Wer nach Irland reist, hat oft eine Menge Klischees im Kopf. Nicht alle davon sind unbegründet. Doch eine Sache, mit der unser Autor Konrad nicht gerechnet hat, sind reihenweise Wikinger. Klar, dass sich der Mittelalterfan gleich auf Spurensuche der Wikinger in Irland begeben hat.
Wie kommt das denn hierhin? Vor mir steht aufgebockt ein gut zehn Meter langes Langschiff, in seiner ganzen Pracht. Genau, Langschiff, so wie von den Wikingern. Nur dass es mich nicht nach Dänemark, Schweden oder Norwegen verschlagen hat. Sondern nach Irland. Eine herrlich grüne Insel mit vielen Kühen, leckerem Stout, mysteriösen Kobolden und unzähligen Wollstrickpullis, um hier nur einige Klischees mitsamt Baked Beans abzufrühstücken. Wikinger allerdings zählten für mich bisher nicht dazu.
Kilkenny: Ein Ort, wie von einer Postkarte
Ich bin nicht zum ersten Mal in Irland, aber zum ersten Mal im Südosten. Ihren Anfang nimmt meine kleine Rundreise in Kilkenny, weniger als zwei Autostunden von Dublin entfernt. Hier wären wir wieder bei Klischees (im besten Sinne), denn der gut 27.000 einwohnerstarke Ort hält ein irisches Postkartenmotiv neben dem anderen bereit. Romantisches Schloss mit schickem Garten mitten in der Stadt? Check. Idyllischer Fluss, der gemütlich mitten durch den Ort mäandert? Check. Reihenweise urige Pubs mit klingenden Namen wie »Tynan’s Bridge House Bar«, »Kyteler’s Inn« oder »Hole in the Wall«? Aber sowas von Check!

Pub in Kilkenny | Foto: Failte Ireland
Die ganze Postkartenidylle rührt daher, dass Kilkenny die am besten erhaltene mittelalterliche Stadt in ganz Irland ist. Das unübersehbare Kilkenny Castle wurde bereits im 12. Jahrhundert als Burg errichtet. Also, nicht in heutiger Form, aber an dem Ort, wo es heute noch steht. Mitten durch die Stadt läuft außerdem die »Medieval Mile« – eine markierte Tour des Mittelaltermuseums, bei der Besucher zu Fuß entweder auf eigene Faust oder in einer Führung die mittelalterlichen Highlights der Stadt entdecken können.
Ein Spaziergang durch die mittelalterliche Stadt
Und auf der Mile entdecke ich die Stadtgeschichte quasi im Vorbeigehen. Beim Schlendern durch die Straßen fühle ich mich tatsächlich in der Zeit zurückversetzt. Alte, windschiefe Häuser, charaktervolle Schaufensterauslagen, kleine Gässchen, die in charmante Hinterhöfe führen. Das mittelalterliche Gewusel muss ich mir nicht vorstellen, denn Kilkenny ist auch heute noch gut bevölkert und besucht.

Live-Musik in einem der vielen Pubs in Kilkenny | Foto: Allen Kiely
Nun aber kurz ins Schloss. Auf den ersten Blick wirkt der alte Kasten durch die massive Bauweise und das durchgehende Grau der großen Steinblöcke fast schon abweisend. Doch als ich den Innenhof betrete, habe ich kurz das Gefühl, ich wäre hier in einem Bridgerton-Set gelandet: Im Sonnenlicht zeigt das Gemäuer seinen Charme und kommt durch den Kontrast zur weitläufigen Grünanlage richtig zur Geltung.
Kilkenny Castle: Die Geschichte der englischen Adelsfamilie
Das Innenleben erkunde ich im Rahmen einer Führung und tauche so ein in die jahrhundertealte Geschichte des Bauwerks, an dem gleichsam die Geschichte der Engländer in Irland nachvollziehbar wird. Errichtet wurde Kilkenny Castle nämlich von William Marshal, der als »größter aller Ritter« galt und eine der reichsten Erbinnen seiner Zeit, Isabel de Clare, ehelichte.

