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Längst ist der Alentejo kein Geheimtipp mehr. Dennoch ist er gerade im Osten, fernab von Großstädten und Küsten, jeden Besuch wert. Jahrhundertealte Ortschaften und Burgen warten darauf, besucht zu werden. Ach ja, hervorragenden Wein gibt’s natürlich auch. 

Wenn die Luftfeuchtigkeit des Tejo langsam weicht und die Landschaft sich mit sanften Hügeln und unzähligen Korkeichen, die zu allem Übel auch noch ihr Unterkleid verloren zu haben scheinen, abwechselt, und wenn der Wein selbst in der kleinsten Pinte so wunderbar schmeckt, spätestens dann weiß auch der letzte Reisende, dass er im Alentejo gelandet ist. Ich bin auf der N4 unterwegs, immer weiter Richtung Osten. Meine erste Etappe von Lissabon nach Évora. Über Pegões, Vendas Novas, Montemor-o-Novo. Lauter Dörfer und kleinere Städtchen mit einer Handvoll lokalen Winzern, drei Kirchen und mindestens einer Befestigungsanlage. Die Liste kriegerischer Auseinandersetzungen auf portugiesischem Boden ist schließlich lang. Römer, Goten, Mauren, natürlich der spanische Nachbar, zu deren Provinz sie eine zeitlang ab dem späten 16. Jahrhundert gehören sollten.

Glücklicherweise ist das alles schon eine Weile her und Reisende bewundern nun eher die wunderbaren Aussichten auf den Wehrtürmen. Ein kurzer Halt im Straßencafé samt Nata und Espresso und schon geht es weiter über die N114. Die Korkeichen werden weniger, dafür zunehmend flacher und die letzten Kilometer nach Évora begleitet mich ein wiederaufgebautes Aquädukt als Reminiszenz an die vier Jahrhunderte Besatzung der Römer. Immerhin, das Aquädukt war einst, so viel darf man sagen, sicherlich eine der besseren Erfindungen.

Portugiesisches Törtchen Pastells de Nata und ein Espresso

Andreas Dauerer

Évora

Wer in die hübsche Universitätsstadt möchte, muss irgendwann durch die dicke weiße Stadtmauer. So auch ich. Aber nur kurz, denn das Hotel liegt gleich dahinter, eingerahmt vom letzten Rest der römischen Wasserstraße. Echt hingegen sind hier die unzähligen Mauerreste, die von einer – natürlich bewegten – Geschichte erzählen. Erst kamen die Mauren, dann die Juden und schließlich die Inquisition. Der Platz gegenüber der Kathedrale erinnert daran. Heute bin ich es, weit harmloser als anno dazumal, der sich den Kern von Évora erwandern möchte. Ich lasse mich treiben. Schaue den Tauben zu, wie sie am Praça do Geraldo am Brunnen hastig trinken, ehe sie von kleinen Kindern wieder weggescheucht werden.

Kirche am Giraldo-Platz in Evora, Portugal

Andreas Dauerer

Anfang November trinkt aber noch eine ganz andere Spezies viel und gerne: die Studenten. Eine Art Initiationsritus für Erstsemester, die von den älteren Kommilitonen, je nach Studienfach in andere Kutten gehüllt, durch die Stadt getrieben werden. Alles vibriert, einschließlich den Biergläsern, die leergetrunken lautstark auf die Holztische sausen, ehe junge Kehlen zum Singen anheben. Eine etwas verrückte Stimmung, in der ich mich da befinde. Aber, so viel ist klar, wunderbar belebend.

