Die Exuma Cays, das sind 365 Inselchen in einer perfekten Schnur auf knapp 200 Kilometern von Norden nach Süden aufgereiht. Manche so klein, dass man sie in wenigen Schritten zu Fuß gesäumt hat. Viele unbewohnt und umgeben von flachen Lagunen. Ein Grund, warum man diese Region im Herzen der Bahamas am besten mit einem Segelboot erkundet. Unsere Redakteurin Marie Tysiak hat ihre Seetauglichkeit auf die Probe gestellt – und ist mit einem Yachtcharter von The Moorings eine Woche durch die atemberaubende Welt im Norden der Inselgruppe gesegelt.
«Welcam airboard«,
Captain Althario reicht mir die Hand, und begrüßt mich in bahamischem Kreol. Die kommenden sieben Tage wird mein Schicksal in ebendiesen Händen des muskulösen Bahamaers Anfang 30 mit den blitzenden weißen Zähnen liegen. Doch da bin ich – zumindest dem ersten Eindruck nach zu urteilen – bestens aufgehoben. Denn Captain Althario ist ein Ex-Marine von der Royal Bahamas Defense Force. Er kennt jeden Winkel der Exumas aus der Zeit, als er noch auf der Jagd nach Drogenschmugglern war, die die oft unbewohnten Cays und Grotten als Umschlagplatz auf dem Weg von Südamerika in die USA nutzten. Aber dazu später mehr.
Erstmal einrichten in der Kajüte
Ich bin also angekommen in meinem Zuhause für die Woche. Noch schaukelt unser Segelkatamaran Moorings 4500 in der Marina von Palm Cay, unweit der Hauptstadt Nassau. Meine Kabine unter Deck vorne links im Rumpf habe ich schon bezogen und meine wenigen Habseligkeiten ordentlich verstaut. Denn: Auch wenn die Yacht sich als kleines Raumwunder entpuppt und tatsächlich auf drei Decks sehr geräumig Platz für bis zu elf Gäste (plus bis zu sechs Crewmitglieder) bietet – mein Zimmer bleibt eine Schiffskabine. Hier wird nicht nur alles gut durchgerüttelt bei der Fahrt, es entsteht auch ganz schnell diese automatische Unordentlichkeit, wenn auf kleinem Raum nicht alles seinen festen Platz hat. Wer schon einmal mit einem Camper gereist ist, weiß, wovon ich spreche. Aber: Es ist alles da. Toilette, Dusche, ein großes Bett, Schränke, Klimaanlage und sogar mehrere Fenster mit Blick auf das Meer.
Eine Woche unterwegs mit dem Segelboot durch die Exuma Cays
Eingekauft ist auch schon und die Luken und Klappen auf dem Hauptdeck sind prall gefüllt mit ausreichend Wasser und Vorräten für die kommenden Tage. Denn: Die Exuma Cays, zumindest der nördliche Teil, den wir ansteuern, sind größtenteils unbewohnt. Das bedeutet, dass wir an manchen Tagen in keinem Hafen mit Restaurant anlegen können, sondern in Buchten einsamer Eilande ankern müssen. Unterwegs wird es keinen Supermarkt geben – oder falls doch, wird er nur das haben, was das Frachtschiff eben an Bord hatte. Ich bin gespannt. Noch ist die Kühlbox auf der hinteren Terrasse reich gefüllt mit Eiswürfeln und kalten Drinks.
Der erste Morgen. Die Segel sind gehisst, kaum haben wir den schmalen Kanal der Marina verlassen, der uns an den schönsten Yachten dieser Welt vorbeiführt. Ich verlasse meinen Spot auf dem Stuhl ganz vorne auf dem Rumpf, von dem aus ich fleißig winkend unsere Ausfahrt verfolgt habe. Captain Althario sitzt ein Deck höher am Steuer. Ein Blick auf die Armatur zeigt: sechs bis sieben Knoten, also etwa zwölf Stundenkilometer, schaffen wir mit Motor- und Windkraft zugleich. So meistern wir die Überfahrt zu den Exuma Cays, 40 Seemeilen (oder für Landratten: 75 Kilometer), in sechs Stunden.
Genug Zeit also, um jede der gemütlichen Sitzgruppen, Sonnendecks und Sitzsäcke auszutesten – und nichts zu tun. Denn Lesen fällt leider selbst bei leichtem Seegang bei mir flach und ich kaue das erste Anti-Schwindel-Gum. Sicher ist sicher. Aber einfach auf dieses unglaubliche Wasser zu blicken, der Geruch nach Salz, der alle Gedanken fortblasende Wind und die strahlende Sonne, das ist herrlich. Doch tatsächlich: Kurz darauf hat der heftige Wellengang uns fest im Griff und ich schließe die Augen vor der wankenden Kulisse.
