Die Stadt ist mir bekannt! Ich habe schon in ihr gefeiert, mich in ihr verirrt und mich in ihr ruiniert. Aber dieses Mal, da habe ich mich in sie verliebt. Wahrscheinlich, weil ein ganz besonderer Mensch dabei war, der mir neue Türen geöffnet hat. So könnt auch ihr London mit Kindern lieben lernen.
Alles, was wir, das sind meine achtjährige Tochter und ich, an diesem langen Wochenende im April gesehen haben, war mir schon bekannt. Zumindest habe ich das gedacht. Bis wir vor dem Buckingham Palace standen.
Louisa konnte es nicht fassen, dass sie die »Königin jetzt gar nicht sehen konnte«. Dass da gerade die Wächter strammen Schrittes hin und her formierten, fand sie unspektakulär. »Warum sind denn dann all die Menschen hier?«, fragte sie. »Wegen des Wachwechsels. Das wollen alle Touristen sehen, die nach London kommen.« Ein leichtes Kopfschütteln. »Die roten Männer mit den komischen Mützen sind doch total langweilig.«
Ich kenne die Stadt. Oder doch nicht?
Der Palast war schon spannender. Wer alles in dem Schloss lebe, wollte sie wissen, immerhin ist das Schloss ja so groß. Mmh, das wusste ich auch nicht so genau. Ich habe versprochen, es nachzuschlagen, wenn ich die Möglichkeit bekomme. Das war aber eine gute Gelegenheit für mich, ihr von der Königin zu erzählen, von ihren Kindern und ihrem Mann.
»Wie heißen die denn mit Nachnamen?« Ähm, auch das wusste ich nicht. »Und Mama? Was bedeutet denn das Zeichen im Tor?« »Das ist ein Wappen. Aber was genau es bedeutet, weiß ich gerade auch nicht.« Oh Gott, ich musste dieses Kind zutiefst enttäuscht haben. Nichts wusste ich. Auf die relevanten Fragen konnte ich keine Antwort geben. Verflucht habe ich mich dafür, dass ich den Reiseführer nicht mitgenommen hatte. »Ich kenne die Stadt«, habe ich vorher noch großspurig behauptet. Pustekuchen.
Nichts konnte die Kleine davon abhalten, so schnell wie möglich zum London Eye zu wollen
Danach sind wir zum Trafalgar Square spaziert. Ich habe ihr von Lord Nelson erzählt und der Schlacht bei Trafalgar und seinem fehlenden Auge. Interessant war das wohl nicht: Ich denke, das lag daran, dass Lord Nelson einfach zu weit oben auf seiner Säule thronte. Die bronzenen Löwenstatuen jedoch, die waren viel spannender. »Wieso sind hier Löwen, Mama?« Tja, keine Ahnung.
Nach dem Foto mit den Löwen wäre ein Besuch der National Gallery, die unmittelbar dahinter liegt, eigentlich sehr schön gewesen. Insbesondere weil London sich gerade von seiner typischen Wetterseite zeigte. Aber seitdem ich ihr im Flugzeug vom London Eye erzählt habe, wollte sie eigentlich nur noch dorthin. Da konnten die Sonnenblumen von van Gogh nicht mithalten.
Heute denke ich, zum Glück, sonst hätte ich ihr noch erklären müssen, warum sich Vincent ein Ohr abschnitt.
Ich persönlich war ja überhaupt nicht erpicht auf eine weitere Fahrt im London Eye. Als Opfer notorischer Höhenangst vermeide ich Situationen wie diese lieber. Aber als Vorbild sollte man auch seine Angst überwinden. Also bin ich eingestiegen, habe mich hingesetzt und mir die Augen zugehalten. Sie hat mich angeguckt, als wäre ich von einem anderen Stern. Doch nach kurzer Irritation nahm sie ihre Kamera, wie schon so oft davor, und knipste fröhlich alles, was ihr vor die Linse kam.
