Vom Pitztaler Gletscher aus kann man Tirol aufs Dach steigen. Die Wildspitze ist buchstäblich der Gipfel des österreichischen Bundeslandes und ein beliebtes Skitouren-Ziel. Den Einstieg in diese entspannte Wintersport-Disziplin lässt sich am Rande der Pisten erlernen. Auf Skitour im Pitztal. Text: Martin Häußermann
Ich bin platt. Und ich bin glücklich. Die erste Skitour der Saison hat zwar mehr Körner gekostet als ich eigentlich im Beutel hatte. Dafür war das Wetter hervorragend, die Aussichten traumhaft und unsere Bergführer mit einer nahezu unermesslichen Geduld ausgestattet. Und diese Ruhe…
Genau diese Ruhe hat mich vor wenigen Jahren motiviert, es einmal mit dem Skitourengehen zu probieren. Weg vom Trubel der großen Skipisten, kein hektisches Gedrängel an den Liften. Stattdessen erreicht man den Berg mit eigenen Kräften im eigenen Tempo. Wobei wir am Anfang der Saison nicht ganz auf Aufstiegshilfen verzichten können. Schließlich war Frau Holle in den vergangenen Wochen und Tagen noch nicht besonders fleißig.
Also reihen wir uns am frühen Morgen ein in die – glücklicherweise noch recht kurze – Schlange vor der Gletscherbahn. Mit unserem Tourenequipment sind wir hier Exoten. Das Gros der Wartenden sind Rennläufer und Skilehrer, die sich auf die neue Saison vorbereiten. Sie alle werden mit dem 200 Menschen fassenden Pitztalexpress nach oben katapultiert. Die Schrägseilbahn rauscht durch einen knapp vier Kilometer langen Stollen und überwindet in ziemlich genau acht Minuten gut 1100 Höhenmeter.
Unterwegs mit den jungen Spitzensportlern
So schnell kann kein Mensch gehen. Auch Finn Hösch und Antonia Niedermaier nicht. Dabei sind diese beiden 18-Jährigen, die uns an diesem Tag begleiten, waschechte Spitzensportler. Der Maschinenbaustudent und die Abiturientin betreiben Skibergsteigen als Wettbewerbssport und hoffen 2026 in Cortina d’Ampezzo zu sein. Dann wird ihre Sportart erstmals als olympischer Wettbewerb ausgetragen. Die Chancen, dass die beiden Athleten aus Bayern da mitmischen, sind gut. Schließlich holte Antonia Anfang 2021 Junioren-Weltmeistertitel in gleich zwei Skibergsteiger-Disziplinen, Finn landete in der vergangenen Saison in mehreren Wettbewerben in der internationalen Top-Ten. Für 1200 Höhenmeter braucht er nach eigenen Angaben etwa eine Stunde und zehn Minuten. Das ist zwar deutlich langsamer als die Seilbahn, aber deutlich schneller als wir Normalsterblichen. Selbst gut Trainierte brauchen die dreifache Zeit.
Dieses Leistungsvermögen nötigt Respekt ab, doch in unserer Gruppe nehmen sich die beiden sympathischen Athleten zurück und zeigen unterwegs, wie man in Sekundenbruchteilen, buchstäblich im Sprung seine Steigfelle abzieht. Letzteres ist für uns zwar spannend zu sehen, aber nicht relevant. Unser Motto lautet: Erlebnis statt Ergebnis.
Der Einstieg in das Erlebnis Skitourengehen gelingt auf dem Pitztaler Gletscher ganz prima. Vor vier Jahren wurde hier der erste Skitourenpark Österreichs eingerichtet. Im Klartext heißt das: Anfänger üben ihre ersten Schritte mit den Tourenskiern in einem gesicherten Skigebiet abseits von Lawinengefahr und in der Nähe präparierter Pisten. Sollte es also entweder nicht klappen oder partout keinen Spaß machen, so ist der schnelle, individuelle Ausstieg aus der Tour über eine kurze Tiefschneepassage und anschließende Abfahrt auf einer präparierten Piste möglich. Dort demonstrieren die beiden jungen Athleten, wie perfektes Skitourengehen aussieht. Im Prinzip nicht viel anders als Langlaufen im klassischen Stil. Nur dass der Anstieg deutlich steiler ist als eine Langlaufloipe – und deutlich länger. Auf der sogenannten Cappuccino-Route, die anspruchsvollste der drei ausgeschilderten Skirouten, sind 600 Höhenmeter zu überwinden – unter anderem mit einer Passage, die bergab als schwarze Piste ausgeschildert ist. Oben wartet dann tatsächlich ein Cappuccino oder eine andere Kaffeespezialität im höchsten Kaffeehaus Österreichs dem Café 3440, serviert vom knorrigen Wirt Sepp, der hier seit neun Jahren Gäste empfängt.
Zum Kaffee auf 3.440 Meter
Ein Cappuccino und ein Stück Kuchen dazu ist sicher eine schöne Belohnung für die Anstrengungen bergauf.
