Mit dem Motorroller und per Schiff lassen sich die südvietnamesische Metropole Saigon und das umliegende Mekong-Delta am besten erkunden. Unser Autor Philipp Eins hat es ausprobiert.
Es ist später Nachmittag in Saigon, noch immer liegt eine feuchte Hitze über der Stadt. Ich stehe vor dem Eingang unseres Hotels. Überall knattert, brummt und hupt es. Autos fahren dicht an dicht, dazwischen drängeln sich Motorroller. Tausende, Abertausende von ihnen brausen zur Rushhour über breite Boulevards und durch enge Gassen. Hinter mir öffnet sich die Tür zur Lobby. Es ist Do Truoc, unser deutsch-vietnamesischer Reiseleiter. Er lächelt verschmitzt und drückt mir einen Motorradhelm aus dünnem Styropor in die Hand.
»Hast du Angst?«, fragt er. »Ach was«, sage ich. »Ist doch wie Fahrradfahren.« Do Truoc lacht.
Wer zu Fuß geht, lernt Städte am besten kennen. Dachte ich immer. Hier in der südvietnamesischen Metropole Ho-Chi-Minh-Stadt, wie Saigon offiziell heißt, stimmt das nicht ganz. Wer etwas erleben will, nimmt den Motorroller. Die Mitglieder meiner Reisegruppe und ich lenken aber nicht allein durch den chaotischen Verkehr. Vor einer mit Wellblech umzäunten Baustelle auf der anderen Straßenseite warten unsere Fahrer. Meiner heißt Hung, ein gemütlicher Mann mit kräftiger Statur und Pferdeschwanz. Ich schwinge mich auf den Sitz hinter ihm.
Der Motor ächzt und stottert, in der Luft der stechende Geruch von Benzin, und schon schießen wir über die Straßen. Unzählige Roller knattern an uns vorbei.
Einige sind voll beladen mit Reissäcken, auf anderen ziehen Mitfahrer mit bloßen Händen bepackte Anhänger hinter sich her. Ich hatte gelogen. Ich habe Angst. Sie hält aber nur kurz. Schon bald fühle ich mich, als sei ich Teil eines Organismus, dieser Stadt, die von pulsierenden Straßen am Leben erhalten wird wie ein menschlicher Körper von Venen und Arterien.
Metropole voller Widersprüche
Laut offiziellen Angaben leben in Saigon 8,5 Millionen Einwohner, so habe ich gelesen. Schätzungen zufolge sind es doppelt so viele. Die Stadt wächst ungebremst. Und entzieht sich immer stärker dem politischen Einfluss der kommunistischen Partei, die von der Hauptstadt Hanoi im Norden Vietnams das Land regiert. Jeden Tag verändert sich die Metropole, und sie birgt lauter Widersprüche. Mit dem Roller passieren wir Luxushotels, Einkaufszentren und Museen am Prachtboulevard Nguyễn Huệ.
Auf der breiten Allee zogen in den vergangenen Jahren nicht nur Parteikader auf, sondern auch Studenten. Sie demonstrierten gegen die Umweltverschmutzung durch achtlos entsorgte Industrieabfälle vor der vietnamesischen Küste. Aber auch gegen Internetgesetze nach chinesischem Vorbild, mit denen die Staatsführung Zugang zu Nutzerdaten erhalten soll. Eine kleine Sensation in dem autoritär regierten Land.
Weiter nordwestlich schlängeln wir uns durch einen Straßenmarkt, bis wir die katholische Kathedrale Notre Dame von Saigon erreichen. Französische Kolonialisten errichteten den roten Klinkerbau mit den zwei spitzen Kirchtürmen Ende des 19. Jahrhunderts. Obwohl die überwältigende Mehrheit der Einwohner Buddhisten oder konfessionslos sind, ist die Kathedrale der Stolz aller Einwohner. Sie wurde zu ihrem Wahrzeichen, so wie das nahe gelegene französische Opernhaus im Renaissance-Stil. Kein Wunder, dass Saigon als Hauptstadt des ehemaligen Französisch-Indochinas den Beinamen »Paris des Südens« erhielt.
Auf dem Markt in Chinatown
Gleich neben dem Opernhaus sehe ich zwei Plakate am Straßenrand. Eines von der Kommunistischen Partei, das ans Ende des Pazifikkriegs erinnert, ganz im Stil vergessener Sowjetzeichnungen. Mit breiten Pinselstrichen zu Papier gebrachte Arbeiter und Soldaten, die ihre Fäuste zum Himmel strecken wie Ikonen. Und gleich daneben das Werbeposter einer amerikanischen Fastfood-Kette. Kapitalismus und Kommunismus – in Saigon geht beides zusammen.
