An der Mündung des Rio Vouga treffen chilliges Lebensgefühl auf süße Ovos Molos und eine kilometerlange Dünenlandschaft: Willkommen in Aveiro, einer der schönsten Städte in Portugal.
Sonnenbrille, sportlich-lässige Radlerkleidung, die Sonnenmilch akkurat im Gesicht verteilt: Wer Miguel Caçador auf dem Holzsteg am Strand in Barra sieht, könnte meinen, es sei Hochsommer. Gut, in Sachen Temperatur käme das hin: 27 Grad zeigt das Thermometer an. Wäre da nicht dieser Wind. »Mit kräftigem Wind musst du hier zuweilen rechnen«, sagt Miguel. Für den speziellen Wind haben sie hier an Portugals Nordküste sogar einen eigenen Namen: die Nortada, der Nordwind. Der Wind entsteht vor allem durch ein Hitzetief über der Iberischen Halbinsel und ein Azorenhoch über dem Atlantik. Und der kann sich zuweilen etwas länger hier einnisten: »Das können bis zu neun Tage am Stück sein«, sagt Miguel lachend.
Aveiro: der perfekte Portugal-Urlaub
Der 48-Jährige ist in der Region geboren. Er arbeitet in der Werft vor den Toren der Stadt, sieht sich aber auch als Botschafter Aveiros und führt Besucher durch eine der schönsten Regionen Portugals. Miguels Heimat ist eine Gegend, die vom Pauschalreise-Tourismus bislang eher wenig beachtet wurde, ganz im Gegensatz zur überlaufenen Algarve im Süden. Dabei bietet Aveiro, rund 80.000 Menschen leben in der Stadt, alles, was es für den gelungenen Portugal-Urlaub braucht: pittoreske Kanäle im Zentrum, die ihr den Spitznamen »Venedig Portugals« einbrachten, eine mediterrane Küche, kilometerlange Strände und Dünen vor der Haustür und das ganze Jahr über viel Sonnenschein. Remmidemmi ist hier nur im August, wenn das ganze Land Ferien hat und mit Kind und Kegel die Küste einnimmt.
Die Anreise ist bequem: Wer von Lissabon herkommt, ist mit dem Auto zweieinhalb Stunden unterwegs. Von Porto aus ist es sogar nur weniger als eine Stunde. Auch die Zugverbindungen sind exzellent: Von beiden Städten aus muss man nicht einmal umsteigen, wenn man sich nach Aveiro aufmacht. Diese Vorzüge locken vor allem Individualtouristen an. All-inclusive-Bunker gibt es hier nicht. Abschalten, die Natur und das Meer genießen, das ist das Credo der meisten Touristen. Auch für mich.
Sommer am Strand von Barra
Es ist Samstagmittag, Miguel zeigt mir den Strand in Barra. Als wir ankommen, haben schon Dutzende Besucher ihr Refugium abgesteckt. Familien packen ihre Kühltaschen und Decken aus, zwei Pärchen spielen unter Gejohle Frisbee, ein paar männliche Jugendliche wagen sich mit einem Surfbrett aufs Wasser. In der Ferne treiben ein paar Segelschiffe über den Atlantik. Vielleicht sind es die vielen fröhlichen Menschen, vielleicht ist es das Meer, aber meine Tristesse über den bevorstehenden Herbst ist wie weggepustet.
Dass Miguel und ich mit dem Fahrrad von Aveiro aus hergeradelt sind, war eine gute Idee. Fast könnte man sagen, der Weg war das Ziel unserer gemächlichen 60-Minuten-Tour: Entspannt ging es vorbei an Lagunen und Sümpfen, in denen sich Flamingos, Störche und Reiher tummeln. An den Salinen von Aveiro, auf denen noch heute fleißige Arbeiter Salz produzieren. Und an den großen Kai-Anlagen der einst florierenden Hochseefischerei. Noch heute legen die verrosteten Schiffe im Hafen Zeugnis davon ab.
Die Portugiesen und der Kabeljau
»Von Ílhavo, einer Kleinstadt vor den Toren Aveiros, segelten die Schiffe in den Nordatlantik und ins Nordpolarmeer. Die Portugiesen waren seinerzeit die Ersten, die Kabeljau vor der Küste Neufundlands fischten«
erzählt Miguel wenig später, als wir auf der Avenida dos Bacalhoeiros im Nachbarort Gafanha da Nazaré einen Zwischenstopp einlegen. Hier wird unter einer Brücke Wandmalerei gezeigt, die der Künstler António Conceição mit viel Liebe zum Detail angefertigt hat. Sie stellt die verschiedenen Phasen des Kabeljaufangs dar – und ist vor allem eine Hommage an die Frauen, die oft auch in der Kabeljauindustrie arbeiteten.
