reisen EXCLUSIV Audio - Höre Dir diesen Artikel an
0:00
0:00

reisen-EXCLUSIV-Reporter Harald Braun bremste in der Regel immer schon in Sydney ab, wenn er an die australische Ostküste reiste. Neulich aber ließ er sich breitschlagen und besuchte ein Stück weiter nördlich auch Brisbane. Dort finden 2032 die Olympischen Spiele statt. Und wir wissen ja, wie solch ein Event eine Stadt verändern kann. Schon was zu sehen?

Dass Brisbane nach Melbourne und Sydney die drittgrößte Metropole Australiens ist, musste ich erst mal googeln. Ich bin ja eher Team Sydney mit seinen Postkarten-Ansichten überall in der Stadt, der Oper und der alles überstrahlenden Harbour Bridge im Hintergrund. Wie sollte Brisbane da mithalten? Nun, ahnungslos ich war. Das wurde mir schon am frühen Morgen in Brisbane klar, als ich erstmals nach meiner Anreise auf dem neuen Sky Deck des Queen’s-Wharfs-Komplexes stehe.

Das Queen’s-Wharf-Projekt – eine 3,6-Milliarden-Dollar-Investition

Der weltbeste Reiseschriftsteller Bill Bryson hat mal gesagt »Brisbane is so clean and shiny you could almost lick the streets.« Wer heute, rund sieben Jahre vor den Olympischen Spielen vom Deck aus einen Blick auf die Stadt riskiert, versteht vermutlich, was er meinte. Unter einem der Brisbane River, der seine braunglänzende Schleife durch ein Gewirr aus Glas und leuchtendem Tropengrün zieht, irgendwo dazwischen glitzern die Dächer der alten Kolonialhäuser wie vergessene Muscheln im Sand. Die Plattform, 100 Meter über der William Street, ist mehr als nur ein Aussichtspunkt – sie ist ein Statement. Eine 250 Meter lange Stahl- und Glasrunway, die sich wie ein eleganter Steg zwischen Himmel und Stadt legt, mit Bars, Restaurants und spektakulären Glasböden.

Der Bar-Bereich auf der Aussichtsplattform im neuen Queen's Wharf Tower Star Casino.

Der Bar-Bereich auf der Aussichtsplattform. | Foto: Alex Cimbal/Shutterstock.com

Überhaupt: Das Queen’s-Wharf-Projekt, eine 3,6-Milliarden-Dollar-Investition, gilt als Herzstück des »neuen Brisbane«: 12 Hektar Uferpromenade, Parks, Hotels, Brücken und öffentlicher Raum, gebaut auf dem Fundament des alten Regierungsviertels. Alles ist darauf ausgelegt, die Stadt für 2032 fit zu machen – ökonomisch, ästhetisch, emotional. Ein Ort, der jährlich Millionen zusätzliche Besucher anziehen soll, und dabei doch das Kunststück versucht, nicht bloß hübsche Kulisse, sondern auch die neue Identität Brisbanes zu werden.

Zum Komplex gehört auch ein Hotel- und Entertainment-Ensemble (»The Star Grand«) inklusive Casino – das atmet durchaus Las Vegas-Vibes! Der Blick auf die brandneue, erst 2024 nur für Fußgänger eröffnete Neville Bonner Bridge verstärkt den Eindruck, dass man in Brisbane städtebaulich in jeder Hinsicht glänzen möchte, wenn die Welt 2032 bei Olympia zu Gast ist.

Der Eingang zum Casino.

Der Eingang zum Casino. | Alex Cimbal/Shutterstock.com

Brisbane lockt mit 280 Sonnentagen im Jahr

Am nächsten Morgen treffe ich Cheryl, meine professionelle Begleitung in den nächsten Tagen. Ihr Lächeln duldet kein Jetlag-Gewinsel. Sie stammt ursprünglich aus Irland, was den großen Sonnenhut erklärt. Der Brite an sich und der Sonnenbrand teilen eine lange traurige Geschichte, was in Brisbane schon mal zu Komplikationen führen kann. Ich sage nur: subtropisches Klima, mehr als 280 Sonnentage im Jahr, Durchschnittstemperaturen im australischen Sommer um die 30 Grad. »Wir werden viel spazieren gehen«, sagt Cheryl, »aber vorher gibt’s erst mal das beste Croissant und den besten Flat White der Stadt.« Cheryl weiß, wovon sie spricht, das »Lune« auf der Adelaide Street sieht zwar aus wie ein Mix aus Garage und Grabstein-Vertrieb, ist gastronomisch (vermutlich auch deshalb) ein Hipster Hangout erster Klasse.