Den Fußboden, das Wasser, die anderen Kinder in der Kapsel – aber nie die Sehenswürdigkeiten. Das empfand ich als eigenartig, bis ich begriff, dass sie »Big Ben« nur als ein Gebäude wahrnahm. Und was soll daran schon spannend sein? Auf der anschließenden Bootsfahrt, die man mitbuchen kann (sich aber sparen sollte), wurden wir vom Bootsgeschaukel regelrecht eingeschläfert. Um vier Uhr waren wir bereits aufgestanden, um unseren Flieger nach London zu bekommen. Jetzt, nach zahlreichen Aktionen, waren wir müde, zu müde …
Abendessen im schicken Restaurant? War nix. Um halb acht lagen wir fix und fertig im Bett
Innerhalb eines Städteurlaubs neigen Erwachsene ja dazu ihre Zeit völlig zu verplanen: Keine Minute darf verloren gehen, so viel zu sehen, so viel zu erleben. Mit einem Kind sitzt man dann schon um 17 Uhr in der U-Bahn Richtung Hotel. Und die leise Hoffnung auf ein eventuelles Abendessen in einem Restaurant schwindet spätestens dann, wenn freiwillig der Schlafanzug angezogen wird. Wir bemühten also den Roomservice, speisten gemütlich in unseren Nachtgewändern und lagen an diesem Freitagabend in London bereits um 19:30 Uhr glücklich im Bett.
Bei einem ausgiebigen Frühstück haben wir am nächsten Morgen demokratisch den Tag geplant. Pfannkuchen, Speck und Beeren hatten uns fröhlich gestimmt, und beschwingt begaben wir uns auf den Weg. Ziel war es, in einem Sightseeing-Doppeldeckerbus in alter Hop-on-Hop-Off-Manier durch die Stadt zu fahren, um dann beim Tower of London und somit bei den Kronjuwelen auszusteigen. Erstes Hindernis waren leider die fehlenden Kopfhörer mit Führung in deutscher Sprache an Bord. Stattdessen englischer Live-Kommentar und Simultanübersetzung von meiner Seite.
»Wer war Victoria, Mama?«, »Wieso war die so dick?«, » Die sieht ja gar nicht nett aus!«
»Victoria war die erste Königin im Buckingham Palace. Sie ist dort eingezogen, als sie 18 Jahre alt war.« »Was ist der Buppingbam Palace?« »Das ist das Schloss von gestern.« »Ja, aber ich dachte, da wohnt Elizabeth.« »Ja, jetzt. Victoria ist schon lange tot,« »Och, woran ist die denn gestorben?« »Das weiß ich nicht.«
Die Zeit war knapp, und das Musical wartete schon
Im Tower war es uns nicht vergönnt, die Kronjuwelen zu sehen. Die Warteschlange war zu lang. Leider, denn sie wollte so gern die Krone sehen »und das ganze Geld, das die Königin hat«. Aber unsere Zeit war knapp, wir hatten Karten für das Musical »König der Löwen«. Statt Kronjuwelen also eine schnelle Audiotour. Wir gingen auf Tuchfühlung mit den Beefeatern, den Mauern und den grauseligen Taten, die im Tower of London begangen wurden. »Das war echt spannend«, hatte sie später ihrem Vater erklärt. Und ich hatte schon währenddessen Sorgen, dass sie die schlimme Geschichte nicht verarbeiten könne.
Doch zur Besänftigung der Seele kam dann die Musicalmatinee: »König der Löwen«. Louisa saß ergriffen mit offenem Mund auf ihrem Theatersitz. Und wenn sie die englischen Dialoge nicht verstand, dann musste ich eben wieder simultan übersetzen. Und ich fand es schön. Normalerweise wäre ich wahrscheinlich an einem Samstag durch die Läden gezogen und hätte eingekauft.
Mit Louisa habe ich losgelassen und den Tag so erlebt, wie er für sie schön war.
Das hat auch bedeutet, den Abend nach einem schnellen Dinner im Hotelzimmer zu verbringen. Dort lag ich dann bäuchlings auf unserem Bett, während Louisa bei »Deutschland sucht den Superstar« durch die Hotelsuite tanzte. »Hast du das alles auch gemacht, als du ohne mich hier warst?« Ich schüttelte den Kopf. «Warum denn nicht?« »Weiß ich auch nicht, mein Schatz. Aber diesmal ist es auch viel schöner.«
Weitere Informationen über London auf der Website von Visit London.