Paradies 1: Highbourne Cay
Deswegen bin ich sehr froh, als wir nach Stunden wackeliger Fahrt wieder Land erblicken. Nicht nur das macht den Highbourne Cay so verheißungsvoll, es ist ein wildes Paradies. Schon bei der Einfahrt in die kleine Marina begrüßt uns ein riesiger Schwarm Ammenhaie im flachen, tieftürkisblauen Wasser. Später, als ich voller Freude in der wunderschönen Sandbucht zum ersten Mal in die Fluten renne, gesellen sich leider drei Bullenhaie dazu. Ein kurzes Badevergnügen. Aber der Blick auf die beeindruckenden, nur eben auch sehr gefährlichen Tiere vom Steg aus entschädigt dafür allemal.
Der Jetlag – den hatte ich fast vergessen nach den Corona-Jahren ohne Fernreisen. So kommt es, dass ich am Tag darauf schon um kurz vor sechs Uhr hellwach bin – als überzeugte Langschläferin. Ich schiebe meinen Vorhang zur Seite und erkenne den ersten hellen Schleier am Horizont. Dann nutze ich eben die überraschende Gunst der Stunde: Schnell etwas übergeworfen tapse ich so leise wie möglich im Halbdunkeln übers Boot und zum Steg. Beim kleinen Hafenmeisterbüro schnappe ich mir eines der kostenfreien Fahrräder und radle über die menschenleere Straße, die einmal hoch über den Inselrücken auf die andere Seite und dann über die komplette Insel führt.
Just als ich den höchsten Punkt erreiche, taucht der erste Sonnenstrahl am Horizont auf. Wie von Zauberhand platziert taucht vor mir, in die Felsen zwischen dichtem Gestrüpp gebaut, eine einsame Schaukel mit perfektem Blick auf das Spektakel des Sonnenaufgangs auf. Unter mir an den Felsen zerbersten die Wellen, das Salzwasser spritzt meterhoch und kitzelt an meinen nackten Beinen. Dazu geht der Feuerball glühend rot auf und taucht alles in einen goldenen Schein. Die Vollkommenheit und Anmut dieses Moments ist unbeschreiblich. Ebenso wie der namenlose Strand, den ich kurz danach entdecke. Große Wellen, die sich über das türkise Wasserbett auf die Kilometer an feinen, unberührten Sand an der Ostseite der Insel zubewegen. Fast wie in Zeitlupe, damit man es noch mehr genießen kann. Ich hüpfe in den Fluten wie ein Kind, das zum ersten Mal das Meer sieht. Danke, Jetlag.
Paradies 2: Waderick Wells
Ich komme aus dem kindlichen Staunen in dieser Woche nicht mehr heraus. Denn nicht nur jeder neue Ankerpunkt ist eine nie da gewesene Sensation, auch die Segeltörns über den Samtteppich aus Türkis eröffnen mir ganz neue Gefühlswelten. Gott sei dank ist der Wellengang nicht mehr so stark zwischen den Keys der Exumas. Moment – hieß es nicht eben noch Cay? Richtig gelesen. Key, Cay, Caye – alles dasselbe, nämlich kleine, flache Inseln aus Korallen- und Sandablagerungen. Genau, auch die Florida Keys sind solche Inseln. Die Exuma Cays sind also nach Wikipedia-Definition flach, und das nicht nur an Land. Selten zeigt das Messgerät an Captain Altharios Anzeige mehr als fünf Meter Wasserstand. Fast immer kann man bis zum Grund blicken, der, wie Wikipedia ebenso erklärt, aus besonders weißem Sand besteht. Eine Kombination, die selbst das Wasser der Malediven matt aussehen lässt. Kein Scherz.
