Mitten im Warschauer Zentrum, aber doch in sehr ruhiger Lage, ist das Raffles Europejski Warsaw beheimatet. Im Juni 2018 wurde das Gebäude nach langjähriger Restaurierung erneut als Hotel eröffnet – und spielt nun wieder in der Spitzenliga der Warschauer Hotellerie. Text: Frank Störbrauck
Und plötzlich, es ging so flott vom Chopin-Flughafen mit dem Wagen hierher, stehe ich vor der Drehscheibe des wuchtigen Eckgebäudes. Dass der Chauffeur auf die Prachtstraße Krakowskie Przedmieście einbog, habe ich anfangs gar nicht bemerkt. Es gab auf der Fahrt ja auch so viel zu sehen, allen voran den Hauptbahnhof Warszawa Centralna und den benachbarten Kulturpalast, das 237 Meter hohe Wahrzeichen der Stadt.
In Gedanken war ich schon bei meiner Sightseeing-Tour durch Warschau, die ich am liebsten sofort begonnen hätte. Aber nun stehe ich etwas verloren mit meinem kleinen Rollkoffer vor diesem imposanten Gebäude des Raffles Europejski Warsaw und staune: was für ein prächtiges, was für ein riesiges Hotel!
Die Pagen an der Tür haben mich gleich wahrgenommen, eilen auch schon herbei und lotsen mich ins Innere. Der Hotelchauffeur hatte ihnen schon längst gesteckt, wie mein Name ist, und so professionell wie die Fahrt und die Begrüßung verlaufen, so schnell halte ich auch schon meine Zimmerkarte in den Händen. Der Check-in verlief wirklich sehr professionell. Begrüßung, Small-Talk-Fragen nach dem Befinden und der Anreise, Unterschrift unters Check-in-Formular – und bitteschön, hier ist ihre Zimmerkarte. So soll es sein.
Raffles unterhält bisher nur drei Hotels in Europa, eines davon in Warschau
Andererseits: Ein mäßiger Service hätte mich auch überrascht, denn ich bin zu Gast in einem Raffles-Hotel. Die Marke steht für internationale Spitzenhotellerie im Fünf-Sterne-Segment, allen voran das 1887 im Kolonialstil erbaute Hotel in Singapur – das Mutter- und bis heute Vorzeigehaus der Hotelkette. In Europa unterhält die Marke derzeit nur drei Häuser: in Istanbul, Paris und seit dem 1. Juni vergangenen Jahres in Warschau. Raffles und Geschichte, das scheint zusammen zu gehören. So auch in der Warschau Dependance. Kein anderes Hotel in Warschau hat eine so bewegende Vergangenheit in der Luxushotellerie hinter sich.
Das Hotel wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtet. Mehr als zwanzig Jahre dauerte es, bis das im Neorenaissance-Stil gebaute Hotel schließlich 1877 eröffnet werden konnte. Rund 40 Jahre lang gehörte das Haus in der Folgezeit zu den führenden Grandhotels in Europa – bis die Ära des Niedergangs begann. Der Zweite Weltkrieg setzte dem Haus schwer zu, es musste in den Nachkriegsjahren wiederaufgebaut werden. An die alte Glanzzeit konnte es seitdem nicht mehr anknüpfen. Mehrere Jahrzehnte lang firmierte es als Drei-Sterne-Hotel.
Doch jetzt scheint die Stunde des großen Comebacks geschlagen zu haben. Raffles lässt die illustre Vergangenheit wiederaufleben. Nicht nur das: Das Haus ist eine einzige Hommage an Polen und dessen Hauptstadt. Dies zeigt sich unter anderem in der Warschauer Skyline, die in dem grauen Marmor der Badezimmerwände der 106 Zimmer und Suiten eingelassen ist. Vor allem aber in der von Anda Rottenberg, einer ehemaligen Direktorin der Zachęta National Gallery of Art, betreuten Europejski Art Collection. Sie umfasst rund 500 Kunstwerke von mehr als 120 Künstlern, darunter der polnische Avantgarde-Künstler Tadeusz Kantor sowie Wilhelm Sasnal, Monika Sosnowska und die für den Turner-Preis nominierte Goshka Macuga als einige der Vertreter der zeitgenössischen Kunstszene Polens.