Und sie macht hungrig. Schnell hinein ins Café Alentejo, ein bisschen Käse und Suppe zur Vorspeise, eine kleine Folhado de Carne, quasi ein teigummantelter Rollbraten á la portuguesa und dazu, natürlich, Wein. Wie es mir gehe, fragt die Besitzerin Rita, die das Restaurant seit 1999 führt. Gut, antworte ich pflichtschuldig. Wie es einem eben so geht, wenn draußen die Jugend das Zepter für ein paar Tage übernommen hat, die Ausgelassenheit durchweg auf alle überschwappt und ich mich hier drinnen den kleinen Genüssen hingebe. Natürlich führt sie mich direkt in den so aus- wie einladenden Weinkeller. Nur zu gerne zeigt sie stolz ihren eigenen Rotwein, den sie anlässlich ihres 20. Inhaber-Geburtstages hat machen lassen. Eine Cuvée aus Touriga Franca und Nacional. Fruchtig, schwer. Fast möchte ich meinen, zu schwer, wenn ich kurz an die Tageszeit denke. Aber dann holt mich der studentische Gesang von draußen wieder ein. Ich bestelle noch ein Glas, löffle den Rest meiner Crème Brûlée aus der Schale und stürze mich anschließend ins Getümmel und erkunde die Stadt.

Street Art in einer Stadt im Alentejo

Andreas Dauerer

Auf dem Weg zur Kathedrale laufe ich zunächst zum alten römischen Dianatempel, oder besser, was an Fundament und Säulen noch übrig ist, ehe ich dem Tross Studierender folge, die hinunter zur Universität wollen. Ein Bierchen hier, ein Gläschen Wein da, die ganze Stadt scheint heute beschwipst zu sein. Es ist diese lebensbejahende Mischung, die mich gerade ganz sanft umarmt. Für den Moment der Besichtigung kehrt Ruhe ein. Aber sobald ich das opulente Kirchenschiff durch die zweitürmige Fassade wieder verlasse, kommt sie augenblicklich zurück. Heute bleiben die Gläser des Klerus aber wohl wirklich leer, während die Studenten weiter ihren Riten frönen, bis spät in die Nacht, versteht sich. Ich habe dann ein Rendezvous im M’ar de Ar Aqueduto. Mit einem hervorragenden Rinderfilet und einer Flasche Plansel, einem sortenreinen Wein aus dem Hause Dorina Lindemann.

Pêra-Manca

Évora darf man nicht verlassen, ohne in der Adega Cartuxa gewesen zu sein. Das wäre ein Sakrileg, sagte mir Rita. Sie hat wohl recht. Zu bekannt ist dieser Pêra-Manca, jener Wein, um den sich die Legenden wie kaum einen anderen ranken. Die Kurzversion geht in etwa so: Ordensbrüder des Convento de Espinheiro haben im 15. und 16. Jahrhundert Wein angebaut, angeblich auf steinigem Boden, der wiederum aber besonders gut für die Reben war. Und zwar so gut, dass ihr Wein sogar von Kapitän Pedro Álvares Cabral gekauft wurde. Besagter Cabral stieß dann bei seiner Ankunft im Jahr 1500 gemeinsam mit der indigenen Bevölkerung in Brasilien auf die ersten freundlichen Begegnungen an. Im 19. Jahrhundert war es dann José Soares, der einen Wein namens Pêra-Manca herstellte, es dann aber irgendwann sein ließ.

Adega da Cartuxa von außen

Andreas Dauerer

Erst in den 1980er Jahren bot dann ein Nachfahre den Namen der Fundação Eugénio de Almeida an, die auch die Cartuxa betreut. Einzige Prämisse: Sie dürften immer nur die besten Weine unter diesem Namen verkaufen. Und tatsächlich hält man sich sehr daran. Der letzte Rote ist aus 2015, eine Cuvée aus Aragonez und Trincadeira, der Weiße von 2019 aus den Reben Antão Vaz und Arinto. Beim Rotwein waren das nur 19.000 Flaschen, weshalb die Preise mit ordentlich noch untertrieben beschrieben scheinen. Es geht ab 200 Euro aufwärts los, in Auktionen später oft ein Vielfaches. Allerdings muss man auch bedenken, dass der Wein zwischen 18 und 24 Monate im Eichenfass reift, ehe er noch mal zwei Jahre in der Flasche ruhen darf. Zeit ist hier also auch bares Geld. Kaufen kann man den Wein in ausgesuchten Läden, aber natürlich auch hier direkt auf dem Weingut.

