Stefan Loiperdinger, Herausgeber des Magazins »Mallorcas schöne Seiten«, über den Inselboom, Ballermann-Touristen und die Geheimtipps der Insel. Interview: Frank Störbrauck
Sie wohnen seit 14 Jahren auf Mallorca. Was war der Grund, auszuwandern?
Ausgewandert bin ich ja noch nicht. Ich pendele zwischen Deutschland und Mallorca. Anfangs war das mehr Urlaub, heute bin ich schon mehrere Monate im Jahr auf dieser wunderbaren Insel. Es ist einfach die Lebensqualität, die man hier hat. Rundum von Meer umgeben, eine Landschaft wie aus dem Bilderbuch, mediterranes Klima, unzählige Buchten und Strände, einer schöner als der andere. Dazu eine lebendige Kultur wie man sie woanders kaum findet. Jahrhunderte alte Stadtpaläste und Herrenhäuser, die Altstadtgassen in Palma, moderne Galerien, Kunst- und Musikevents am laufenden Band. Die Insel ist unglaublich lebendig. Kaum ist man mal paar Wochen weg, hat schon wieder ein neuer Laden, eine neue Galerie oder ein neues Lokal aufgemacht.
Wie ist es um die Gastronomieszene Mallorcas bestellt?
Die ist einzigartig hier. Viel kreativer als in Deutschland. Die Gastronomen übertreffen sich gegenseitig mit neuen Ideen bezüglich Küche und Konzept. Hier gibt es alles von der einfachen Fischerkneipe bis zum Sternerestaurant. Allein sechs Restaurants mit Michelin-Stern, das Zaranda in Es Capdella wurde gleich mit 2 Sternen gekrönt.
Mallorca ist voller Kontraste. Und das macht das Leben hier so interessant und vielseitig. Da gibt es den Yachthafen für 100 Meter lange Superyachten, internationale Regatten und eine Menge Veranstaltungen. Aber auch verschlafene Dörfer, wo die Zeit stehen geblieben ist. Romantische Fischer- oder Bergdörfer, wo man fast nur unter Einheimischen ist. Natürlich gibt es auch viel Party, Ballermann, Magaluf und volle Strände. Aber da muss ich ja nicht hin. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten abseits der Massen. In meinem Magazin »Mallorcas schöne Seiten« stelle ich immer wieder Buchten und Strände vor, wo selbst im August wenig Leute sind. All das hat man auf Mallorca komprimiert innerhalb von 1,5 Stunden erreicht. 24 Golfplätze – egal wo auf der Insel man ist, keiner ist mehr als eineinhalb Stunden entfernt.
Fühlen Sie sich noch sehr mit Ihrer Heimat verbunden, auch weil so viele Deutsche auf Mallorca leben oder dort ihren Urlaub verbringen?
Vom Herzen ist Mallorca meine Heimat. Natürlich empfinden viele so wie ich und leben hier oder pendeln hin und her. Aber es hat sich in den 14 Jahren viel geändert. Heute ist Mallorca international. Nicht nur Deutsche und Engländer, es kommen auch viele Skandinavier, Franzosen und sogar Italiener. Es leben enorm viele Menschen aus Südamerika hier. Mallorca ist wirklich eine internationale Insel.
Ich hoffe nur, dass die Kultur und Einmaligkeit der Insel erhalten bleibt und nicht irgendwann internationale, austauschbare Geschäfte die Szene bestimmen. Einige gibt es ja schon, vor allem in Palma. Aber das konzentriert sich auf ein paar Straßen und ist fast mehr Gewinn als Nachteil. Weil das kunterbunte Durcheinander deutlich überwiegt. In den kleinen Gassen in Palma gibt es unendlich viele inhabergeführte Boutiquen und Conceptstores, die das Stadtbild beleben. Oder schauen Sie mal nach Santa Catalina in Palma. Hier können Sie tagelang in den Läden stöbern und sich zwischendurch in den zahllosen Cafés erholen. Mallorca, und besonders Palma, ist eben voller Leben. Mit unendlich vielen Möglichkeiten, sich auch mal zurückzuziehen.
Sie sind, Sie haben es schon erwähnt, Herausgeber und Autor des jährlich erscheinenden Magazins »Mallorcas schöne Seiten«. Wie kamen Sie auf die Idee, die Zeitschrift ins Leben zu rufen?
Ich entdecke einfach gern Neues. Auf meinen Streifzügen über die Insel, im Tramuntanagebirge, an den Stränden oder in Palma entdecke ich selbst nach 14 Jahren immer wieder Neues. Sogar Strände oder andere verborgene Ecken, die ich noch nicht kannte. Nachdem ich schon immer Magazine gemacht habe, lag es fast auf der Hand, auch ein Magazin über Mallorca zu machen. Aber Magazine über Mallorca gibt es natürlich unendlich viele. Und dann noch komme ich und mache eins vollkommen ohne Werbung.
Ein mutiger Schritt …
Ja, die Leute hielten mich alle für verrückt oder grenzenlos naiv. Aber ich wollte mal ein Magazin machen, dessen Layout nicht dauernd durch Anzeigen und bezahlte Artikel unterbrochen wird. Ich wollte vollkommen unabhängig von zahlenden und damit bestimmenden Kunden sein. Und wenn es schon so viele andere Magazine gibt, muss man natürlich auch etwas Besonderes machen. Reich wird man damit allerdings nicht. Aber es macht unendlich viel Spaß.
Dieses Jahr reisen so viele Menschen wie nie nach Mallorca. Spürt man das im Urlaub vor Ort?