»Aber mit das Wichtigste ist das Gipfelerlebnis«, konstatiert Bergführer Raphael Eiter, den alle nur Raffi nennen.
Ich gehe direkt hinter ihm und gerate zunehmend außer Puste. Das hat viele Gründe. Zum einen bewegen wir uns hier in einer Höhe über 3.000 Meter, an die ich mich noch nicht akklimatisiert habe, zum anderen müssen wir, bevor wir den eigentlichen Anstieg Richtung Gipfel beginnen, mit den Ski auf dem Rücken über einen Grat kraxeln. Erst rauf, dann runter, denn zum Abfahren liegt zu wenig Schnee. Und schließlich stelle ich fest, dass mir zur Eroberung der Wildspitze, dem Sehnsuchtsberg vieler Österreicher, wohl die notwendige Kondition fehlt. Schließlich brauche ich ja auch noch Körner, um den Grat auch auf dem Rückweg nochmals zu überwinden.
»Im Hochwinter ist das nicht notwendig, denn wenn ausreichend Schnee liegt, kann man auch direkt abfahren«, sagt Alfi, unser zweiter Bergführer. Aber heute ist es eben anders. Wir sind am Anfang der Saison und müssen mit dem vorhandenen Altschnee auskommen. Das hat den Vorteil einer praktisch nicht vorhandenen Lawinengefahr. Dafür muss man die bereits beschriebenen Mühen auf sich nehmen. Eine Skitour ist eben kein Wunschkonzert, sondern ein Naturerlebnis. Ein sehr schönes übrigens. Es hat schon etwas Meditatives, wenn man seine mit Steigfellen bestückten Ski Schritt für Schritt den Berg hochschiebt, gleichmäßig die frische kühle Luft einatmet und dabei den Blick schweifen lässt. Erst recht, wenn die das Weeter so schön und die Fernsicht so grandios ist. Das Einzige, was ich höre, ist das Knirschen der Ski im Schnee und vielleicht noch das gleichmäßige Atmen der anderen, mit denen ich über ein seil verbunden bin. Diese Verbindung ist bei einem Aufstieg über ein Gletscher üblich und aus Sicherheitsgründen sinnvoll. Denn nicht jede Gletscherspalte ist auf Anhieb sichtbar. Sollte also jemand wegrutschen, fangen ihn die anderen auf.
Ski an und abfahren
Ich habe zwischenzeitlich die Seilschaft gewechselt. Während Raffi mit den Konditionsstärkeren das Dach Tirols, die Wildspitze (3774 m.ü.NN) anpeilt, gehe ich mit Alfi, Stephanie, Charlotte und Gerald Richtung Petersenspitze (3472 m.ü.NN). Das ermöglicht einerseits das – auch aus meiner Sicht erstrebenswerte – Gipfelerlebnis, spart andererseits aber 300 Höhenmeter und auch das Anlegen von Steigeisen, die zum Aufstieg auf die Wildspitze zu diesem Zeitpunkt zwingend notwendig sind. Darüber sind wir alle ziemlich froh, schließlich pfeift der Wind hier oben ziemlich scharf. Also schnallen wir unsere Ski ab, nehmen die Steigfelle ab und verstauen sie in unseren Rucksäcken. Dann stapfen wir in unseren gut profilierten Tourenschuhen nach oben. Aber nur für ein kurzes Foto, dann geht es wieder zurück, Ski anschnallen, um in die vom Wind besser geschützte Hochebene abzufahren. Jausenstube nennen sie diesen Flecken, weil hier die meisten Rast machen, um zu essen und zu trinken.
Das tun wir auch, schließlich müssen wir unsere Energievorräte auffüllen vor der Abfahrt durch den schweren Bruchharsch und den zu erwartenden Aufstieg auf den Grat. Und der kostet nochmals richtig Körner. Meine persönliche Akkuanzeige blinkt bereits rot, als ich den höchsten Punkt erreiche und meine Ski wieder anschnallen darf. Aber die Mühe hat sich gelohnt. Und die Wildspitze besteige ich eben beim nächsten Besuch im Pitztal.
Mehr Infos zum Pitztal und Skitouren
Anreise: Mit dem Auto: Über die Fernpasstraße (B179) oder die Inntalautobahn (A12) bis Imst, dann auf der Landstraße durchs Pitztal bis St. Leonhard.
Mit öffentlichen Verkehrsmitteln: Mit der Bahn bis Bahnhof Imst/Pitztal, dann 45 Minuten mit dem Omnibus bis St. Leonhard.
Ski-Verleih: Tourenski und -schuhe können bei Intersport Huter (in Mandarfen oder auf dem Pitztaler Gletscher) ausgeliehen werden. Die Tarife liegen bei rund € 25 (Ski inkl. Stöcke und Steigfelle) und € 11 (Schuhe) pro Tag.
Weitere Informationen zum Pitztal findet ihr hier.
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