Die Tourneen des Staatlichen Russischen Ballett Moskaus sind längst zu einer internationalen Erfolgsgeschichte geworden. Dass so ein Event seit nunmehr 30 Jahren die Zuschauer regelmäßig in die Hallen lockt, dürfte eng mit zwei Personen zusammenhängen: Ballett-Chef Wjatscheslaw Gordejew und Ballett-Trainerin Olga Kokhanchuk. Ein Besuch in Moskau. 

Was macht heute wie vor 100 Jahren ein gutes Ballett aus? Das Talent der Tänzer, klar. Das passende Outftit, auch klar. Nicht zu vergessen der Ort des Geschehens, die Bühne also. Aber auch die musikalische Untermalung muss stimmen, ebenso ein stimmiges Licht. Aber mit das Wichtigste sind die Personen, die im Hintergrund die Fäden ziehen. Die darüber wachen, wer aufgrund seines Talents Zugang zu diesem illustren Tanzkreis bekommt. Und natürlich, wer die Tänzer ausbildet.

Beim Staatlichen Russischen Ballett Moskau sind für Tänzer, Musik, Programm und Ausbildung vor allem zwei Personen zuständig: Wjatscheslaw Gordejew, künstlerischer Direktor, und Olga Kokhanchuk, Ballett-Trainerin. Seit nunmehr 30 Jahren inszenieren die beiden Urgesteine des russischen Balletts die Aufführungen ihrer Schützlinge in Europa, Asien und den USA. Ab dem 26. Dezember dieses Jahres touren sie nun wieder durch Deutschland. In Bonn geht es los, danach geht es kreuz und quer durch die Republik. Auch in der Schweiz sind Auftritte geplant.

Das Staatliche Russische Ballett Moskau tanzt Schwanensee.

Dietmar Scherf

Wer dem Erfolgsgeheimnis dieser Truppe auf den Grund gehen möchte, kommt nicht an einem Besuch des Moskauer Balletts vorbei. An ihrer Wirkungsstätte. In Moskau.

Trainiert wird außerhalb des Moskauer Zentrums

Bevor man das Trainingszentrum des Staatlichen Russischen Ballett Moskaus erreicht, ist erst einmal eine 30-minütige Autofahrt angesagt. Los geht es am Bolschoi-Theater, die Fahrt geht auf mehrspurigen Fahrbahnen vorbei an nicht enden wollenden tristen Plattenbausiedlungen und blassen Fassaden von Einkaufszentren. Zu allem Überdruss regnet es auch noch. Moskau kann im Oktober sehr abweisend sein. Dann endlich ist man da. Ein wuchtiger gelb-beiger Bau. Olga Kokhanchuk wartet bereits am Eingang. Hinter ihr sitzt eine Babushka im Glaskasten und wacht darüber, wer Einlass in das Gebäude begehrt. Ein kurzes Lächeln zur Begrüßung und man schreitet hinein ins Herz der Ballettschule.

Oben im zweiten Stock haben sich an diesem Vormittag bereits Dutzende Tänzerinnen und Tänzer zum Training versammelt. Allerdings trainiert man vormittags getrennt; die Frauen rechts im großen, die Männer links im kleinen Saal.

Training des Staatlichen Russischen Ballett Moskaus

Frank Störbrauck

Olga Kokhanchuk muss jetzt ran. Sie ist verantwortlich für die Frauen. Eine Pianistin, Oxana Zolotarova und Frau von Wjatscheslaw Gordejew, stimmt die ersten Töne an. Die ersten Klänge von Tschaikowskys Schwanensee hallen durch den Raum.

Die rührende Geschichte von Prinz Siegfried und Odette

Peter Iljitsch Tschaikowsky (1840-1893) dominiert mit seinem »Schwanensee« aus dem Jahr 1877 noch heute die Aufführungen des Staatlichen Russischen Ballett Moskaus. Die Geschichte von Prinz Siegfried, der sich in Odette, die Königin der Schwäne, verliebt und dabei gegen die Machenschaften und Tricksereien des Fieslings Rotbart kämpfen muss, ist ein Evergreen – und manch einer stellt sich heute die Frage: Ist das Moskauer Ballett ohne den Schwanensee denkbar?

