Wer Cowboys beim Bullenreiten beobachten will, wer Steaks verzehren mag, die über den Tellerrand lappen und wer über die Schönheit der verlassenen Landschaften staunen mag, der ist in Texas goldrichtig. Text: Norbert Eisele-Hein.

Ankunft Dallas. Ankunft Hunger.

Die martialischen Totenköpfe sausen mit dem Fleischerbeil nach unten: Diese Szene wie aus einem Horrorstreifen bildet in Lockharts Smokehouse stets die Ouvertüre zu einem leckeren typisch texanischen Dinnerschmaus. Schon häuft der Chefmetzger mit dem farbenfroh tätowierten Unterarm eine ordentliche Portion »Brisket« auf die Lage Butterbrotpapier. Zu diesem im Rauch butterweich geschmorten Beef reicht er Pickles, Gemüse und zahlreiche Soßen. Der riesige Glaskrug mit frisch gezapftem Bier kühlt bereits in einem randvoll mit Eis gefüllten Blechkübel mitten auf dem Tisch. »No forks needed«, Gabeln unnötig, lautet der Slogan des Kultrestaurants. Üppig, rustikal und geschmacklich phänomenal – eben zum Fingerlecken.

Lockharts Smokehouse

Norbert Eisele-Hein

Dallas’ Bishop-Arts-District mit seinen alten, behutsam sanierten Warenhäusern zählt mittlerweile zu den absolut angesagten Ecken der Metropole. Galerien und Boutiquen, coole Bars und Fine-Dining – die Adresse für den ersten Abend in Texas. Aber Texas ist groß, verdammt groß. Mit knapp 700.000 Quadratkilometern passt Deutschland fast zweimal in den zweitgrößten US-Bundesstaat, einzig das weit entfernte Alaska ist noch größer. Darum beschränken wir uns bei dieser Runde auf den Nordwesten des »Lone-Star-States«.

Im historischen Westend steuern wir direkt zu Wild Bill’s Western Store. Denn eine Texasrunde ohne Cowboyhut ist kaum denkbar. Wild Bill alias Bill Dewbre hat sogar schon TV-Ekel J.R. Ewing aus dem Straßenfeger der 1980er-Jahre, »Dallas«, den perfekten Hut und Stiefel verpasst.

Bill doziert professionell über die notwendige Lederpflege seiner Cowboy-Boots und macht klar, dass »nur ein echter Cowboyhut aus Filz gleichermaßen gut vor Sonne und Regen auf langen Trecks schützt«.

Unsere erste Station: der Big-Bend-Nationalpark

Nun sind wir also stilecht gerüstet: Es kann losgehen. Abilene, San Angelo, Marathon – auf dem Interstate Highway 20 cruisen wir gemächlich auf den Big-Bend-Nationalpark zu. Dort, wo der Rio Grande einen schönen Hofknicks, eine weite Schleife, eben seinen »Big Bend« vollführt, erstreckt sich der Nationalpark im Westen von Texas. Der große Grenzfluss zu Mexiko markiert auf über 180 Kilometern Länge die Park- und Landesgrenze. Er fräst sich durch einsame Wüsten und weite Berghänge, schürft seit Anbeginn der Zeiten gigantische Canyons. Schon seit 1976 zählt der Park zu den Unesco-Biosphärenreservaten. Ein Paradies für Wanderer, Mountainbiker und Interimscowboys. Ein völlig anderer Planet.

Norbert Eisele-Hein

Linda von den Lajitas Stables reitet mit uns durch diese Bilderbuchlandschaft, zwischen quietschgelben Wüstenblumen und knallroten Felsen. Schon dudelt in unseren Köpfen eine Endlosschleife aus Ennio-Morricone-Melodien. Für die ersten Weihen als Hobbycowboy gibt es wohl keine bessere Kulisse als die des Big-Bend-Nationalparks. Eine unendliche Weite vollkommen unberührter Wildnis. Hier ließe sich hinter jeder Biegung ein Western drehen. Und Wild Bill hat recht – sein breitkrempiger Hut leistet angesichts einer gnadenlos brutzelnden Sonne hervorragende Dienste.

