Viereinhalb Millionen Touristen aus aller Welt sind im Jahr 2019 nach Israel gereist, knapp 300.000 allein aus Deutschland. reisen-EXCLUSIV-Autorin Simone Sever besucht zum ersten Mal das Land König Davids.
Die Sonne geht gerade unter, als die El-Al-Maschine auf dem Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv, Israel, landet. Ich bin vorbereitet auf meinen ersten Besuch im Heiligen Land: »Tel Aviv Ya Habibi Tel Aviv« – na ja, zumindest musikalisch. »Welcome to the Middle East …!«, singt Omer Adam mir ins Ohr. »Shalom, Israel!«
Kulturelle Vielfalt in Haifa
Es ist inzwischen dunkel geworden. Auf der Ben-Gurion-Straße in Haifa, Israels drittgrößter Stadt nach Jerusalem und Tel Aviv, reiht sich ein Restaurant an das nächste. Im Douzan hängen bunt erleuchtete Regenschirme im ausladenden Blätterdach eines Baumes. Hummus, Labneh, Falafel, frische Salate, Gegrilltes …
Die Karte liest sich wie eine Zusammenfassung meiner Lieblingsgerichte. Vor dem Restaurant dreht derweil ein Motor laut auf. Eine perfekte Szenerie, um zu zeigen, was man hat, und um sich im abendlichen Lichterglanz der hängenden Bahai-Gärten, die als Unesco-Weltkulturerbe die Stadt überstrahlen, zu präsentieren.
Das Publikum, das noch unterwegs ist, ist jung, jüdisch, arabisch, von Weit her – kulturelle Vielfalt in der Hafenstadt. Fady begrüßt seine Gäste und ist die Personifizierung der Vielfalt dieser Stadt: »Ich bin in Palästina geboren, ich bin Israeli, ich bin Araber, ich bin katholisch und schwul – und ich bin stolz darauf.« Mazel tov, Fady.
Shabbat Shalom in Israel!
Von meinem Bett in der zwölften Etage des Leonardo Hotel Haifa beobachte ich bereits kurz nach Sonnenaufgang reges Treiben am Strand, denn das Mittelmeer ist auch im Herbst noch wundervoll warm.
Ein kurzes Eintauchen, und das Frühstück wartet schon: Shakshuka, diese vegetarische Tomatensoße mit Ei, die eigentlich aus Nordafrika kommt, in Israel aber zum heimlichen Nationalgericht avancierte. Labneh, eine Art Frischkäse mit Tomaten, Zwiebeln und etwas Olivenöl, Avocado, viel Käse und Fisch … Bacon suchen einige ausländische Touristen vergeblich, denn das Buffet ist koscher, das heißt unter anderem: Milchprodukte werden nicht mit Fleisch kombiniert. Ich lerne noch mehr an diesem Morgen.
Keine Arbeit am Heiligen Shabbat
Das Shakshuka ist kalt, die Espressomaschine nicht angeschaltet, der Fahrstuhl braucht gefühlt eine halbe Stunde vom zwölften in den ersten Stock. Ich kann es nicht ganz nachvollziehen, aber begreife schnell: Am heiligen Shabbat darf keine Arbeit verrichtet werden; und Arbeit bedeutet auch, die Knöpfe des Ofens, der Kaffeemaschine und ebenso des Fahrstuhls zu drücken, und so hält der Shabbatfahrstuhl einfach automatisch in jedem einzelnen Stockwerk, und das Essen bleibt heute kalt.
Die hängenden Bahai-Gärten in Haifa
Die hängenden Gärten, die sich über 19 Terrassen und 250 Meter Höhenunterscheid an den Karmelberg schmiegen, sind ein Ort der Ruhe und Besinnung. Im Sonnenlicht überstrahlt die goldene Kuppel des Bahai-Schreins die Stadt friedlich und scheint die Bahai-Glaubenslehre »eine gemeinsame Grundlage aller Religionen« bestätigen zu wollen.
