Die Topographie im Norden Deutschlands beschränkt sich eigentlich auf Ebenen und Hügel. »Richtige Berge« findet der Tourist dort nicht. Die erste nennenswerte Erhebung ist der Harz in Mitteldeutschland mit dem Brocken – ein beeindruckender Berg. Aber auch weiter im Westen kann man (fast) alpine Eindrücke mit atemberaubenden Fernblicken gewinnen, und zwar im Sauerland am bekanntesten Gipfel dort, dem Kahlen Asten. Text: Dieter Klaas
»O Täler weit, o Höhen, O schöner, grüner Wald, Du meiner Lust und Wehen, Andächt´ger Aufenthalt«,
so entfuhr es meiner Mutter unwillkürlich jedes Mal, wenn sie, längst im Rentenalter, mit meinem Vater auf relativ langen Wanderungen auf den Höhen des Sieger-, Sauer- und Wittgensteinerlandes unterwegs war und an eine aussichtsreiche Stelle kam. Die Zeilen sind aus dem Gedicht »Abschied« von Joseph von Eichendorff (1810), das vertont von Mendelsohn – Bartholdy, zum bekannten deutschen Volkslied wurde.
Nun könnte man sagen: Um Gottes Willen, diese Erzromantiker! Eine solche Gefühlsduselei passt doch nicht mehr in die heutige Welt des Cyberspace. Mag ja sein, aber wer im Sauerland genau hinschaut, der kann solche Gefühle tatsächlich noch entwickeln. Und damals, zu Zeiten der Wanderungen meiner Eltern, war ein Fernblick aus den tiefen, dichten Fichtenwäldern des Sauerlandes etwas ganz Besonderes. Das hat sich mit dem katastrophalen Kahlschlag durch den Sturm Kyrill im Jahre 2007 wenigstens für die Wanderer zum Positiven verändert.
Nirgends im Sauerland ist dieser Weitblick jedoch so anhaltend wie auf den Höhen um den Kahlen Asten. Der wäre auch ohne Kyrill ausgekommen, denn der Gipfel ist »fichtenfrei«. Egal aus welcher Richtung Wanderfreudige sich mit dem Auto dem Berg nähern, es sind tief eingeschnittene Täler, wie das der Lenne oder der Ruhr, die schließlich auf den Parkplatz des Kahlen Astens in rund 841 Meter Höhe bringen. Die Anfahrt erinnert stark an die Täler des nördlichen Schwarzwaldes.
Vater der tausend Berg
Doch wer nun denkt, die Gipfelhöhe im Sauerland erreicht zu haben, irrt. Zwar ist die Höhe von ungefähr 800 Metern die Spitze vieler Gipfel des Sauerlandes. Der Kahle Asten ist nämlich nicht die höchste Erhebung – allerding fehlen ihm gerade einmal zwei Meterchen, um gleichzuziehen. Die höchste Erhebung ist der Langenberg an der Grenze zu Hessen, der 843 Meter in den Himmel ragt. Den Langenberg kann man selbstverständlich vom Gipfel des Kahlen Astens betrachten. Dennoch überflügelt der »Vater der tausend Berge« – wie der Kahle Asten auch genannt wird – den Langenberg, denn er ist wesentlich bekannter und beliebter.
Nun heißt es: Die Wanderschuhe schnüren und losmarschieren. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt: Von ausdauernden Tagesetappen bis zu entspannte Spaziergängen – man kann die Wanderung jederzeit abbrechen, auf der Höhe zurückgehen oder von Langewiese bzw. Hoheleye oder im Tal von Westfeld aus mit dem Bus zurückfahren. Führt man sie auf der anderen Seite das Lennetal hinauf zu Ende, so umfasst sie 15 Kilometer – und dies ist für heute unser Plan.
Zunächst führt der Wanderweg vom Parkplatz des Kahlen Asten aus durch die ausgedehnte wunderschöne Gipfelheide, denn so genannte Besenheide wächst hier wie Unkraut. Aber auch Heidelbeeren, Preiselbeeren, Wacholder und einige vereinzelte Birken, Weiden oder Ebereschen gedeihen hier. Und wenn es eine vereinzelte Fichte dann doch geschafft hat, groß zu werden, dann sieht man ihr an aus welcher Richtung meistens der Wind weht, nämlich aus westlicher Richtung. Schließlich gelangt man hinunter zur Lennequelle, die gerade einmal 20 Höhenmeter unter dem Gipfel liegt und damit den Titel der höchstgelegene Quelle in Nordrhein-Westfalen einheimst.
Die Lenne ist mit ihren 129 Kilometern von der Quelle am Kahlen Asten bis zur Mündung der längste Fluss im Sauerland.
Von der Lennequelle geht es dann auf dem Höhenrücken. Der Weg ist zumeist identisch mit dem »Rothaarsteig«, vorbei an den Lenneplätzen und an Neuastenberg und weiter nach Langewiese und Hoheleye. Man genießt auf der ganzen Wanderstrecke einen atemberaubenden Fernblick über das »Land der tausend Berge«. An vielen Stellen mutet es fast an, als sei man auf dem »chemin des crêtes« in den Vogesen unterwegs.
Neuastenberg, Langewiese, Hoheleye – das sind Orte, die so manchem durch den Wintersport wohlbekannt sind. Aber auch wenn das »Land der tausend Berge« nicht unter einer dicken Schneeschicht liegt, ist es eine Attraktion. Möglicherweise ist ja ein bisschen Übertreibung dabei, aber ich wage es noch einmal zu sagen: bei dem ein oder anderen, der aus den Ballungsräumen im Norden und im Westen hierher kommt, können diese fast unendlich wirkenden Hügelketten das ungläubige Staunen und die Sprachlosigkeit auslösen, die das wirklich tiefempfundene Naturerlebnis kennzeichnen.
Entdeckungen am Wegesrand
Neben der grandiosen Natur gibt es am Wegesrand immer wieder Neues zu entdecken. Wie die »Landschaftskinos«, große Holzrahmen, die eine Leinwand andeuten und einen besonders schönen »Bildausschnitt« der Landschaft zeigen. Nun ja, man kann darüber streiten, aber eine originelle Idee ist das allemal. Genau wie der Barfußpfad, den wir in Langewiese entdecken. Er bietet für viele eine vielleicht längst vergessene Erfahrung, da die Wegoberfläche sich ständig ändert. Der Weg ist liebevoll hergerichtet und kann »gefahrlos« begangen werden.
Wer rund um den Kahlen Asten wandert, bekommt nicht nur einen Augenschmaus geboten. Zusammen mit Eichendorff verspreche ich Wanderern einen weiteren Effekt: eine gesundheitsfördernde, lebensverlängernde Wirkung. Denn der Dichter beschließt seinen »Abschied« mit den Worten:
»Und mitten in dem Leben wird deines Ernsts Gewalt, mich Einsamen erheben, so wird mein Herz nicht alt.«
Info. Wandertouren, die besten Ausflugsziele, Sehenswürdigkeiten und Gastronomie sowie viele weitere Infos und Tipps zu den Wanderwegen rund um den Kahlen Asten gibt es unter: www.ich-geh-wandern.de/kahler-asten-rundwanderweg