Jozi ist multikulti, hip, überraschend kreativ und voller Energie. Doch Jozi hat einen schlechten Ruf. All jene, die sich davon abschrecken lassen, verpassen einiges, denn in Jozi kann man sich nur verlieben. Text: Ulrike Klaas

Johannesburg oder Jozi, wie die Einwohner die Stadt liebevoll nennen, trägt das Kürzel »GP« auf dem Autokennzeichen. Die Abkürzung stehe für »Gangsters Paradise«, scherzen viele. Grund dafür ist wohl der Ruf der Stadt, zu den gefährlichsten der Welt zu gehören. Die größte Stadt Südafrikas mit ihren rund 4,4 Millionen Einwohnern ist zwar für viele Touristen Startpunkt ihrer Südafrikareise, doch die meisten machen sich auf direktem Weg in Richtung Krüger-Nationalpark und geben der Stadt keine Chance.

Ein typischer Morgen im Salvationcafé beginnt mit einem »Immune Booster« aus frisch gepressten Säften, die wahlweise mit Ingwer und Basilikum verfeinert werden. Dazu gibt es einen Obstsalat mit hausgemachtem Knuspermüsli. An diesem Samstagmorgen im Salvationcafé ist die Welt in Ordnung. »Food Pharmacy« prangt unter der Inschrift des Cafés, und die Gäste, die zumeist im hübschen Freilichtinnenraum in der Sonne Platz genommen haben, lassen sich beispielsweise das Health Breakfast schmecken – wie es auf der Speisekarte angepriesen wird. Jozi zeigt sich hier von seiner geselligen Seite.

44 Stanley (in der Milpark Area) ist ein ehemaliges Industriegelände aus den 1930er-Jahren. Der Backstein ist geblieben, ansonsten wurde das ehemalige Fabrikgelände in einen Open-Air-Shopping-Tempel verwandelt mit Galerien, Designer-Shops (von Mode bis Schmuck) über Möbel (natürlich made in Johannesburg) und hippe Restaurants mit gesunder und moderner Küche – wie beispielsweise das Salvationcafé.

Zahlreiche gemütliche Cafés in Johannesburg laden zum gemütlichen Beisammensein ein.

Ulrike Klaas

Angefangen hat alles mit einem Biergarten

»Ich wollte einen Ort schaffen, wo ich selbst gerne mit meinen Freunden hingehe und der mich glücklich macht«, sagt Brian Green. Der Initiator des 44 Stanley ist zum Frühstück dazugekommen – ebenso relaxt und freundlich wie der Ort, den er mit erschaffen hat. »Angefangen hat alles mit einem Biergarten, und dann ließen sich ein paar Künstler hier nieder«, erzählt Brian. Denn Orte, wo man sich draußen mit seinen Freunden auf ein Bier treffen konnte, waren nach der Apartheit 1994 rar gesät.

»Während der Apartheid war es verboten, draußen zu sitzen«

erzählt Brian. Wahrscheinlich hat sich die Stadt deswegen in eine einzige Freilichtbühne verwandelt. Die Freiheit feiern, indem man mit Freunden draußen zusammensitzen kann. »Nach der Apartheid hat sich Johannesburg in sich selbst verliebt«, sagt Brian. Jozi habe sich dank dieser Projekte stark verändert. Die Stadt ist lebenswerter. »Hier in Jozi haben Leute, die lieben, was sie tun, Geschäfte und Cafés eröffnet«, sagt Brian, der weder ein Fan von klimatisierten Shoppingmalls noch von den typischen Ketten ist.

Mag sein, dass Johannesburg einen schlecht Ruf hat.

Aber Energie, die hat die Stadt in jedem Fall auch, findet Jonathan. Etwas versteckt liegt der Kaffeeröster Bean There. Besitzer Jonathan Robinson trägt ein T-Shirt, auf dem in großen Lettern »African« prangt. Helles Holz trifft auf weiße Stühle, über dem Tresen hängen bunte Vintage-Lampenschirme und an den Wänden eingerahmte Kaffeebauern und -pflücker von den Plantagen. Bei Jonathan kommen ausschließlich zertifizierte Fairtrade-Bohnen in die Kaffeemühle. Deswegen schmeckt der Cappuccino so wunderbar ausgewogen, eben mit wenig Säure, sodass man hier schnell zum Kaffeeholic mutiert.

Der 41-Jährige hat vor zehn Jahren eine Rösterei in Kapstadt eröffnet. Seit sechs Jahren hat er nun eine Filiale in Johannesburg. Er selbst lebt und arbeitet hier. Warum nicht in Kapstadt, wenn dort schon die Hauptfiliale ist? »Ich liebe Johannesburg«, sagt Jonathan. Die Stadt habe zwar einen schlechten Ruf, aber wenn man sich einmal umschaut, dann werde einem bewusst, wie viele schöne Plätze es hier gäbe.