Sehr fein: eine Kunstführung durch das Hotel
Herr der Kunstkollektion des Raffles Europejski Warsaw ist Igor Bloch. Er ist der Art Collection Manager im Raffles Europejski Warsaw. Ich treffe ihn wenige Stunden nach meiner Ankunft in der Lobby. Igor Bloch umgibt die elegante Aura eines feinen kunstbeflissenen Mäzens. »Es freut mich sehr, dass Sie sich für die Kunst in unserem Haus interessieren«, sagt er zur Begrüßung und schreitet auch schon über den 40 Meter langen blauweiß gemusterten Teppich, der von der Lobby Richtung Restaurant führt. Mir fallen sofort die markanten Murano-Kronleuchter auf, die an den Enden der Lobby platziert wurden.
Aber um das Innendesign geht es Igor Bloch bei seiner Führung durch das Haus nicht. Er hat sich ganz und gar der Kunst des Hauses verschrieben. »Die zeitgenössische Kunst, die wir im Haus zeigen, hat einen sehr starken polnischen Bezug. Für viele Gäste ist die Sammlung eine spannende Entdeckungsreise«, erläutert er. Das zeigt sich nicht nur in den öffentlichen Räumen, sondern auch in den Zimmern und Suiten. So widmet sich jedes Zimmer einem anderen Thema und hat eine eigene Kunst- und Fotografien-Ausstellung. Dass Igor Bloch mich nun nicht durch alle 106 Zimmer und Suiten führt, versteht sich von selbst. Aber auch die Kunst in den öffentlichen Räumen ist hübsch anzusehen. Am besten gefallen mir die Fotografien am Ende des Flures im zweiten Stock, wo uralte Fotografien Zeugnis ablegen über die Geschichte des Hauses zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Auf Entdeckungstour durch die Warschauer Altstadt
Nach dieser vollen Dröhnung Kunst muss ich erst mal an die frische Luft. Ich möchte endlich etwas von der Stadt sehen. Der Wettergott, der an diesem Wochenende in Warschau das Zepter in der Hand schwingt, meint es allerdings nicht gut mit mir. Es regnet. Nicht ein paar Stündchen. Nein, es regnet an diesem Wochenende fast ununterbrochen. Gut, denke ich, im Raffles Europejski Warsaw könnte ich das ganze Wochenende verbringen. Mich im Spa verwöhnen lassen, mich stundenlang im himmlisch weichen Bett lümmeln – oder mich durch die leckeren Speisen im Restaurant mampfen.
Aber das kommt gar nicht in Frage. Als der Regen endlich eine Pause einlegt, marschiere ich los. Mein Programm ist ehrgeizig: Den »Stalinstachel« will ich knipsen (das ist der Kulturpalast), den historischen Prachtboulevard Ulica Nowy Swiat, das Museum der Geschichte der polnischen Juden, den hippen Plac Zbawiciela (Erlöserplatz) und natürlich die Altstadt. Die liegt praktischerweise nur einen Katzensprung vom Raffles Europejski Warsaw entfernt. Okay, die Altstadt ist nicht gerade ein Geheimtipp. So ziemlich jeder Tourist, der Warschau besucht, latscht hier durch.
Trotzdem ist der Besuch lohnend. Die Altstadt wirkt auf mich wie ein kleines Disneyland: gepflasterte Straßen und Gässchen, gewölbte Torbögen, kitschige Laden- und Caféschildchen, Bürgerhäuser in bunten Farben, dazwischen nur wenige Touristen.
Am Rande der Altstadt musiziert ein älterer Mann mit seiner Geige. Seine Stücke sind nicht gerade aktuell, aber seine emotionale Aura berührt mich. Mitten auf dem Platz spielt ein Mann allein Tennis; der Ball ist an einer Schnur befestigt, so springt er immer wieder zurück zum Schläger. Das wirkt so herrlich skurril, dass ich mir dieses alberne Teil fast hätte andrehen lassen. Plötzlich ist es vorbei mit der Herrlichkeit. Alle blicken entsetzt zum Himmel. Ein heftiger Regen kommt auf. Jetzt aber ganz schnell zurück ins Raffles Europejski Warsaw.