Das nahe Terlingua gilt als das Tor zum Big Bend. Als dort Ende des 19. Jahrhunderts Zinnober entdeckt wurde, erwachte die gottverlassene Gegend aus ihrem Dornröschenschlaf. Quasi über Nacht avancierte die Chisos Mining Company zur zweitgrößten Zinnobermine der Welt. Was die Indiander bis dato für ihre Kriegsbemalung und Felsmalereien verwendeten, diente auch im fernen Europa dem Krieg. Das aus dem Zinnober gewonnene Quecksilber benötigte man dringend für die Herstellung von Sprengzündern.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Bomben elektrisch gezündet, und die Boomtown Terlingua verkam genauso schnell wieder zur Geisterstadt. Von hier aus sind es nur ein paar Meilen zum Park und zu den schönsten Wanderungen in den Chisos Mountains. Ein Muss, selbst für Kurzurlauber gut zu meistern, ist der perfekt markierte Window View Trail im Chisos Basin.

Norbert Eisele-Hein

Anmutung wie eine Geisterstadt

Rein äußerlich hat Terlingua immer noch das Antlitz einer Geisterstadt, aber der Schein trügt. Lebenskünstler, Philosophen, Literaten, Naturburschen und Pferdenarren haben Teile der einstigen Boomtown restauriert. Der Ort versprüht einen ungeheuren Charme. Allabendlich trifft sich das bunte Völkchen am Boardwalk vor dem Starlight Theatre. Dort wackelten schon ab den wilden 190er-Jahren die Wände, und auch heute gastieren dort fast täglich Bands. Wackere Wanderer bekommen hier saftige Steaks und werden mit offenen Armen in die Gemeinde aufgenommen.

Let’s go north. Bei Odessa und Midland ziehen Pferdekopfpumpen Tag und Nacht immer noch schwarzes Gold aus dem Boden. Aber anscheinend sprudelt das Erdöl nicht mehr so üppig. Viele kleinere Städte wirken verlassen und morbide. Straßenkreuzer aus den Sixties, die am Ortsrand verrotten, taugen im melancholisch zäh fließenden Sonnenuntergang prima zum Fotomotiv und sind zudem Zeugen von wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Lubbock, unser nächster Stopp, steht komplett im Zeichen der markanten schwarzen Hornbrille Buddy Hollys. Der viel zu früh bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommene Rock’n’ Roller ist zweifelsohne der berühmteste Sohn der Stadt. Ihm zu Ehren wurde nicht nur ein Museum errichtet. Seine zahlreichen Nummer-eins-Hits wie »Peggy Sue« wurden auch auf den Bodenziegeln seines Walk of Fame verewigt.

Wo sich Texas-Klischees verdichten

Amarillo liegt direkt an der historischen Route 66, der Mutter aller Straßen. Hier verdichten sich die USA- und Texas-Klischees in sehr angenehmer Weise – weswegen man unbedingt genug Zeit einplanen sollte. Auf der nahen Cadillac Ranch ließ der kunstbegeisterte Industrielle Stanley Marsh III. im Jahr 1974 zehn Cadillacs kopfüber im Sand einbuddeln. Dieses Line-up steht ikonografisch für den Aufbruch nach Westen auf der Route 66 und den weltweiten Siegeszug des Automobils. Es gilt obendrein als Hommage an die alten Straßenkreuzer mit ihren weit ausladenden Haifischflossen.

Stanley Marsh 3, Cadillac Ranch, Amarillo, Texas, USA

Norbert Eisele-Hein

Täglich stoppen dort Hunderte Reisende mit Spraydosen und signieren, lackieren, gestalten die Wracks aufs Neue. Ein Musterbeispiel öffentlicher Kunst im steten kreativen Wandel. Die zum Teil wieder abgeplatzten Reste der zig Lackschichten nutzt der Künstler Lile Crocodile für seine Malereien, Collagen und Installationen. Lile unterhält eine kleine Galerie im historischen San-Jacinto-Distrikt, direkt an der alten Route 66. Lile lebt sein Faible für Krokodile anhand von Gürteln und Stiefeln und seine Liebe für die Route 66.

Wer zum Dinner riesige Portionen braucht, wird im »The Big Texan« garantiert glücklich und vor allem satt. Dort wird das amerikanische Lebensmotto »think big« zelebriert. In dem riesigen Saloon tragen die Bedienungen bayerische Dirndl, und Country-Bands sorgen für eine Stimmung wie auf dem Münchner Oktoberfest. Wer es schafft, ein 72-Unzen-Steak (gut zwei Kilogramm Rindfleisch) nebst Beilagen zu verputzen, bekommt die Zeche vom Wirtspendiert.

