Es ist bunt. Es ist kraftvoll. Doch primär ist das Festival der Clans in Papua-Neuguinea beeindruckend. Eine Reise in die kulturelle Welt des pazifischen Inselstaates unternahm Fotojournalist Norbert Eisele-Hein.

Die Show beginnt: Der Krieger mit der Holzmaske pirscht sich lautlos an. Plötzlich schnellt der armdicke, messerscharf angespitzte Bambusspeer nach vorne. Den Touristen am Rande der Tribüne stockt das Blut in den Adern. Mit diesem Angriff hätte der Krieger aus der Mount Grupuka-Region seinem Gegner bereits ein handtellergroßes Loch in den Körper gestanzt. Seine Clansleute folgen. Auch sie sind mit Lehm und Farbpigmenten bemalt. Sie tragen üppigen Körperschmuck, ins Auge sticht der Bastring, den sie um die Hüfte tragen. Auf die brutale Scheinattacke folgt ein eindeutig zu identifizierender Hüftstoß, und die ganze Gruppe gibt einen kräftigen Ruf von sich: Muka Muka! Ben, der Häuptling der Gruppe aus dem nahen Asaro-Tal, präzisiert den Inhalt:

»Unser Tanz beginnt mit einem Raid, einem Kriegszug gegen verfeindete Gruppen. Und wer diesen überlebt, ist sich der hingebungsvollen Liebe seiner Frau gewiss.«

Die Gruppe aus der Mount Gurupoka-Region ist eine von mehr als 100, die alljährlich an der »Goroka-Show«, dem größten Sing-Sing Papua-Neuguineas (fortan PNG), teilnehmen. Australische Kolonialbeamte riefen die vielen verschiedenen Clans in den 1950er-Jahren zum ersten Sing-Sing zusammen. Hintergrund war wohl, die isoliert lebenden und untereinander meist feindselig gesinnten Gruppierungen zusammenzubringen. Noch heute zeigt das Fest die kulturelle Vielfalt der Clans.

Papua-Neuguine ist eines der letzten Abenteuer dieser Welt, wie die Kurzfilmreihe über das Inselreich zeigt.

Foto: Norbert Eisele-Hein

Neuguinea ist nach Grönland die zweitgrößte Insel der Welt. Der Offizier Louis-Antoine de Bougainville erreichte 1768 die Küsten. Die Briten auf den westlich vorgelagerten Inseln hatten bereits um 1790 mit Hölzern und Seegurken gehandelt, und die Deutschen gar schon 1884 die Reichsfahne in Finschhafen gehisst und Neuguinea kolonisiert. Der höchste Berg, der 4.509 Meter hohe Mount Wilhelm, trägt noch heute den Namen des deutschen Kaisers. Das Hochland jedoch galt bis in die 1930er-Jahre als Terra Incognita. Wild zerklüftete Gebirge, unzugänglicher Urwald und das Fehlen jeglicher Infrastruktur bewahrten die Menschen im Hochland noch lange vor den Einflüssen der Siedler. Selbst die ersten Missionare kamen spät. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg drangen Protestanten in die Lebensräume des Hochlands ein. Ihnen folgten die Ethnologen. Es zeigte sich ein Raum voller kultureller Vielfalt, mit über 800 Idiomen, Sprachen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und Forschungsgebieten, die noch heute aktuell sind. 

Augen und Mund werden knallgelb umrandet und letzte freie Flächen mit Purpur-Puder aus der Dose betupft

Bei der zwei Tage dauernden Show in Goroka sprechen alle Tok Pisin – eine Art verlautschriftlichtes Pidgin-English. Immer um den Unabhängigkeitstag am 16.09. platzt die 25.000-Seelen-Kleinstadt, die Schaltzentrale des Hochlands, aus allen Nähten. Tausende Darsteller und Besucher zwängen sich auf Ladeflächen klappriger Pick-ups und rostiger Laster und werden auf den Straßen rings um Goroka ordentlich durchgeschüttelt. Gemeinschaften vom Tiefland, von den Küsten oder gar den vielen Inseln der Salomonensee und des Bismarck-Archipels müssen mit dem Flugzeug über die Hauptstadt Port Moresby anreisen, denn es gibt keine Straßenverbindung zur Hauptstadt.

