Das alte Persepolis, der Imam-Platz in Isfahan oder die 14-Millionen-Metropole Teheran – für Kulturliebhaber ist das Herzstück des alten Persiens ein Ort zum permanenten Entzückt-Sein. Wäre da nicht die Politik. Für unseren Reporter Norbert Eisele-Hein war das aber kein Grund, die Segel zu streichen. Er reiste für uns durch den Iran – und erlebte ein Land, das ihn bezauberte. Text: Norbert Eisele-Hein
Bitte Zurückhaltung beim Fotografieren verschleierter Frauen! Wie oft habe ich diesen Satz in Reiseführern über islamische Länder gelesen. Doch ausgerechnet im Iran steht diese Warnung plötzlich Kopf. Während sich unsere achtköpfige Reisegruppe anfangs – wenn überhaupt – nur sehr zögerlich und nach höflicher Frage traute, Menschen zu fotografieren, werden wir auf dem Iman-Platz in Isfahan selbst zum Motiv.
»Dürfen wir ein Foto mit Ihnen machen?«, fragen uns Iranerinnen.
Schülerinnen wollen unbedingt ein Selfie mit uns.
Manche tragen sogar Baseball-Caps mit Rapper-Sprüchen oder US-amerikanischen Logos über dem Tschador, dem obligatorischen Kopftuch. Nicht wenige der jungen Damen sind stark geschminkt und fast schon ein wenig kokett in ihrer Annäherung. Viele schreiben uns sogar ihren Facebook-Namen auf, obwohl dieses Medium offiziell verboten ist …
Aber alles der Reihe nach. »Teheran ist die größte Gebirgshauptstadt der Welt«, behauptet unser Guide Davood Moeini. »Hier wohnen rund 14 Millionen Menschen, auf einer Höhe zwischen 1200 und 1850 Metern. Unten die Ärmeren, oben die Wohlhabenden. Im Winter fahren die Reichen gerne mit Schnee auf dem Autodach in die niedrigeren Gefilde, um zu prahlen.«
Das nahe Elburs-Gebirge mit seinem höchsten Gipfel, dem 5610 Meter hohen Damavand, ist zwar in der flirrenden Mittagshitze nur schemenhaft wahrnehmbar, aber ein wenig Schnee hätten wir jetzt auch gerne auf dem Dach. Denn das Thermometer unseres Kleinbusses offenbart kuschelige 39 Grad Außentemperatur.
Die Klimaanlage wirbelt tapfer, rührt aber nur den Smog aus dem schier endlosen Stau in den Innenraum. Zu allem Überfluss tragen wir Männer lange Hosen, die Damen in unserer Gruppe müssen ihr Haupt mit einem Kopftuch bedecken– so will es das »Hidschab«, das Verhüllungsgebot des Islam. Davon bleiben die Touristinnen nicht verschont.
Ein Hauch Orient-Geschichte
Im Nationalmuseum steht fest: Der Saunatrip hat sich gelohnt. Der Rundgang durch die archäologische Abteilung ist ein Leckerbissen. Über 6000 Jahre alte Keramiken aus Tepe Sialk, Keilschrifttafeln aus der elamischen Epoche und das ohne Zweifel eindrucksvollste Exponat aus der achämenidischen Epoche: das in Stein gemeißelte Audienzrelief des Darius aus dem Schatzhaus in Persepolis. Der König und sein Sohn Xerxes, beide mit prächtig onduliertem Haar und gestylten Bärten beim Empfang eines Hofmarschalls. Ja, da funken die Synapsen, wir wühlen im längst verblassten Geschichtsunterricht … Meder, Achämeniden, Perser – und stellen fest, dass es um 500 vor Christi Geburt noch nicht mal einen ordentlichen Kamm gab.
