Der Singapore Sling ist das Nationalgetränk Singapurs – aber bei weitem nicht das Einzige, was man hier genießen kann. Und so schlemmen wir uns durch diesen Schmelztiegel der Nationalitäten und Kochkünste.
Text: Martin Häußermann
Man nehme: 30 ml Gin, 15 ml Kirschlikör, 120 ml Ananassaft, 15 ml Zitronensaft, 7,5 ml Cointreau, 7,5 ml Bénédictine, 10 ml Grenadine und einen Spritzer Angosturabitter. So lautet das Originalrezept des Singapore Sling. Dieser rosarote Cocktail, meist dekoriert mit einer Ananasscheibe und eine Kirsche, ist das Nationalgetränk des südostasiatischen Stadtstaats und eine Reminiszenz an die Kolonialzeit. Als die Briten hier noch das Sagen hatten, galt es für Damen als unschicklich, in der Öffentlichkeit Alkohol zu trinken. So ersann ein gewisser Ngiam Tong Boon, Barkeeper im ehrwürdigen Raffles Hotel, einen Drink, der aussieht wie ein Mix aus Fruchtsäften und sich auch genauso trinkt. Sehr süffig und damit auch sehr gefährlich, denn er hat es – siehe oben – in sich. Als Nationalgetränk ist er längst nicht mehr nur in der Long Bar im Raffles zu haben, sondern eigentlich in jeder Bar der Stadt, die etwas auf sich hält.
Erster Stopp: die Florette Bar
Dazu gehört auch die Florette Bar in unserem Hotel, dem Pan Pacific Orchard. Das Haus liegt ganz nahe der Luxus-Shoppingmeile Orchard Road und hat architektonisch einiges zu bieten. Es ist keiner der üblichen Betonklötze, sondern ein Gebäude, das sich durch seine originelle, luftige Architektur und jede Menge subtropischen Grüns im Außenbereich auszeichnet. Es soll als Oase wahrgenommen werden, sagt uns Teresa Koh, die Pressesprecherin des Hauses, als Oase in einer Betonwüste. Das mit der Betonwüste sagt Teresa, die mit einem Österreicher verheiratet ist, nicht, aber sie wird es sich schon mal gedacht haben, denn sie schätzt die Heimat ihres Gatten sehr. Teresa begleitet uns auch in die Florette Bar. Dort suchen wir vergeblich den Singapore Sling auf der Karte. Ob des fragenden Blicks des Gasts erklärt Teresa freundlich lächelnd, man müsse nur nett fragen. Klar! Barkeeper in Singapur, die keinen Sling mixen können, haben schlicht ihren Beruf verfehlt.
Gin »Made in Singapore«
Und dieser Sling wird noch mit einem Gin aus Singapur gemixt. »Lange war es so, dass keine einzige Zutat des Singapore Sling aus Singapur stammte«, sagt Bradley Young. Der gebürtige Australier ist General Manager von Tanglin Gin. Diese Destillerie wurde 2019 von vier Freunden aus Australien, dem Vereinigten Königreich und den Niederlanden aus der Taufe gehoben. Der Start sei etwas holprig verlaufen, berichtet Bradley, was weniger an den Gründern als an der öffentlichen Verwaltung gelegen haben soll. Schließlich sind dieser Verwaltung Branchen, die nichts mit Elektronik oder Anlagegeschäften zu tun haben, eher unbekannt. Aber die vier Freunde haben es durchgestanden und sind nun ein Aushängeschild des neuen »Made in Singapore«. Bradley legt Wert auf die Feststellung: »Wir machen keinen Badewannen-Gin.« Darunter versteht der Spirituosenspezialist, dass man eine undefinierte Menge an Wacholderbeeren in Wodka ansetzt und dann lieblos durch die Destille jagt.
Durchprobieren erwünscht
Bei Tanglin Gin, dessen Destilliere auf einem ehemaligen britischen Kasernengelände ansässig ist, zeigt man sich kreativer. Bei unserer Führung stellt Bradley uns zum Beweis eine ganze Menge Gläschen vor die Nase, an denen wir schnuppern dürfen, um zu raten, welches Botanical denn hier drin ist. Für den Begriff Botanical gibt es keine adäquate Übersetzung, es handelt sich hier um Kräuter, Gewürze, Beeren, Blätter, Wurzeln und alles, was sonst so in den Ansatz reinkommt, um einen Gin besonders schmackhaft werden zu lassen. Unsere Erfolgsquote beim Geruchsquiz ist mager. Koriander, Pfeffer und Zitronenschalen können wir noch einigermaßen identifizieren. Aber sonst? Egal, meint Bradley, das sei doch schon gar nicht mal so schlecht. Zur Belohnung stellt er uns sechs verschiedene Produkte des Hauses zur Verkostung hin. Bestseller ist der Orchid-Gin. »Mit ihm feiern wir Singapur«, sagt Bradley und serviert uns zum Abschluss noch einen Gin Tonic mit unserem Favoriten aus der Verkostung. Es ist der »Black Powder«, der perfekt mit dem Tonic »Fever Tree Aromatic« harmoniert. Der muss in die heimische Bar.