Hinter einer Scheune bereiten sich die Marowa-Welda akribisch auf ihren Auftritt vor. Eine Gruppe älterer Damen trägt knöchellange Unterröcke aus gefaltetem Bast. Ein langes Band aus Hunderten weißer und pinkfarbener Muscheln wird um die Hüfte geschlungen und hält somit einen Minirock aus frischen Palmenblättern. Auch die Fußknöchel, Handgelenke und Oberarme werden mit Muschelketten umschlungen. Das Gesicht wird in weiten Partien mit Tipp-Ex grundiert. Pflanzenstängel ersetzen Pinsel – mit ihnen wird das Deckweiß hellblau punktiert. Augen und Mund werden knallgelb umrandet und letzte freie Flächen mit Purpur-Puder aus der Dose betupft.

Sing-Sing-Festival

Norbert-Eisele-Hein

Die Damen schminken sich gegenseitig oder verwenden Plastikspiegel aus chinesischen Minimärkten, die den Handel im Hochland scheinbar komplett unter Kontrolle haben. Manche behelfen sich auch mit Spiegelscherben oder abgebrochenen Autospiegeln. Eine Strickmütze dient als Basis für den aufwendigen Kopfschmuck. Bunt gefasste Stoffbänder pressen giftgrüne und rosafarbene Federn vom Paradiesvogel an die Stirn. Ein nestähnlicher, aus Stroh geformter Balkenaufbau wird direkt dahinter mit zwei Holzspießen in der Mütze verankert. Er muss fortan ein voluminöses Kunstwerk aus Urwaldgräsern, Pfauenfedern und ganzen Schwingen von Greifvögeln tragen. Pflanzenöl verleiht dem Pflanzenrock und der restlichen Haut zusätzlich Glanz. Feierlich tanzt die Gruppe in das umzäunte Rugby-Stadion. Es ist ein unglaublicher Reigen – opulent, markant, intensiv. Über 2.000 Darsteller, Krieger, Sänger und Musikanten sorgen für eine unglaubliche Klangerfahrung. 

Papua-Neuguine ist eines der letzten Abenteuer dieser Welt, wie die Kurzfilmreihe über das Inselreich zeigt.

Foto: Norbert Eisele-Hein

Die Frauen von Marowa-Welda versammeln sich zum Trommeln. Ihre Körper bewegen sich kraftvoll zum Rhythmus. Sie kauen beständig Betelnuss, die ihre Lippen rot einfärbt. Mit ihren neongelben Trillerpfeifen ziehen sie das Publikum in ihren Bann. Die Atmosphäre ist lebendig und macht die Show zu einer unvergleichbaren Erfahrung.

Bald drei Meter hohe Aufbauten aus Leichtholz und Papier auf dem Rücken einiger Krieger zeigen den Lauf der Gestirne

Dabei spiegeln die Darbietungen den Alltag vergangener Zeiten wider, tradieren Mythen, kosmologische Vorstellungen oder schildern herausragende Ereignisse der eigenen Identität. Die Abgesandten aus dem Schmetterlingstal schweben mit Flügeln aus geflochtenen Lianen. Die »Wild Snake«-Gruppe aus South Simbu kriecht förmlich auf dem Boden. Die Mitglieder halten dabei eine riesige, aus Stroh und Stoff geformte Schlange über ihren Köpfen und erinnern an ihren Schöpfungsmythos. Die Ruldi-Gekoma-Kindergruppe mit Holzkohle-geschwärzten Körpern hat sich die Köpfe kahlgeschoren und die Haarschnipsel als Vollbart ins Gesicht geklebt. Sie ziehen schwere Holzbohlen hinterher und schlagen immer wieder mit Steinäxten darauf ein. Damit erinnern sie an die Leistungen früherer Generationen, die mit großem Aufwand Wege und Verbindungen durch das unwegsame Gelände geschaffen haben. Bald drei Meter hohe Aufbauten aus Leichtholz und Papier auf dem Rücken einiger Krieger zeigen den Lauf der Gestirne.

Na, wer hat den Längsten?

Foto: Norbert Eisele-Hein

Mitten im Getümmel an die 250 Besucher aus aller Welt, die sich staunend zwischen den Gruppen bewegen. Nicht wissend, was sie zuerst fotografieren oder filmen wollen. Die »Sandaun Warriors« mit ihrem aufwändig gearbeiteten Körperschmuck ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. »Wir sind fast alle Studenten«, erklärt ihr Sprecher John.

»Nein, in der Uni und in der Freizeit laufen wir natürlich nicht mehr so rum, das machen nur noch die Alten«, erklärt er lachend, während er noch eine Nachricht in sein Smartphone eintippt.