Zurück im Hotel, berichtet uns Ali Nemati, der Generaldirektor der Tourismusbehörde, stolz: »2014 kamen bereits fünf Millionen Touristen in den Iran. Die meisten davon schiitische Pilger aus der Region, aber auch 15 Prozent Westeuropäer. Bis 2025 wollen wir diese Zahlen vervierfachen.«
Tourismus ist für den Iran ein zweischneidiges Schwert
Dafür sprechen ehrgeizige Projekte wie das Eco Desert Camp in Matinabad, wo Ali Vaghefi von Iran Doostan Tours Biogemüse anbaut und mit Touristen Kameltouren in die Wüste unternimmt. Auch wenn es Herr Nemati nicht anspricht: Tourismus bedeutet einen schwierigen Spagat für den Gottesstaat. Devisen, Wirtschaftswachstum und Imagepflege versus dem Import von Facebook, Coca-Cola und dem Wunsch nach Selbstbestimmung. Oder auch mal die Freiheit zu haben, ohne Kopftuch durch die Stadt zu spazieren.
Der Iran hat ähnlich wie Deutschland rund 80 Millionen Einwohner, allerdings ein vier Mal so großes Staatsgebiet – so sind lange Fahrten mit dem Bus unausweichlich. Zum Glück hat unser Guide Davood unterhaltsame Anekdoten parat, erzählt profund aus der Geschichte und hat das politische Zeitgeschehen erstaunlich gut auf dem Schirm. Deutsche Veranstalter sind ohnehin angehalten, mit inländischen Agenturen zu kooperieren, das sichert Arbeitsplätze und dient wohl auch ein wenig der Kontrolle.
Ein Besuch in Isfahan, der heimlichen Hauptstadt des Landes
»Hier in der Umgebung von Kashan wird die Mohammadi-Rose angebaut. Das Rosenöl wird in Kupferkesseln destilliert und zählt zu den besten der Welt. Selbst die Heilige Kaaba in Mekka wird damit gewaschen«, weiß Davood. Kaum zu glauben, denn draußen fegt gerade ein Sandsturm über die Straße. Die sandgeladenen Böen flauen ab, geben den Blick wieder auf das metallen glänzende Asphaltband frei, welches sich schnurstracks durch die Wüste fräst. Direkt auf ein ockerfarbenes, bis zu 3500 Meter hohes Bollwerk zu, dem »Karkas« oder Geier-Gebirge, an dessen Ausläufern sich nach 450 Kilometern endlich Isfahan, die heimliche Hauptstadt des Iran, befindet, die alte Wirkstätte des berühmten Medicus, dessen Anreise mit einer Kamelkarawane garantiert noch mehr Sitzfleisch erforderte.
Durch golden im Laternenschein glänzende Arkaden betreten wir den Imam-Platz und landen unvermittelt in einem orientalischen Traum aus 1001 Nacht. Schon die Ausmaße sind schier überwältigend. Das 1602 von Shah Abbas I. angelegte Areal umfasst 560 mal 160 Meter. Somit ist der Meydan-e Naghsh-e Jahan, »das Abbild der Welt«, wie ihn die Einheimischen nennen, der zweitgrößte Platz der Welt. Nur der Platz des Himmlischen Friedens in Peking ist noch größer. Prachtpaläste, prunkvolle Moscheen und über 200 doppelstöckige Arkaden umrahmen das Unesco-Weltkulturerbe.
Zum Abendessen gibt es Bier ohne Alkohol
Kaum verschwindet die Sonne hinter den Bergen, verwandeln Jung und Alt die herrlich angelegten Grünflächen in die wohl größte und schönste Picknickzone der Welt. Zwischen den Brunnen und ihren raffiniert illuminierten Wasserspielen werden die Decken ausgebreitet, Tupperschüsseln und Thermoskannen herumgereicht. Früher frönten die persischen Herrscher hier dem Polospiel. Heute dürfen Touristen in Pferdekutschen eine Runde drehen, um das friedvolle Miteinander zu bestaunen.
»Where are you from? What’s your name? Welcome to Iran!«, schallt es uns entgegen.
Sofort werden wir mit offenen Armen empfangen. Eine Tasse Tee wird gereicht. Wenig später halten wir eine Schüssel mit Reis und in Berberitzen gekochtem Huhn in unseren Händen. Die iranische Familie stammt aus Yazd. Aufgeschlossen erzählt das Familienoberhaupt vom Onkel, der als Medizinstudent in einem deutschen Krankenhaus ein Praktikum machen durfte, und berichtet vom eigenen Job als Lehrer. »Wir sind auch nur zu Besuch bei Verwandten. Unsere Töchter haben gerade Schulferien. Die Große macht bald das Abitur und würde gerne auch im Ausland studieren, aber das ist leider sehr schwierig.« Wie es uns denn gefällt im Iran. »Als Deutsche hätten Sie sicher gerne ein Glas Bier zum Abendessen. Wir können ihnen leider nur ein entalkoholisiertes Bier mit Zitronengeschmack anbieten«, sagt der Mann und reicht ein Glas herüber.