Besuch im Kilkenny Castle | Fotos: Konrad Bender
Deren Vater, Richard »Strongbow« de Clare, hatte eine irische Prinzessin geheiratet und in deren Namen einen erfolgreichen Feldzug auf der grünen Insel geführt. Danach, etwas verkürzt ausgedrückt, sind die Engländer einfach nicht mehr gegangen. Und das Schloss blieb noch bis 1967 in der Hand einer englischen Adelsfamilie.
Kilkenny: Brauereigeschichte zum Probieren
Aber Moment mal? Bei Kilkenny klingelt bei mir doch noch was? Ganz richtig, unter dem Stadtnamen wird in Deutschland ein malziges Red Ale vertrieben. Doch hier vor Ort ist mir noch weit und breit kein einziges Schild der Marke untergekommen.
»Die Marke >Kilkenny< wurde für den nicht-irischen Markt entworfen. Hier in Irland kennt man das Bier nur unter seinem eigentlichen Namen >Smithwick’s<«,
erklärt mir Ignacio Peregrina, Manager des Smithwick’s-Museums in Kilkenny.

Bei der Smithwick’s Experience können Interessierte alles über die Brauerei in Kilkenny erfahren | Fotos: Konrad Bender
Die bereits in den 1960er-Jahren aufgekaufte Brauerei zog zwar 2014 nach Dublin um. Doch vor Ort in Kilkenny können Interessierte immer noch die »Smithwick’s Experience« besuchen, eine gut einstündige Tour mit reichlich Infos zur Brauereigeschichte und dem Geheimnis der roten Farbe. Klar, natürlich mit anschließender Verkostung. Die auch ich mir schmecken lasse.
Weiter gen Süden nach Waterford
Die Wikinger aber finde ich in Kilkenny nicht. Dafür muss ich meine Reise ein gutes Stück weiter nach Süden fortsetzen, an den Zusammenfluss von Suir und Barrow. Gar nicht weit von der Küste entfernt. Hier liegt die fünftgrößte Stadt der Republik: Waterford. Ich komme an in einer geschäftigen Stadt mit einem nicht minder geschäftigen Hafen. Der Ort ist aber nicht von den Iren oder den Engländern gegründet worden, sondern von norwegischen Wikingern. Und diese haben ihn »Veörafjorör« genannt.

Guide Jack Burtchaell führt durch das Städtchen Waterford | Foto: Konrad Bender
Erst später wandelte sich der Name nach und nach ins englische Waterford. »Der Ortsname bezeichnet einen sicheren Hafen zum Überwintern, wörtlich so viel wie ›Winterfjord‹. Die Wikinger aus Norwegen ließen sich hier im 9. Jahrhundert nieder und schufen einen befestigten Hafen als Rückzugsort«, dröselt mir Stadtführer Jack Burtchaell den historischen Hergang auf. »Von hier aus hatten die Wikinger Zugang zu einem gigantischen Wasserstraßennetzwerk, das ein Drittel aller Flusskilometer in Irland ausmacht.« Es zeigt sich einmal mehr: Lage, Lage, Lage.
Reginald’s Tower: Die erste Befestigung der Wikingerzeit
Noch heute ist die strategische Bedeutung der Stadt am Reginald’s Tower ablesbar: ein massiver, kreisrunder Steinturm mit drei Stockwerken, prominent platziert genau im Scheitel der Flussschleife des Suir. Der Turm ist die erste Befestigung aus der Wikingerzeit, wurde im Laufe der Jahrhunderte aber immer weiter ausgebaut.

Der Reginald’s Tower in Waterford ist die erste Befestigung der Wikinger in Irland | Foto: Mark Wesley
Im Inneren finde ich ein kleines, aber aussagekräftiges Museum zur Stadtgeschichte und vor dem Turm steht die Langschiff-Replik, die ich nun bestaune. Darauf über den Ozean, das stelle ich mir wirklich beeindruckend (und angsteinflößend) vor. Ganz in der Nähe befindet sich auch noch das Mittelaltermuseum der Stadt, doch dafür habe ich jetzt keine Zeit.
»King of the Vikings« – Waschechten Wikingern begegnen
Denn nur ein paar Schritte weiter werde ich auf ein Schild aufmerksam: »King of the Vikings«. Die Versprechung lockt mich durch eine kleine Pforte, hinter der mich eine waschechte Schildmaid erwartet – mit Gewandung, Schwert und Rundschild, das ganze Programm. Gemeinsam mit einer Gruppe folge ich ihr in ein Langhaus, wo mir eine VR-Brille über die Augen gezogen wird.