Die Geschichte des Kabeljaus in Aveiro
»Wer die Geschichte Aveiros verstehen möchte, kommt um den Bacalhau nicht herum«, sagt Miguel. Seinen Anfang nahm die Geschichte des Kabeljaus zu Beginn des 16. Jahrhunderts als eine Expedition portugiesischer Seeleute auf dem vermeintlichen Weg nach Indien den Fischreichtum vor der Küste Neufundlands entdeckte. Es war der Beginn einer Erfolgsgeschichte. Mehrere Hundert Schiffe stachen in der Folgezeit in See und bescherten der Region mit ihren Fängen Wohlstand. Die Verarbeitung des Kabeljaus begann schon auf den Schiffen, auf denen er gleich nach dem Fang gesalzen wurde. So blieb der Kabeljau lange haltbar und behielt sein Aroma. Zurück in der Region Aveiro wurde der Fisch vom Salz befreit und anschließend im Freien getrocknet. Bis heute steht der Bacalhau ganz oben auf den Speisekarten der Restaurants in ganz Portugal.
Kunterbunt gestreifte Strandhäuschen
Wer sich während seines Aveiro-Besuchs lieber am Strand in der Sonne brutzeln lassen möchte, hat die Qual der Wahl. Neben dem Strand in Barra lockt der im benachbarten Dorf Costa Nova. Hauptattraktion ist hier für viele aber nicht der Strand, sondern die mit kunterbunten Streifen bemalten Häuser. Die Häuser mit den spitzen Giebeln dienten den lokalen Fischern einst als Lager-, später dann als Sommerhäuser.
Als wir dort einen Zwischenstopp einlegen, posieren bereits viele junge Touristen vor den Häuschen und sammeln neues Futter für die nächste Instagram-Story. »Der Grund für die farbenfrohe Dekoration war allerdings nicht, dass unter den Fischern unentdeckte Künstler am Werk waren«, erzählt Miguel schmunzelnd. Vielmehr hatte die Bemalung einen ernsten Hintergrund: Bei Nebel erleichterte die farbige Markierung den Seeleuten die Orientierung und half ihnen, ihr eigenes Häuschen zu finden. Inzwischen wurden die meisten von ihnen in Urlaubsdomizile umgewandelt.
Das Venedig Portugals
Die Versuchung ist groß, nur an den Küsten von Barra und Costa Nova zu bleiben. Besonders für diejenigen, die sich im Urlaub einfach nur den ganzen Tag am Strand in der Sonne fläzen wollen. Aber es ist das Zentrum Aveiros, das einen Besuch so besonders macht. Die Stadt wirbt – nicht ganz unbescheiden – damit, das »Venedig Portugals« zu sein. Die passende Kulisse dafür bieten die kilometerlangen Kanäle, die die Stadt durchziehen. Auf diesen spielen die »Moliceiros« die Hauptrolle. Die eigenwillig geformten und fantasievoll – zuweilen auch frivol – bemalten Boote sind die Hauptattraktion der Stadt. Im Stundentakt trudeln auf der Rua do Clube dos Galitos die Reisebusse ein, vollgepackt mit Tagestouristen, die einmal die portugiesische Venedig-Gondelversion auf dem Kanal erleben wollen.
Aber was hat es mit den Booten auf sich? »Früher holten die Besatzungen der Boote Algen aus dem Wasser der Lagune, die getrocknet und als Dünger in der Landwirtschaft verwendet wurden«, erzählt Miguel. Jahrzehntelang fristen sie in der Folge ein trauriges Dasein, bis vor ein paar Jahren ein gewiefter Geschäftsmann auf die Idee kam, den Booten ein frisches Antlitz zu verleihen, um damit Besucher durch die Kanäle zu tuckern. Heute glänzen die Boote wie nagelneu und chauffieren die Touristen vorbei an den imposanten Fassaden der Häuser aus der Zeit der Jugendstilarchitektur. Hingucker sind die kunstvollen Schmiedearbeiten und elegant geformten Balkone. Eines der schönsten Gebäude beherbergt ein liebevoll gestaltetes Jugendstilmuseum.
Ovos Moles: Süße Verführung
Nur wenige Meter vom Kanal entfernt, können sich Besucher an einer süßen Verführung versuchen, für die die Stadt in Portugal bekannt ist: den Ovos Moles (»weiche Eier«).
Die süße Spezialität aus triefend viel Eigelb und Zucker wird nahezu in jeder Konditorei in der Stadt angeboten. Der Ursprung der Ovos Moles reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück, lange vor der Gründung der Stadt.
