Zweimal 30 Kilometer, bitte. Mit dem E-Bike zur Arbeit und wieder nach Hause – das klingt doch nach Nachhaltigkeit und Sport in einem Aufwasch auf alltäglichen Wegen. Ein Selbstversuch mit dem E-Bike Velotraum E-Finder.Text: Stefan Weißenborn
Unter mir surrt das Profil, es ist lauter als der kleine Elektromotor zwischen meinen Knöcheln. Nach den ersten Metern über Asphalt noch im Dorf rolle ich auf einem Waldweg entlang der Gleise. Von hinten kommt ein schleifendes Pfeifen näher, dann überholt mich, wenn auch gar nicht so schnell, die alte Woltersdorfer Straßenbahn, die man bis Rahnsdorf nehmen kann, um von dort mit der S-Bahn weiter nach Berlin rein zu kommen.
Doch ich pendle heute mit einem E-Bike. Der Begriff hat sich eingebürgert, obwohl eigentlich Pedelecs gemeint sind, die mit Tretunterstützung arbeiten. Erreicht hat die Elektrifizierung des Fahrrads mittlerweile alle Genres, selbst Rennräder gibt es schon mit Elektro-Power.
Ich sitze auf einer eierlegenden Wollmilchsau unter den Fahrrädern, zumindest der Hersteller sagt: Das fährt überall. Der richtige Gefährte für mich, denke ich, denn auf der 30-Kilometer-Strecke bis zur Arbeit bekomme ich es mit Sand, Kopfstein, Asphalt und kaputten Berliner Straßen zu tun.
Frühsport vertreibt Kummer und Sorgen
Bester Laune und pfeifend erfreue ich mich an der Natur, die Vögel zwitschern, die Sonne scheint, es könnte nicht besser sein. Auch der Saft im Akku reicht: Je nach Stärke der Tretunterstützung zeigt das Display am Lenker einen Radius von 47 bis 95 Kilometer an.
Reichweitenangst wie im E-Auto? Pah! Ich fahre Schleichwege, die man mit dem Auto nie entdecken würde, rieche den Morgen, mache Frühsport, denn ein Mofa, auf dem man sich wie ein nasser Sack fahren lassen kann und nur den Drehgriff betätigen muss, ist ein E-Bike nicht.
Als es urbaner wird, der Verkehr und die Bebauung dichter, nimmt mich die Stadt in ihre Fittiche. Auf den spärlich vorhandenen Radwegen oder -streifen wird es dicht. Nach roten Ampeln komme ich schnell, schneller als andere Rad-Pendler wieder auf Speed. Da der Shimano-Motor am Tretlager aber nur bis zu 25 km/h unterstützt und das Treten jenseits dieser Geschwindigkeit doch mühsam wird, überholen mich die schnelleren Radler. Doch 25 Sachen halten die wenigsten konstant, und wenn, dürften sie weit verschwitzter bei der Arbeit ankommen als ich.
Der Stau kann mich mal
Mit einer gewissen Genugtuung ziehe ich an mehrere hundert Meter langen Autoschlangen vorbei, die im Rhythmus der Ampelschaltungen vorwärts kriechen. Auch ich habe mir das auch schon oft gegeben und frage mich jetzt, bei besten Bedingungen, 20 Grad, blauer Himmel und noch immer die Sonne: Warum bloß? Rein rechnerisch können sich auch die anderthalb Stunden sehen lassen, die ich bis Kreuzberg brauche. Ein bisschen Stau vorausgesetzt, bin ich im Auto auch so lange unterwegs, nur nicht immer.
Vorm Büro angekommen stehe ich allerdings vor einem kleinen Problem. Die potenten Reifen, Garant für die Unabhängigkeit vom Terrain, sind zu dick. Wie ich es auch drehe und wende: Ich kriege die grobstolligen Walzen nicht in die Führungsschiene dieser Fehlkonstruktion von doppelstöckiger Fahrradparkstation.
Also mogele ich das Rad irgendwie zwischen den Pulk der pausierenden Drahtesel und schließe es unter Verrenkung meiner selbst an. Als ich mich nochmal umblicke, sticht mein Rad aus der grau-silbrig-grünen Masse der anderen Räder heraus. Ein orange-leuchtender Blickfang.
Dich lass‘ ich nicht aus den Augen
Keine gute Idee, ein 5.000-Euro-Rad mitten in Berlin acht Stunden unbeaufsichtigt stehen zu lassen, denke ich, auch tagsüber, ich bin gebranntes Kind. Ich kam schon mal aus dem Büro und habe am Verstand gezweifelt, aber das Rad war wirklich weg. Nicht Reichweiten-, sondern die Angst vor Diebstahl ist der Maßstab. Zum Glück ist der Pförtner nachsichtig und deklariert das Pedelec als Arbeitsmarial, schließlich ist es ein Testrad.
So darf es mit in den Aufzug und wartet neben mir an der Wand, als ich für Stunden auf die Tastatur eintippe. Ich könnte es ein bisschen an der Steckdose nuckeln lassen, doch es ist noch genug Strom im 500-Wh-Akku. 66 Kilometer zeigt das Display als Reichweite im Eco-Modus.
Das Wetter hält sich bis zum Abend, so sieht man mich zum Glück nicht mit flatterndem Poncho nach Hause pedallieren und in mieser Laune, in der ich mir das schützende Auto zurück gewünscht hätte. Doch ein S-Pedelec – das bis 45 km/h unterstützt und die Pendeldauer auf vielleicht unter eine Stunde drücken würde –, eine geeignete Infrastruktur wie jüngst diskutierte Fahrradautobahnen vorausgesetzt, wünsche ich mir aber schon, als die Beine trotz Elektropower und das Hirn trotz Frischluft immer weicher werden.
Einfach nur ankommen
So sehr ich versuche, die 33 Kilometer als Ausgleichssport nach getaner Arbeit zu deklarieren, die Strecke zieht sich – eingebauter Rückenwind hin oder her. Im Görlitzer Park, wo das Leben tobt, Grill- und THC-Schwaden in der Luft liegen, Kinder Ball spielen und Hoverboard fahren und Großfamilien picknicken, geht es ja noch.
Doch als die letzten Radpendler, die ich als solche deklariere, von meiner Seite weichen, in Seitenstraßen verschwinden oder gar auf Einfahrten, die Haustür vor der Nase, will auch ich endlich, bitte, bitte ankommen. Nach eindreiviertel Stunden steige ich vom E-Finder, so heißt die Modellreihe des Herstellers, und fühle die Beine kaum noch, aber den Po. Ja, auch ein E-Bike ist kein Selbstgänger. Aber trotzdem: Zum Pendeln eignet es sich, und man darf doch ein paar Kilometer weiter draußen wohnen – nur vielleicht nicht gut 30 Kilometer.