Auf einen Kochkurs in Singapur
Zum Glück haben wir zuvor gut gegessen. Etwas Selbstgekochtes übrigens. Nicht weit vom Botanischen Garten bietet Ruqxana Vasanwala in ihrem eigenen Heim Kochkurse für Touristen an. Eigentlich ist die Frau mit indischen Wurzeln studierte Maschinenbauingenieurin. Das Kochen war lange lediglich eine Leidenschaft und Kochkurse gab sie nur Freunden. »Als mein Arbeitgeber 2001 das Unternehmen zumachte, beschloss ich, die Kochkurse zu professionalisieren«, erzählt die lebenslustige Mittfünfzigerin, während wir in ihrer Küche auf der überdachten Terrasse Gemüse schnippeln. Daraus entstand ihre eigene kleine Firma Cookery Magic, die seither Kochkurse in den verschiedensten Formen anbietet. Ruqxana berichtet, dass gerade junge Paare – viele aus Europa – ihr Angebot schätzen.
Für uns steht ein Drei-Gänge-Menü auf dem Plan. Als Vorspeise soll es »Otak Otak« geben, eine würzige Fischpaste, die später in Bananenblätter gewickelt gegrillt wird. Basis hierfür ist eine Gewürzpaste. Unter anderem müssen hierzu frische Chilischoten, Zitronengras, Knoblauch, Schalotten und mehr fein geschnitten und dann mit einem Mörser zu einer feinen Paste verarbeitet werden. Halbe Sachen duldet Ruqxana nicht. Beim Mörsern ist mehrfach Nacharbeit gefragt. Nicht zur Strafe, nur zur Übung dürfen wir für das Hauptgericht nochmals eine Würzpaste schnippeln und mörsern.
Mit dem VW Käfer zum Einkaufen
Gebratene Nudeln – »Mee Goreng« – stehen auf dem Plan und werden im Wok zubereitet. Obwohl wir Ähnliches auch schon zu Hause gemacht haben, ist das Geschmackserlebnis ein besonderes. Was sicher an Ruqxanas Rezept, aber auch den frischen Zutaten liegt. Dazu fährt sie mehrmals die Woche mit ihrem VW Käfer, der schon mehr als 50 Jahre auf dem Buckel hat, zum Einkaufen. Dann kauft sie, was ihr gerade in den Sinn kommt. Weshalb auch das Menü stets variiert. Rund 130 Singapur-Dollar pro Nase muss man für einen solchen Kochkurs anlegen. Angesichts dessen, was wir geboten bekommen und des Preisniveaus in den Restaurants halten wir das für absolut angemessen.
Restaurant mit Ausblick
Wer es eher distinguiert mag und gerne mal über den Dingen sitzt, reserviert bei 1-Arden einen Tisch im angesagten Restaurant Kaarla. Dazu bringt uns der Aufzug in die 51. Etage in ein Restaurant mit einem schönen Ausblick über Marina Bay. Das Essen ist hervorragend, die Atmosphäre allerdings eher etwas kühl, die Temperaturen auch. Obwohl es draußen immer noch deutlich über 20 Grad hat, braucht man hier drin ein Jackett oder einen Pullover. Der Rundblick über die Bucht ist abends und besonders von der Terrasse der Rooftopbar wirklich eindrucksvoll. Besonders ins Auge sticht das Marina Bay Sands Hotel, diese Beton gewordene Luxusyacht, die 200 Meter über der Bucht auf drei Türmen ruht – und längst zum inoffiziellen Wahrzeichen der Stadt geworden ist.