Kulinarische Genüsse im Europejski Grill
Am Abend entscheide ich mich zu einem Essen im hoteleigenen Europejski Grill. Die Verbindung zu Polen wird nicht nur in der ausgestellten Kunst des Hauses, sondern auch auf kulinarischer Ebene kultiviert. So serviert der vom spanischen Designstudio Lázaro Rosa Violán in markanten Blau- und Weißtönen gestaltete Europejski Grill moderne polnische Gerichte. Eines gleich vorweg: Von einem Restaurant-Geheimtipp zu sprechen, ist Hohn. Das Raffles Europejski Warsaw gehört zu den besten Luxushotels, die Polen zu bieten hat. In Warschau ist das Hotel bekannt wie ein bunter Hund. Und der Name Raffles verpflichtet. Auch kulinarisch. Dass man hier ganz vorzüglich essen kann, das werde ich an diesem Abend schnell feststellen.
Der große Speisesaal, geformt wie ein Rechteck, wirkt angenehm luftig. Ich bin früh dran. Es ist noch angenehm leer, entsprechend tief ist der Geräuschpegel. Für Alleinspeisende wie mich hat man einen wunderbaren Platz in petto: gleich an den bodentiefen Fenstern. Das Schöne: Die Fensterplätze werden durch wuchtige Samt-Vorhänge vor neugierigen Blicken der anderen Gäste im Speisesaal geschützt. Man sitzt hier wie in einem kleinen Separee.
Steak Tartare als Vorspeise, Wolfsbarsch als Hauptgang
Als Cocktail-Appetizer gönne ich mir als Erstes den hauseigenen Warsaw Sling. Das ist das Warschauer Pendant zum legendären Singapore Sling im Mutterhaus in Singapur. Mit Ausnahme des Tanqueray-No.-Ten-Gins und des Ananassafts haben die beiden Cocktails nichts gemeinsam. In den Warschauer Drink kommen außerdem rein: ganz fein geriebener Lebkuchen (!) sowie ein Mix aus Quitten-, Zitronen- und Orangensaft. Ich muss sagen, ich finde den Cocktail äußerst gelungen – und ein hoteleigener Drink, der macht natürlich auch was her.
Als Vorspeise wähle ich das Steak Tartare, ein Klassiker ja, der aber durch das Hinzufügen des würzigen Bärlauchs und des Meerrettich-Öls eine individuelle Note bekommt.
Ich bin schon fast satt, als der Hauptgang gereicht wird: Wolfsbarsch, Gott sei Dank nur mit Zitronenöl. Das schaffe ich noch. Ich schiele noch kurz auf die Dessertkarte. »Burnt Butter« (Eis, Walnüsse, Schokolade, Flockensalz) oder »Blood Orange« (70%ige Schokolade mit Karamell und Ginger) rufen mir verführerisch entgegen: »Komm, bestelle mich«. Aber ich bin durch. Es geht nicht mehr. Gar nicht.
Leckereien zum Mitnehmen in der Patisserie Lourse Warszawa
Am Tag meiner Abreise sitze ich etwas gedankenverloren beim Frühstück. Vor mir ein opulentes Avocado-Brot.
Am Nachbartisch sitzen zwei Damen mittleren Alters aus Frankreich, sehr betucht. Mein Schulfranzösisch reicht noch gerade so aus, um ihre Schwärmereien von den Leckereien der hoteleigenen Patisserie Lourse Warszawa aufzuschnappen. »Der Kremowka, mon dieu, war der lecker«, schallt es zu mir hinüber. Auf Deutsch heißt das köstliche Stück Cremetorte Napoleonka. Eine Kalorienbombe sondergleichen: zwei Schichten Blätterteig, gefüllt mit Schlagsahne, Buttercreme und Vanillepastete.
Bevor ich den Heimweg antrete, schaue ich in der Patisserie vorbei. OMG! Ich kann mich gar nicht entscheiden. Der Cheesecake sieht toll aus. Der Honey Cake und der Signature Cake aber auch. Die Bedienung sieht mir anscheinend an, dass mir das Wasser im Mund zusammenläuft und ich mich nicht entscheiden kann. Überhaupt nicht. »Einige Gäste nehmen sich auch von jedem etwas mit«, sagt sie. Ja, das ist gut. Ich auch – und signalisiere ihr durch ein stummes Nicken, dass das doch eine ziemlich gute Idee ist. So habe ich auch heute Abend zuhause noch ein paar Stücke vom Raffles Europejski Warsaw in Erinnerung. In sehr schöner Erinnerung.
Infos. Die Adresse des Raffles Europejski Warsaw lautet: Krakowskie Przedmieście 13, 00-071 Warszawa, Polen. Ab rund 200 Euro pro Nacht im DZ. Mehr Infos und Buchung hier.