Wie schnell es einem ganz schön heiß werden kann, bei all der Schlepperei, das kennt nur jemand, der schon mal in einem Trockentauchanzug mit aufgerödeltem Tauchequipment zum Tauchplatz laufen musste. Hier auf dem Eis des Weißen Meeres sind die Wege zum Glück recht kurz, was wir der Organisation des russischen Tauchteams zu verdanken haben. Text: Gerald Nowak

»Let me entertain you«. Das Grinsen unter dem dichten Bart von Anton Yayechka wird immer breiter. Wie jeden Tag ist er gut gelaunt und liebt es, den Gästen »sein Russland« zu vermitteln. Er ist ein Russe mit großem Herzen.

»Wenn Ihr denkt, ihr kennt uns Russen, dann täuscht ihr Euch! Denn die Menschen die ihr bei Euch kennen gelernt habt, sind fast immer Moskauer. Wir echten Russen haben ein großes Herz, warm wie unsere Banya

Er lacht schallend, während er einen weiteren Aufguss macht. Es zischt und dampft. Anton wedelt mit den Birkenzweigen. »The show must go on«, er grinst und schlägt kräftig zu. Der »Geschlagene« nimmt es mit verkniffener Miene hin. Es klingt wie ein rhythmisches Rauschen, sieht aus wie eine Choreographie. »You will love our Russian Banya«, der Schweiß fließt Anton in Strömen übers Gesicht. Traditionell verwendet man getrocknete Birkenzweige, die aufgeweicht in heißem Wasser auf die Haut geschlagen werden, um für eine kräftige Durchblutung zu sorgen.

Auch im April fällt die Temperatur immer noch auf bis zu -25 Grad Celsisus

Wir haben Anfang April und die Tage werden bereits wieder spürbar länger. Dennoch fallen die Temperaturen in der Nacht noch unter -25 Grad Celsius. Jetzt, früh am Morgen, hat es immer -21 Grad, als Ivan Kronberg und Mechael Hrobostov, die beiden anderen Tauchguides unserer Gruppe, einige Holzscheite auf die Motorschlitten laden. Die beiden gehören zum Stammbesetzung der Eistauch-Guides, die hier an der Basis arbeiten. Ihr Äußeres entspricht zu 100 Prozent unserer Vorstellung eines Russen. Wettergegerbte Gesichter, wallende Bärte und muskulöse Oberkörper. Mit anderen Worten: einfach kernige Erscheinungen. Ist Ivan eher ein fröhlicher Typ Mensch, schein Mechael mehr zu den verschlossenen Gesellen zu zählen. Doch schon bald stellen wir fest, dass auch er eher eine Frohnatur ist und plaudert wie ein Wasserfall.

Anastasia, Darja, Jelisaweta, die drei Frauen aus der Küche, haben leckere Suppe gekocht.

Abendessen im Trappercamp in Russland

Gerald Nowak

Eine kräftige Brühe mit viel Gemüse und Kräutern findet in einer Thermobox auf dem Schlitten Platz. Direkt neben der Kettensäge, dem Sprit für die Schlitten, Ersatzteile für alle Eventualitäten und die persönliche Tauchausrüstung der Crew. Lange bevor die tauchenden Gäste aus ihren Betten hoch kommen, steigen Ivan und Mechael auf dem Ski-Doo und starten ins Eistauchcamp. Mechaels Hund Taiga saust wie der Blitz hinter dem Motorschlitten her. Mechael gibt Gas, denn sein Hund wird die ganze Strecke hinterher rennen. Vier Kilometer sind für den Schlittenhund mehr Aufwärmtraining denn Anstrengung.

Warme Hütten für die Tauchgäste

Auf der weiten Fläche des zugefrorenen Weißen Meeres angekommen werden als Erstes die Hütten angeheizt. Jede Hütte besitzt außen einen kleinen Holzofen, damit der Innenraum kuschelig warm wird und dennoch rauchfrei bleibt.

Holzhütte auf Weißem Meer

Gerald Nowak

Zwei Stunden später, wenn die Gäste eintreffen, ist die Tauchausrüstung somit perfekt angewärmt. Um flexibel auf dem Eis zu sein, wurden an die Hütten Kufen montiert. Je nach ausgewähltem Eisloch, wird jedem Taucher seine Hütte direkt dorthin gezogen. Für Mechael und Ivan ist dieser Service eine Selbstverständlichkeit, denn auch sie lieben es bequem und angenehm warm. Keine mühevolle Schlepperei bis zum Eisloch. Stattdessen gut gewärmt abtauchen. Kalt wird einem unter Wasser von alleine.