»Diese Stadt hat Energie, und ich liebe es, zu sehen, wie die einzelnen Viertel sich neu erfinden«

sagt der Kaffeeröster. »Ich möchte, dass meine Kinder in einer Stadt aufwachsen, die sich bewegt und weiterentwickelt.« Und da sei Kapstadt eher verschlafen.

Auf Menschen wie Jonathan und Brian trifft man in Jozi ständig. Innovative Denker, die darum bemüht sind, in ihrer Stadt etwas zu bewegen. »Hast du einen Lieblingsort oder ein Viertel, das sich besonders verändert hat, Jonathan?« »Ein absolutes Muss an einem Samstagnachmittag ist der Neighbourgoods Market in Braamfontain«, sagt er. Grund genug, sich einmal dort umzusehen.

Die Sonne steht mittlerweile hoch am makellosen Himmel. Eine Band spielt »No woman, no cry« im Aufgang zum Neighbourgoods Market. Es scheint, als sei ganz Johannesburg auf den Beinen. Auch hier sitzt man gesellig zusammen – unter freiem Himmel. Es ist ein hippes Plätzchen, sehen doch die Besucher des Markts so aus, als seien sie einem Fashion-Katalog entsprungen. Lässiger Street Style! Nicht hip, sondern super hip!

Street Fashion wird in Johannesburg wörtlich genommen.

Ulrike Klaas

Streetfood mit Atmosphäre

Barbecue-Duft liegt schwer in der Luft und zieht die Besucher wie Schlafwandler ins Innere des Neighbourgoods Market, einem ehemaligen Parkhaus. Auf dem Weg begegnen wir einem Großstadtindianer – Blue Jeans, weißes T-Shirt mit üppigem Federschmuck auf dem Kopf. Ein Schwarzgekleideter mit indischem Turban und Krokodilgerippe als Rucksack geht vor uns, muss seinen Weg aber immer wieder unterbrechen, da er ständig um ein Bild gebeten wird. Sehen und gesehen werden. Ein kunterbunter Mix der Kulturen.

Das gilt auch für das Essen. Wer den Markt besucht, kommt vor allem wegen des ausgezeichneten Street Foods, der entspannten Atmosphäre, der Livemusik und der guten Stimmung, um dies mit seinen Freunden zu genießen. Fried Chicken, Beef Sandwich, Austern, Paella, gebratener Reis, Obstkuchen und eine Bar mit kühlen Cocktails sorgen für ausgedehnte Stunde. Gegenüber der Bar stellen lokale Künstler und Designer Kleidung, Schmuck und Accessoires ganz unprätentiös vor grauer, nicht verputzter Wand, eben urban, zur Schau. Kein Trend scheint zu abgefahren. Kein Outfit zu verrückt.

Boutique um Boutique

Im Stadtteil Braamfontein reihen sich die Boutiquen wie Perlen aneinander. Auch wer den Markt verlässt, findet in den Straßen des Viertels Braamfontein überall kleine Boutiquen mit Unikaten – oft muss man sie suchen, da sie versteckt in Hinterhöfen liegen, aber dann entpuppen sie sich als wahre Fundgruben für Fashion-Verrückte. Fundstücke wie Clutches aus gerolltem Zeitungspapier bis hin zu asymmetrisch geschnittenen Klamotten und klobigen Schmuckstücken – diese Mode braucht Mut. Dazu gibt es jede Menge Bars von Rooftop-Beach-Clubs bis Spelunken, aus denen allesamt lässige R&B-Bässe wummern.

Braamfontein war einst Geschäftsviertel, das seit 1994 zum Ausgehviertel avanciert. Über allem prangt Nelson Mandela als Graffiti an einer kompletten Hochhauswand, verewigt vom amerikanischen Graffitikünstler und Designer Shepard Fairey – vor allem bekannt durch sein Label Obey. Wer Johannesburg besucht, kommt nicht umhin, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Sie ist allgegenwärtig, spürbar in der ganzen Stadt, nicht nur wegen der Mahntafeln oder Museen oder am nahegelegenen Constitution Hill.

Einst als Festung erbaut, wurde der Constitution Hill zum Gefängnis für weiße Häftlinge, darunter auch Mahatma Gandhi. Nur Nelson Mandela hatte die zweifelhafte Ehre, als einziger Dunkelhäutiger hier eine Zeitlang einzusitzen. Später dann kamen auch Gebäude für schwarze Gefangene hinzu. Heute ist in einem Teil des Constitution Hill das oberste Verfassungsgericht beheimatet und soll Sinnbild für das neue Südafrika sein, ein Versuch der Versöhnung. Der gläserne Bau dient dabei gleichzeitig als Galerie für moderne Kunst südafrikanischer Künstler.