Unser Spaziergang beginnt an den Kangaroo Point Cliffs, einem Stück Vulkanstein, das aussieht, als hätte jemand die Stadt auf eine Felsbühne gestellt. Unter uns glänzt der Brisbane River wie frisch poliert, gegenüber ragt die Skyline in den Himmel. An den Kletterwänden hängen Menschen in Neonfarben und blicken auf die sportiven Irren hinunter, die bei 28 Grad bereits vor dem Frühstück joggen und behaupten, das sei irgendwie ein Booster für Lebensqualität. (Ich hab’s am nächsten Tag auch probiert und musste an einen Spruch meiner Freundin Nina denken: »Manche Jogger sehen aus, als wollten sie mit langem Anlauf einen Selbstmordversuch unternehmen.«)

Die Story Bridge: Ein Wahrzeichen von Brisbane

»Hier oben«, sagt Cheryl, »siehst du, was Brisbane ausmacht. Aktivität vor grandioser Kulisse!« Dass so viele Leute so früh unterwegs sind, liegt übrigens nicht daran, dass Wochenende wäre. »Wir sind ein Volk der Frühaufsteher«, erklärt meine Begleitung, als wir für den nächsten Flat White im »The Cliffs Café« einkehren. (Australier haben eine Religion, sie lautet: Kaffee. Und die Hohepriester nennen sich Barista.) »Wenn du um sechs Uhr morgens nicht mindestens drei Jogger, zwei Radfahrer und einen Mann mit Surfbrett siehst, bist du wahrscheinlich in Melbourne.«

Die Story Bridge in Brisbane.

Die Story Bridge. | Foto: Mel Campbell Creative/Shutterstock.com

Cheryl lacht, und wir spazieren weiter zur Story Bridge, die sich über den Fluss spannt wie ein kühner Strahl aus Stahl. Gebaut in den 1940ern, 1.072 Meter lang, 74 Meter hoch, mit sechs Fahrspuren, Fuß- und Radwegen … Eine Ikone, nicht minder Wahrzeichen der Stadt wie die Harbour Bridge für Sydney. Cheryl zeigt nach oben: »Da gibt’s eine sehr besondere Glasplattform. Du siehst den Fluss, die Bay, die Berge – und du merkst: Diese Stadt wächst in jede Richtung.« Man kann die Plattform im Rahmen einer geführten, zweistündigen Klettertour erreichen, ein kleines Abenteuer mit Helm, Gurt und Funkgerät. Habe ich mir allerdings gespart, aus … ähem … Zeitgründen.

An diesen Orten darf entspannt werden

Direkt unter der Brücke öffnet sich der Blick auf die Howard Smith Wharves, einst Lagerhallen für Hafenarbeiter, heute das pulsierende Herz einer kreativen Kultur- und Gastro-Szene. Ein reizvoller Mix, der immer dann entsteht, wenn junge Ideen auf historische Fabrik- und Industrieüberbleibsel treffen, bevor die Gentrifizierungsblase anrückt. Hauptsammelplatz ist die Felons Barrel Hall, eine imposante Eventhalle der hiesigen Brauerei. »Das lag alles in Schutt und Asche«, sagt Cheryl, »bis man bemerkte, dass sich nostalgische Bauten und moderne Gastronomie gut vertragen.« Jetzt ist es einer jener Orte, an denen man alles zugleich tun kann: essen, tanzen, nachdenken, Erinnerungen schaffen. »Ich liebe einen Pub Crawl hier unten«, sagt Cheryl. »Da merkst du, dass das brave Brisbane gelernt hat, auf die Pauke zu hauen.«

Blick auf die City Botanic Gardens in Brisbane.

