Neulich fühlte sich reisen EXCLUSIV-Autor Harald Braun eine Woche am Stück wie sein Namensvetter Juhnke: »Keine Termine haben und leicht einen sitzen …« Das bezeichnete jener Mal als Inbegriff irdischen Glücks. Das mit den Terminen vergesse wir mal. Aber der Rest kommt in Kentucky zwangsläufig hin.

Wer davon geträumt hat, irgendwann einmal ein Pferd vor einer Apotheke kotzen zu sehen, dürfte in Kentucky die besten Chancen haben. Es gibt nämlich genau zwei Dinge, um die sich in dem Bundesstaat im Grenzbereich zwischen dem Süden und dem Mittleren Westen der USA alles dreht: Pferde und Bourbon. Auf das Kentucky Derby und die wirtschaftliche Bedeutung der Pferdezucht für den im Vergleich recht überschaubaren Bundesstaat komme ich später zurück.

eine Farm in Kentucky

Patrick Jennings/Shutterstock.com

Echter Bourbon kommt aus Kentucky

Zuerst zum Whiskey. Oder besser: zum Bourbon. Nicht dasselbe! Das ist so ziemlich die erste Lektion, die ein Kentucky-Greenhorn wie ich von einem eingeborenen Local erhält:

»Jeder Bourbon ist ein Whiskey, aber nicht jeder Whiskey ist ein Bourbon.«

Die Unterschiede sind vielfältig, wichtig zu wissen ist Folgendes: 95 Prozent der weltweiten Bourbon-Produktion stammt aus Kentucky. Dass sich ein hochprozentiges Getränk überhaupt Kentucky Straight Bourbon nennen darf, setzt voraus, dass es in Kentucky gebrannt worden ist, in einem brandneuen Eichenfass mindestens ein Jahr gelagert und zu 51 Prozent aus Mais gewonnen wurde. Es ist nicht schwer, diese Informationen abzuspeichern, wenn man in Kentucky zu Gast ist. Sie werden einem schließlich so drei- bis viermal am Tag eingetrichtert. Stets zusammen mit einem Gläschen Bourbon. Ablehnen ist keine Option.

Woodford Bourbon aus Kentucky

Zhivko Minkov

Ein Bourbon für alle Fälle

Ich frage in die Runde, ob es in Kentucky möglicherweise mehr Alkoholmissbrauch gibt als anderswo im Land, könnte doch sein. Spöttisches Gelächter in der Runde der Einheimischen. »Schon okay«, wiegelt Chenelle McGee ab, die unsere Gruppe in Louisville in Empfang genommen hat und uns in der Bar North of Bourbon zum Dinner parkt: »Bourbon gehört in Kentucky zum täglichen Lifestyle, das ist kein Problem für uns.« Nun denn. Im North of Bourbon stehen rund 300 Bourbon-Sorten auf der Karte, auch die meisten der angebotenen 26 Cocktails basieren auf, Überraschung: Bourbon. Essen gibt’s auch, Comfort Food mit Louisiana und Mississippi-Wurzeln – mächtige Portionen, stabil paniert. In den nächsten Tagen werden wir allerlei Bars und Restaurants kennenlernen, das Angebot ist nahezu identisch: Stolze Mengen Bourbon, üppige Küche – welcome to Kentucky!

Tatsächlich habe ich es dann mal kurz gegoogelt. Es stimmt: Im Ranking aller 50 US-Bundesstaaten nimmt Kentucky, was den Alkoholkonsum pro Person angeht, einen unauffälligen 1. Platz ein. Nur in Sachen »Betrunken verhaftet« rückt man landesweit auf Platz sechs nach vorn. Was mich wiederum verwundert, denn ich habe in einer Woche zwischen Louisville, Lexington und Covington zwar eine Menge Frauen und Männer amtlich bechern sehen, aber niemand wurde dabei aggressiv oder auch nur unfreundlich. Im Gegenteil: Kentuckys Einwohner machen, wenn derartige Pauschalisierung hier ausnahmsweise mal gestattet ist, einen überwiegend entspannten, gemütlichen und sympathischen Eindruck.

frittierter Burger in Kentucky

Loes Klinker

Von Farmern und Cowboys

Das bestätigt auch Chenelle McGee. Ihr fällt dann auch gleich ein gutes Beispiel für die No-Bullshit-Attitüde ihrer Landsleute ein. Vorlage: Moi.

