Wenn ZDF-Moderator Markus Lanz reizüberflutet ist, zieht es ihn immer wieder in die karge Landschaft Grönlands. Dies ist der einzige Ort dieser Welt, an dem er noch wirklich abschalten kann.

Markus Lanz, Grönland ist zwar von Deutschland aus gesehen geografisch näher als Australien, aber das Land scheint doch unerreichbarer als Down Under. In wie viele Flugzeuge, Hubschrauber oder Schlitten sind Sie gestiegen, um Ihr Ziel zu erreichen?

Es kommt darauf an, von welchem Ziel wir reden. Grönland ist die größte Insel der Erde. Manche Regionen sind so isoliert, dass man als Reisender nicht nur eine Welt erlebt, sondern gleich mehrere. Den Westen, wo die meisten Grönländer leben, erreichen Sie in wenigen Flugstunden von Dänemark aus. Wenn ich in den äußersten Norden zu den Polarinuit reise, brauche ich dagegen drei Tage. Wenn ich in ein kleines Dorf an der Ostküste reise, nehme ich den Umweg über Island, fliege dann mit kleinen Flugzeugen und Hubschraubern, bis ich im Hauptort bin. Die letzten 60 Kilometer lege ich im Winter dann per Hundeschlitten zurück. Das ist wie eine Reise in die Vergangenheit und wunderschön.

Mal in Grönland richtig ins Schwitzen gekommen?

Ja, oft. Interessanterweise schwitzen wir Menschen auch bei minus 40 Grad. Wenn ich bei solchen Temperaturen fotografiere, muss ich zwar auf den Zeigefinger aufpassen, weil es da ganz schnell Erfrierungen gibt, aber wenn die Szenerie gerade richtig spannend ist, komme ich schnell ins Schwitzen. Ich habe einmal erlebt, wie ein Jäger vor meinen Augen mit dem gesamten Schlitten im Eis eingebrochen ist. Da hab ich vor Angst geschwitzt. Glücklicherweise ging die Sache gut aus.

Können Sie Narwalhaut als Leckerbissen empfehlen?

Ja, unbedingt. Aber roh muss sie sein. Narwalhaut, in Grönland »mattaq« genannt, ist nicht nur eine Spezialität, sondern auch reicher an Vitamin C als Orangen. Deshalb essen sie die Jäger der Polarinuit bis heute, um nicht an Skorbut zu erkranken. Das ist der gefürchtete Vitaminmangel, der ganze Expeditionen und auch viele Wikinger auf Grönland umgebracht hat.

 

Sie haben die weiße Weite in poetischen Bildern festgehalten. Welche Techniken gibt es in Grönland zu fotografieren, ohne dass die Batterie oder Feinmechanik ständig den Geist aufgeben?

Die Temperaturunterschiede zwischen drinnen und draußen sind enorm. Deshalb benutze ich besonders gut isolierte Fotorucksäcke und öffne sie nicht direkt, wenn ich in einen warmen Raum komme. Dann ziehen die Geräte nicht so viel Feuchtigkeit. Batterien brauchen Wärme, deshalb trage ich sie immer möglichst nah am Körper. Wenn es gar nicht mehr anders geht, wärme ich die Akkus manchmal mit der bloßen Hand. Das ist sehr schmerzhaft, aber auf diese Weise habe ich im Winter viele Bilder in Nordgrönland gemacht.

 

Bestimmte Motive kehren immer wieder: rauchende Inuit, Jagdszenen und bunte Handys. Wenn Tradition auf Zivilisation trifft, ergibt dies einen starken Kontrast. Wo ist Grönland am ursprünglichsten, wo am modernsten?

Wenn Sie in die Hauptstadt Nuuk gehen, können Sie ein sehr modernes Grönland erleben. In Nuuk gibt es vom iPod bis zum thailändischen Restaurant alles. Gleichzeitig kann es passieren, dass im Vorgarten rohes Robbenfleisch liegt. Am ursprünglichsten ist es in den kleinen Dörfern des Nordens, zum Beispiel in Siorapaluk, dem nördlichsten Dorf der Welt, aber auch in den kleinen Siedlungen im Osten. Allerdings erleben Sie da auch den Jäger, der in archaischer Fellkleidung tagelang einem Eisbären hinterher jagt und unterwegs mit seinem Handy nach Hause telefoniert – wenn er denn Empfang hat. Moderne und Tradition liegen eng zusammen. Das ist sehr reizvoll, zeigt aber auch die tiefe innere Zerrissenheit der Inuit.

 

Manche Momentaufnahmen veranschaulichen, wie klein der Mensch vor der gewaltigen Weite ist. Welche Grenzerfahrungen haben Sie gemacht?

Auf unserer ersten Reise nach Ostgrönland sind mein Freund Rudi, ein Dokumentarfilmer aus Südtirol, und ich von tiefem Schnee überrascht worden. Wir wollten mit dem Hundeschlitten in ein kleines Dorf und kamen einfach nicht mehr vorwärts. Wir sind bis morgens um drei über einen gefährlichen Gletscher voller Spalten gezogen. Rudi wurde durch die Kälte irgendwann so apathisch, dass er auf meine Fragen gar nicht mehr reagierte. Ich habe mir damals Erfrierungen in der Luftröhre eingefangen. Das war extrem, vor allem extrem dumm, weil wir uns einfach nicht richtig auf die Tour vorbereitet hatten. Damals wurde mir klar, wie schmal in dieser gewaltigen Natur der Grat zwischen großer Schönheit und erbarmungsloser Härte, letztlich auch zwischen Leben und Tod, sein kann.

 

Sie reisen seit Jahren immer wieder mal in die Arktis, nach Alaska, Spitzbergen, Franz-Josef-Land und Grönland? Wie lautet Ihr Favorit und warum?

Die Arktis ist ein Gefühl, an jedem Ort ein anderes. Aber wenn man immer wieder jenseits des Polarkreises unterwegs ist, dann versteht man irgendwann, dass es einen Sehnsuchtsort für fast jeden Inuk gibt, und der heißt Grönland. Dort ist die eskimoische Kultur noch am lebendigsten.

 

Grönland für Anfänger – welche Region würden Sie empfehlen?

Den Westen rund um Ilulissat. Dort gibt es mittlerweile ganz gute Hotels, in den kleinen Dörfern rundherum aber kann man Grönland noch sehr ursprünglich erleben.

 

Haben Sie eigentlich von den Einheimischen auch einen Inuit-Namen bekommen, Herr Lanz?

Ja, mehrere. Sie nennen mich entweder »Makutta« oder »Makochi« – das sind Koseformen von »Markus«.

 

Inwieweit berührt das Thema globale Erwärmung die Bewohner Grönlands?

Ich habe dieses Buch nicht gemacht, um mit einem erhobenen Zeigefinger auf die Erderwärmung hinzuweisen. Aber natürlich ist es ein großes Thema, und zwar deshalb, weil es im sensiblen Ökosystem der Arktis besonders deutlich zu spüren und längst auch zu sehen ist. Und wenn wir hier in der Zeitung lesen, dass sich die Grönländer freuen, dass sie im Süden wieder Kartoffeln und Gemüse anbauen können, dann ist das höchstens die halbe Wahrheit. Wenn Sie die Jäger weit oben im Norden fragen, dann spüren Sie, welche Angst es ihnen macht, dass das Eis immer dünner und brüchiger wird. Ihre alte Welt geht buchstäblich unter.

Das Buch »Grönland Meine Reisen ans Ende der Welt« von Markus Lanz gibt es hier.