Wir ankern nun also an unserem nächsten Stopp: Warderick Wells. Wir sind eines von rund einem Dutzend Booten, das vor der Insel eingereiht auf einem schmalen, dunkelblauen Band tieferen Wassers vor Anker liegt. Auf dieser mit Wanderwegen überzogenen Insel leben die einzigen Säugetiere der Bahamas, die murmeltierartigen Bahaman Hutia. Okay, genau genommen bewohnt noch ein anderes Säugetier die Inselwelt – und auf Warderick Wells leben sie tatsächlich: Menschen, hier stolze acht an der Zahl. Drei Ranger und fünf Mitarbeiter der Defense Force. Die Ranger kümmern sich um den Schutz des Exuma Cays Land and Sea Park. Er wurde Ende der 1950er-Jahre von keinem anderen als Tolstoi-Enkel Ilja etabliert, der sich in die wundersame Natur der Exumas verliebt hatte. Es war der erste Park der Welt, der gleichzeitig Meer und Land schützt: 13 Cays und ihre Unterwasserwelt in den Exumas gehören dazu – unter anderem auch Warderick Wells.
Und das merkt man: Beim Schnorcheln kann ich meinen Augen kaum trauen. Binnen weniger Minuten schwimmen ein Schwarm gigantischer Adlerrochen, zwei Schildkröten, ein Riffhai und Abertausende bunte Fische vorbei. Wäre ich nicht weit abgeschieden vor einer einsamen Insel – ich würde den Ranger des Product-Placements bezichtigen. Auch die Korallen sind in erstaunlich gutem Zustand. Und wie mir Ranger Bradley Shawn Rotherford später am Visitor Center erklärt, hat man hier bis dato auch kein Problem mit dem Korallensterben. Durch die kühleren und oft starken Meeresströme des Atlantiks – denn genau genommen liegen die Bahamas ja nicht in der Karibik – spürt man hier die Folgen der Erderwärmung und die damit einhergehende Massenbleiche (noch) nicht.
Paradies 3: Staniel Cay
Heute werden wir wieder ein bisschen Zivilisation zu schnuppern bekommen. Denn: Rund um Staniel Cay befinden sich einige der berühmtesten Attraktionen der Bahamas. Und so haben wir auch den schwimmenden Schweinen am Big Major bereits einen Besuch abgestattet (für die Thunderball Grotto aus den James-Bond-Filmen waren wir leider zur falschen Tide da), als wir im dementsprechend großen Hafen zwischen den gigantischen Megayachten hauptsächlich amerikanische Bootsurlauber wie auf einem überfüllten Walmart-Parkplatz stehen. Anfangs sträube ich mich noch, auf einmal wieder Häuser, Straßen und andere Menschen zu sehen. Doch Staniel Cay ist echt hübsch und die frisch frittierten Conch Fritters im Staniel Cay Yachtclub zum grandiosen Sonnenuntergang machen alles wett. Die gigantische Meeresschnecke in all ihren Varianten ist Nationalgericht. Ich verputze sie als eine Art Calamari im klassischen Stil als »fritters and beer« – also mit einem eiskalten Kalik-Lagerbier dazu. Ein paar Vorteile hat so ein bisschen Zivilisation ja schon.
Paradies 4: Compass Cay
Mittlerweile sind meine Haare vom ganzen Schnorcheln und Schwimmen heller geworden – und meine Haut braucht nicht mehr alle paar Minuten einen Nachschlag dickflüssiger 50er-Sonnenmilch. Wir haben die Rückfahrt angetreten, segeln also nun wieder nach Norden und machen unterwegs an anderen Cays Halt. Compass Cay ist berühmt für die Fotos von Schwimmern zwischen unzähligen Ammenhaien – mir hat die Erfahrung am ersten Abend mit den überraschenden Bullenhaien allerdings gereicht. So ankern wir stattdessen am Nordufer der Insel, zu allen Seiten glitzert das Wasser in unrealen Türkistönen – eine Tatsache, an die ich mich auch nach Tagen immer noch nicht gewöhnt habe. Mit dem bloßen Auge erkenne ich ein paar einzelne Rochen, die ihre Bahnen durch das flache Wasser ziehen.
Ich möchte sofort hereinspringen – doch Captain Althario schwärmt vom Rachel’s Bubble Bath – und bringt mich kurzerhand mit dem kleinen Beiboot an Land, wo ich mich nach wenigen Gehminuten eingerahmt zwischen Kalksteinfelsen in einem natürlichen Pool treiben lasse. Er hat nicht zu viel versprochen. Ich lasse es mir dennoch nicht nehmen, nach dem Mittagessen – wir grillen Burger auf unserem Grill seitlich der Reling – einfach noch einmal eine Runde vom Boot ins kühle Nass zu springen und eine ausgedehnte Runde mit dem Stand-up-Paddle-Board zu drehen. Es ist einfach zu schön.