Mad Max lässt grüßen
Ruhig ist es auch auf den Straßen, die am Shabbat wie leergefegt sind. Keine 20 Kilometer weiter wartet bereits ein Abenteuer abseits ausgetretener Pfade. Das Ziel: die Beit Oren Ranch auf dem Karmelberg im Mount Carmel National Park. Es gibt: Mad-Max-Feeling in Tomcars, Buggy-ähnlichen Fahrzeugen eines amerikanischen Herstellers, die sowohl vom Militär, der Polizei und jetzt von mir gefahren werden. Also, raus aus der Komfortzone, hinein in die Natur und anschnallen. Steinig, staubig, ungefedert: Der Spaßfaktor ist hoch, der Blick reicht bis zum Meer.
Endlich! Mein erster Espresso in Israel!
In der Amphorae Winery, eine halbe Stunde Autofahrt entfernt, wird am Nachmittag dann doch noch Espresso serviert. Hier kümmern die religiösen Vorgaben niemanden. Im Gegenteil: Lev, einer der Sommeliers, erzählt, er starte seine Auslandsreisen am liebsten am Shabbat, dann sei nur halb so viel Betrieb auf dem Flughafen, denn auch die israelische Flugflotte der El Al stehe am heiligen Shabbat still.
Zeitgenössische Kunst im Caesarea Resort
Die Sonne ist untergegangen, der Verkehr fließt wieder normal, Shabbat ist vorbei. Die Entfernungen in Israel sind mit 470 Kilometern Länge und an der breitesten Stelle mit 135 Kilometern überschaubar. Das Fünf-Sterne-Haus Dan Caesarea Resort begrüßt seine Gäste mit zeitgenössischer Kunst, nicht nur in der Lobby. Die modern gestalteten Wohlfühlzimmer mag ich kaum noch verlassen, den hochflorigen und blau-grau-gold gemusterten Teppich in der Sitzecke würde ich am liebsten heimlich in meinen Koffer packen. Für den Pool liegen Flip-Flops mit der Aufschrift Dan Caesarea bereit. Habe ich erwähnt, dass einer meiner Söhne Caesar heißt? Natürlich lasse ich den Teppich liegen.
Säulen, Sarkopharge und Skulpturen
Die Sonne brennt unermüdlich auf das ehemalige Hippodrom, die antike Pferde- und Wagenrennbahn. Es ist eine Weile her, seit hier das Publikum unterhalten wurde. 22 Jahre vor unserer Zeitrechnung träumte König Herodes, der in Rom gekrönte Herrscher Judäas, von einer Stadt am Meer mit sicherem Hafen, Handelsverkehr, Straßen, Tempeln, einem Palast, einem Theater und Wagenrennen. Zwölf Jahre später wird Herodes’ Vision Wirklichkeit. Er nennt seinen Traum Caesarea.
Jetzt spaziere ich durch die Fragmente des antiken Stadtzentrums und bestaune Säulen, Sarkophage und Skulpturen, griechische, römische, byzantinische. Das ehemalige Amphitheater für 15.000 Besucher wird während der Sommersaison wieder für Konzerte genutzt. Als erster internationaler Künstler war im Juli 1989 Eric Clapton zu Gast. Jetzt hat eine Besuchergruppe Position auf der Bühne bezogen und versucht sich an Leonard Cohens »Hallelujah«, der Text sitzt zwar nicht ganz so sicher, einige der Umherstehenden verstummen dennoch für einen Moment. »Well, maybe there’s a God above …«
Ausgezeichnete Küche im Helena
Göttlich ist auch, was Chef Amos Sion seinen Gästen im Restaurant Helena in Caesarea serviert: kreative Interpretationen klassisch-levantinischer Gerichte, etwa gegrillte rosa Calamari, frisch aus dem Meer vor der Tür, mit Zitrone und wildem Thymian, und Zhug einer jemenitischen Salsa aus Peperoni.
Frisches Carpaccio vom Catch of the Day mit schwarzen Cherrytomaten und lokalem Olivenöl und als Dessert hausgemachtes Tahina-Eis – also mit Sesamgeschmack, Dattelsirup und Halva. Wer sich bei der Wahl des passenden Weins nicht sicher ist, dem empfiehlt das aufmerksame und charmante Servicepersonal gern einen lokalen Wein, etwa einen Bio-Chardonnay-Yarden-Odem von den Golanhöhen. Wie sagt man eigentlich »Zum Wohl« auf Hebräisch?