Weinprobe im Adega Cartuxa in Alentejo in Portugal

Andreas Dauerer

Allerdings muss man vorher die Weintour mitgemacht haben und dann auch nur eine Flasche pro Besucher, volljährig, versteht sich. Doch auch wenn ich den besonderen Roten nicht probieren durfte, auch die übrigen 5 Millionen Flaschen, die jährlich produziert werden, können sich sehen lassen. Mein Favorit: Cartuxa Reserva. Ein Verschnitt aus Aragonez und Alicante Bouschet. Ausgewogene Säure und Weichheit, ein bisschen Vanille und jede Menge dunkle Beeren. Anschließend bin ich froh, dass ich doch zu Fuß aus Évora gekommen bin.

Monsaraz

Immer wieder spitzt sie hervor, diese kleine, wunderschöne Mittelalterfestung. Majestätisch thront der Turm des Kastells im Himmel und die portugiesische Flagge darauf erwehrt sich erhaben gegen den Wind. Drumherum eine Handvoll weiß gekalkter Wände mit roten Dächern. 40 Personen sollen es sein, die innerhalb der Stadtmauer leben. Und noch mal 30 davor. Es regnet und ich habe natürlich keinen Schirm dabei. Wer denkt bei Portugal schon an Regen? Sonne, Wind und, ja, der Wein und das Essen. Aber Regen? Dennoch laufe ich los.

Castelo de Monsaraz bei Regen

Andreas Dauerer

Vom Castelo de Monsaraz hat man einen fantastischen Blick über das ganze Land. Angreifer hatten hier sicherlich ihre liebe Müh durchzukommen, und so ist über die Jahre und Jahrhunderte irgendwie auch nicht so viel passiert hier. Zerstörungstechnisch. Ich kann mir gerade schwerlich vorstellen, wie die Heerscharen an Touristen hier ab Frühling sich gegenseitig auf den Füßen stehen. Sehr gut vorstellen könnte ich mir jetzt aber ein Getränk gegen die Kälte. Der Wind rüttelt an mir, als ob er mir sagen wollte: Nimm die nächste Tür und Du wirst belohnt werden. Gesagt, getan. Ich bin im O Gaspacho gelandet, wo, man hätte es vermuten können, die beste Gazpacho des Landes serviert wird. Kalte Suppe bei kaltem Wetter hilft aber nicht, sagt Rui, der Chef des kleinen Restaurants. Also trinke ich einen Schnaps, dessen Namen ich direkt vergessen habe. Wir plaudern. Der Mann mit seiner leicht ergrauten Mähne lacht viel, redet so schnell, dass ich nur die Hälfte verstehe.

Ausblick vom Castelo de Monsaraz im Alentejo

Andreas Dauerer

Komischerweise ist mein kleines Glas aber immer sehr schnell wieder gefüllt. Am Ende ist mein Bauch so warm, dass ich doch noch die Gazpacho esse. Was soll ich sagen? Hervorragend wäre eine schändliche Untertreibung. Anschließend gehe ich noch hinüber zur alten Schule. Sie beherbergt jetzt eine Weinhandlung mit lokalen, und sehr erlesenen, Weinen, aber man bekommt auch Olivenöl oder Honig. Letzterer hilft mir gerade sehr, das Gleichgewicht zwischen Schnaps und kalter Tomatensuppe wieder herzustellen. Wer Zeit mitbringt, bleibt zum Sonnenuntergang. Magisch sei der, meint Rui. Und lacht.

Herdade do Sobroso

Filipe öffnet gerade einen Syrah aus dem Jahr 2020. Rosé. Wir probieren. Frisch, fruchtig, ein bisschen Himbeere, sehr gut ausbalanciert und durchaus mit Körper für einen Roséwein. Hinter mir stehen die Amphoren, mit denen Filipe hier arbeitet und ein wenig experimentiert. Man sieht sie jetzt immer öfter im Alentejo. Eine Rückbesinnung auf althergebrachte Keltereimethoden, aber neu gedacht und interpretiert. Dann probiere ich noch den Arché, ein hundertprozentiger Antão Vaz. Viel Körper, ein bisschen Pflaume und Blaubeere, dazu Schokolade. Es ist fast schon befremdlich, wie gut austariert die Weine hier quer durch das Alentejo sind.