Die City Botanic Gardens in Brisbane. | Foto: EQRoy/Shutterstock.com

Ein paar Straßen weiter beginnen die City Botanic Gardens – die 18 Hektar große grüne Lunge der Stadt. Riesige Banyanbäume werfen ihre Schatten über dankbare Besucher, Warane (vor allem der nur gefährlich klingende Australische Wasserdrache) trotten gemächlich über die Wege. »Das war mal die Keimzelle Brisbanes«, sagt Cheryl, »Sträflinge haben hier Gemüse angebaut. Heute wachsen 58 (!) verschiedene Palmenarten, dazu unter anderem Fichten, Bambus oder Feigen.« Nach einem (kurzen) Walk durch den Park biegen wir ab hinüber ans Südufer des Brisbane Rivers (South Bank), wo die farbenfrohen Bougainvilleen wie Wasserfälle von Geländern stürzen und junge Menschen sich fröhlich am Streets Beach räkeln, dem einzigen Stadtstrand in Brisbane. »In dieser Umgebung fand 1988 die Expo statt«, sagt Cheryl, »damals musste Brisbane sich zum ersten Mal neu erfinden, seitdem sind in der South Bank eine Menge Parks, Gärten und die größte Galerie für moderne Kunst in ganz Australien zuhause.«

Streets Beachs in Brisbane.

Streets Beach. | Foto: Martin Valigursky/Shutterstock.com

Für Olympia 2032 bekommt Brisbane ein Facelift

Brisbane rüstet auf und das Tempo ist hoch: neue Brücken, neue Radwege und im Zentrum des Ganzen das Victoria-Park-Stadion, das 2032 Heimat der Olympia-Eröffnungsfeier sein wird. 63.000 Sitzplätze wird es fassen, alle Leichtathletikwettbewerbe werden darin stattfinden. Gebaut wird für Olympia auch eine unterirdische Bahnlinie, die Cross River Rail. 2029 soll sie fertig sein. Selbst die Flussufer bekommen ein Facelift – »Green Bridges«, wie Cheryl sagt. Weil man in Brisbane gelernt hat, dass Nachhaltigkeit nicht nur vernünftig ist, sondern auch prima aussehen kann.

Wir passieren eine Baustelle, an der Bauzäune in Pastellfarben verkleidet sind. Dahinter ragt ein Kran in die Luft, daneben ein Banner: Road to 2032. Cheryl lächelt. »Manche meckern, dass es überall Baustellen gibt«, sagt sie, »aber bald schon werden alle stolz sein auf ihre Stadt.« Wie Brisbane das alles bezahlen kann? Easy: Die Stadt ist das Zentrum Queenlands, einer Region, die bekannt ist für ihre riesigen Rohstoffvorkommen. Kohle, Eisenerz, Bauxit, Uran, Blei und Zink – alles zahlt mit in die Brisbaner Stadtkasse ein.

Das einst verrufene Fortitude Valley

Auf dem Rückweg zu meinem Hotel überqueren wir die Kurilpa Bridge. Eine Fußgängerbrücke, die aussieht, als hätten ein paar Ingenieure zu viel Origami gebastelt. Spektakulär. Und dadurch eines der beliebtesten Instagrammotive der Stadt. Cheryl nennt das »Architektur mit Augenzwinkern«. Am Nachmittag führt sie mich – nach der nächsten Kaffeepause – ins Fortitude Valley. Einst verrufen, jetzt vor allem Hochburg für Musiker und Clubs. Und Standort eines der besten Restaurants der Stadt, dem »Agnes«. Hier wird über dem offenen Feuer gegrillt, der Gastraum fast wie ein Gewölbe im Kerzenschein.

Die Kurilpa Bridge in Brisbane.

Die Kurilpa Bridge. | Foto: ribeiroantonio/Shutterstock.com

In einer Gasse im Fortitude Valley spielt eine Band, die klingt wie AC/DC auf Speed. »Hier triffst du Banker, Musiker, Backpacker, Dragqueens, Möchtegern-Philosophen«, sagt Cheryl, räumt aber ein, dass das vor allem fürs West End gilt – die Vintage-Schwester des Valleys. Secondhandläden und Craft-Bier-Bars, junge Veganer, Bohemians. Die Grenzen sind fließend, auch zwischen den Generationen. »West End ist ein bisschen wie Berlin, nur dass die Leute nicht erst um 22 Uhr zum Feiern kommen.«

