Gipfelpunkte in der Hohen Tatra sammeln, sich während einer Floßfahrt im Nationalpark Pieninen von Flora und Fauna verzaubern lassen und sich durch die deftige Küche schlemmen: Fernab der ausgelatschten touristischen Pfade in Europa lassen sich in der Slowakei Geheimtipps erkunden – die auch wirklich diesen Namen verdienen. Text: Frank Störbrauck

Wir tuckern ganz entspannt nach oben, 2632 Meter hoch hinaus – und erwarten dort nichts anderes als eine nette Aussicht in die Ferne. Doch auf der Lomnitzer Spitze in der Slowakei müssen wir erst einmal tief Luft holen, als wir nach der Fahrt in der erdbeerroten Gondel an der Bergstation angekommen sind. Und das liegt nicht an der dünnen Luft: Weit unten im Tal breitet sich ein Teppich winzig kleiner Dörfer aus, ein azurblauer See ragt aus dem Hügelland um die Städtchen Poprad und Kežmarok hervor.

Reise durch die Slowakei: Blick auf die Berge von der Lomnitzer Spitze

Frank Störbrauck

Dazwischen grüner Wald und saftige Wiesen. Aber für das optische Highlight, für das Sahnehäubchen dieser Kulisse, sorgen die Berge. Die Gipfel der Hohen Tatra wirken, als hätte sie der liebe Gott bei der Schöpfung extra für uns in Reih und Glied angeordnet, damit auch wirklich jeder von uns nur noch seufzt: »Oh, wie schön …«

Was wir kannten: Bratislava und die Hohe Tatra

Die Slowakei ist anders, als wir dachten; wobei – Asche auf unser Haupt – keiner von uns so recht sagen kann, wie er sich das Land vorab ausgemalt hat. Das Land ist reich an Sehenswürdigkeiten wie Burgen und Kirchen, an Städten, die an die überraschend mannigfaltige deutsche Vergangenheit erinnern, an Nationalparks, die die reichhaltige Flora und Fauna schützen, so beispielsweise Füchse und Bären in der Tatra. Und mittendrin die Hohe Tatra; sieht man einmal von dem Partyluder Bratislava ab, hat sie auf der touristischen Landkarte der Slowakei seit vielen Jahren die Rolle der Protagonistin inne. Auf 55 Kilometern Länge und 17 Kilometern Breite bietet sie zwar all das, was die Alpen auch bieten, nur eben ein bis­schen kleiner, beschaulicher, günstiger und – das wohl Entscheidende – deutlich authentischer. Massentourismus mit all seinen negativen Facetten, den findet man hier erfreulicherweise nicht.

Reise durch die Slowakei: Bergsteiger auf der Lomnitzer Spitze

Frank Störbrauck

Bevor wir über die Marotten der Touristen fachsimpeln, spendiert uns Touristenführer Marián erst einmal einen Sliwowitz-Schnaps. Das ist ein ziemlich süßlich schmeckender Edelobstbrand aus Zwetschgen, made in Slovakia.

Ein Schnaps gehört zum guten Ton

Schließlich sollen wir eine kleine Ahnung davon bekommen, wie die Slowakei schmeckt – und außerdem: »Der fördert die Gesundheit und verlängert das Leben«, erläutert Marián. Dazu muss man wissen: Ein Schnaps auf die Gastfreundschaft gehört zur Slowakei wie die Maß Bier zum Münchner Oktoberfest. Wo auch immer man sich in der Slowakei unter die Einheimischen begibt: Ein Sliwowitz-Schnaps – manchmal auch einen Borovica, einen Wacholderbrand – auf die Gastfreundschaft gehört in dem Land zum guten Ton. Und hier gilt: Ist die süffige Versuchung erst einmal eingeschenkt, gibt es kein Zurück. Denn ein nicht geleertes Schnapsglas, so ein ungeschriebenes Gesetz in der Slowakei, könnte ein schweres Unglück nach sich ziehen. Und das wollen wir ja nun wirklich nicht heraufbeschwören: Prost!