Imposant: die Iman-Moschee
Am nächsten Morgen taucht das warme Morgenlicht die Imam-Moschee mit ihren 42 Meter hohen Minaretten in ein seidenes Rosa. Die floralen Muster der Abertausend gelben, blauen und grünen Fayence-Fliesen leuchten magisch. Auch dieses Meisterwerk islamischer Baukunst wurde auf Geheiß von Shah Abbas I. in den Jahren 1611 bis 1630 erbaut. Interessant ist, dass die eigentliche Moschee mit ihrer 54 Meter hohen Kuppel vom Portal abknickt. Nur so konnte die Ausrichtung der Betenden nach Mekka hin eingehalten werden. »Die etwas kleinere, aber ebenso prächtige Lotfollah-Moschee an der Ostseite wird gerne auch als ›Frauenmoschee‹ bezeichnet«, erklärt Davood, »denn hier unterhielten die safawidischen Herrscher ihren Privatharem.« Vorbei an den Wasserspielen, queren wir den Platz und gelangen zum Ali-Qapu-Palast. »Seid ihr fit?«, fragt Davood mit einem Augenzwinkern.
Mittags wird es richtig heiß
Nach fünf Stockwerken und 72 extra Stufen in einem schmalen Bogengang erreichen wir einen Saal mit unzähligen kleinen flaschen- und vasenförmigen Gipsnischen. Er erinnert irgendwie an einen mit Eierkartons ausgekleideten Partykeller – nur halt viel schöner. Und in der Tat. »Das ist das Musikzimmer oder genauer gesagt der persische Vorläufer moderner Tonstudios«, scherzt Davood.
In der Mittagshitze steigen die Temperaturen über dem Platz rasant an. Nach einer kurzen Selfie-Mania, wie eingangs erwähnt, suchen wir den schattigen Basar auf. Die vielen Nischen der ausgedehnten Gewölbe sind nach Zünften organisiert.
Gewürzhändler schichten ihre Currymischungen kunstvoll auf. Säcke voller Kardamom, Nelken und Zimt verströmen einen intensiven Geruch.
Die Kunsthandwerker knüpfen feine Seidenteppiche, fertigen Schmuck aus Gold, Silber und Edelsteinen. Edelholzschatullen werden mit höfischen Jagdmotiven aus der Safawidenzeit verziert, Miniaturen in Kamelknochen geschnitzt. Kupfer- und Messingschmiede verarbeiten Geschirr und Kessel mit rasend schnellem und zugleich präzisem Hammerschlag. Wir essen »Gaz«, eine reichhaltige Süßspeise aus Pistazien, und trinken einen tintengleichen Mokka dazu.
Schönheitsideale und Christen
Davood hilft uns aus dem Gassengewirr und leitet uns zur Khaju-Brücke, die einem Aquädukt ähnelt und den Stadtfluss Zayande-Rud mit 23 Bögen auf einer Länge von 129 Metern überspannt. Wir kühlen unsere heiß gelaufenen Fußsohlen im Wasser, beobachten alte Männer beim gestenreichen Palaver. Pärchen flanieren vorbei. Halten verstohlen Händchen. Häufig tänzelt der Tschador nur noch auf der letzten Spitze des obligatorischen Haarknotens, wurde die Kleidung schon mal figurbetonend drapiert.
»Das ist alles haarscharf an der Grenze. Unter Ex-Präsident Ahmadinedschad wäre es schon weit darüber hinaus gewesen«, gibt uns eine hübsche Studentin, die lieber anonym bleiben will, leise zu verstehen.