Einer der Legenden zufolge stammt die Rezeptur von einer Nonne aus einem Kloster. Erste Adresse in Aveiro, um die Kalorienbombe zu naschen, ist die Confeitaria Peixinho in der Rua de Coimbra im Zentrum. Sie wirbt damit, die älteste Konditorei der Stadt zu sein, die Ovos Moles backt.
Und das hat sich herumgesprochen: Im kleinen Verkaufsraum drängeln sich Touristen aus aller Welt. Ein wildes Sprachengewirr durchhallt den Raum. Alle wollen sie die Leckerei probieren. Kein Wunder, es duftet verführerisch. Angeboten werden sie in vielen Variationen, mit Sahne, Pudding, Schokolade oder Hafer. Da ist für jede Naschkatze etwas dabei. Mitarbeiterin Sónia reicht mir eine traditionelle Version der Ovos Moles. »Wir backen nach dem jahrhundertealten Originalrezept«, sagt Sónia. Verraten wird das natürlich nicht – da kann ich noch so sehr meinen Och-bitte-ich-sage-auch-nichts-weiter- Blick aufsetzen …
Ich bin jetzt hungrig wie ein Wolf und möchte meine Ovos Moles so schnell wie möglich verputzen. Ein feines Plätzchen dazu bietet sich unten am Kanal. Meine Ovos Moles wecken die Neugier anderer Touristen. Ein amerikanisches Pärchen, mit dem ich ins Gespräch komme, will wissen, was ich denn da in der Hand habe. Die Blicke der beiden signalisieren mir, dass sie nur zu gern ein Stückchen davon haben möchten. Das aber kommt nicht in die Tüte. Dieser Moment gehört mir ganz allein. Hmmm … Das zergeht auf der Zunge. Die Ovos Moles sind eine echte »delicia«, wie sie hier in Portugal sagen. Nach dem ersten Bissen nehme ich mir vor, Nachschub für die Heimreise zu besorgen.
Eine Stadt wie aus einem Märchen
Aber erst einmal verweile ich noch ein halbes Stündchen allein am Ufer. Beobachte amüsiert die Touristen, die in den »Moliceiros« im Minutentakt vorbeiziehen und alle möglichen Verrenkungen machen, um das perfekte Selfie zu schießen. Und wenn dann plötzlich die Sonne aus den Wolken hervorlugt und die Kanäle samt Jugendstilhäusern in eine kleine Märchenkulisse verwandelt, dann weiß ich: Es war eine feine Idee, den Sommer in Aveiro zu verlängern.
Mehr Infos zu Aveiro
Anreise. Lufthansa, Eurowings, Tap Air Portugal und Ryanair fliegen von vielen deutschen Flughäfen direkt zum Francisco Sá Carneiro Airport in Porto. Von dort fahren Busse ins Stadtzentrum Portos zum Bahnhof Porto-Campanhã. Anschließend geht es mit dem Zug in etwas mehr als einer Stunde nach Aveiro. Alternativ mit einem Mietwagen vom Flughafen über die Autobahn in rund einer Stunde nach Aveiro. Auch von Lissabon kann man gut mit dem Zug nach Aveiro reisen.
Übernachten. Hotel Moliceiro, Rua Doutor Barbosa de Magalhães 15/17, 3800-154 Aveiro. Vier-Sterne-Hotel im Jugendstil, direkt vor dem Park Jardim do Rossio und dem Canal Central im Zentrum der Stadt gelegen. Preis pro Zimmer pro Nacht ab € 115 im Winter und ab € 180 im Sommer.
Restaurants. Das Restaurant Cais do Pescado am Mercantéis-Kanal ist der ideale Ort für alle, die Fisch und Meeresfrüchte lieben. Untergebracht ist das angesagte Restaurant in einem historischen Gebäude und bietet eine gemütliche Atmosphäre. Die Dekoration ist von den Elementen des Meeres inspiriert. Auf der Speisekarte finden sich portugiesisches Soulfood wie Bacalhau à Brás – und als Nachspeise natürlich die berühmten Ovos Moles nach Art des Hauses.
Unterwegs. Wer kein E-Bike benötigt, kann sich in Aveiro zwischen zehn und 19 Uhr kostenlos ein Fahrrad ausleihen. An den sogenannten BUGA-Stationen stehen insgesamt rund 250 Fahrräder bereit. Nach der Registrierung erhält man den Zugangscode. Wer ein E-Bike oder ein auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnittenes Fahrrad möchte, schaut im familiengeführten Geschäft BICLARIA Bike Rental & Tours vorbei.
Infos. Viele weitere nützliche Informationen über Aveiro und die Region hält die Website von Center of Portugal bereit.
Was man sonst noch in Aveiro gesehen haben muss, verraten wir euch hier.