Es gab eine Zeit, da konnte man den Eindruck gewinnen, Taiwan sei der Ursprung aller Dinge, so allgegenwärtig war der Schriftzug »Made in Taiwan« auf den unzähligen Gegenständen, die uns im Alltagsleben begleiten. Und doch ist die Insel vor Chinas Südküste eine Unbekannte und kaum jemand scheint eine konkrete Vorstellung von Taiwan zu haben. Text: Alexander Schulz
So widersprüchlich das klingt, so schnell stellt man – einmal dort angekommen – fest: Taiwan selbst ist ein zutiefst widersprüchliches Land. Dies beginnt mit den kleinen Kuriositäten des Alltags – so heißt etwa die beliebteste Zigarettenmarke allen Ernstes Longlife – und endet beim politischen Status der Insel, die je nach Sichtweise ein unabhängiger Staat, eine abtrünnige Provinz oder gar die »wahre« Republik China ist.
Auch die Taiwanesen selbst sind gespalten zwischen der Loyalität zum Landesvater und dem Wunsch nach einem unabhängigen und demokratischen Taiwan. Für Reisende sende wirkt das bisweilen kurios. So staune ich nicht schlecht, als ich in Taipeh die Chiang Kai-shek Memorial Hall besichtige.
Während in der Halle eine gigantische Bronzestatue von Größe und Glanz des jahrzehntelangen Präsidenten kündet, werden in einer Ausstellung im unteren Stockwerk detailliert die Gräueltaten des Diktators dargestellt.
Ist die gewaltige Gedächtnishalle das Wahrzeichen des alten Taiwan, so ist das Taipei 101 zweifellos seine moderne Entsprechung. Mit 60 km/h katapultiert mich der hypermoderne Aufzug auf die Aussichtsplattform des 101 und all die Hochhäuser des Bankenviertels wirken plötzlich wie von winzigen Spielzeugautos umkurvte Miniaturen. Kein Wunder, wenn man sich auf dem mit 508 Metern höchsten Gebäude der Welt befindet!
Taipeh: Umgeben von Bergen
Lässt man den Blick über das von hier aus geradezu übersichtliche Großstadtlabyrinth weiter Richtung Horizont schweifen, fällt ein weiterer Widerspruch ins Auge. Das vor Menschen und Autos beinahe überquellende Taipeh, Hauptstadt eines der am dichtesten besiedelten Länder der Welt, ist ringsherum umgeben von dicht bewaldeten, nebelverhangenen und weitgehend unberührten Bergen.
Seinen Reiz als Reiseland bezieht Taiwan gerade aus diesem Gegensatz zwischen lebhaften Metropolen auf der einen und dem malerischen Sonne-Mond-See, der spektakulären Taroko-Schlucht oder der üppig-grünen Bergregion des Alishan auf der anderen Seite. Ob man tauchen, surfen, Wale beobachten oder am Strand relaxen möchte, von Taipeh aus lässt sich das alles problemlos per Kurztrip bewältigen.
Da ich jedoch leider ausgerechnet zur Taifunsaison angereist bin, fallen solche Outdooraktivitäten ebenso wie Erkundungstouren zu den entlegenen Naturschönheiten im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser. Stattdessen stürze ich mich in den Trubel des Shilin-Nachtmarkts. Neben Schmuck, Spielzeug und Kleidung werden hier vor allem exotische Kräuter, Heilmittel und die absonderlichsten kulinarischen Spezialitäten verkauft, deren teils einladender, teils verstörender Geruch durch die engen Gänge wabert und in Verbindung mit den grell-bunten akustischen und optischen Sinneseindrücken eine ebenso inspirierende wie erschöpfende Reizüberflutung zur Folge hat. Geschafft, aber glücklich lasse ich mich auf dem Heimweg von peitschendem Regen, einem Vorboten des aufziehenden Taifuns, in Richtung Hotel spülen.
Am nächsten Morgen geht es zum Fo Guang Shan, Taiwans wichtigstem buddhistischen Zentrum. Und die Erwartungen, die der Name »Berg des Buddhaglanzes« weckt, werden keinesfalls enttäuscht.
Hauptschrein mit 14.800 Buddha-Bildnissen
Schon beim Durchschreiten des von unzähligen schneeweißen Heiligenfiguren bevölkerten Gartens stellt sich eine angenehme Ruhe ein, die das Schritttempo unweigerlich auf weniger als halbe Taipeh-Geschwindigkeit sinken lässt. Je weiter man den Berg erklimmt, desto prächtiger erstrahlt der Glanz Buddhas. Höhepunkte sind der Hauptschrein mit seinen 14.800 in die Seitenwände eingearbeiteten Buddha-Bildnissen sowie der 36 Meter hohe goldene Buddha, der über dem riesigen Klosterkomplex thront und schon aus weiter Entfernung zu erkennen ist.
Dort oben angelangt, ergibt sich ein malerischer Blick auf den gemächlich durch das weite Tal dahinfließenden Gaoping-Fluss. Einzig der Regen stört dabei, hier völlig zur Ruhe zu kommen, und während die Tropfen rhythmisch auf meinen Regenschirm prasseln, gelange ich plötzlich zu einer Erkenntnis: Mein Entschluss, trotz der Taifunsaison nach Taiwan zu reisen, ist wohl mindestens ebenso widersprüchlich wie das Land selbst. Und mein Vorhaben, trotz einer Woche höchst durchwachsenen Wetters bei nächster Gelegenheit wiederzukommen, wohl erst recht.
Anreise. China Airlines fliegt sechsmal die Woche direkt von Frankfurt nach Taipeh.
Informationen. Taipeh Tourismusbüro, Rheinstraße 29, 60325 Frankfurt, Telefon: 069 61 07 43,
Hotel. Grand Formosa Regent Taipei, 41 Chung Shan North Road, Section 2, Taipei 104, Taiwan; Tel.: 00886 225238000; Fax: 00886 22522828.