Es heißt, wer Madeira kenne, kenne die Inseln der Welt. Tatsächlich bietet das Eiland zwischen Portugal und Marokko einen kunterbunten Kosmos exotischer Pflanzenarten und verschiedene Klimazonen mit vulkanischen Gebirgszügen und frühlingsgrünen Tälern. Jedoch ist die »Holzinsel« weit mehr als nur die sprichwörtliche »Blumeninsel«. Im ewigen Frühling kann man es sich richtig gut gehen lassen.
Text: Markus Grenz
Von der Terrasse meiner Quinta sieht Funchal mit seinen roten Dächern und weißen Mauern aus, als wäre es aus Porzellan gebaut. Dicht schmiegt sich die Hauptstadt der »Autonomen Republik Madeira«, die einen Sonderstatus innerhalb Portugals besitzt, an den sanften Hang. Kaum zu glauben, dass hier 100.000 Menschen leben. Die Sonne meint es heute besonders gut, Casablanca liegt doch näher als Lissabon: Vor mir kräuselt sich der Atlantik in sattem Königsblau. Hinter mir liegen vier ereignisreiche Tage. Doch dazu musste ich schon mein luxuriöses Herrenhaus verlassen. Schade eigentlich. Und eigentlich nicht.
Schon ganz in der Nähe gibt es eine ganze Menge zu sehen. Zum Beispiel den »Mercado dos Lavradores«, den »Arbeitermarkt«. »Blaumänner« sieht man auf dem zentralen Frischemarkt der Inselhauptstadt natürlich nicht, dafür aber rosafarbene Zimmerkalla, knallig rote Kamelien, signal-orangefarbene Feuer-Bignonien und noch viel mehr. Der verführerische Duft der zahllosen Blumen ist vermischt mit der süßen Note frischer Mangos, riesiger Papayas und zapfenförmiger Philodendronfrüchte. Letztere lasse ich mir in helle Vierecke schneiden und genieße den Geschmack.
Madreia? Irgendwo zwischen Birne und Melone
Wenn sich Erinnerung so speichern lässt, dann liegt Madeira für mich zwischen Birne und Melone. Ich verlasse den Garten Eden auf Euro-Palletten und steige hinab in die Unterwelt. Eine halbe Etage abwärts ändert sich schlagartig das Szenario.
Vor der kalten Fliesenkulisse des Fischmarktes entschuppt ein junger Madeirer mit Machete ein gruselig aussehendes Getier. Knapp einen Meter lang wird so ein lackschwarzer Degenfisch, der mich mit gefletschten Zähnen aus toten Augen anglotzt. »Der wird in 100 Metern Tiefe nur in Madeira und in Japan gefangen«, erklärt mir ein Fischfreund, der neben mir steht. Na, wenn mir hier so ein Exemplar auf meinem Teller begegnet, dann hoffentlich nicht roh. Mein Schuppenspezi lässt sich das Getier, das aussieht wie eine Mischung aus Aal und Muräne, in eine »Diario de noticias«, die portugiesischsprachige Tageszeitung, einpacken. Ich brauche frische Luft.
Vor dem Eingang knabbere ich lieber an einem typisch madeiranischen Honigkuchen aus Melasse und Zuckerrohr und breche auf in die Altstadt. Den wilden Fenchel, der der Stadt im Süden der Insel ihren Namen gegeben hat (port: Funcho), sieht man nicht mehr. Heute ist der Ort eine hübsche und blitzsaubere Metropole portugiesischen Zuschnitts. Treiben lasse ich mich durch die schmalen Gässchen, lasse meinen Blick über die großflächigen Azulejos wandern, kunstvollen Fliesenbildern an leuchtend weißen Fassaden.
Der mediterrane Charme des Straßenlebens nimmt mich auf. Nach einer Tasse Cortado, einem heißen Kaffee mit einem Schuss Madeira-Wein garniert mit Zitronenscheibe, wendet sich mein Geist noch gehaltvolleren Getränken zu. Ich entschließe mich, Madeiras Exportschlager Nummer 1, noch vor dem Weltfußballer Christiano Ronaldo pur zu genießen.
Zuckerrohr und Rebstock – bis heute die wirtschaftliche Basis Madeiras
Eine angenehme Kühle empfängt mich, als ich die Gewölbe der Madeira Wine Company betrete. 1840 hat die britische Familie Blandy das ehemalige Franziskanerkloster gekauft. Heute ist es die älteste Weinkellerei der Insel.
»Die Geschichte des Weins auf Madeira ist so alt wie die neuere Geschichte Madeiras selbst«, erklärt mir Führerin Diana Rincon, während sie mich ins angeschlossene Museum lotst.