»Die Religionspolizei hat ihre Augen und Ohren überall. Ich wurde schon mal auf das Revier bestellt und musste mich belehren lassen, wo das Kopftuch zu sitzen hat. Meine Eltern haben mich zum Glück nicht ausgeschimpft. Sie denken säkular, wie so viele Iraner. Sie fühlen sich selbst von den Mullahs gegängelt, aber offiziell dagegen aufzubegehren, wäre riskant. Wir haben mit Rohani schon enorme Fortschritte gemacht. Er ließ sich schon zu Hause beim Fußballschauen fotografieren, twittert regelmäßig. Wir dürfen jetzt nur nicht zu schnell zu viel erwarten, sonst bremsen uns die Mullahs wieder aus«,
erklärt sie offenherzig, aber hinter vorgehaltener Hand. Was mir auffällt: Viele junge Iranerinnen tragen größere Nasenpflaster, die von Schönheitsoperationen stammen. Die Statistik ist enorm hoch. Klar, die jungen Damen müssen mit ihren Reizen geizen, dürfen nur ihr Gesicht zeigen. Somit freuen sich die Hersteller von Schminke – und die plastischen Chirurgen.
Ganz schön verwinkelt, die Altstadt Yazd
Das Gespräch wirkt noch nach als uns Davood wieder einsammelt und wir in das christlich-orthodoxe Viertel Isfahans fahren. Die mit opulenten, großflächigen Bibelfresken geschmückte Vank-Kathedrale der armenischen Gemeinde ist eine Augenweide. Ihre Existenz und die Tatsache, dass 80000 armenische Christen im Iran ihren Glauben ausleben dürfen, zeigt, dass der Gottesstaat auch Toleranz üben kann.
Davon profitieren auch die ca. 50000 Zoroastrier Irans. Etwas außerhalb der Wüstenoase Yazd besteigen wir bei sengender Sonne mühsam die »Türme des Schweigens«. »Für die Anhänger Zarathustras ist es das oberste Gebot, dass Feuer, Wasser und auch Erde rein bleiben«, klärt uns Davood auf. »Deshalb wurden noch bis in die 60er-Jahre hinein die Leichname auf diesen Türmen den Geiern überlassen.« Kyros II., der Begründer des Persischen Reichs, folgte dieser Bewegung ebenso wie Friedrich Nietzsche, aber auch der Rockstar Freddy Mercury.
Der politischen Last entkommt man auch als Tourist nicht
Ohne Davood wären wir in der Altstadt Yazd mit ihrem Winkelwerk aus schmalen Gassen hoffnungslos verloren. Durch eine massive, gerade mal schulterhohe Holztür mit einem massiven Türklopfer aus Messing betreten wir das Hotel Moshir al Mamalek und sind sprachlos. Über einem riesigen Brunnenbecken ranken tief magentafarbene Bougainvilleen. In gemütlichen Loungesesseln schlürfen wir Granatapfelsaft, knabbern Pistazien und Kekse mit Rosenölgeschmack. Die Aura des alten Persiens reizt die Sinne. Doch nur eine Ecke weiter bekommt die rosa Wolke wieder ein stählernes Korsett.
Ajatollah Chomenei blickt – wie von so vielen Plätzen – auch vor der schlanken Jame-Moschee streng auf uns herab. Da ist sie wieder, die ständige Ambivalenz, dieses surreale Gefühl, diese politische Last, der man auch als Tourist nicht entkommt. Der janusköpfige Alltag einer offenen, neugierigen, hochgebildeten Gesellschaft mit ihren fast schon beschämend gastfreundlichen Menschen. Urlaub bei den Mullahs fühlt sich anders an als auf Mallorca – und das nicht nur wegen des Alkoholverbots und der langen Hosen. Aber wer das Regime nicht mit den Menschen verwechselt, wird zweifellos von einer beeindruckenden Reise zu berichten wissen.
Reiseveranstalter. SKR Reisen bietet insgesamt neun Rundreisen von acht bis zu 22 Tagen durch den Iran an. In Kleingruppen von zwei bis maximal zwölf Teilnehmern können die Gäste entweder die Höhepunkte des Landes, den Süden mit seinen Inseln oder auch die Seidenstraße bereisen. Der 8-tägige Kurztrip beispielsweise führt von Shiraz aus zu den Höhepunkten Yazd, Persepolis und Isfahan und ist ab € 1649 (inkl. Flug und Übernachtung im DZ) buchbar.