Beim Wandern ist der Weg das Ziel. Auf dem Salzburger Almenweg in Österreich säumt dieser nicht nur eine wunderschöne Bergwelt, sondern auch stolze 120 Almen. Dieses Jahr feiert der Almsommer im Großarltal 20-jähriges Jubiläum. Redakteurin Marie Tysiak wanderte für uns ein Stück des Weges im diesem schönen Tal im Salzburger Land. Und kehrte natürlich auch fleißig in ein paar Almen ein.
Vom Balkon ihrer Alm winkt mir Familie Höller noch lange nach. Ich sehe sie sogar noch Minuten später, als ich mich mühevoll den Anstieg hochschleppe. Nach einer Pause wieder in den Tritt zu kommen, finde ich immer besonders mühsam. Doch dann, wenn der Rhythmus wieder einsetzt und sich der eine Fuß wie selbstverständlich vor den nächsten setzt, man förmlich durch die Bergwelt gleitet, die Gedanken aussetzen und nur das Hier und Jetzt zählt, wenn man angekommen ist – dann spüre ich eine meditative Vollkommenheit, wie sie für mich nur das Wandern bereithält.
Und so bin ich schon wieder ganz in meinem Wanderrausch, als ich Andrea, Hannes und Tochter Alina noch immer als kleine Pünktchen auf der schnuckeligen Tappenkarseehütte (1.820 Höhenmeter) unter mir mit erhobenen Armen winken sehe. Das Pächterpaar Höller verbringt jährlich die Sommermonate hier auf der Hütte in den Bergen des Salzburger Landes, die schon Andreas Eltern pachteten. Alles Nötige für den Almbetrieb wird per Seilbahn hertransportiert. Auch Übernachtungen sind hier möglich. Aber mein Tagesziel liegt eine Alm weiter, obwohl ich allein für den köstlichen Kaiserschmarrn gerne länger bei Familie Höller geblieben wäre.
Herzliches Willkommen auf dem Salzburger Almenweg: Ein Regenbogen überm Tappenkarsee
Vor mir beziehungsweise bald unter mir, liegt der namensgebende Tappenkarsee – malerisch eingebettet zwischen den Gipfeln der Radstädter Tauern auf einer Höhe von 1.762 Metern. Kühe grasen idyllisch am Seeufer. Auf der anderen Seite scheint die Sonne, während auf meiner Seeseite Wolken am Berghang kleben und nun ein paar Tropfen freigeben. Just präsentiert sich ein Regenbogen in voller Schönheit einmal über den See. Eine unglaubliche Kulisse, die sogar meine Handykamera einfangen kann. Glücklicherweise ziehen die Regenwolken schnell weiter, und so laufe ich – oberhalb des Sees angekommen – über den Draugsteintörl einmal die Bergkante entlang mit der Abendsonne vor Augen.
Schon bald erblicke ich mein Ziel, das vor mir in der Sonne glitzert: die Schrambach-Hütte auf 1.778 Metern. Es ist eine der beiden nebeneinanderliegenden Draugsteinalmen. Für die Almen ist dies sehr praktisch; so lassen sich beide Almen gut bewirtschaften. Es liegen sehr viele Almen entlang des Weges im Großarltal. Ich befinde mich auf dem Rundwanderweg »Salzburger Almenweg«, der in 25 Etappen über 350 Kilometer stolze 120 Almen passiert. 40 von ihnen liegen im Großarltal, 25 davon sind bewirtschaftet. Markiert wird der Salzburger Almenweg mit dem Symbol eines blauen Alpenenzians, der an jeder Wegkreuzung die korrekte Richtung weist. Tatsächlich leuchtet immer mal wieder eine echte tiefblaue Blüte der Bergblume am Wegesrand und zeigt: Der Natur hier im Salzburger Land geht es gut, denn die Pflanze wird hier besonders geschützt.
Das Etappenziel: die Schambach-Hütte von Sennerin Liesi
Mit den letzten Sonnenstrahlen des Tages erreiche ich nun schließlich mein Etappenziel an der Schrambach-Hütte. Sennerin Elisabeth Aichhorn, kurz Liesi, begrüßt mich bei Ankunft herzlich und bringt mir eine kalte, frische Schorle. Die ersten Ankömmlinge sitzen schon sichtlich entspannt, die Wanderschuhe längst von den Füßen gestreift. 15 Schlafplätze für Gäste beherbergt die Alm.