»Wo sind denn die ganzen Cowboys hin?«

frage ich mit Blick auf die braven Kerle, die mit schmucklosen Basecaps an der Theke des North of Bourbon hocken. Kein Stetson weit und breit. Chenelle lacht mich spöttisch aus. Schon wieder. »Niemand würde sich hier als Cowboy bezeichnen«, sagt sie schließlich, »das wäre in ihren Augen völlig lächerlich. Sie sind einfach Farmer.«

Musiker in Louisville in Kentucky

Harold Wainwright

Man könnte nun denken, dass man als Gast in Kentucky auch mal in die freie Natur gebeten wird. Schließlich nimmt man bei der Überlandfahrt aus dem Fenster des Vans wahr, dass die Landschaft in Kentucky überwiegend grün und leicht hügelig wie in einem lieblichen Hobbitland zu sein scheint, also für Wanderer durchaus einladend. Doch wer 42 Bourbon-Destillerien in seinem Bundesstaat vorzuzeigen hat, muss sich sputen.

Von Distillery zu Distillery

Nicht mal für den spektakulären Mammoth Cave Nationalpark mit seinem unterirdischen Höhlensystem oder die Anglerparadiese Kentucky Lake und Lake Barkley bleibt genügend Zeit (was wir trotzdem jedem Kentucky-Besucher empfehlen würden – allein schon, um mal ein paar Stunden nüchtern zu bleiben). Stattdessen landen wir in der Castle & Key Distillery am beschaulichen Glenn’s Creek in der Nähe von Frankfort. Auf der offiziellen Kentuck Distillery Map ist zu erkennen, dass in unmittelbarer Nachbarschaft auch die Whiskey Thief Distillery (viel- versprechender Name!), die Woodford Reserve oder die Wild Turkey Distillery auf dem Weg liegen.

Besucher in der Castle & Key Distillery in Kentucky

New Riff Distilling

Warum wir ausgerechnet bei Castle & Key landen, entschlüsselt sich schon vor den Toren der Brennerei. Empfangen werden wir von einer Art Zuckerbäckerschloss aus Sandstein, das als Entree des weitläufigen Areals beste Instagram-Qualitäten aufweist. Der Bourbon-Boom in Kentucky in den letzten Jahren hat dazu geführt, dass immer mehr stillgelegte Destillerien restauriert und in schmuckem Gewand wieder eröffnet werden. Auch die 22 (!) Gebäude von Castle & Key rotteten 40 Jahre vor sich hin, bis sich die beiden Bourbon-Abenteurer Will Arvin und Wesley Murr aufmachten, die Ruine flottzumachen. Seit 2016 wird dort wieder Bourbon gebrannt.

Eine Meister-Brennerin am Werk

Mit Marianne Eaves ist dort erstmals eine weibliche Meister-Brennerin am Werk. 2022 wurden die ersten Fässer von Castle & Key ausgeliefert. Doch mehr noch: Das Gelände der vorläufig jüngsten Destillerie Kentucks ist ein landschaftliches Schmuckstück. Es verfügt über einen zauberhaften englischen Garten, einen glamourösen Eventbereich und mit dem Boiler Room on top über ein fantastisches Gewölbe, in dem die Produkte des Hauses angeboten werden. Ganz wichtig das Ritual, das uns bei jeder der kommenden Tastings in den unterschiedlichsten Brennereien angetragen wird: In einer der gewaltigen Castle-&-Key-Lagerhäuser lernen wir, wie man mithilfe einer Art großen Pinzette den Bourbon direkt aus einem Fass ausschenkt – und, ähm: trinkt.