Kaum. Ich spüre davon tatsächlich wenig. Habe gerade den ganzen Juni und Juli auf der Insel verbracht, war auch in Palma, bin über die ganze Insel gefahren. Aber ich treibe mich ja nicht an den großen Massenstränden herum. Ich war tatsächlich an Stränden, wo nur eine Handvoll Leute waren. Da muss man vielleicht mehr als nur ein paar Meter vom Parkplatz hin laufen. Liegen und Strände gibt es meist auch nicht. Aber türkisblaues Wasser und wunderbare Natur, fast wie in der Karibik.
Selbst in Palma war es nicht voller als sonst im Sommer. Ist auch logisch: Die Massen sind Urlauber, die im Hotel bleiben. All inclusive. Da fährt man vielleicht mal mit dem Hotelbus über die Insel und besichtigt die eine oder andere Sehenswürdigkeit. Aber die meiste Zeit liegt man am Pool oder Strand. Ich schaue mir das alles in der Nebensaison an. Die Kathedrale, die Kartause von Valldemossa, die sagenhaften Tropfsteinhöhlen zum Beispiel. Da bin ich im November der einzige Besucher. Eine Privatführung sozusagen.
Sie bekommen von dem Trubel nichts mit?
Ich finde es erstaunlich, wie die Insel 14 Millionen Besucher im Jahr bewältigt. Natürlich gibt es da auch Probleme. Volle Strände und grölende Massen. Mir tun die Einheimischen leid, die am Ballermann oder in Magaluf leben und jeden Tag und Nacht im Ausnahmezustand verbringen. Auch bezüglich Umwelt sind funktionierende und vor allem nachhaltige Konzepte wichtig. Die neue Touristensteuer ist da sicher eine richtige und notwendige Maßnahme, wenn das Geld dann auch dafür verwendet wird. Doch insgesamt ist für mich das Phänomen von 14 Millionen Touristen, die ich kaum mitbekomme, auch nachvollziehbar: Auf meinen Streifzügen beim Wandern im Tramuntanagebirge oder an einem versteckten Strand begegnen sie mir sicher nicht. Die bleiben am Ballermann oder in Magaluf und stören mich nicht.
Viele denken bei Mallorca an den Ballermann. Leiden Sie sehr darunter?
Nein. Ich gehe ja nicht hin. Wie vorher gesagt, tun mir nur die Einheimischen leid, die dort leben. Ich finde es auch sehr bedauerlich, dass viele Medien in Deutschland vor allem Ballermann und Magaluf bei ihrer Berichterstattung über Mallorca in den Vordergrund stellen. Das ist garantiert nicht Mallorca! Das ist nur ein ganz kleiner Teil der Touristen. Wahrscheinlich einfach nur der lauteste.
Was denken Sie über die Saufmeile? Wirklich so schlimm?
Nicht für mich, solange die Saufbrüder und -schwestern auf der Saufmeile bleiben. Die können einem nur Leid tun. Sind auf so einer schönen Insel und dröhnen sich Tag und Nacht zu, bis es wieder nach Hause geht. Ist anderseits aber auch wieder gut so. Stellen Sie sich vor, die würden plötzlich alle auf Erkundungstour gehen und all die schönen Ecken belegen . . .
In den deutschen Medien wird gern der moralische Zeigefinger geschwungen, wenn es um den Ballermann geht. Aber ist er in Wahrheit nicht auch Teil des mallorquinischen Geschäftsmodells?
Ich glaube nicht. Das ist wie schon gesagt, ein zwar sehr lauter, aber trotzdem auch sehr kleiner Teil der Touristen. Ich glaube nicht, dass die Insel oder die Mallorquiner damit so viel verdienen. Der All-inclusive-Tourist ist wirtschaftlich gesehen für die Insel gar nicht so attraktiv wie viele meinen. Da verdienen Hotelbetreiber oder der Bierkönig. Für die Insel sind die Individualtouristen, Pendler und Wahl-Mallorquiner wichtiger, die nicht nur zur Hauptreisezeit kommen, sondern auch im Winter. Die ihr Geld in der Tapasbar lassen, die Mietwagen und Fincas nutzen und insgesamt mit ihren Ausgaben zur funktionierenden Infrastruktur beitragen. Die Regierung ist ja bestrebt, den Qualitätstourismus zu fördern und die Besucherströme mehr auf die Nebensaison zu verlagern. Das ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung.
Wo verbringen Sie am liebsten Ihre Freizeit auf der Insel?
Beim Wandern im Tramuntanagebirge, an idyllischen Stränden, in Palma und beim Sundowner in einem der kleinen Fischlokale am Meer.
Sie haben viel gesehen vor Ort. Wie lässt sich Mallorca am besten bereisen?
Zu Fuß von Kloster zu Kloster zum Beispiel. Ist wirklich ein Erlebnis. Sonst am besten mit dem Mietwagen. In Palma zu Fuß oder mit dem Taxi. Und am besten zwischen September und Mai.
Was sollte man sich nach Meinung von Stefan Loiperdinger auf keinen Fall entgehen lassen?
Die Lammschulter in einem der vielen mallorquinischen Restaurants. Die Wanderung im Torrent de Pareis zur Bucht Sa Calobra. Mit dem Schnellboot von Colonia San Jordi auf die Cabrerainseln. In Santa Catalina in den Läden stöbern. Im Mercat d’Olivar an einem der Stände Mittag essen. In Port d’Andratx in einem der Restaurants am Hafen den Sonnenuntergang erleben oder von den Fischern frischen Fisch kaufen. Und noch unzählige andere Tipps, aber die entdecken Sie am besten in meinem Magazin …