Paradies 5: Shroud Cay
Wenn ich gewusst hätte, was wir auf der Fahrt gen Süden alles links liegen gelassen haben – alle Inseln sind auf ihre Weise ganz besonders! Shroud Cay – ich weiß gar nicht, wie ich diesen Ort beschreiben soll. Das muss man mit eigenen Augen gesehen haben. Doch ich hoff e, dass meine Worte zumindest einen Bruchteil der vollkommenen Schönheit dieses Orts spüren lassen. Shroud Cay – die nördlichste Insel des Exuma Cays Land and Sea Park – ist dicht bewachsen mit Mangrovenwäldern. Flüsse, bei Flut gerade tief genug, dass Captain Althario geschickt das Beiboot hindurchlenken kann, durchziehen den Cay. Schildkröten und Stachelrochen huschen hier und da ins dichte Geäst der Mangroven, das Wasser misst badewannenwarme 30 Grad.
Auf der anderen Seite der Insel spuckt der Fluss uns an dem magischsten Ort aus, den ich je gesehen habe. Und hier fehlen mir einfach wirklich die Worte. Diese Farben, wo der Fluss auf das Meer und auf die Lagune trifft, das muss man einfach selbst erlebt haben. Allein hierfür lohnt sich die lange Anreise auf die Exumas. Ich nehme mir insgeheim vor, wenn ich irgendwann mal die Zeit und das Geld haben sollte, wirklich jede der kleinen 365 Cays anzufahren. Ein Paradies für jeden Tag, und das ein ganzes Jahr lang.
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Paradies 6: Norman’s Cay
Die Abende verbringen wir oft mit der ganzen Crew an Deck. Dann, wenn auch der letzte Teller gespült und der Himmel übersäht ist mit Abertausenden Sternen, die erst in den USA auf größere Lichtverschmutzung treffen, ja dann kommt auch Captain Althario zur Ruhe. Keine Segel, die mehr gesetzt werden müssen, kein Steuerrad, das bedient werden möchte. Natürlich helfen wir alle fleißig mit, doch wir sind absolute Landratten und Althario kann jeden Griff auf dem Schiff im Schlaf – und zieht zur Not den Anker in Handarbeit nach oben. Mit seiner ruhigen und bestimmten Art kann ich mir keinen besseren Captain vorstellen.
Heute Abend hat er zur Feier des Tages plötzlich eine Flasche Banana Rum aus seiner Kajüte gezaubert und gibt eine Runde aus – mit Milch gemischt, so wie auf den Bahamas üblich. Fast alle Vorräte sind mittlerweile aufgebraucht. Ich möchte gar nicht, dass diese Zeit endet. Captain Althario erzählt nun endlich von seiner Zeit, als er mit der Defense Force manchmal Monate auf einer dieser einsamen Inseln versteckt gelebt hat, um den Moment abzupassen, wenn ein Drogenkurier vorbeifährt. Oder fliegt. Denn morgen – da werden wir bei einem gesunkenen Frachtflugzeug schnorcheln.
Die aus ungeklärter Ursache abgestürzte Curtiss C-46 Commando war beladen mit Drogen und wurde vom Medellín-Kartell – dem Drogenring von Pablo Escobar – betrieben. Der Pilot überlebte den Sturz im flachen Wasser, doch die Maschine mit knapp 33 Meter Spannweite liegt noch heute in der seichten Lagune vor Norman’s Cay und erinnert an die Zeiten, als Captain Althario hier noch auf der Jagd nach Verbrechern war. Doch diese Zeiten sind glücklicherweise (größtenteils) vorbei. Und Captain Althario kehrt nur noch auf die Exumas zurück, um mit The Moorings durch diesen ganz besonderen Winkel der Bahamas zu segeln. Wenn ich irgendwann mal meinen Traum von einem Jahr Exumas wahr werden lassen will, dann muss Althario unbedingt wieder mein Captain sein.
»Airright«,
sagt er und erhebt das Glas.
Infos
Die Exuma Cays sind 365 Inseln im Herzen der Bahamas und können von der Hauptinsel New Providence aus angesegelt oder per Linienflug erreicht werden. Mehr Informationen zu den Bahamas findet ihr hier.
The Moorings verleiht Yachten in fast allen Segelrevieren der Welt, so auch auf den Bahamas. Ein Segelkatamaran The Moorings 4500L mit vier Kabinen kostet im Juli 2022 für sieben Tage ab ca. € 11.500 (bei Vollbelegung ca. €1.450 p. P.). Wer keinen eigenen Segelschein hat oder sich zurücklehnen mag, kann über The Moorings einen ausgebildeten Skipper anheuern (plus €310 pro Tag).