In den Gesichtern der Tänzerinnen ist Anspannung zu sehen. Aber was erwartet man? Eine Ballettschule ist kein Zuckerschlecken. Und schon gar nicht die des Staatlichen Russischen Ballett Moskaus. Es gilt schließlich als eines der besten der Welt. Der Stolz einer ganzen Nation. Die meisten der Tänzerinnen sind sehr jung, das Gros deutlich unter 25. Einige sind ungeschminkt, andere tragen ein wenig Glitzerpuder und Lipgloss. Was vielen gemein ist: Sie haben vermutlich die schönsten Beine, die man je gesehen hat. Und dann geht es los, das Verbiegen und Dehnen zum Takt Taschaikowskys. Olga Kokhanchuk hält es jetzt nicht mehr auf ihrem Platz. Die 75-Jährige schreitet während der Übungen durch den Saal, klopft auf die Schultern, macht Übungen mit den Armen nach, geht in die Knie. Und immer wieder gibt sie lautstark Anweisungen.

Olga Kokhanchuk

Frank Störbrauck

Ballett ist kein Zuckerschlecken – nur die Harten halten durch

Man merkt schnell: Diese Frau lebt Ballett. Von Kopf bis Fuß. »Ich muss meinen Mädchen sagen, wie sie tanzen müssen. Ich kann gar nicht anders. Das ist mein Leben. Mein Leben«, sagt Olga in der Pause. Natürlich weiß sie, dass Ballett auch Schmerz und Entbehrung ist. »Ballett ist sehr schwer. Wenn es in den Fingern oder den Füßen zwickt, dann müssen die Tänzerinnen lernen, damit umzugehen. Das ist kein Zuckerschlecken«, erläutert sie. Und dennoch kann sich das Staatliche Russische Ballett Moskau nicht vor Bewerbungen retten. Immer wieder tanzen die Bewerberinnen vor. Olga schaut sie sich dann an. Dabei muss sie harte Entscheidungen treffen. Oft habe sie sagen müssen: »Versuche bitte woanders dein Glück«.

Eine, die es dagegen geschafft hat, ist Anna Shcherbakova. Die 29-jährige Ballerina ist einer der Stars des Moskauer Balletts. Sie sitzt nach den Proben in einem kleinen Zimmer, gleich neben dem großen Übungssaal und poliert ihre Tanzschuhe.

Anna Shcherbakova

Frank Störbrauck

Als sie vier Jahre alt war, wusste sie, dass sie Ballerina werden möchte. Sie war fasziniert von dem Tanz, erzählt sie. Als sie dann zehn Jahre alt war, hat sie ein Scout in der Stadt Perm entdeckt und ihren Eltern gesagt, dass sie auf eine professionelle Ballettschule gehen soll. Gesagt, getan. Im Alter von 18 ist sie dann nach Moskau gezogen. Seitdem gehört sie zum Ensemble des Moskauer Balletts.

Ein Leben ohne Ballett? Für die Star-Ballerina nur schwer vorstellbar

Wie es in Zukunft weitergeht? Sie zuckt mit den Schultern. Dass sie nicht ewig tanzen kann, das weiß sie. Spätestens im Alter von 40 Jahren ist es für die meisten Tänzerinnen vorbei. Der Körper macht dann die Strapazen nicht mehr mit. Aber dem Ballett, dem möchte sie verbunden bleiben. Sie studiert derzeit an der Hochschule, möchte später einmal Ausbilderin werden.

Einmal Ballett, immer Ballett? Wjatscheslaw Gordejew, der künstlerische Direktor des Balletts, würde diese Frage wohl stets mit ja beantworten. Der 69-Jährige, die graue Eminenz des Hauses, ist eine Ballett-Legende. In seiner Zeit als Tänzer wurde er im In- und Ausland ob seiner Tanzkünste gefeiert. Auch er konnte und wollte nicht loslassen vom Ballett und ist heute oberster Chef des Ensembles. In einem Interview sagte Gordejew einmal: »Ein Tänzer muss ehrlich sein. Er sollte stets so tanzen, als wäre es für ihn das erste und das letzte Mal«. Daran hat Gordejew sich immer gehalten.

Deutschland-Tour ab dem 26. Dezember 2017

In wenigen Wochen startet die Tournee des Staatlichen Russischen Ballett Moskaus in Deutschland. Los geht es am  26. Dezember 2017, letzter Auftritt ist am 28. Januar 2018. Informationen und Tickets gibt es hier.