Zu den zehn Plätzen auf der Welt, die ich immer mal besuchen wollte, gehörte Tasmanien sicher nicht. Was beweist, was für ein Trottel ich sein kann. Text: Harald Braun

Alles, was ich über Tasmanien wusste, nein, was ich zu wissen glaubte, war: sieht aus wie Irland, das Meer ist zu kalt zum Baden, und der Tasmanische Teufel macht es auch nicht mehr lange. Nun, nichts davon ist völlig unwahr, und trotzdem hatte ich keine Ahnung. Die schmucklose Wahrheit: Tasmanien ist ein Traum für Gourmets, Kultur- und Wanderfreunde. Selbst Romantiker kommen auf ihre Kosten. Zehn Tage reichten, um mich umzudrehen vom ahnungslosen Skeptiker in einen rückhaltlosen Bewunderer der tasmanischen Lebensart.

Erster Stopp: Futtern in Hobart

Es ging schon in der Hauptstadt Hobart los,mit Mary McNeill. In Hobart leben gerade mal 200.000 Einwohner, es gibt einen niedlichen Hafen und meistens rauen Wind dazu, der durch die Straßen der 1804 als Sträflingskolonie gegründeten Stadt bläst. Das Wetter in Tasmanien hat mit dem Sonnenklima in Rest-Australien wenig zu tun, es ist mehr wie der Fußball von Werder Bremen: ausbalancierter Durchschnitt. Ganz heiß wird’s auch im Sommer nicht, dafür sind die Temperaturen im Winter angenehm mild. Hobart darf man sich vorstellen wie eine heimelige Kombination aus Kiel und Mittelerde, nur ohne Daniel Günther und Hobbits.

Hobart in Tasmanien

Yevgen Belich/Shutterstock.com

Auch meine Unterkunft, das Henry Jones Art Hotel am Hafen, kann sich nicht entscheiden, ob es ein schickes Boutiquehotel oder lieber ein rustikales Segelschiff sein will, wenn ich die in der Lobby aufgespannten Gaffelsegel und die lichten, luftigen Loftzimmer richtig deute. Um Hobart von seiner besten Seite kennenzulernen, gibt es keinen besseren Führer als Mary McNeill. Sie ist hier geboren, an jeder Straßenecke kann sie Anekdoten von ihrer buckligen Verwandtschaft erzählen und deren Vergangenheit in der tasmanischen Gastronomie: Wo hart getrunken und gut gegessen wurde, das hat die blonde Mittdreißigerin mit dem stets amüsierten Zug um den Mundwinkel schon früh erfahren. Irgendwann in ihren Zwanzigern ist sie nach New York gegangen und hat dort als Kellnerin und Schauspielerin gearbeitet, bevor sie sich am renommierten French Culinary Institute zur »Pastry Artistin« ausbilden ließ, was ich einmal frei mit »Süßspeisengöttin« übersetzen möchte.

Mann und Kind schwemmten Mary dann wieder zurück nach Hause, wo sie, mit dem erworbenen Fachwissen ausgestattet – dem Herrn sei gedankt – ein Unternehmen namens »Gourmania Food Tours« betreibt. Das Geschäfts­prinzip: Touristen wie uns zeigen, wo man in Hobart a) gut isst, b) gute regionale Produkte einkauft und c) ganz beiläufig etwas über die Geschichte der Stadt lernt. Ich erfahre an diesem Vormittag, der sich in den späten Nachmittag ausdehnt, vor allem drei Dinge: A) Mary trägt Regenschirme nicht mit sich herum, weil sie das für ein modisches Accessoire halten würde, sondern weil man in Tasmanien auch mal »vier Jahreszeiten an einem Tag« haben kann. B) Erstaunlich, wie viele gute Restaurants, Cafés und Feinkostläden in einer Stadt mit so überschaubarer Einwohnerzahl überleben können.

