In der Heimat der Gebrüder Grimm in Nordhessen rund um den Hohen Meißner wandern Besucher durch Fachwerkstädte, Märchenwälder und fossile Urzeitmeere. Text: Carsten Heinke
Es ist ganz still hier in Nordhessen. Kein Vogelruf, kein Fröschequaken. Der Mischwald ringsum hüllt sich ebenso in Schweigen wie der Frau-Holl-Teich. Die sagenhafte Wettermacherin, überlebensgroß und handgeschnitzt, schaut – mit einem Kissen in der Hand – hölzern aus dem Schilf herüber.
Der von hohen Bäumen dicht umrahmte See wirkt sehr geheimnisvoll. Die Brüder Grimm beschrieben ihn in ihrem Märchen als »Eingang in die Anderswelt«. Sowohl die Gold- als auch die Pechmarie sollen ihre schicksalhaften Wege hier begonnen haben.
Unterwegs im Märchenland
Die Neugier reizt, es selber zu probieren und in das dunkle Nass zu springen. Doch lieber nicht! Auch wenn man weiß, dass das »bodenlose Gewässer« an keiner Stelle tiefer als 2,60 Meter ist. Schließlich lässt sich der Frau-Holle-Berg bequem zu Fuß bezwingen.
Bis zum knapp 754 Meter hohen Gipfel, der Kasseler Kuppe, erheben sich die sanften Hänge des Hohen Meißner.
Doch obwohl es eher wie ein Hügel auf dem Fulda-Werra-Bergland liegt, zählt das kleine Mittelgebirgsmassiv zu den dominantesten Erhebungen in Deutschland. Erst ein 59 Kilometer weit entfernter Ausläufer des Großen Inselbergs ist höher.
Beim Wandern blüht die Fantasie. Das Wissen um die Märchen, die die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm im 19. Jahrhundert in diesen Breiten sammelten, weckt Erinnerungen an die eigene Kindheit. Geboren im hessischen Hanau, lernten und studierten die angehenden Sprachwissenschaftler und Volkskundler in Kassel und Marburg. Ihre Märchensammlung ist heute die berühmteste der Welt. Weitaus bedeutender waren jedoch ihre Sprachforschungen, mit denen sie die Germanistik begründeten.
Vom Erdboden verschluckt
Namentlich zwar in keinem der »Kinder- und Hausmärchen« erwähnt, bietet auch eine 17 Hektar große Karstlandschaft nahe des Hohen Meißner Stoff für fantastische Geschichten: die Kripp- und Hielöcher bei Frankershausen.
Das fragile Skelett dieser sonderbaren Berg-und-Tal-Landschaft bilden fossile Überbleibsel des 250 Millionen alten Zechsteinmeeres. Hanna Wallbraun erklärt sie ihren Begleitern: »Es sind Dolomit- und Gipsfelsen sowie Senken und Trichter, die durch Auflösung der weichen Gesteine und den Zusammenbruch von Höhlen entstehen.« Wegen dieser Einsturzgefahr dürfe sich hier keiner ohne Guide bewegen, mahnt die Wanderführerin.
Am so genannten Kuhloch erzählt Hanna vom letzten großen Unfall, der sich 1958 ereignete: »Ein Bauer lud Heu auf einen Karren mit zwei Rindern. Plötzlich sank eines davon in den Boden ein. Indem er es mit Hilfe des anderen herausziehen wollte, versank schließlich auch dieses. Binnen Kurzem waren beide Tiere verschwunden. Erst viele Jahre später fand man ihre sterblichen Überreste, 31 Meter tief.«
Mit Lieschen durch die Gassen
Wurden früher Vieh oder Menschen auf diese Weise vom Erdboden verschluckt, scheint der Glaube an Hexerei plausibel. Dennoch sind die Kripp- und Hielöcher mit ihren duftenden Wacholderheiden und wunderschönen kleinen wilden Orchideen eher ein Garten Eden. Um die besondere Flora und Fauna des Biotops zu erhalten, nutzt man es wie einst als Schafweide.
Zarte Leckereien vom »Meißner Lamm«, »Ahle Wurscht« und frisches Bäckerbrot warten nach der Tour in der Jausenstation Weißenbach auf alle Wanderer, bevor sie am nächsten Tag das wunderschöne Werratal per Rad und Paddelboot erkunden.
Wer stattdessen lieber durch die historischen Gassen von Eschwege bummeln will, sollte »Lieschen vom Schloss« durch die malerische Altstadt begleiten.
Nach einem Spaziergang durch das Kur- und Fachwerkstädtchen Bad Sooden-Allendorf kann man bei einem Mittelalteressen im Ratskeller Heidenspaß erleben.
Tipps für eine Reise nach Nordhessen
Anreise: Meißner-Germerode erreicht man am besten mit dem Auto über die A38 Richtung Göttingen, Abfahrt Eschwege/Bad Sooden-Allendorf, B27, L3243 Richtung Frankenhain/Frankershausen.
Unterkunft: Beim Schlafmohnbauern und Koch Björn Sippel wohnt man im Landhotel Meißnerhof. Im Gasthof unbedingt das Mohnmenü probieren!
Ruhige Zimmer am Kurpark in Bad Sooden-Allendorf gibt’s in der Pension Café Feldmann.
Essen und Trinken: Die Jausenstation (Laden und Lokal) in Weißenbach hat frische, hausgemachte Produkte von Wurst und Fleisch über Käse und Backwaren bis zu leckeren Konfitüren, Ölen, Soßen.
Mittelalterliches Abendessen mit viel Gaudi gibt es im Ratskeller Allendorf am Marktplatz 8.
Wandertour: Durch den Naturpark Meißner – Kaufunger Wald führen Premiumwanderwege von sieben bis 22 Kilometer Länge. Für gesunden Spaß sorgt der Barfußpfad Hoher Meißner. Zu dem 1.500 Meter langen Erlebnisweg auf dem Frau-Holle-Berg gehören 30 Stationen.
Radtour: Auf dem idyllischen Werratal-Radweg etwa mit einem Leih-E-Bike der Stadtwerke Bad Sooden-Allendorf. Abholung und Abgabe der Räder in der Touristen-Info am Kurpark. Information und Buchung hier.
Paddeltour: Ein großer Outdoor-Spaß mit Naturgenuss sind Wanderungen auf der Werra per Kanu oder Kajak. Information und Buchung hier.