Besucher in der Castle & Key Distillery in Kentucky

Castle & Key Distillery

Für die meisten der 42 Destillerien in Kentucky gehören Tastings und Führungen wie diese zum Geschäftsmodell. Selbst wenn man keinen eigenen Bourbon brennt, kann man im Whiskeygeschäft mitmischen. Sogar buchstäblich, wenn man zum Beispiel ein Tasting veranstaltet, bei dem jeder Gast aus vier ausgesuchten Bourbon-Sorten mithilfe seiner Geschmacksknospen den eigenen Bourbon zusammenbraut. So geschehen bei Wenzel Whiskey in Covington. Hier erhalte ich meine eigene Flasche Bourbon. Ein Unikat. Auf dem extra für mich beschrifteten Etikett werden selbst die 55 Prozent Alkoholgehalt beglaubigt, die ich mir mithilfe von Wenzel-Gründer Bill Whitlow zusammengemischt habe. Der Mann wird übrigens in den nächsten Monaten mit der Hilfe von Investoren seine eigene Brennerei betreiben, die Hallen sind schon angemietet. »Der Markt für Bourbon in Kentucky ist riesig«, schwärmt Whitlow. »Was gibt’s Größeres, als den eigenen herzustellen?«

Auch Bourbon in der Vintage-Variante

Ambitionen, die Brad »Dust« Bonds offenbar nicht kennt. Der Mann führt zusammen mit seinen beiden Businesspartnerinnen Shannon Smith und Katie Meyer den Revival Vintage Bottle Shop in Covington. Auf zahlreichen Regalen kuscheln sich braun schimmernde Bourbon-Flaschen mit amüsanten Etiketten aneinander. Zum Teil sind sie fünfzig, sechzig Jahre alt und älter. Ausge- suchte Tropfen, bei denen Sammlern das Herz aufgeht. Brad Bonds allerdings hält nichts davon, seine Schätze von Old Rip Van Winkle, Yellowstone oder Colonel Lee nur in die Vitrine zu stellen.

Autor Harald Braun mit einem Bourbon

Harald Braun

Täglich öffnet er eine Flasche aus seinem reichhaltigen und ständig nachwachsenden Portfolio und schenkt Genießern für einen schlanken Zehner ein Schlückchen aus. Natürlich erst nachdem er selbst probiert hat. Wie seine Leidenschaft der Gesundheit bekommt, will ich wissen. Brad Bonds grinst mich ungläubig an und zuckt mit den Schultern. Die Sprechblase über seinem Kopf ist nicht zu übersehen: Was will er, der europäische Moralapostel? Es gibt halt so Fragen, die darf man in Kentucky einfach nicht stellen, wenn man sich nicht auslachen lassen möchte.

Heimat der Baseball-Schläger

Auch Ethan zweifelt an meinem Verstand, eine Melange aus Erheiterung und Ungläubigkeit schütteln ihn, als er mich mustert. Ethan ist Guide im Slugger Museum von Louisville. Dieses Museum zeigt die Geschichte der berühmten Baseballschläger, die seit Generationen hier angefertigt werden. Vor dem Gebäude steht ein überlebensgroßes Exemplar dieser hölzernen Totschläger, fast 40 Meter hoch, angeblich der größte Schläger der Welt. In Deutschland kenne ich die Dinger nur in Zusammenhang mit Türstehern und rechten Hooligans.

Slugger Museum in Louisville

Brand USA

Ob man die in den USA frei erwerben und ohne Waffenschein führen darf, ist also in meiner Welt eine durchaus berechtigte Frage. Hätte ich mir sparen können, wenn ich Ethans Blick richtig deute. Als wir die Führung durch das Museum hinter uns haben, bekommen wir alle zum Abschied eine Minivariante des Holzprügels geschenkt. Außerdem wissen wir nun, dass Baseball in Louisville von allergrößter Bedeutung ist und jeder amerikanische Baseballsuperstar, der etwas auf sich hält, nur hierher kommt, um sich seinen Schläger auf Maß anfertigen zu lassen.

Muhammad Ali und sein Museum

Das Slugger Museum ist allerdings nur das zweitwichtigste Museum in Louisville. Die Nummer eins ist das Muhammad Ali Center, fußläufig vom Sluggermuseum in der Innenstadt Louisvilles nur ungefähr fünf Minuten entfernt. Bei der Gelegenheit nur kurz erwähnt: Die Städte in Kentucky sind Kleinstädte, wenn man nur auf ihre Einwohnerzahlen schaut. Straßen und Häuserzeilen allerdings sind weder klein noch idyllisch: Louisville oder Lexington wirken ganz genauso modern und gewaltig wie New York oder Los Angeles, wenn man sich ihre architektonischen Dimensionen anschaut. In Amerika denkt man eben auch in der Provinz groß.