Sliwowitz-Schnaps in der Slowakei

Frank Störbrauck

Im Tal angekommen, geht es gleich mit dem Auto weiter. Marián schaltet das Radio ein, der Sender SRO1 spielt gerade den Song »Milovanie v daždi« von Richard Müller auf Mitsing-Lautstärke. Der Sound passt, wir summen mit. Aber noch besser wäre es, wenn wir doch wenigstens ein klitzekleines bisschen Slowakisch mitträllern könnten. Andererseits möchten wir auch nicht zu laut sein, um die Anmut der vorbeiziehenden Szenerie nicht zu stören, denn sieht man einmal von den touristischen Zentren ab, präsentieren sich die Dörfer und Städte in der Hohen Tatra im September wie in einem Dornröschenschlaf. Auch das Wetter passt sich der Stimmung an: Die Sonne strahlt so schön von hoch oben herab, dass sie die Spitzen der Berggipfel zum Strahlen bringt, uns aber nicht zum Schwitzen. Wohl aber haben der Gipfelbesuch und die Fahrt mit dem Auto meinen mittlerweile vernehmbar knurrenden Magen in Wallung gebracht.

Mampfen wie bei Mama in der Nähe der Zipser Burg

Eine exzellente Gelegenheit, ihn für den Rest des Tages zum Schweigen zu bringen, bietet sich im Restaurant Spišský salaš in der Nähe der Zipser Burg.

Reise durch die Slowakei: Blick auf die Zipser Burg

Frank Störbrauck

Das Restaurant im Stil eines rustikalen Senner-Hauses bietet typisch slowakische Kost und ist bei Einheimischen wie Touristen beliebt. Wer von den Gästen nicht hung­rigen Schrittes den Trampelpfad zum Restaurant hinaufschreitet, posiert lächelnd auf einer Anhöhe und versucht sich in einem Gruppenfoto oder einem Selfie, die Zipser Burg postkartengerecht im Hintergrund.

Das Spišský salaš profitiert zweifelsohne davon, dass die Touristen einen gewissen folkloristischen Reiz an dem Restaurant entdeckt haben. Die gute Stube ist auf traditionelle Weise holzgetäfelt, an den Wänden hängen Bilder, die Schäfer bei der Arbeit zeigen, und zur musikalischen Untermalung trällern Folkloresongs durch die Boxen.

Die Schweineparade lacht uns auf der Speisekarten entgegen

Beim Blick auf die Speisekarte ahnen wir, dass die Verköstigung keine Blaupause für unsere nächste Diät werden wird. Denn da lachen sie uns entgegen, die deftigen Fleischgerichte: Schweineparade (!) mit Schulter und Lende, herzhaftes Gulasch und knusprige Schnitzel, gebratenes Hammelfleisch mit Sauerkrautkartoffelnockerln. Ja, die Nockerln. Sie sind in der Slowakei das, was in Deutschland das Sauerkraut ist: Staatsgericht. Darf also nirgends fehlen. Auf der Karte gibt es die Nockerln in allen möglichen Variationen: mit Schafsfrischkäse oder Sauerkraut, mit Topfen oder gezuckert in der süßlichen Variante.

Typisches Gericht in der Slowakei

Frank Störbrauck

Als die Reste der Fleischberge samt Nockerln abgeräumt werden, möchten wir am liebsten nur eins: ins Bett purzeln. Aber das kommt nicht in die Tüte. Marián hat ehrgeizige Pläne …

Die Region Zips wirkt wie eine gelebte slowakische Beschaulichkeit, eine romantische Gegend mit aufsehenerregender gotischer Kunst, aber ohne touristisches Spektakel. Interessant ist die Region, die sich von Poprad entlang dem gleichnamigen Fluss bis zum Branisko-Gebirge zieht, auch für ihre unberührte Natur samt Block-Kalkstein-Bergen – die sich dem Besucher vor allem im Nationalpark Pieninen an der Grenze zu Polen mit ganzer Wucht präsentiert. Mit seinen rund 37,5 Quadratkilometern ist er der kleinste der neun slowakischen Nationalparks. »Den Zauber des Parks erfährt man am besten während einer Floßfahrt«, prophezeit Marián und steuert zielsicher das »Rote Kloster« unweit des Flusses Dunajec an.

Eine Floßfahrt auf dem Dunajec ist Balsam für die Sinne

Am Ufer des Flusses treffen wir Peter, den Flößer unserer heutigen Tour auf dem Dunajec. Peter, Anfang 30, ist ein Hüne, fast zwei Meter groß, mit trainierten, muskulösen Armen und stechend blauen Augen. Ein Slawe wie aus dem Bilderbuch.