Doch die völlige vorurteilsfreie Versöhnung steht noch aus. Die Apartheid ist längst noch nicht aus den Köpfen verschwunden. Weiß trifft Weiß, Schwarz trifft Schwarz. Es gibt sie noch, die ausschließlich schwarzen und die komplett weißen Viertel. Die armen und die reichen Ecken. Als Nelson Mandela 1990 aus dem Gefängnis entlassen wurde und ein Land Hoffnung schöpfte, war das zwar der Anfang vom Ende der menschenverachtenden Apartheid, doch Johannesburg stand kurz vor dem Kollaps – ganze Häuser wurden besetzt, Mieten verweigert und Besitzer entmachtet. Gangster und Banden versetzten in Angst. Gewalt und die Verslummung ganzer Stadtviertel prägten das Bild. Auch heute ist das Vertrauen der Bevölkerung in manche Viertel noch nicht wieder erwacht. Alexandra und Hillbrow beispielsweise -– zwei Viertel, die es als Tourist zu meiden gilt.

Maboneng? Treffpunkt der Hipster!

»Nach 20 Jahren Verfall und Niedergang sehen wir jetzt positiv in die Zukunft«, sagt Guide Jo Buitendach. Die junge Südafrikanerin hat sich vor ein paar Jahren mit ihrem Unternehmen »Past Experiences« selbstständig gemacht und bietet professionelle Führungen durch die Stadt an. »Ich möchte Johannesburg und seine Bewohner für Touristen authentisch und erlebbar machen«, sagt sie. Wir treffen die Enddreißigerin in Maboneng – einem der Viertel, das für den Umbruch steht. Es ist schon lange nicht mehr die kriminelle Energie, die das Viertel beeinflusst. Hier herrscht nun eine starke, kreative Dynamik. »Ich würde sagen, dass Jozi die größte Kunstgalerie der Welt ist«, sagt sie selbstbewusst.

Wer weiß wo, findet in Johannesburg Musik und Kunst zum Mitmachen.

Ulrike Klaas

Maboneng ist ein ehemaliges Industriegebiet im Zentrum Jozis, das in den letzten Jahren von Investoren in ein Hipster-Viertel umgewandelt wurde – und wo es an jeder Ecke Kunst zu entdecken gibt. Die sogenannten Murals, wie die Graffitimalereien heißen, sind im ganzen Viertel verstreut – ein Museumsbesuch unter freiem Himmel. Jo führt uns vorbei an Abflussrohren, auf denen groß »Love« steht. Oder an Brückenpfeilern, an denen verzierte Vintage-Tellerchen angebracht sind, auf denen beispielsweise Waffen, Sprüche, Herzen und kellnernde Bären zu sehen sind. Dann wieder gibt es Mauern, wo man sich mit Kreide verewigen kann und den Satz »Before I die I want to …« ergänzt. »Die Stadt fördert öffentliche Kunstprojekte jeder Art«, erklärt Jo. Dabei sei die Straßenkunst für die Bewohner mehr als bloß Kunst: »Es ist Ausdruck ihrer Identität, ihres Lebensgefühls und ein Symbol der Umbruchstimmung.«

Street Fashion an jeder Straßenecke

Auch das ist Jozi: Wo man steht und geht, kommt man mit ihren Bewohnern ins Gespräch. Beispielsweise beim Mittagessen. Fashion-Designer David Tale sitzt uns am Mittagstisch zufällig gegenüber und ächzt. Der Strom im ganzen Viertel sei seit heute früh ausgefallen, er käme gerade aus der Kirche, da sei es zum Glück kühl gewesen. Er designt südafrikanisch inspirierte Mode. »Nächste Woche bin ich auf der Fashion Week in New York«, sagt er. Inspiration gibt es genug. Man muss sich nur umschauen. Street Art trifft auf Street Fashion – die man zudem auf der Straße erstehen kann. Sei es das Auto, das kurzerhand als Kleiderstange umfunktioniert wird und auf dem Klamotten und Schmuckstücke liegen, oder die Kleiderstangen an den Straßenecken, die man vor dem nächsten Café-Besuch schnell einmal durchstöbern kann.

Maboneng ist Johannesburgs Hipster-Viertel.

Ulrike Klaas

An den Straßen Mabonengs reihen sich die Cafés und häufen sich die Überraschungen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass man kurzerhand zum Protagonisten in einer Drum-Session wird. Rap-Gesang und Beats locken in einen der Hinterhöfe, und ehe wir uns versehen, bekommen wir eine Trommel in die Hand gedrückt und sind Teil des Projekts.
Jo Buitendach ist begeistert: »Seht ihr, das ist Jozi«, sagt sie. Man merkt Jo bei jedem ihrer Sätze an, dass auch sie verliebt ist – verliebt in Jozi.

Anreise. Mit South African Airways von München oder Frankfurt nonstop nach Johannesburg.

Unterkunft. Geschmackvolles Refugium, kultivierter Lifestyle und intelligenter Luxus – das bietet das Fünf-Sterne-Haus Four Seasons Hotel The Westcliff – mit ausgezeichneter Küche. Four Seasons Hotel The Westcliff. 67 Jan Smuts Avenue, Johannesburg, 2132, Tel. +27 11 481 6000, DZ ab E 355 die Nacht.

Info. South African Tourism, Tel.: 08001189118.

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