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Die erstmalige Entdeckung von Mücken auf Island hat internationales Aufsehen erregt. Forscher prüfen nun, ob diese sich dauerhaft auf der Insel etablieren werden – und was das für den Tourismus Islands bedeutet. Denn die einst mückenfreie Insel – ein Paradies für Naturtouristen – könnte einen ihrer größten Vorzüge verlieren.

Wer in diesem Sommer seinen Urlaub in Island verbrachte, staunte nicht schlecht: Es war ganz schön warm! Im Mai und Juli erlebte Island außergewöhnlich milde Phasen, die zum Teil sogar historische Höchstwerte erreichten. Mitte Mai etwa meldete die Wetterstation Egilsstaðir im Osten der Insel einen Wert von 26,6 °C – ein neuer Rekord für diesen Monat. Auch in Reykjavík wurden am 17. und 18. Mai seltene Spitzenwerte von über 19–20 °C verzeichnet. 2025 gilt bisher als eines der wärmsten Jahre seit Messbeginn 1870.

Rainbow Road in Reykjavik im Sommer

Foto: melissamn/Shutterstock.com

Mücken in Island: Sensationsfund im Kjósarhreppur-Tal

Diesen Oktober machten Biologen dann eine Entdeckung, die landesweit für Aufsehen sorgte: Zum ersten Mal überhaupt wurden in Island Stechmücken nachgewiesen. Forscher fanden drei Exemplare – zwei Weibchen und ein Männchen – in einem privaten Garten im Kjósarhreppur-Tal, etwa 30 Kilometer nördlich von Reykjavík. Die Tiere wurden als »Culiseta annulata« identifiziert. Das ist eine kälteresistente Art, die in Nordeuropa weit verbreitet ist, bislang jedoch nie auf der Insel überlebt hatte.

Nahaufnahme einer Ringelmücke (Culiseta annulata)

Foto: Macronatura.es/Shutterstock.com

Der erste »Fang« erfolgte am Abend des 16. Oktober 2025 durch den Insektenenthusiasten Björn Hjaltason. Er hielt die Mücken zunächst für »fremde Fliegen« und fing sie mit einer selbstgebauten Wein-Falle. »Diese Mückenart kann auch in kühleren Regionen überleben«, sagte Jónsdóttir gegenüber Euronews, das über das Phänomen auf seiner Website berichtete. Die weiteren zwei Exemplare wurden in den folgenden Tagen gesammelt; erst eine DNA-Analyse im Labor der Naturkundlichen Forschungsanstalt Islands bestätigte die Sensation und die Identität als »Culiseta annulata«.

Mücken in Island – ein Warnsignal

Forscher werten den Fund der Stechmücken in Island als Alarmsignal. Island zählte bisher – neben Teilen der Antarktis – zu den letzten großen mückenfreien Regionen der Erde. Dass sich nun eine Art ansiedeln konnte, führen Experten direkt auf die Erwärmung des Nordatlantiks und mildere Winter zurück.

Immerhin: Die neue Mückenart »Culiseta annulata« überträgt selten Krankheiten wie das West-Nil-Virus. Allerdings steigt das Risiko dafür, wenn die Sommer immer wärmer werden. Noch bedeutender ist ein anderer Effekt: Die Mücken ziehen Insektenfresser wie Schwalben und Fledermäuse an, die dadurch einheimische Vogelarten verdrängen könnten. Einmal etabliert, setzen sie eine Nahrungskette in Gang, die kaum noch kontrolliert werden kann, so die Besorgnis von Experten.

Ökologische Folgen und die Gefahr eines Dominoeffekts

Die Entdeckung von Mücken in Island zeigt: Die warmen Jahre verändern die Natur des Landes grundlegend. Die Vegetationsperiode hat sich seit 2000 um durchschnittlich 3 bis 4 Wochen verlängert; in Tieflagen dauert sie nun oft 150–170 Tage, was 2025 durch die Hitzeperioden weiter verstärkt wurde. Invasive Pflanzen wie die Alaska-Lupine (Lupinus nootkatensis) breiten sich explosionsartig aus. Sie bedecken inzwischen über 1.000 Quadratkilometer und verdrängen einheimische Moose und Flechten.