Das inoffizielle Wahrzeichen Singapurs: das Marina Bay Sands
Oben – im Bug des Betonboots – gibt es auch eine Rooftopbar, die für die Allgemeinheit zugänglich ist und beeindruckende Ausblicke liefert – und auf Wunsch natürlich einen Singapore Sling. Am Abend versteht sich. Wir fahren zur Abwechslung in den frühen Morgenstunden in den 57. Stock und landen im Heck der Plattform, wo das Marina Bay Sands zum Sunrise-Yoga einlädt. Morgens um sieben ist hier die Welt noch in Ordnung – und die Menschen sind schon sehr aktiv. Unter den rund 30 Yogajüngern sind gerade mal vier Männer, einer davon der Yogalehrer. Der gibt über sein Headset in sanftem Ton seine Bewegungsanweisungen – auf Englisch übrigens. Die Frühaufsteher folgen ihm konzentriert, während der Himmel sich zusehends von Blau über Pink in ein zartes Orange verfärbt. Die Sonne geht auf, alle machen im Anschluss an die Stunde ein paar Fotos und wir starten entspannt in den Tag.
Zu Besuch in Little India
Heute steht Little India auf dem Programm – Kultur und Architektur bilden einen Kontrast zu all den modernen Hochhaussiedlungen um die Bucht herum. Dieses Viertel atmet Geschichte, da wird die britische Kolonialzeit lebendig. Die Briten brachten die Inder nach Singapur, zwischen 1820 und 1920 wuchs dieser Stadtteil, der heute weitgehend unter Denkmalschutz steht. In den Gassen, die von indischer Kultur und Küche bestimmt werden, pulsiert das Leben. Auf unserem Spaziergang genießen wir den typischen Teh Tarik, einen stark gesüßten Schwarztee mit viel Milch. Wer sich in Singapur – und über Singapur – einen Überblick verschaffen will, muss immer mal wieder hoch hinaus. Das gilt auch in Little India. Unser Tourguide verrät uns einen Geheimtipp und bringt uns zu einem Hochhaus am Rand des Viertels. Das heißt ganz schlicht Block 668. Mit einem öffentlich zugänglichen Fahrstuhl erreichen wir die 13. Etage dieses Gebäudes und schauen auf die Dächer von Little India.
Offenbar bereiten sich gerade fast alle auf Diwali, das hinduistische Lichterfest, vor. Das mehrtägige Fest kommt unserer Bedeutung von Weihnachten sehr nahe. Die Menschen kaufen bunte Festkleidung, gerne auch Schmuck aus Silber und Gold. Entsprechend schieben sich die Menschenmassen durch einschlägige Märkte und Geschäfte. Ursprünglich wurden Straßen und Fenster mit Öllampen erleuchtet, heute sind es riesige elektrische Lichterketten, die sich hier auch über mehrspurige Straßen spannen.
Mit einer Vespa durch Singapur
Wir erleben das auf einer abendlichen Runde im Beiwagen einer Vespa. Singapore Sidecar hat eine Touristenattraktion aus Rom für seine Stadt adaptiert, was besonders am Abend eine große Freude ist. Unser Pilot heißt Mahir, war einige Monate in einem Hotel in Füssen tätig und kann daher ein paar Brocken Deutsch. »Holla, die Waldfee«, ruft er, wenn er den Gashahn aufdreht, was aber alles andere als eine Beschleunigungsorgie ist. Das macht aber gar nichts, im Gegenteil. Diese abwechslungsreiche Rundfahrt eignet sich selbst für ängstliche Gemüter.
Nur ein wenig Beweglichkeit ist gefragt, um sich an den Zwischenstopps aus dem engen Beiwagen zu schälen und anschließend wieder hinein. Mit einem Servus verabschiedet uns Mahir vor der Atlas Bar, die nach eigenem Bekunden über die größte Gin-Auswahl der Welt verfügt. Sie ist zu diesem Zeitpunkt aber brechend voll und wir haben nicht reserviert. Das wird heute nichts mit einem Gin Tonic oder einem Singapore Sling. Dann eben ein Feierabendbier bei Brewerkz, der jungen Craftbierbrauerei.
Mehr Infos zu Singapur
Singapur ist mit rund 735 Quadratkilometern der kleinste Staat Südostasiens. Hier leben etwa sechs Millionen Menschen, verschiedenster Ethnien friedlich zusammen, teilweise auch nebeneinander. Der Schmelztiegel der Kulturen, der hier auf engem Raum erlebbar ist, macht den Besuch spannend. Viele europäische Touristen nutzen den Flughafen Singapore Changi nur als Stopover auf Reisen nach Australien oder Neuseeland. Das ist schade. Aber wenn man das schon tut, sollte man für Singapur einige Tage einplanen.
Lufthansa und Singapore Airlines bieten Direktflüge von Frankfurt a. M. und München aus an.
Hier findet ihr unsere Reise-Tipps für Singapur.