Auch sind die beiden für die Eislöcher verantwortlich, denn diese müssen jeden Tag aufs Neue freigeschnitten werden.

Guide sorgt für Loch im Weißen Meer

Gerald Nowak

Die Tauchstellen werden immer zu Anfang der Eissaison festgelegt, doch bei konstanten Minusgraden gefrieren sie bereits nach wenigen Stunden wieder komplett zu. Nach einer kalten Nacht wie heute ist das Eis am Tauchloch wieder gut zwanzig bis dreißig Zentimeter dick.

Nur mit einer extra dafür ausgestatteten Kettensäge kann man die Löcher unkompliziert freihalten. Damit die Taucher selbstständig aus dem Loch kommen, sind sie dreieckig gesägt. Durch den kleinen Winkel in der Ecke, kann man sich gut abstützen und somit selbst aus dem Eisloch klettern. Nur das Loch zur »Eistauch-Ausbildung« ist mehr als doppelt so groß und viereckig. Psychologisch ganz wichtig für Eistauch-Anfänger, denn so einen »Deckel« über sich zu haben ist nicht jedermanns Sache. Wer ohne Eistauchbrevet im Arctic Circle Dive Center anreist, kann sich hier schulen lassen. Nur angemeldet muss es werden.

Einführung für die Taucher

Bevor es jedoch zum ersten Mal hinaus aufs Eis geht, wird noch einmal ausführlich nachgeschult. Nicht jeder Taucher ist ein erfahrener Eistaucher und so kommt der Chef persönlich, um ein ausgiebiges Briefing für die Neuankömmlinge zu halten. Michael Safonov nimmt seine Verantwortung ernst und lässt nur geschulte Gäste aufs Eis. Der Vortrag dauert gut zwei Stunden, doch so manch Input frischt das Wissen um das Eistauchen wieder auf. Bevor der Tross an Tauchern mit Sack und Pack hinaus aufs Eis fährt. Eine bunt  zusammengewürfelte Truppe aus verschiedenen Teilen Deutschlands fiebert dem ersten Eistauchgang am Polarkreis entgegen. Anton gibt das Signal zur Abfahrt. Das Wetter ist perfekt, es herrscht minus sechs Grad und die Sonne lacht vom wolkenlosen Himmel.

Tour im Arctic Circle Dive Center Russland

Gerald Nowak

Ivan und Mechael erwarten die Neuankömmlinge bereits und teilen die Gruppe auf. Je zwei Taucher beziehen eine Hütte, die für den kompletten Aufenthalt nur für sie da ist. Schön kuschelig warm ist es darin. Je nach Qualifikation und Vorkenntnissen werden die Taucher an die verschiedenen, vorbereiteten Eislöcher geführt. Zur Eingewöhnung geht es zuerst ins Flachwasser. Nur gut zwei Meter Wasser befinden sich unter der halben Meter dicken Eisdecke.

»We have low tide, so no worry, when you leave the water, it’s not less than now«, Anton grinst und gleitet ins Eisloch.

Er begleitet zwei der erfahrenen Eistaucher um zu überprüfen, dass sie auch wirklich unter Eis zurechtkommen. Zwei weitere Taucher führen die Eisleinen. Ivan überprüft auch das und korrigiert, wenn die Leinen zu straff oder zu schlaff geführt werden.

Spektakulär: Einsiedlerkrebse und Seesterne

Bei fast zwei Grad Minus ist die Überwindung groß. Dabei brennt das Wasser im Gesicht wie Chilli-Wasser. Wer dabei keine dicke Eishaube nutzt, muss sich sehr dazu überwinden, den Kopf unter Wasser zu stecken. Erst einmal geschafft, ist das Erlebnis unter dem Eis grenzenlos. Da kaum Schnee auf dem Eis liegt, ist es unglaublich hell und der Kelp leuchtend golden angestrahlt. Kleine Fische fliehen vor den blubbernden Eindringlingen. Einsiedlerkrebse und Seesterne wimmeln zwischen dem Kelp umher. An der Eisdecke hängen unzählige winzige Garnelen. Anemonen, Wachsrosen und kleine orangerote Weichkorallen bedecken den felsigen Untergrund.

Taucher im Weißen Meer in Russland

Gerald Nowak

Es gibt so vieles zu entdecken, so dass die Kälte kaum zu spüren ist. Aussergewöhnlich spannend sind die Eisbrüche über den Felsblöcken, die hier am Grund im Flachwasser überall liegen. Bei Ebbe sitzt die Eisdecke auf den Steinen auf und bricht, bei Flut gefriert unter dem Bruch eine neue Eisschicht. So türmen sich im Laufe des Winters überall dort, wo Felsen unterm Eis liegen, gewaltige Eisformationen in die Höhe. Bei Flut bilden sich über den Felsen regelrechte Kuppeln, wo dann Sonnenstrahlen durch Risse faszinierende Lichtstimmungen zaubern.