Brisbane und der »Queensland Glow«

Am Abend landen wir zuerst wieder am Fluss, diesmal auf dem Sky Deck des neuen Star-Grand-Komplexes am Queen’s Wharf. Die Stadt glüht, der Wind riecht nach Salz und Betonstaub. »Hier verändert sich gerade alles«, sagt Cheryl und scheint ganz zufrieden mit dem Wandel ihrer Wahlheimat. So zufrieden, dass sie gar nicht damit aufhören will, mir die vermeintlichen Must-sees der Stadt vorzuführen. Ich bin längst erschlagen von der Hitze, vom Jetlag und der nicht enden wollenden Masse an Eindrücken, doch Cheryl kennt keine Gnade. Nächster Stop: Eat Street Northshore – ein Rausch aus Lichterketten, Containern und Düften. Hier riecht es nach Korea, Griechenland, Mexiko, Indien – und nach dem unerschütterlichen Glauben, dass ein gutes Essen die schönste Form der Völkerverständigung ist.

Eat Street Northshore.

Eat Street Northshore. | Foto: gary yim/Shutterstock.com

Mit frittierten Calamari und Mango-Lassi sitzen wir am Flussufer. Handgestoppte fünf Minuten spricht Cheryl mal nicht über das, was ich mir in den nächsten Tagen noch alles anschauen sollte. Die Skyline spiegelt sich im Wasser, die Kräne ruhen, der Fluss atmet. Ich höre mich sagen: »Nicht schlecht, Sydney muss sich warm einpacken.« Und glaube es beinahe. Cheryl lacht. Kennt sie schon, diese Reaktion: »Tja, Brisbane performt halt. Dazu diese Freundlichkeit und das besondere Licht … .« Und es stimmt, erst beim Abschied der freundlichen Irin fällt mir auf, was diese Stadt auch noch so besonders macht: das Licht. Dieses eigentümlich schimmernde, goldene Licht von Brisbane, das am Nachmittag die Fassaden streichelt und selbst Baustellen wie glänzende Wechsel auf die Zukunft aussehen lässt. Ich erfahre, dass wir es dabei mit dem berühmten und einzigartigen »Queensland Glow« zu tun haben. Na dann.

Brisbane befindet sich im Trainingslager für die Zukunft

Am nächsten Morgen jogge ich früh los, sagte ich ja schon. Die Stadt wirkt frisch gewaschen, die Hitze ist noch nicht gemein. Ein Straßenmusiker spielt »Waltzing Matilda«, eine alte Frau füttert Ibisse, die hier einfach »bin chickens« heißen. Ich setze mich ans Ufer, sehe hinüber zu den Cliffs und denke darüber nach, was Brisbane ausmacht. Eine Stadt mit Haltung, sonnig, eigenwillig, entspannt und doch zielstrebig wie eine Marathonläuferin, die lächelt, während sie rennt.

In einem Café im West End komme ich später noch mit einem Kollegen namens Nick ins Gespräch, der Thomas Broich tatsächlich spielen sah und mir die Mentalität der Menschen in Brisbane mit einem einzigen Satz beschreibt: »Sie haben es klaglos hingenommen, dass hier Jahrzehnte nichts passiert ist und jetzt tun sie so, als sei dieser Wandel gerade völlig normal.« Gute Leute also, die kein Aufhebens um sich und die Welt machen, aber wissen, wie man das Leben genießt.

Radfahrer fahren in Brisbane am Flussufer.

Foto: Tourism and Events Brisbane/Esse Lindemann

Cheryl schreibt mir am Abend noch eine Nachricht: »Vergiss nicht, zum Mount Coot-tha Summit Lookout zu fahren, wenn du Zeit hast. Dort siehst du die ganze Stadt, vom Fluss bis zur Bay. Beeindruckend.« Ich fahre hin. Oben auf dem Hügel liegt Brisbane unter mir wie ein Versprechen aus Glas und Wasser. In der Ferne glitzert der Fluss, eine Trambahn zieht leise durch die Stadt, und irgendwo unten proben Kinder schon für die Eröffnungsfeier von Olympia 2032. Es ist wohl so: Brisbane befindet sich im Trainingslager. Es geht ihr allerdings nicht um Medaillen, sondern um ihre Zukunft. Wenn die Welt bis dahin nicht untergegangen sein sollte, dürfte sie ziemlich glänzend ausfallen.