Auch die Orumba aus dem Unggai-Distrikt präsentieren ihre traditionsreichen Körperschmuck und zeigen eine höchst eindrucksvolle Drohgebärde auf der Showbühne. Die Spitzen ihrer Speere und Pfeile sind detailreiche Kunstwerke, mit vielen Reihen kompliziert eingearbeiteter Widerhaken aus Pflanzendornen. So ein Pfeil kann, steckt er einmal im Körper, nur noch komplett durchgeschoben werden. »Bei einem richtigen Kriegszug wäre er ohnehin zusätzlich vergiftet«, erklärt ein 60-jähriger, muskulöser Sprecher mit vernarbtem Oberkörper und einem knöchernen Nasenring.

Der koloniale Blick auf die Bevölkerung PNGs brachte im 15. Jahrhundert den Menschenfresser-Mythos hervor, der sich bis heute hartnäckig hält. Seit den ersten Entdeckungsfahrten im 15. Jahrhundert wurde dieses Hörensagen mit Absicht weltweit kolportiert. Denn Entdecker, meist im Auftrag ihrer Majestäten unterwegs, erlangten natürlich einen wesentlich höheren Heldenstatus, wenn sie von Fabelwesen, Ungeheuern und Menschenfressern berichten konnten. Jedoch diente der Mythos auch dazu, rassistische Bilder zu schaffen und koloniale Expansion zu rechtfertigen.

Papua-Neuguine ist eines der letzten Abenteuer dieser Welt, wie die Kurzfilmreihe über das Inselreich zeigt.

Foto: Norbert Eisele-Hein

Schwarze Magie, Hexenglauben und Selbstjustiz

Noch heute lebt man im Hochland von der fruchtbaren Erde, die jährlich mehrere Ernten abwirft und eine erkleckliche Viehhaltung ermöglicht. Für den Brautpreis oder Tauschgeschäfte, aber auch als Kompensation für Ehebruch oder Diebstahl dienen Schweine als wichtigste Währung. »Als letztes Jahr ein Junge von einem Truck eines Bergbaukonzerns totgefahren wurde, lautete die Strafe: 40 Schweine, 15 Kasuari und Bargeld für die Familie«, erklärt Ben.

Die Wirtschaft boomt. Im Hochland gedeiht erstklassiger Kaffee für den Export. PNG ist reich an Tropenhölzern, Erdgas, Gold, seltenen Erden … Indonesien ahnte diesen Ressourcenreichtum wohl, als es den gigantischen Westteil Guineas, das heutige Irian Jaya, 1969 durch den höchst umstrittenen »Act of free choice« unter seine Kontrolle brachte. Wer offenen Auges über das Hochland fliegt, sieht, wie riesige Palmölplantagen im Begriff sind Primärwälder zu verdrängen. Internationale Konzerne mit Monokulturen und gewaltigen Schürfrechten, Coca-Cola und das iPhone – der Einfluss der westlichen Expansion ist weiterhin spürbar. Doch sind traditionelle Lebensweisen und lokale Glaubenssätze weiterhin wichtig für die gut sieben Millionen Einwohner PNGs. Magie, Hexenglauben und Selbstjustiz, »Raids« und »Payback-Fights« sind noch immer ein wichtiger Bestandteil der kulturellen Vielfalt. Gestern noch Krieger, heute als Angestellter hinter der Supermarktkasse? Die globalen Einflüsse haben tiefe Spuren hinterlassen, die bis heute das Leben der Menschen beeinflussen.

Korafe-Fischer haben einen Schwarzspitzen-Riffhai gespeert, Yavi Village, Tufi, Papua-Neuguinea, Ozeanien

Foto: Norbert Eisele-Hein

Vielleicht vermag es ein sanft entwickelter Tourismus, hier eine nachhaltige Form des Austausches zu schaffen. Tauch- und Luxusresorts an den Küsten senden erste, vielversprechende Signale. Trekkingtouren im Hochland zum Mount Wilhelm, garantiert ohne alpinen Rummel, gibt es bereits. Die Guropoka vermieten sogar eigene Hütten. Dort schlafen Touristen in Bettwäsche mit Herzchendesign und essen Schweinebraten aus dem traditionellen Erdofen. Und die Sing-Sings werden hoffentlich noch lange eine wichtige Rolle spielen. Auf dass die reiche Kultur PNGs nicht schon morgen der Jeanshose und dem Abercrombie & Fitch-Einheitslook weichen muss.

Anreise. Mit Lufthansa oder Singapore Airlines nach Singapur und mit Air Niugini weiter zur Hauptstadt Port Moresby. Air Niugini bietet zahlreiche Inlandsflüge zu allen touristischen Zielen. www.airniugini.com.pg

Info. www.papuanewguinea.travel

Guesthouse, Yavi Village, Tufi, Papua-Neuguinea, Ozeanien

Foto: Norbert Eisele-Hein