Manitoba ist flach und größtenteils bedeckt von Tundra und Ackerland. Nur im Westen, da zeigt sich die kanadische Provinz von ihrer idyllischen Seite. Denn dort trifft dicht bewaldete Hügellandschaft auf unzählige große und kleine glasklare Seen und drumherum tummeln sich Bären, Wölfe und Elche. Willkommen im Riding Mountain Nationalpark. Text: Marie Tysiak

Mit quietschenden Reifen kommt mein Mietwagen nur Pfotenlängen vor dem kleinen Fellknäuel zum Stehen. Den Bruchteil einer Sekunde starren wir uns zu Tode erschrocken an, dann huscht das kleine Schwarzbär-Baby davon und verschwindet im dichten Wald zu meiner Rechten. Ich kann mein Glück kaum fassen! Reglos sitze ich da, beide Hände am Lenkrad, den Blick noch auf die Stelle geheftet, an dem der schwarze Flauschbär Sekunden zuvor verschwunden ist. Keine Menschenseele ist weit und breit zu sehen. Ich kann einen kleinen Freudenschrei nicht unterdrücken – auch wenn ich den Schock noch verdauen muss, dass meine erste Bären-Sichtung fast in einem Desaster geendet wäre. Puh.

Flix huschte das Bärenbaby ins Dickicht des Waldes im Riding Mountain Nationalpark..

Marie Tysiak

Dabei hatte ich die Hoffnung schon fast aufgegeben, in dem 1929 gegründeten Nationalpark und Unesco-Biosphärenreservat im Westen Manitobas eines der eindrucksvollen Tiere zu sehen. Obwohl sich in dem knapp 3.000 Quadratkilometer großen hügeligen Naturschutzgebiet viele Schwarzbären rumtreiben; auch Elche mit gigantischen Geweihen und Wölfe leben hier. Im Riding Mountain Nationalpark fühlen sie sich wohl. Im Gegensatz zur sonst flachen und als Ackerfläche genutzten Prärieprovinz sind sie im dichten Wald des Parks mit seinen vielen Seen nämlich besonders geschützt. Aber sie sind scheu; besonders früh morgens oder abends hat man die besten Chancen, Tiere zu sichten. Und heute Mittag ist es heiß, ein schöner spätsommerlicher Tag in Manitoba, die Sonne ist kurz vor ihrem höchsten Punkt angekommen. Aber Natur ist eben unberechenbar – und deswegen habe ich entgegen aller Prognosen ein Schwarzbär-Baby gesehen. Zugegeben, fast überfahren.

Im Riding Mountain Nationalpark in Manitoba fühlen sich Elche, Bären und Wölfe wohl.

Marie Tysiak

Moment mal, ein Schwarzbär-Baby

Dann muss hier hoffentlich irgendwo auch eine Schwarzbär-Mama herumstreifen. Ich wende auf dem breiten, immer noch leeren Highway 10 und fahre zurück in die Richtung, aus der ich gekommen bin. Kurz vor der Abbiegung zum Highway 19 biege ich scharf links in eine kleine Seitenstraße ab, dem Wasagaming Drive. Er verläuft parallel zum Highway am Clear Lake entlang, dem größten See des Parks. Wenn das Bärenbaby seinen Kurs hält, müsste es auch diese Straße, hoffentlich unfallfrei, überqueren.

Ein kleiner Junge angelt am Ufer des Clear Lakes im Riding Mountain Nationalpark..

Marie Tysiak

Die Straße ist mir vertraut. Ich kenne sie von gestern, als ich zum östlichen Ende des Parks aufgebrochen bin. Eine Stunde dauert die Fahrt dorthin, durch dichten Wald und an blumengesäumten Bächen vorbei. Ganz in der Nähe des historisch-hölzernen Eingangstores von 1933, das kurz nach der Eröffnung des Parks gebaut wurde, beginnt nämlich die Reeves-Ravine-Wanderung. Der etwa 15 Kilometer lange Wanderweg durchs Dickicht auf einen kahlen Berg mit Aussicht ist einer von vielen Wanderwegen im Park, über die das Besucherzentrum informiert und für alle Wander- und Radwege Faltblättchen bereithält. Dort, abseits des Highways und dem Trubel Wasagamings, hatte ich auf ein paar Tierbegegnungen gehofft. Aber nichts, die Natur ist eben unberechenbar.

Der Riding Mountain Nationalpark in Manitoba ist ein Wanderparadies.

Marie Tysiak

Den Riding Mountain Nationalpark bewohnt noch ein anderes Tier der Prärie.

Und bei dieser Tierbeobachtung ist ein wenig Berechnung von Vorteil. Deswegen bin ich heute früh aufgebrochen, um vor der Mittagshitze im grasüberwucherten Flachland im Norden des Parks zu sein. Denn: Hier lebt eine Bisonherde. Die etwa 40 mächtigen Büffel grasten gemächlich direkt am Highway, als ich gegen halb zehn im Lake Audy Bison Enclosure ankam. Auf einer eingeschlossenen Fläche von 500 Hektar wurden die Prärie-Rinder Nordamerikas wieder angesiedelt. Direkt neben meinem Wagen lag ein gigantischer Bulle faul mitten auf der staubigen Straße; hin und wieder verscheuchte er mit seinem Schwanz lässig ein paar Fliegen.

Im Riding Mountain Nationalpark ist eine Bisonherde beheimatet.