Und so bin ich bereits tief ins Gespräch verwickelt, als plötzlich hinter mir der sanfte und doch eindringliche Ton eines Akkordeons ertönt. Meine Schwester hat lange das hier landestypische Instrument gespielt, und ich erkenne sofort den Ursprung der Melodie. Ich drehe mich um. Auf der Bank vor der Alm haben drei Jungs um die zehn bis 13 Jahre und ein Mädchen, ich schätze ihr Alter auf 15 Jahre, Platz genommen. Zwei der Jungs mit Akkordeon, das Mädchen mit Gitarre. Lederhosen, rot-weiß karierte Hemden, dahinter die Alm und die Berggipfel im letzten Sonnenlicht. Mehr Alpenkitsch geht nicht. Oder sollte ich sagen Klischee?
Ein Abend voller Geselligkeit
Es ist Sohn Lukas mit Schulfreunden, die ihre Sommerferien auf der elterlichen Alm verbringen, bevor es im Herbst wieder ins Internat geht. Auch zwei Mädels helfen Sennerin Liesi tatkräftig aus. Ich sollte noch kennenlernen, wie anspruchsvoll ein Tag auf der Alm sein kann. Es wird ein gemütlicher Abend voller Köstlichkeiten und Jause, Musik und Gesang, Lachen und Geselligkeit und einem Bergeglück, wie ich es lange nicht mehr hatte, während es draußen tatsächlich heftig gewittert. Zugegeben – das ist nicht mein favorisiertes Wetter. Und um ehrlich zu sein: So laut habe ich Donner noch nie gehört und Blitze selten so nah zucken sehen. Naturgewalten haben hier oben eine ganz andere Intensivität.
Dieses einfache, wenn auch sehr konservative Leben auf der Alm ist so ganz anders als mein Alltag im Herzen der Stadt Köln, umgeben von Kneipen, Straßenbahnen, Dreck und Beton. Doch eines verknüpft diese Welten: Zu einer Geselligkeit wie dieser – rund zehn Wandernde und die Bewohnenden der Alm in der urigen Küche des einfachen, zweistöckigen Holzhauses versammelt – werden lokale Alkoholika ausgeschenkt. Was in Köln der Flimm oder das Kettenfett wäre, ist in diesem Fall ein Vogelbeeren-Schnaps mit ordentlich Wumms. Ich traue mich kaum zu nippen.
Mittlerweile weiß ich es auch besser: Sohn Lukas begleitet nicht mit Akkordeon, sondern sein wunderschönes Instrument ist eine Steirische Harmonika. Eine sogenannte »Ziach« – mit dem entscheidenden Unterschied: Es gibt hier nicht die klavierähnlichen schwarz-weißen Tasten, sondern Knöpfe, die den Ton bestimmen. Lukas spielt erst seit wenigen Monaten und bringt sich alles selbst bei. Hier oben auf der Alm packt er seine Harmonika fast täglich aus. Bis fast Mitternacht dauert die gesellige Gaudi, um dann selig müde in die Etagenbetten zu fallen. Da stört der eine Schnarcher, den es immer auf so einer hellhörigen Alm gibt, auch nicht mehr.
5:30 Uhr – der Arbeitstag auf der Alm beginnt
Doch irgendwann dringt das Schnarchen wieder in mein Bewusstsein. Es ist 5:30 Uhr. Für mich ist das brutal früh. Langsam dämmert es mir, warum ich aufgewacht bin. Draußen im Dunklen höre ich das melodische Bimmeln der Kuhglocken. Die Kühe werden gerade reingeholt zum Melken. Plötzlich bin ich hellwach. Das wollte ich schon immer mal erleben, eben den ganz normalen Arbeitstag auf einer Alm. Hier auf der Schrambach-Hütte im Großarltal im Salzburger Land habe ich also nun endlich die Chance dazu!