Life is a beach for everybody
Es wird Zeit für einen Sprung in die Fluten und für einen der angeblich schönsten Strände Israels. Der Sironit Beach auf dem Weg nach Tel Aviv liegt in Netanja und ist über einen Fahrstuhl von der Rishonim Promenade aus erreichbar, da er unterhalb einer bis zu 30 Meter hohen Klippe liegt.
Israel präsentiert sich für mich auch hier am Beach überraschend und erfreulich: Im knappen Bikini sonnt sich eine junge Schönheit, währenddessen vorn am Wasser muslimisch verhüllte Frauen vorbeispazieren. Coexistence!
Dancing Queen in Tel Aviv
Ich muss mich beeilen, schnell einchecken im Lily & Bloom, einem kleinen Boutiquehotel im Tel Aviver Stadtteil Neve Tzedek. Raus aus den Birkenstocks, rein in die Glitzerschuhe! Ballett ist meine Religion, und auch das kann Israel. Von zu Hause aus habe ich mir schon vor Wochen Tickets für meine Tanzgöttin bestellt, die mit dem Israel Ballet an diesem Abend in der Israel Opera »Giselle« tanzt.
Das Tel Aviver Publikum hat sich schick gemacht, ich fühle mich dazugehörig, die Atmosphäre ist feierlich. Das Licht geht aus, der Vorhang auf. Natalia Osipova, die Primaballerina vom Royal Ballet in London, setzt die Schwerkraft außer Kraft. Das Publikum ist begeistert: Standing Ovations und glückliche Gesichter.
Auf das Leben!
Draußen vor der Tanzkathedrale helfen mir zwei junge Frauen, die ebenfalls in der Vorstellung waren, denn ohne Internet und Google Maps bin ich ein bisschen verloren. Wir gehen ein Stück des Weges, und meine Wegweiserinnen empfehlen mir eine Bar, und so sitze ich an meinem ersten Abend in Tel Aviv bei herbstlichen Temperaturen um 20 Grad an der lebhaften King George Street und genieße einen wirklich guten Gin Tonic in der Silon Bar. LeChaim! Auf das Leben!
»Tel Aviv Ya Habibi Tel Aviv«, Omers Ohrwurm lässt mich nicht in Ruhe. Zu Fuß mäandere ich bei herrlichstem Sonnenschein durch die weiße Stadt. Es gibt so viel zu entdecken: Streetart an Hauswänden: In love we trust. Regenbogenflaggen vor Restaurants, Cafés und Bars, kleine Boutiquen mit stylischen Accessoires, ein Eisladen mit köstlichem Joghurteis, der so heißt wie meine Mutter: Anita.
Galerien, Museen, der Carmel Market mit Kippas, Rosenkränzen und Davidsternen – habe ich erwähnt, dass mein anderer Sohn David heißt – neben der Hand Fatimas, die sowohl im Islam als auch in Israel vorm bösen Blick schützt, außerdem junge Menschen, alte Menschen, Menschen, die zur Arbeit gehen, andere, die sich zum Strand aufmachen, Orthodoxe, LGBTs, Israelis, Araber, Touristen, ich … An einer Straßenecke steht ein Musiker: »Summertime, and the livin’ is easy«, es könnte gerade keine passendere musikalische Untermalung geben.
Mein Bild von Israel
Bevor ich am letzten Abend zum Dinner aufbreche, tanzen im Schein neonbunter Lichter und mit dröhnend lauter Musik, die aus mehreren Lautsprechern gleichzeitig schmettert, Orthodoxe mit schwarzen Hüten ausgelassen singend durch die Lilienblumstraße. Was genau gefeiert wird, erschließt sich mir nicht – das anstehende Neujahrsfest Rosh Hashana oder eine Hochzeit? Es ist auch egal. Die Musik ist emotional, die Stimmung mitreißend und nachhaltig fröhlich. Als ich in der Nacht noch ein letztes Mal mein Glas erhebe, steht das grellleuchtende Wandbild in der Gay-Bar Shpagat für ein Israel, wie ich es kennenlernen durfte: URSUR (laut auf englisch buchstabiert: You are as you are.)