Louisville am Ohio River

Miles Manwaring

Der Unterschied zu einer richtigen Großstadt besteht jedoch darin, dass das gesamte Louisville in zwei Stadtteile von New York reinpasst. Das Muhammad Ali Center befindet sich nicht zufällig in Louisville – der größte Boxer aller Zeiten wurde 1942 hier geboren und wird auch über seinen Tod hinaus verehrt. Auf vier Stockwerken sind die wichtigsten Ausschnitte seiner Kämpfe zu sehen, dazu eine Menge Memorabilien, Fotos und Plakate. Funfact: An der Gestaltung des Museums war er noch selbst beteiligt.

Muhammad Ali Museum in Kentucky

Arne Beruldsen/Shutterstock.com

Kentucky und der Pferdesport

Eine Sache ist ungeklärt: Wie kommt es, dass Kentucky solch eine Pferdehochburg ist, so dass Lexington sich unwidersprochen Pferdehauptstadt der Welt nennen darf? Es ist ein Mythos, dem sich der Schriftsteller J. J. Sullivan in einer Art Kulturgeschichte des Kentucky-Pferdesports am Ende auch nur vage nähert: Es hat etwas mit der geologischen Beschaffenheit Kentuckys zu tun, den geschwungenen Hügeln, dem klaren Wasser, den gesunden Blue-Grass-Weiden. Über 50 Pferderassen werden in Kentucky gezüchtet, rund 450 Gestüte sind daran beteiligt.

Pferde in Kentucky

Taylor Made Farm Edit Photos

Das Kentucky Derby, jährlich stets am ersten Samstag im Mai, ist das wichtigste Pferderennen weltweit. Selbst die englische Queen war zu Lebzeiten da. Keeneland, diese wunderbare Anlage aus Rennbahn und Auktionshaus in Lexington, gilt als heißester Umschlagplatz für Rassepferde aus aller Welt. Zweimal im Jahr wechseln hier Millionensummen den Besitzer. Zuschauer, Züchter, Jockeys, Trainer und Rennstallbesitzer kommen in Kentucky zusammen und tun, was sie am liebsten tun: auf Pferde wetten.

Eine Millionen Dollar auf den Favoriten

Normalsterbliche beim sogenannten »Run for the Roses«-Rennen, wie das Kentucky Derby auch genannt wird, am Wettcounter. Die Profis der Branche am Auktionspult in Keeneland. »Ein Glücksspiel ist es für beide Gruppen«, lacht Chenelle McGee. Sie berichtet von einem Herrn aus Übersee, der seit Jahren stets eine Million Dollar auf den Favoriten des Rennens setzt. Limits gibt es keine, Garantien allerdings auch nicht. Der Millionen-Mann hat bislang immer verloren.

Keeneland Horse Racing

Brand USA

Die Zeit des Kentucky Derbys sei überdies fast eine eigene Jahreszeit, sagt Chenelle: »Es herrscht Ausnahmezustand in der Stadt, überall wird gefeiert, eine Woche lang bleibt hier kein Stein auf dem anderen.« Immerhin trinken die Leute dann mal was anderes als immer nur diesen Bourbon, werfe ich ein, schließlich habe ich bei unserer Führung in Keeneland gut aufgepasst und weiß daher, dass beim Kentucky Derby traditionell »Mint Julep« gebechert wird. Ein letztes Mal lacht Chenelle mich aus, und das habe ich auch nicht besser verdient. Denn die Zutaten eines Mint Juleps in Kentucky sind: 1, cl Zuckersirup, sechs bis acht Blätter Minze und 7,5 cl Bourbon!

Mehr Infos zu Kentucky und Bourbon

Mehr Infos zu Kentucky findet ihr auf der Seite von Visit USA und bei Kentucky Tourism.

Anreise

Von Frankfurt a. M. über Charlotte nach Louisville, beispielsweise mit American Airlines.

Hoteltipp

Ein wunderschönes Boutique-Hotel ist das The Grady Hotel in Louisville. DZ ab € 300 die Nacht.

Getränk beim Derby in Kentucky

Talk Derby to Me classic mint julep cocktail at derby party