King of the Vikings in Waterford ist die erste Virtual Reality Tour für Wikingerfans | Foto: Peter Grogan / Emagine
Eine kurze Einweisung später dauert es nicht lange, bis mich ein übel gelaunter Wikinger anschreit. »Ich habe diese Stadt gegründet und mir das Land zu untertan gemacht!« Es spricht Ragnar, nach dem der Reginald’s Tower benannt ist und der wohl wirklich Waterford gegründet hat. Gut 20 Minuten entführt mich die packende VR-Präsentation in die Vergangenheit und bewegt sich dabei gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen Wahrheit und Unterhaltung. Beim Verlassen der Hütte vergewissere ich mich kurz, dass ich mich auch wirklich wieder in der Gegenwart befinde.
Next Stop: Wexford an der Küste
Von Waterford geht es weiter zum dritten Stopp meiner touristischen Plünderfahrt: dem Küstenort Wexford. Dort angekommen besuche ich dann den Irish National Heritage Park. Das 14 Hektar große Freilichtmuseum gewährt mir einen Gang durch all die Epochen, in denen die Menschen hier in Irlands Südosten gelebt haben. Angefangen in der Bronzezeit.
Ich aber bin ja nun auf der Suche nach den Wikingern. Und auch hier in Wexford haben sie sich niedergelassen, die große Bucht bietet ausreichend Schutz vor dem Zorn der wilden See. In einem kleinen Wikingerdorf, das im Museum rekonstruiert wurde, lässt sich die Lebensweise der Nordmänner gut nachempfinden – insbesondere die ständige Nähe zum Wasser, um schnell in See stechen zu können.

Der Hook Lighthouse an der irische Küste in Wexford | Fotos: Konrad Bender
Zum Abschluss unternehme ich noch einen Abstecher zum Hook Lighthouse. Mit seinen schwarzen und weißen Streifen ist der runde Leuchtturm unübersehbar und blickt wie ein einsamer Wärter an der Spitze einer Landzunge auf die irische See hinaus. Auch dieser Ort atmet Geschichte, wie mir Leuchtturmführer Jon Pearce erzählt. »Schon im Frühmittelalter haben walisische Mönche hier ein Leuchtfeuer entzündet. Den Grundstein für den heutigen Leuchtturm legte aber William Marshal.«
Mit der Ankunft der Engländer endete die Zeit der Wikinger in Irland
Da treffe ich ihn schon wieder, den größten aller Ritter. Die Ankunft der Engländer markierte auch das Ende der Wikinger in Irland. Doch durch Namen und Städte sind sie immer noch gegenwärtig. Und auch meine Zeit in Irlands historischem Südosten geht zu Ende. Auf der Spitze des Leuchtturms angekommen lasse ich den Blick noch einmal über die heute trügerisch ruhige See schweifen. »Nahezu alle Schiffe, die von Europa nach Amerika fuhren und fahren, kommen hier vorbei«, erklärt mir Jon. Ich genieße noch eine Weile den Ausblick über die unvergleichlichen Steilklippen und das Meer und lasse mir den Wind um die Nase spielen.

Der Besuch im Irish National Heritage Park ist ein Muss für Wikinger-Fans | Foto: Konrad Bender
Mehr Infos zu Irland und den Wikingern
Der historische Osten lohnt sich auch für erfahrene Irland-Reisende und glänzt insbesondere in der Nebensaison. Am besten lässt sich die Region mit dem Auto erschließen. Nach Kilkenny, Waterford und Wexford gibt es aber auch direkte Zugverbindungen von Dublin, dem nächsten Flughafen.
Mehr Infos zu Irland bietet das Fremdenverkehrsamt von Irland auf seiner Webseite.
In diesen schnuckeligen B&B’s übernachtest du hervorragend!
Mehr über die Grüne Insel Irland lesen? Dann schaut mal bei unseren Artikel über Irland vorbei.