Ihr Geheimnis: »In Hobarts Gastronomie werden fast ausschließlich gesunde, regionale Produkte verwendet!«, sagt Mary McNeill und weist im »Tassal Salmon Shop« oder der »Wursthaus Kitchen« anhand der angebotenen Speisen nach, dass sie mit dieser Behauptung richtig liegt. Selbst die »Fish & Chips« an der Hafenmole schmecken untypisch frisch und lecker. C) Wer eine Tour bei Mary McNeill bucht (und das ist zu empfehlen!), der sollte schon am Vorabend das Essen rationieren. Und auf gar keinen Fall frühstücken. Hobart ist eine Stadt voller versteckter Köstlichkeiten – und Mary McNeill stöbert alle auf und füttert Sie damit!

Provokante Kunst

Sie können bei Gelegenheit gerne mal einen Test machen und den gemeinen Australier fragen, was er von Tasmanien und seinen Bewohnern hält. Meistens werden sie ein spöttisches Grinsen ernten, gepaart mit einem Witz. Tasmanien genießt im Rest des Landes ungefähr das gleiche tumbe, ein wenig hinterwäldlerische Ansehen wie Ostfriesland in Deutschland, die Tasmanier behaupten mit viel Selbstironie, sie würden in »under down under« leben.

Da verwundert es schon ein wenig, dass 2011 ausgerechnet in Hobart das interessanteste und provokanteste Museum Ozeaniens eröffnet hat. Gegründet und vor allem: bezahlt hat das der tasmanische Exzentriker David Walsh, der angeblich über 50 Millionen Dollar in seine Vision eines nicht jugendfreien Disneylands investiert hat.

MONA in Hobart

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Das war auch nötig, denn der durchschnittliche australische Steuerzahler wäre wohl auf die Barrikaden gegangen, wenn etwa die ausladende Vagina-Galerie im MONA oder der »Fat Cat Porsche« des Wiener Künstlers Erwin Wurm aus seiner Tasche bezahlt worden wäre. Für Anselm Kiefer gibt’s dort drin im Übrigen sogar einen eigenen Pavillon. Zugegeben – im »MONA« (Museum of Old and New Art) kommt zusammen, was nicht zusammengehört – Sex & Schock, Gewalt & Gaga, Religion & Trash. Doch der Besuch des in den tasmanischen Fels gehauenen Gesamtkunstwerks (35 000 Kubikmeter Sandstein wurden angeblich für das MONA abgetragen) erfrischt ungemein in seiner grenzenlosen Undenkbarkeit.

»Das Museum soll keinen Sinn machen!«, versprach David Walsh bei der Eröffnung 2011 maliziös.

Uund löste das ein, was dem Spaß keinen Abbruch tut. Schon erstaunlich, wie intensiv auch sinnlose Erfahrungen sein können. Walsh hat sein Geld übrigens auf den Pferderennbahnen und Spielcasinos dieser Welt gemacht, angeblich soll der hochintelligente (und offenbar mit dem Asperger Syndrom lebende) Walsh einen Glasfußboden in seinem Wohnzimmer haben, von dem aus er die Besucher seines Museums ungestört beobachten kann. Mit der Presse redet der Mann sehr, sehr selten, und seine PR-Dame hält es ohnehin für besser, ihn vor der Öffentlichkeit zu verstecken: »Er liebt es, Menschen zu brüskieren.«

In einem allerdings ist Walsh so normal, wie es ein Multimillionär nur sein kann: Auf dem Gelände des Museums unterhält er nicht nur einen exquisiten Weinhandel und einen kuriosen Hotelbetrieb, sondern auch eines der besonders guten Restaurants der Stadt: »The Source«: große Fensterscheiben, Meerblick, feinste Küche.  Gutes Essen scheint in Tasmanien zu den Bürgerrechten zu gehören – auch in der zweitgrößten Stadt Launceston gibt es mit dem »Stillwater« und dem »Geronimo« mindestens zwei ganz außergewöhnliche Restaurants auf einem sehr kleinen Fleck.