Peter, einer der Flößer auf dem Dunajec in der Slowakei

Frank Störbrauck

So wie die anderen Flößer trägt auch er die traditionelle Kleidung der Goralen, eine an der polnisch-slowakischen Grenze lebende Volksgruppe: eine üppig mit Blumenmustern bestickte blaue Weste und ein mit Federn und Muscheln verzierter Hut. Er begrüßt uns mit einem kräftigen Händedruck, und nachdem wir Platz genommen haben, geht es auch schon los.

Vor uns liegt eine rund anderthalbstündige Floßfahrt durch das enge Durchbruchstal bis nach Lesnica. Peter weiß alles über den Fluss, das liegt ihm quasi im Blut. Seit mehr als 150 Jahren betreiben die Goralen die Floßfahrt, sagt er.

»Unsere Vorfahren haben das Holz von hier über die Weichsel bis zur Ostsee gefahren und sich damit ihren Lebensunterhalt verdient«, erklärt er.

Auf die Frage, was es mit den vielen Muscheln auf seinem Hut auf sich hat, antwortet er kurz und knapp: »Pro Frau eine Muschel«. Als wir seine Antwort mit einer Mischung aus Bewunderung und Skepsis goutieren, lacht er laut los. »Ihr seid aber leichtgläubig. Was denkt ihr von mir?«, fragt er in die Runde. Nun ja, diese Muskeln, denke ich. »Das war ein Scherz. Früher erhielt jeder Flößer, der die sechsmonatige Tour bis zur Ostsee erfolgreich gemeistert hatte, eine Muschel an den Hut gesteckt«, klärt er uns auf.

Ich paddele über den Dunajec

Dann plötzlich macht er eine Pause, dreht sich um, zeigt auf seine Paddel und fragt mich: »Möchtest du mal?« Was für eine Frage! Ich will sofort. Die Abendsonne kämpft sich mit ihren letzten Strahlen in das Dunajec-Tal, die Ruhe ist himmlisch, also her damit. Viel muss ich nicht tun, das Floß bewegt sich fast wie von selbst. Aber ich täusche Geschäftigkeit vor, jetzt bloß nicht blamieren. Das Paddel drücke ich tief ins Wasser, mal nach links, mal nach rechts.

Frank Störbrauck

Für die winkenden Wanderer und Radfahrer rechts des Flusses habe ich keinen Blick, ich genieße das durch die Äste der Bäume flutende Sonnenlicht und den Blick auf die massiven Kalksteinberge. Ein Idyll. Dumpf hallt der Schlag meines Paddels von den bis zu 500 Meter hohen Bergen wider. Ja, der Dunajec gehört mir!

Wenige Minuten später sitze ich vor mich hindösend am Ende des Floßes. ich blicke verträumt in die Landschaft und habe bereits die Welt um mich herum vergessen. Ich höre nichts als das Plätschern des Flusses und Bäume, die jedes Lüftchen in einen rauschenden Ozean verwandeln; das Hier und Jetzt, das kann man auf dem Dujanec so wunderbar leicht vergessen.

Den Tag am Fluss Revue passieren lassen

Als wir in die Zielgerade einbiegen und zwei kräftige junge Männer am Ufer bereitstehen, um unser Floß an Land zu ziehen, kehrt die Realität zurück. Am Ufer schäumen Rinnsale zwischen den vom Wasser polierten Steinen. In der Ferne quaken Enten um die Wette. Ich schnappe meinen Rucksack, marschiere los und lasse den Tag Revue passieren. Ich muss an einen Mann denken, der mich auf der Lomnitzer Spitze lachend fragte, ob ich die Wahrheit schreibe oder dass es mir gefällt. Die Entscheidung fällt mir leicht: Ich entscheide mich für beides.

Anreise. Austrian Airlines fliegt von vielen Flughäfen in Deutschland über Wien nach Kosice. Flüge gibt es für rund € 400.

Unterkunft. Grand Hotel Kempinski High Tatras, Kupelna 6, 05985 Tschirmer See, ab € 150 pro Nacht im DZ am Wochenende in einem Deluxe Room mit Talblick.

Veranstalter. Dertour bietet in seinem Katalog »Europas Osten« eine Unterbringung im stilvollen Vier-Sterne-Haus »Grandhotel Praha«, das am Fuße der Lomnitzer Spitze liegt. Sieben Übernachtungen im Doppelzimmer inklusive Halbpension kosten ab € 357 p. P.

Infos. Slowakische Zentrale für Tourismus, Hildebrandstr. 25, 10785 Berlin, Tel.: 030 259 426 40,

Und hier gibt es unseren reisen-EXCLUSIV-Guide Slowakei.