Weingut Herdade do Sobroso

Andreas Dauerer

Schließlich gehen wir nach draußen und fahren durch das riesige Gelände. 1.600 Hektar gehören zur Herdade do Sobroso, nur ein Bruchteil wird für die Weinerzeugung genutzt. Ein bisschen Safari mitten im Alentejo. Roter Sand, Wildtiere flüchten vor dem Motorengeräusch und die Luft schmeckt nach Erde. Oben auf dem Hügel gucken wir der Sonne beim Untergehen zu. Da drüben, Vidigueira mit der Quinta do Quetzal, daneben noch das Restaurant País das Uvas mit seiner ehrlichen Küche und dem Landwein in besagten Amphoren. Direkt vor uns erstreckt sich der Rio Guadiana und hinter dem Hügel erahne ich das ganze Alqueva-Gebiet, das so wunderbar zu durchfahren ist. Ein menschgemachtes Biotop, weil man den Fluss gestaut hat. Erst 2002 wurde der Damm fertiggestellt, seitdem füllt sich das Wasserreservoir. Die Natur freut es, Vögel kann man beobachten und natürlich Wandern. Halt machen in Monteiro oder Moroni – oder eben weiter nach Vidiguera zur Weinprobe.

Trockene Landschaft im Alentejo

Andreas Dauerer

Beinahe fühle ich mich wie in Afrika. Nur der mächtige Strommast stört ein wenig. Felipe lacht. Als er das Land hier vor 15 Jahren gekauft hatte, war er noch nicht da, erzählt er. Aber die Trasse bereits geplant. So sei das eben. Die Sonne ist jetzt untergegangen, der Horizont leuchtet noch kurz blutrot, dann werden Hügel und Weinstöcke erst in weiches, bald fahles Licht getaucht. Höchste Zeit, um auf der Herdade zu Abend zu essen. Ach ja, dass beim exzellenten Menü eine hauseigene Weinbegleitung dabei ist, brauche ich an dieser Stelle nicht zu erwähnen.

Infos zum Weinwanderin in Alentejo

Allgemeine Infos bekommt man auf der Seite der Region Alentejo.

Schlafen. In Évora im wunderbaren Fünf-Sterne-Hotel M’ar De Ar Aqueduto, einen Steinwurf vom Zentrum entfernt. Preise für das Doppelzimmer mit Frühstück ab ca. 155 Euro. Wer auf das Aquädukt gucken möchte, der sollte ein Zimmer mit Gartenblick nehmen. Das Spa ist wundervoll und das Essen im hoteleigenen Restaurant Degust’AR hervorragend.

In der Nähe von Monsaraz bietet sich das Biohotel Montimerso Skyscape Country House mit Blick auf die Alqueva Stauung an. Ideal für Ornitologen und wegen der geringen Lichtverschmutzung auch für Astrologen. Die Suiten sind modern und geräumig, mit großen Fenstern und Blick aufs Wasser und das 55 Hektar große Hotelgelände nebst eigenem Gemüsegarten. Die Sonnenuntergänge ein Muss. Premium Suiten ab ca. 320 Euro, inkl. Frühstück.

Montimerso Skyscape Country House

Andreas Dauerer

Etwas außerhalb von Vidiguera liegt die Herdade do Sobroso. Ein Kleinod mit charmanten Suiten und Apartments. Preis in der Juniorsuite mit Frühstück und Poolblick ab ca. 250 Euro.

Probieren. Entlang der Route weisen viele Schilder auf die unzähligen Weingüter im Alentejo hin. Einfach rausfahren und überraschen lassen. Ein Klassiker in Évora ist die Cartuxa, inklusive der Möglichkeit, einen Pêra-Manca zu erwerben. Rund um Vidiguera liegt die Quinta do Quetzal sehr schön mitten in den Weinbergen. Neben einer Degustation kann man hier auch sehr fein essen.

Weinprobe im Quinta do Quetzal

Andreas Dauerer