Inspirierende Landschaften

Zurück zu meinen Vorurteilen. Dass Tasmanien tatsächlich ein wenig an Irland erinnert, liegt wohl an diesem Übermaß an Grün überall, an den scheinbar unberührten Hügellandschaften, wo Orte Namen tragen wie »Nowhere Else« und große Scharen von Rindern und Schafen den Umstand kompensieren, dass hier nicht allzu viele Menschen leben.

Trotzdem, es gibt Unterschiede: Manchmal sieht Tasmanien eher aus wie ein Ort, den Filmemacher wie Michelangelo Antonioni oder Ken Russell sich im LSD-Rausch für die Leinwand ausgedacht haben: Die Steilküsten sind eine Spur zu schroff, um wahr zu sein, der Sand an den Stränden ein wenig zu weiß-samtig, die Felsen eine Nuance zu rot. Vor allem an der nordöstlichen Spitze Tasmaniens sind die Landschaften von so, Vorsicht, böses Wort: pittoresker Erhabenheit, dass man als Wanderer nicht umhin kommt, hin und wieder das Atmen einzustellen.

Zwei Tage stolperte ich an dieser Küste entlang und fragte mich, warum das nun »Bay of Fires Walk« hieß und nicht Trip, denn genau so fühlte es sich an – sehr intensiv und sehr unwirklich.

Bay of Fire _Tasmanien

Andrii Slonchak/Shutterstock.com

In der ersten Nacht campierten wir in einer unwirtlichen kleinen Zeltstadt, wo der Wind durch die Ritzen pfiff, die Brandung des Meeres Orkanstärke annahm und das Gemeinschafts-Plumpsklo noch der gemütlichste Ort der ganzen Behelfssiedlung war. Doch schon am nächsten Abend wurden wir für diesen zivilisatorischen Rülpser in der Wildnis entschädigt: Die »Bay of Fires Lodge« gehört zu den schönsten Unterkünften, in denen ich bisher meinen Fuß setzen durfte: Wir reden hier über einen gläsernen Kubus über einem der vielen Traumstrände, der, ich zitiere, »wie ein Speer aus dem Busch ragt«.

Zehn Zimmer nur bietet dieses Kunstwerk aus Licht und Holz und dazu zwei Duschen, die man mit einer handbetriebenen Pumpe selbst in Gang setzen muss. Beim Abendessen prasselt der Kamin, und immer wieder tapert ein tollpatschiger Wombat an den großen Glasscheiben vorbei durch das kleine Wäldchen, das die Lodge umsäumt, und fragt sich, was bei den Zweibeinern wohl heute Abend so Wohlriechendes auf dem Teller liegt. Ich kann Ihnen versichern: Auch hier, an diesem bezaubernden Ende der Welt, an einem Ort, den man nur erreicht, wenn man entweder einen Hubschrauber besitzt oder zwei Tage am Strand entlang wandert, handelt es sich um die feinsten Köstlichkeiten der tasmanischen Wohlfühlküche.

Es ist nichts weniger als ein Wunder. Als ich am nächsten Morgen auf der riesigen Sonnenterrasse der Lodge sitze, mit einem Kaffeepott in der Hand und einem Blick auf die blaue Weite des Pazifiks, denke ich plötzlich daran, dass ich Tasmanien schon in drei Tagen wieder verlassen werde. Zum ersten Mal überfällt mich ein klein wenig Wehmut bei dem Gedanken und die Hoffnung, irgendwann zurückzukehren. Nicht allein allerdings, wie dieses Mal, sondern mit meiner Frau, der amtierenden Weltmeisterin in der Sparte »Romantik«. Es wäre dann allerdings ein bisschen problematisch, sie jemals wieder aus der »Bay of Fires Lodge« loszueisen.

 

Anreise. Am besten mit Singapore Airlines über Singapur und Melbourne nach Hobart. Buchbar über Explorer Fernreisen.

Mehr Infos zu Tasmanien findest Du hier.