Nach ein paar Tagen haben wir das Vertrauen der Tauchguides und dürfen wir an tiefere Tauchplätze betauchen. In Zweierteams wagen wir uns unter Eis und gehen auf Entdeckungsreise. Die Tauchgänge sind anstrengend und immer nur zwei pro Tag möglich. Vorbereiten, Leinen führen, Anziehen, Umziehen, Essen, Erholen, Tauchen, das schafft Körper und Geist. So fahren jeden Abend die Schlitten mit glücklichen Tauchern zurück zur Unterkunft. Dort warten schon die Banya, eine warme Dusche und ein gemütliches Kaminfeuer.

Wodka und russischen Lieder sorgen für gute Stimmung

Gegen Ende unserer Reise steht noch eine Expedition auf dem Programm. Eine Nacht in einer Trapperhütte ist geplant. Ohne Strom und fließend Wasser wird die kleine Hütte nur geheizt durch selbst gehacktes Holz. Gekocht wird auf einem uralten Steinofen, und geschlafen in dicken Schlafsäcken auf einfachen Strohmatratzen. Ende März steht die Sonne noch bis weit nach zwanzig Uhr über den Horizont. Genug Zeit für Anton und seine Helfer, den Gästen ein fulminantes Abendessen zu bereiten.

Wodka-Flaschen

Gerald Nowak

Kaum zu glauben, wie lecker die kräftige Suppe und das frisch gebackene Brot schmecken. Das Omelett ist mit dem Speck der Hirsche bereitet, die hier in den Wäldern gejagt wurden. Die Zwiebel aus dem Vorratsraum unter dem Fußboden und die Eiern wurden aus dem Dorf mitgebracht. Langsam zieht die Dunkelheit ein, doch der Wodka wärmt gut und die russischen Lieder befeuern die Stimmung zusätzlich. Der Abend wird lang, die Nacht entsprechend kurz. Eine Nacht unter einem Sternendach, die keiner der Anwesenden je vergessen wird. Polarlichter inbegriffen.

Schluchten und Gänge unter Wasser

Am folgenden Tag tauchen wir an einer Steilwand. Für mich das Highlight der Reise. Entlang der Wand wird durch die Tide täglich eine große Menge Eis bewegt. Da die ständig brechenden Eisplatten groß und schwer sind, verkeilt sich ein erheblicher Teil unter Wasser und schafft dort regelrechte Schluchten und Gänge. Das kann ganz schön gefährlich werden und so ist immer einer der Guides mit im Team. Anton, Ivan und Mechael kennen die Strömungen und das Verhalten des Eises entlang der Felswand. Wer das Eis nicht kennt, könnte schnell zwischen zwei Platten eingeklemmt werden. Die Eismassen sind gigantisch und die Lichtstimmungen atemberaubend.

Schneeschlitten auf dem Weißen Meer

Gerald Nowak

Gleich drei Löcher werden nebeneinander in die Eisdecke geschnitten, so dass mindestens zwei Teams gleichzeitig tauchen können. Doch das wirft ein Problem auf, denn die Leinen könnten sich kreuzen. Um dies zu vermeiden, müssen die Teams sich gut absprechen und während des Tauchgangs darauf achten, dass sich die Leinen nicht verknoten. Unter dem Eis kracht und knirschte es unablässig. Die Tide sorgt für ständige Bewegung. Vorsicht ist geboten. Wie schnell sich das Eis bewegt, sieht man an der Oberfläche. In nur vier Stunden ist die Eisdecke um mehr als eineinhalb Meter gefallen. Ivan zeigt auf die Bruchkante des Eises. Hier hat er am Morgen die Motorsäge abgestellt. Da stand sie neben seinen Stiefeln, jetzt hat sie sich auf Brusthöhe eingefunden.

Nächstes Jahr dann Überlebenstraining

Am späten Nachmittag steht noch ein Ausflug in einen nahgelegenen Canyon auf dem Programm. Hier übernachten gerne mal junge Russen in Zelten, bei -30 Grad! Unterhalb einer senkrechten Felswand richten sie sich das Camp und feiern die Nacht hindurch an einem riesigen Lagerfeuer. Fremde sind willkommen und werden gerne in den Kreis der Feiernden eingebunden. Ivan ist mit hinaus gefahren und schürt ein kleines Feuer, um einen Tee aus Wurzeln und gesammelten Kräutern zu kochen. Dabei zeigt uns auch, wie man aus Zweigen eine einfache Falle bauen kann. Wer hierher in die Natur kommt, muss auch wissen wie man überleben kann.