Marie Tysiak

Während ich genüsslich mein Pancakes mit reichlich Ahornsirup aus meiner To-Go-Box auf dem Schoß verzehrte, setzte sich plötzlich die Herde in Bewegung. Glück gehabt, gerade noch rechtzeitig eingetroffen. Für das Schauspiel unterbrach ich gerne mein Frühstück. Nach und nach erhoben die Bissons ihre massigen Körper und staksten auf ihren dünnen, wackelig aussehenden Beinchen am Auto vorbei in Richtung Wald. Mittags wird es ihnen zu heiß auf der freien Fläche, erst am Abend werden sie pünktlich vor Sonnenuntergang wieder hierher zurückkehren und weitergrasen. Und weil es heute besonders heiß wird, habe ich mir eine Kanu-Tour auf dem Clear Lake für den Nachmittag vorgenommen.

Den Clear Lake kann man per Kanu, Ausflugsboot, Tretboot oder mit dem Segelboot erkunden.

Marie Tysiak

Doch der Plan muss warten. Kann ja keiner ahnen, dass sich ein Bären-Baby in meinen Weg stürzt. Erstmal fahre ich die Straße, die der Schwarzbär meiner Berechnung nach als nächstes überqueren müsste, auf und ab. Ganz langsam und aufmerksam. Aber die Natur lässt sich eben nicht immer berechnen. Nach einer halben Stunde gebe ich auf – auch lockt mich das Wasser des Clear Lakes, der immer wieder zwischen den hohen Birken hervorglitzert. Ein letztes Mal wende ich und fahre die wenigen Kilometer am Südufer des Sees nach Wasagaming.

Wasagaming nennt sich das kleine Ferienörtchen am Südufer des Clear Lakes im Riding Mountain Nationalpark..

Marie Tysiak

Es ist ein Sommertag wie aus dem Bilderbuch.

Am kleinen Strand am Seeufer baut eine Gruppe kleiner Jungs in Badehosen an einer Sandburg. Einige Teenager spielen Volleyball. Ich parke meinen Mietwagen an der kleinen Hauptstraße des Ferienorts. Wasagaming, was auf der Sprache der Anishinaabe nichts anderes bedeutet als »Klarer See«, sind zwei Häuserblocks, gesäumt mit Holzhütten, in denen Unterkünfte, Restaurants, ein paar Souvenirshops und Cafès, das Besucherzentrum, ein Kino und ein Supermarkt den Urlaubern eine entspannte Zeit versprechen. Unmittelbar am See gelegen, strömen die Erholungssuchenden in das Städtchen, sitzen bei einem Ginger Ale beisammen, schwimmen im See, planen Wandertouren, suchen nach Bären oder paddeln auf Tretbooten, großen Ausflugsdampfern oder Kajaks den See hinaus.

Im Sommer lädt der Clear Lake im Riding Mountain Nationalpark zum Baden ein.

Marie Tysiak

Ich entscheide mich für ein Ein-Mann-Kanu – schließlich fuhren schon die First Nations vor vielen Jahrtausenden auf diese Art auf dem Clear Lake umher. Auch wenn das längliche Boot damals aus Birkenholz gefertigt war und bestimmt nicht aus giftgrünem Plastik. In der Gegend um den Clear Lake wurden die ältesten Artefakte der Provinz gefunden, man schätzt ihr Alter auf über 11.000 Jahre.

Der Riding Mountain Nationalpark ist mit dichtem Wald bedeckt.

Marie Tysiak

Ich paddle in den rechten Arm des Sees – vermutlich in der Hoffnung, doch noch das Bärenbaby zu sichten, das sich bisweilen ja bis zum Seeufer hat durchschlagen können. Das bewaldete Ufer zieht an mir vorbei, schnell komme ich in einen meditativen Rhythmus, wenn mein Paddel in die glatte und ruhige Wasseroberfläche sticht. Am Ufer kann ich bis auf den mit teils dicken Stämmen übersäten Grund blicken – der Name des Sees kommt nicht von ungefähr.

Einst fuhren die First Nations mit ihren Kanus über den See, heute nur noch Urlauber.

Marie Tysiak

Stunden später laufe ich mit meinem Plastikkanu wieder am Steg ein. Das Bärenbaby habe ich nicht gefunden, mir dafür aber einen gewaltigen Sonnenbrand auf der Nase eingefangen. Geschafft vom aufregenden Tag beobachte ich Beine baumelnd vom Steg aus, wie eine junge Familie kleine Krebse angelt, um sie dann unter lautem Geschrei wieder ins Wasser zu werfen. Hinter ihnen nähert sich die Sonne allmählich den Baumwipfeln. Während die letzten Kanufahrer am Steg eintreffen, schwimmt eine dunkle Gestalt im letzten Licht der Sonne an mir vorbei – ein Biber! Die Natur ist eben unberechenbar. Unberechenbar schön.

Abends versinkt die Sonne hinterm Clear Lake.

Marie Tysiak

Infos für einen Trip zum Riding Mountain Nationalpark

Anfahrt. Von Winnipeg braucht man mit dem Mietwagen gute drei Stunden zum Nationalpark. In Neepawa lädt die Farmery Estate Brewery auf eine Erfrischung oder Brauerei-Tour zum Päusschen ein.
Unterkunft. Das Lake House bietet rustikale stilvolle Zimmer direkt im Örtchen Wasagaming. 128 Wasagaming Drive.
Essen. Gleich nebenan serviert das Foxtail Café frische Pizza und Paninis aus dem Steinofen.
Weitere Infos. Travel Manitoba liefert hilfreiche  Infos zum Nationalpark und Manitoba. Besucherzentrum des Parks: 135 Wasagaming Drive, Öffnungszeiten: Montag bis Freitag  8 bis 16 Uhr.

Mehr spannende Infos rund um eure Kanada-Reise erfahrt ihr auf unserem Kanada-Blog.

Viele alte Farmhäuser zieren den Straßenrand auf dem Weg zum Riding Mountain Nationalpark.

Marie Tysiak