Im Palo Duro State Park gibt es den zweitgrößten Canyon der USA zu bestaunen

Der nahe Palo Duro State Park umschließt den zweitgrößten Canyon der USA – nur der Grand Canyon ist noch gewaltiger. Eine der Paradetouren, der Lighthouse Trail, führt auf gut zehn Kilometern durch eine geologisch atemberaubende Farben- und Formenpracht. Der Leuchtturm selbst ragt nach einem kurzen Steilaufschwung wie ein versteinerter Mississippi-Dampfer zwischen den anderen Plateaubergen hervor.

Wir schwenken südöstlich auf den US-Highway 287, fahren über die Wichita Falls nach Fort Worth. Im Stockyards Historic District genehmigen wir uns zum Finale ein XXL-Cowboy-Programm der Sonderklasse. Zwischen 1860 und 1880 trieben Cowboys Millionen von Rindern auf dem Chisholm Trail in das 1849 gegründete Camp Worth. Das Camp platzte bereits aus allen Nähten, als mit dem Anschluss an die Eisenbahn 1876 Fort Worth entstand und rapide wuchs.

Norbert Eisele-Hein

Die »Cowboys waren oft monatelang unterwegs und verprassten gleich nach Ankunft einen großen Teil ihres Lohns. Viele der Gebäude unterhielten im Parterre einen Saloon und darüber im zweiten Stock befand sich ein, wie man es aus den Western kennt, Bordell«, erklärt Jessica Dowdy vom Besucherbüro mit einem Grinsen.

Ganz schön zwielichtig ging es seinerzeit zu

Gegen Ende des 20. Jahrhunderts diente das sündige Treiben auch den berühmt-berüchtigten Zugräubern Robert Leroy Parker und Harry Longabaugh, besser bekannt als Butch Cassidy und Sundance Kid, als Unterschlupf. Und es ging noch lange zwielichtig weiter. Zur Zeit der Depression versteckten sich Bonnie Parker und Clyde Barrow, die als Bonnie & Clyde für Furore in der Kriminalgeschichte sorgten, im Stadtviertel »Hell’s Half Acre«. Noch heute liegt Bonnie Parkers Revolver in der Vitrine des inzwischen natürlich auf Hochglanz renovierten Stockyard’s Hotels inmitten dieses »Quadratkilometers der Hölle«. Yee-Haw, her mit Wild Bills – inzwischen gut eingetragener Filzkrempe – und auf ins Getümmel.

Wir starten in der Exchange Avenue. Zweimal täglich treiben dort echte Cowboys bullige Longhorns mit einer Hörnerspannweite von bis zu 2,50 Metern über das historisch abgespeckte Straßenpflaster. Gleich daneben im Saloon liefern sich Stuntmänner mehrmals täglich eine veritable Saalschlacht mit anschließender Schießerei im Freien. Abends im Cowtown Coliseum entscheiden bange acht Sekunden zwischen Ruhm oder Reha.

Norbert Eisele-Hein

Im weltgrößten Indoor-Rodeo riskieren Cowboys auf Wilden Broncos und tonnenschweren Bullen ihre Knochen und ihr Leben. In »Billy Bob’s Texas – the world’s largest Honky-Tonk« – geht es später munter weiter. Der Country-Tempel fasst 6000 Leute. Mehrere Bands und ein erneutes Rodeo lassen das Bier in Strömen fließen. Wer es beschaulicher mag, geht in den »White Elephant« gleich gegenüber. Der Saloon gleicht einem Cowboymuseum. Decken und Wände sind komplett mit Hüten von Westernhelden und Rodeostars zugenagelt. Nichts da – wir behalten Wild Bills gutes Stück, denn wir kommen wieder.

Anreise. Beispielsweise nonstop von Frankfurt nach Dallas mit American Airlines, United Airlines oder Lufthansa.
Beste Reisezeit. Frühjahr und Herbst, im März und April erblüht die Wüste, in den Sommermonaten kann es in Texas unerträglich heiß werden.
Kartenmaterial. Vor Ort gut und gratis bei den Visitor Centern.
Reiseführer. Sehr guter Guide über Texas aus der Reihe Lonely Planet: »Texas« von Lisa Dunford, Mariella Krause, Ryan ver Berkmoes, € 19,95. Den reisen-EXCLUSIV-Guide finden Sie hier.