»If you come next year, we will do a survival training and stay here over night« er grinst und holt die Grillwürstel aus der Essensbox und brät sie über dem Feuer.

»Very soon you will miss our Banya«, Anton erhöht die Schlagzahl mit den Birkenzweigen. Der »Geschlagene« schweigt und genießt. Schon morgen heißt es bei Sonnenaufgang Abschied nehmen. Sein Grinsen ist nicht so entspannt wie die Tage zuvor. „Come again and bring your friends with you. The White Sea is better than all tropic seas. We have soft corals, anemones and kelp. Sharks, whales and wolf-fish. At winter time we do ice diving and in the summer nice kelp and wall diving.” Er dreht sich um und verschwindet aus dem Banyo. Bis die nächsten Gäste kommen und es wieder heißt: Let me entertain you!“

Tipps zur Reisezeit, Einreise und Anreise

Anreise. Finnair fliegt von verschiedenen deutschen Flughäfen via Helsinki nach Kuusamo, 23 kg Freigepäck (23 kg Tauchgepäck online bestellt kosten 40 Euro pro Strecke). Ab Kuusamo wird man vom Dive Center mit VW-Transportern abgeholt. Die Fahrzeit beträgt gut 7-8 Stunden (2 Stunden bis zur Finnisch-Russischen Grenze).

Einreise/Visa. Für Russland ist ein Besucher-Urlaubsvisum erforderlich, das für 39 Euro an den Konsulaten beantragt werden kann. Dafür muss man persönlich zwei Mal vorsprechen. Ab 69 Euro gibt es Internet-Services, die für einen alle Arbeiten und Anträge erledigen. Sehr empfehlenswert, da die Wartezeiten in den Konsulaten bis zu mehreren Stunden dauern kann!

Um das Visum zu beantragen, braucht man aus Russland eine schriftliche Einladung (Formular), das vom Arctic Circle Dive Center nach der Buchung zugesandt wird. Zusätzlich braucht man vom Arbeitgeber eine Lohnbestätigung oder eine Gewerbeanmeldung bei Selbstständigen. Ein bezahltes Rückflugticket ist ebenso vorzulegen. Die Ausstellung des Visums dauert ca. zwei Wochen. Eilanträge sind möglich, kosten aber deutlich mehr.

Reisezeit. Für das Eistauchen sind die Monate Januar bis Mitte April möglich. Am schönsten sind die Monate März und April, denn dann sind die Tage bereits wieder länger und das Wetter meist stabiler. Selbst wenn über Europa ein Tiefdruckgebiet festhängt, scheint über dem Weißen Meer häufig die Sonne. Temperaturen von 0 bis -5 Grad tagsüber und bis zu -30 Grad in der Nacht sind üblich in der Region.

Tipp zum Übernachten

Wohnen, Essen & Trinken. Rund um eine Flussmündung gibt es mehrere Hütten mit gutem Komfort. Alle verfügen über ein oder zwei Bäder (je nach Hüttengröße und Zimmeranzahl) plus Wohnraum mit eigenem Kaminofen. Eingeheizt wird auf Wunsch vom Personal. Eine Zentralheizung sorgt für die Grundwärme. Die inkludierten Mahlzeiten nimmt man im Gemeinschaftshaus ein. Es gibt gute russische Hausmannskost. Auf Sonderwünsche wird eingegangen. Wasser, Kaffee und Tee sind inklusive. Softdrinks und Alkohol sind sehr preiswert.

Hütte im Arctic Circle Dive Center

Gerald Nowak

Gesundheit. Das Arctic Circle Dive Center liegt weitab in den Wäldern des Polarkreises. Dekotauchgänge sollte man tunlichst vermeiden. Persönliche Medikamente unbedingt in ausreichender Menge im Handgepäck mitnehmen. Erste Hilfe ist vor Ort möglich. Sauerstoff und ein Defibrilator sind vorhanden.

Preis: Eine Woche ab bis Kuusamo, Transfer ins Arctic Circle Dive Center (8 Stunden Transferzeit), sieben Tage  Vollpension mit Wasser, Tee, Kaffee, Saft, plus zwei Tauchgänge pro Tag, tägliche Schlittentransfers zu den Tauchplätzen, Flaschen, Blei und Eistauchguides ab 2.500 Euro im DZ. Flüge ab ca. 300 Euro. Tauchen im Arctic Circle Dive Center ist buchbar bei Beluga Reisen.

Was ihr zum Eistauchen im Weißen Meer dabeihaben solltet