Alaska-Lupine (Lupinus nootkatensis) auf Wiese in Südisland (Lupinus nootkatensis)

Foto: imageBROKER.com/Shutterstock.com

Gleichzeitig expandiert die Birkenwaldgrenze nach Norden und in höhere Lagen; seit 1990 hat sich die Waldfläche um 35 Prozent vergrößert.

Auch in der Tierwelt sind die Folgen des Klimawandels deutlich spürbar: Zugvögel wie der Goldregenpfeifer (Pluvialis apricaria) treffen inzwischen 10 bis 14 Tage früher ein. Die Brutzeit der Papageitaucher (Fratercula arctica) beginnt ebenfalls früher. Das führt für die Art jedoch zu Problemen, denn die Hauptnahrung der Vögel, etwa der Lodde, wandert aufgrund steigender Wassertemperaturen in kühlere, nördlichere Gewässer ab. Die Folge: Nahrungsknappheit. Gleichzeitig schrumpfen die Gletscher: Der Vatnajökull verlor 2025 weitere 3,8 km³ Eis.

Blick auf Gletscher Vatnajökull in Island

Foto: Ivan Lappo/Shutterstock.com

Und auch die Bodenfrosttage sanken, in Reykjavík von durchschnittlich 140 (1961–1990) auf nur 92 im Jahr 2025.

Zukunftsszenarien – was passiert als Nächstes?

Ob sich die Mücken in Island dauerhaft etablieren, wird nun intensiv erforscht. Seit Oktober laufen im Kjósarhreppur-Tal und in Akureyri systematische Monitoring-Programme. So wurden 120 CO₂- und UV-Lichtfallen ausgelegt, überwacht vom Umweltministerium und der Universität des Landes. Ab März 2026 sollen Wasserproben aus Gartenteichen, Regentonnen und Sickergruben analysiert werden. Jede gefangene Mücke soll anschließend sequenziert werden, um Verwandtschaftsverhältnisse und Herkunft zu klären. Denkbar sind derzeit zwei Szenarien:

  • Szenario 1 – »Point of no return«: Werden im Frühling kommenden Jahres Larven oder frisch geschlüpfte Adulttiere gefunden, gilt der Lebenszyklus als abgeschlossen. Dann ist Island offiziell nicht mehr mückenfrei. Experten rechnen mit einer Ausbreitungsgeschwindigkeit von 50–100 km pro Jahr entlang der Küstenstraßen. Bis 2030 könnten 30–40 % der Tieflagen betroffen sein.
  • Szenario 2 – »Lokale Auslöschung«: Ein harter Winter mit Dauerfrost unter –10 °C könnte die Population auslöschen. Allerdings stehen die Chancen dafür nicht besonders gut, denn die Winter in Island werden milder; die Wahrscheinlichkeit für Dauerfrost sank seit 2000 um 60 %.

Mücken in Island und die Sorge der Tourismusbranche

Island wurde in der Vergangenheit häufig weltweit in Medien als einzigartiges Paradies für Naturliebhaber gefeiert, das unter dem Motto »No Mosquitoes – No Problem« bekannt war. Eine Etablierung der Mücken in Island könnte dem Naturtourismus insofern schaden, da die Mückenfreiheit für nicht wenige Besucher ein großes Plus für Outdoor-Unternehmungen ist. Genaue Verluste sind natürlich rein spekulativ, aber Schätzungen gehen von einem Rückgang von 5–10 % der Besucherzahlen in den betroffenen Regionen aus.

Ob sich die Art nun dauerhaft etablieren wird, wird sich erst in der Zukunft zeigen. Sollte der Nachweis gelingen, ist das einst mückenfreie Paradies Island passé.