Ich schlüpfe in meine Jogginghose und Hausschuhe und schleiche – so gut es bei einem knarrenden Holzhaus geht – nach unten, wo der Stall mit der Alm verbunden ist. Als ich die Stalltür öffne, kommt Lukas, gefolgt von den almeigenen sieben Kühen, herein. Er grüßt mich mit einem Nicken und Lächeln. Wie selbstverständlich nehmen die Milchkühe ihre Positionen entlang der Wände ein, das bereitgelegte Heu erfüllt seinen lockenden Zweck. Jeder Platz ist mit einer Tafel markiert, auf der Name, Alter und Gewicht der jeweiligen Kuh verzeichnet sind.
Während Lukas das Melkgeschirr zusammensucht, schaue ich aus dem offenen Holzverschlag ins Tal. Nun schon leicht dämmrig, kriecht der Hochnebel die Berge hoch und hüllt uns hier oben in mystische Wolken. So schnell, wie sie gekommen sind, verschwinden sie wieder. Ich höre das erste Klackern und Saugen hinter mir. Auch ich versuche mein Glück beim Melken, den wackeligen Holzschemel untern Po, das pralle Kuheuter vor mir mit den weichen Zitzen. Trotz geduldiger Anleitung und einer unerschrockenen Kuh schaffe ich das Anmelken nicht, kein einziger Tropfen Milch will sich rausmassieren lassen. Es ist wohl zu früh für derartiges Feingefühl. Gleich werden die beiden Mädels, die hier ihren Sommer verbringen, die frische Milch zu Käse und Butter weiterverarbeiten. Und natürlich wird die frische Milch zum Frühstück serviert.
Auf zur nächsten Alm!
Sichtlich beeindruckt vom Leben der Familie Aichhorn sowie ihren Helferinnen und Helfern auf der Schrambach-Hütte ziehe ich gen Mittag weiter – weiter entlang des Salzburger Almenweges, über die Filzmooshöhe mit dem künstlerischen Gipfelkreuz und Blick auf die schneebedeckten Gipfel. Ich treffe kaum andere Wanderer; dabei ist es ein Wochenende im August. Hauptsaison. Schnell bin ich wieder in meinem Wanderrausch, nehme nichts mehr wahr außer den Bergen und den Wind um die Ohren. Da huscht auf einmal ein Murmeltier über die Ebene! Ganz versunken merke ich auch kaum, dass der Weg schon leicht abschüssig wird. Wir kommen dem Tal immer näher. Der Pfad führt schließlich durch einen Lärchenwald, die Vögel zwitschern, und plötzlich stehe ich vor einer geteerten Straße. Meine Wanderschuhe fühlen sich ganz haltlos an auf dem festen Zement. Die Filzmoos-Alm ist eine der wenigen Almen, die mit dem Auto angefahren werden können.
Fast alle Bänke vor dem stattlichen Haus sind belegt, doch meine Gruppe und ich finden einen freien Tisch für eine deftige Brotzeit. Und die hat es in sich auf der Filzmoos-Alm: Hier wird das Brot von Sennerin Christl Prommegger noch selbst gebacken, nur mit Mehl und Wasser in Form eines Drei-Kilo-Strutzen. Schmeckt himmlisch – dazu frische Butter, allerlei Käse und Schinken gleich von den umliegenden Almen. Ich will mich noch nicht verabschieden und absteigen ins Tal. Aber muss ich ja auch nicht. Es warten schließlich noch unzählige weitere Almen entlang des Wegs.
Mehr Infos zum Salzburger Almenweg
Der Salzburger Almenweg führt in 25 Etappen ca. 350 Kilometer einmal quer durch das Salzburger Land. 120 Almen liegen entlang des Wegs, 40 von ihnen im Großarltal, das auch den Beinamen »Tal der Almen« trägt. Mehr Infos beim SalzburgerLand Tourismus und beim Tourismusverband Großarltal. Als guter Ausgangspunkt für den Salzburger Almenweg rund um das Großarltal bietet sich das familiengeführte Hotel Tauernhof mit 100 Zimmern, Apartments und Suiten an. Hört doch auch mal in unseren Podcast rein.