den Wänden angebrachte Tafeln erinnern an Uhrenwerkstätten, selbst branchenfremde Schaufenster stellen Uhrenmotive aus. In einem Restaurant dienen überdimensionierte Zahlenblätter als Tische, und die Menschen schauen auffällig oft auf die eigene – oder auf fremde.

Auch eines der insgesamt vier städtischen Museen befasst sich – wie sollte es anders sein – mit Uhren. Das Musée International d’Horlogerie (MIH) setzt an die 4.000 Exemplare meisterhaft in Szene und veranschaulicht eindrucksvoll die Weltgeschichte der Zeitmessung.

Das Musee international d'horlogerie in La Chaux-de-Fonds, Kanton Neuchatel. Eine Stempeluhr vom Ende des 19. Jahrhunderts.

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Es gibt barock-erotische Spieluhren, astronomische Taschenuhren, aufklappbare Sonnenuhren, Sand- und Pendeluhren, Atomuhren und Glockenspieluhren. Trotz der angestaubten Architektur ist das MIH wegen seines zeithistorischen Innenlebens einen Besuch wert. Samstags treffen sich Einheimische und Besucher zu einer Gebrauchtuhrenbörse, die vor und im Museum veranstaltet wird – man kauft, tauscht, staunt.

Präzision und Pragmatismus – rund um die Uhr und darüber hinaus

Staunen werden auch potenzielle Uhrenkäufer, denn entgegen allen Erwartungen fehlen in La Chaux-de-Fonds die exklusiven Uhrengeschäfte, wie es sie in Zürich oder Zermatt gibt, voll und ganz. Dafür ist »La Tschaux« einfach nicht »trendy« genug. Dennoch ist sie in ihrem Wesen einzigartig: Sie ist die größte und am besten im Stil des 19. Jahrhunderts erhaltene Stadt der Schweiz.

La Chaux-de-Fonds, Avenue Leopold-Robert und Espacite Turm.

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Karl Marx sprach von La Chaux-de-Fonds als einer »einzigen Uhrenmanufaktur« und meinte vor allem die großen und dichten Fensterreihen der Werkstätten und auch der Privathäusern, in denen ebenfalls viele Arbeiter werkelten. Auch hatte Marx das demokratische Schachbrettmuster der Straßen im Sinn, also eine gleichberechtigende Architektur für eine reine Arbeiterstadt – in der ein paar imposante Villen natürlich nicht fehlten.

Dass sich Pragmatismus und Präzision auch inspirierend auswirken können, beweisen die beiden Berühmtheiten, die die Stadt hervorgebracht hat: Chevrolet und Le Corbusier. Der eine Gründer der Automarke, der andere ein avantgardistischer Architekt und Städteplaner. Le Corbusier hatte die Idee von einer nüchternen Bauweise, befreit vom historischen Ballast. Die beiden Corbusier-Villen, die man in La Chaux-de-Fonds bewundern kann, sind allerdings noch verspielt schön: La Maison Blanche, von Le Corbusier für seine Eltern gebaut, ist heute ein Museum, an dem sich vom Wasserhahn bis zur Steckdose nichts verändert hat. Die Villa Turque hat der umstrittene Architekt für – das kann man sich denken – einen Uhrenindustriellen gebaut. Heute ist die Villa Turque der Firmensitz von Ebel. Nach telefonischer Vereinbarung kann man das Anwesen besichtigen, selbstverständlich begleitet von einer Präsentation des Unternehmens.

Uhrmacherstraße zwischen Basel und Genf

Viel Zeit lässt sich im Watch Valley mit dem Uhrenhandwerk zubringen – und das nicht nur in La Chaux-de-Fonds. Rund um den Bieler See sind Uhrenriesen wie Swatch und Strom angesiedelt. Entlang der Uhrmacherstraße, an insgesamt 27 Stationen zwischen Basel und Genf, hält man an zu Werksbesichtigungen bei Audemars Piguet in Le Brassus und zum Uhrmacherkurs bei Olivier Piguet in Le Sentier. Und wenn man schon mal da ist, schaut man auch bei Jaeger LeCoultre und im Museum »L’Espace Horloger« vorbei, um die Geschichte der Chronografen abzurunden.

Bei einem Spaziergang durch Genf schließlich wird man auf zahlreiche exklusive Uhrengeschäfte stoßen, und auf die berühmte Blumenuhr im Englischen Garten – eine Komposition aus fast 7.000 Pflanzen, die wohl mehr Wartungsarbeit als jede andere Uhr bedarf.

Blumenuhr in Genf

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(Der Sekundenzeiger misst zweieinhalb Meter und ist somit der längste der Welt.) Zur Abwechslung kann auch Genf mit schönen Uhrenmuseen aufwarten, z.B. einem von Patek Philippe.

In der Schweiz ticken die Uhren eben häufiger. Die saubere Luft, viel Fingerspitzengefühl, Erfahrung und gute Beziehungen zu Feinmechanikern, wie es von ihnen in La Chaux-de-Fonds nur so wimmelt, werden das Uhrwerk Schweiz noch lange am Laufen halten. Ticktack.

Info. Über Schweiz Tourismus, Rossmarkt 23, 60311 Frankfurt a. M. (Büro nicht für Öffentlichkeit zugänglich), Tel.: 00800 10020030 (gratis)

Anreise. Von Basel ist La Chaux-de-Fonds etwa zwei Zugstunden entfernt.

Unterkunft. Hotel Athmos. Av. Léopold-Robert 45, 2300 La Chaux-de-Fonds, Tel.: +41 (0) 329102222

Tipp. La Maison Blanche, Chemin de Pouillerel 12, 2300 La Chaux-de-Fonds, Tel.: +41 32910 9030, und Villa Turque, Sitz der Firma Ebel, Rue de la Paix, 2301 La Chaux-de-Fonds, Tel.: +41 329123123.

Restauranttipp. L’Orologio, Rue A.-M.-Piaget 1, 2300 La Chaux-de-Fonds, Tel.: +41 (0) 329681900.