Mit der Ankunft der ersten Siedler auf dem Eiland im 15. Jahrhundert landeten in der Bucht neben Zuckerrohr aus Sizilien auch Rebstöcke aus Kreta. Beides sollte bis in die heutige Zeit die wirtschaftliche Grundlage der Madeirer werden. »Versuchen Sie mal einen Malvasia«, empfiehlt mir die Spezialistin, und ich schmecke das süße und fruchtige Aroma des dunklen Dessertweins, das mich an Portwein erinnert. Stimmt auch, soll ich später erfahren. Beide werden mit Branntwein versetzt. Nur vier verschiedene Rebsorten finden in den Augen des »Instituto Do Vinho Da Madeira« Gnade und gelten als edel. Ihr Geschmack reicht von säurebetont und trocken bis zu süß und üppig. Als Souvenir lasse ich mir eine Flasche mit meinem Geburtsjahr auf dem Etikett einpacken. Mit dem Abfülldatum 1971 liege ich preislich noch im gehobenen Unterklassesegment. Die Exemplare aus dem 19. Jahrhundert lasse ich lieber stehen.
Doch auf der Blumeninsel gibt es weitaus mehr zu tun, als die bequemen Seiten des Lebens zu genießen. Offiziell über 700 Pflanzenarten gibt es auf den 795 Quadratkilometern zu entdecken. Das kann man ganz gemütlich in den Palheiro-Gärten neben dem Landhaushotel »Casa Velha Do Palheiro«, in dem zusätzlich viel Exotisches zu bestaunen ist, tun. Man kann sich aber auch die Wanderschuhe schnüren und eine der über 50 Routen auswählen, die die Insel wie ein Netz überziehen.
Schöne und schroffe Seiten der Insel
Entlang der Levadas, Bewässerungsgräben, die ab dem 15. Jahrhundert angelegt wurden und die das notwendige Nass von der feuchten Nordseite der Insel und hoch aus den Bergen in die Täler transportieren, zeigen sich die schönen und die schroffen Seiten der Insel. 2150 Kilometer stellen die Wanderer vor die Qual der Wahl. Gar nicht schlecht für das Fleckchen Erde, das gerade 57 Kilometer lang und höchstens 22 Kilometer breit ist. Auf den Wanderwegen ist die südseeähnliche Blumenpracht zum Greifen nahe. Immer wieder drängen sich die blühenden Strelitzien, so etwas wie die natürlichen Wahrzeichen der Insel, in den Blick.
Zwar sind viele der urwaldartigen Bäume, nach denen Madeira (»Holzinsel«) benannt wurde, längst nicht mehr vorhanden. Dennoch streift man immer wieder durch Eukalyptus-, Pinien- oder Akazienhaine.
Nur wenige Kilometer von Funchal entfernt, entfaltet sich eine faszinierende Bergwelt. Bei den gewaltigen Perspektiven auf Steilhänge, Schluchten und immer wieder den Atlantik fällt es schwer, den Blick auf den Weg zu richten. Grandios ist der luftige Höhenweg zwischen Pico Ariero (1818 Meter) und dem höchsten Punkt der Insel, dem Pico Ruivo (1882 Meter). Dafür sollte man jedoch lieber einen Pullover einpacken. In der Höhe zeigt die Vulkaninsel ein raues Gesicht. Die imposante Felsenküste lässt sich unter anderem wunderbar an der Ostküste genießen. Der Weg dorthin ist auch ein Muss für leidenschaftliche Golfer. In 600 Metern Höhe liegt hier einer von zwei großen Plätzen der Insel. Der 27-Loch-Parcours kostet Geld, der traumhafte Blick auf die Felsen und den Atlantik ist gratis.
Sieben Tage auf Madeira reichen nicht
Schon nach wenigen Tagen auf der Blumeninsel ist mir klar, dass selbst der durchschnittliche Aufenthalt eines Touristen von sieben Tagen für die Vielfalt Madeiras viel zu wenig ist. Ich muss noch früher wieder nach Hause. Schade eigentlich. Zu entdecken gäbe es noch genug.
Anreise. Die portugiesische TAP fliegt täglich von Frankfurt, München und Hamburg über Lissabon nach Madeira. Es gibt in der Saison auch viele Direktflüge mit verschiedenen Airlines.
Hotel. Das Casa Velha Do Palheiro ist ein wunderschönes Landhaushotel in Funchal aus dem Jahr 1804 mit angeschlossenem Golfplatz. Reservierungstel.: + 35 1291790350. Ebenfalls luxuriös: Die Quinta da Bela Vista mit herrlichem Blick auf die Hauptstadt, Tel.: + 351291706400. Die Quinta Splendida ist eine große Anlage mit restauriertem Herrenhaus und brandneuem Spa-Bereich in Caniço, Tel.: +35 1291930400.