Weiter Richtung Süden verliert die Stadt ihr europäisches Gesicht. Wir drängen uns durch enge Gassen, in der Luft der Geruch von Grillbananen und gebratenem Schweinefleisch. Gedränge zwischen bunt geschmückten Marktständen und Ladenlokalen in maroden, zweigeschossigen Häusern. Verkäufer sitzen auf weißen Plastikstühlen neben ihrer Ware, eine alte Frau mit Bambushut schenkt Suppe in eine Keramikschüssel. Den Motorroller lassen wir stehen und schlendern zu Fuß weiter. Unser Reiseleiter Do Truoc ist bei uns. Er kennt sich aus, auch hier in den Vorstädten. »Der 10. Bezirk ist auch als Chinatown bekannt«, sagt er. »Etwa 70 Prozent der Einwohner sind Chinesen.« Sie leben vom Verkauf von Blumen, Holzschnitzereien und geflochtenen Körben. Wir spazieren zwischen den Ständen, über uns sonnenblumengelbe und giftgrüne Markisen, durch die sich das letzte Sonnenlicht des Tages bricht.
Buntes Nachtleben auf den Dächern
In den 1980er- und 1990er-Jahren hat Do Truoc in Deutschland gelebt, seit 2007 arbeitet er als Reiseleiter in Vietnam und vermittelt zwischen beiden Kulturen. Es sei nicht immer leicht, hier zu leben, sagt er, als wir an einen Stand mit Sparschweinen aus buntem Plastik stehen.
»Wer in Vietnam überleben will, muss sich mit Korruption und Vetternwirtschaft arrangieren.« Wer ein Restaurant eröffnen und erschwingliche Mieten zahlen will, braucht gute Kontakte in die Partei.
Allen Hürden zum Trotz steht Vietnam an der Schwelle zum wirtschaftlichen Aufbruch. Seit einigen Jahren kehren viele Vietnamesen in ihre Heimat zurück, so wie Do Truoc.
Als die Nacht hereinbricht, schwingen wir uns auf die Motorroller. Ab ins Stadtzentrum. Auf dem Weg passieren wir westlich geprägte Shopping-Center mit ihren glitzernden Fassaden. Und erreichen schließlich das Restaurant Cô Ba Vũng Tàu an einer belebten Hauptstraße in der südlichen Innenstadt. Die langen Holztische sind voll besetzt. Serviert werden Bánh xèo, in Salatblätter gewickelte vietnamesische Pfannkuchen mit Shrimps. Ein Klassiker.
Nach dem Abendessen lockt das bunte Nachtleben von Saigon. Im Backpacker District stampfen schon von Weitem die Bässe der Straßencafés, vor denen Feuerspeier ihre Kunststücke vorführen. Auf den Dachterrassen der mondänen Hotels in der Innenstadt werden Bier und Wein ausgeschenkt und in versteckten Szenebars wie der Snuffbox Lounge in einem verlassenen Hinterhof edle Drinks bis in die frühen Morgenstunden serviert.
Um das Umland zu entdecken, nimmt man am besten das Boot
Während der Motorroller das Verkehrsmittel der Wahl ist, um sich durch den chaotischen Stadtdschungel von Saigon zu manövrieren, nimmt man für das Umland am besten das Boot. Das besteigen wir am nächsten Nachmittag, nach einer zweistündigen Busfahrt in die Ortschaft Ben Tre. Vom Hafen aus blicken wir auf den Mekong, einen breiten, schlammigen Fluss, der für die gesamte Region von hoher Bedeutung ist. Er entspringt in China, führt durch sechs Länder und legt dabei rund 4.500 Kilometer zurück. Mit dem Wasser aus dem Mekong werden Reisfelder geflutet, Palmen- und Obstgärten versorgt. Er ist die Lebensader Südvietnams.
Mit einem Beiboot setzen wir zur Bassac über, einem im traditionell indochinesischen Stil gebauten Holzschiff.
An der Bar aus edlem Tropenholz werden wir mit einem erfrischenden Cocktail mit Zitronengras empfangen, der Motor brummt leise, und wir nehmen Fahrt auf. Über eine Treppe steige ich aufs Oberdeck. Auch hier empfängt mich purer Luxus. Der Esstisch ist für einen leichten Lunch gedeckt, es gibt frisch gekochte Krabben. Palmen säumen das Flussufer, ein leichter Windstoß vertreibt die feuchte Schwüle, das Sonnensegel spendet Schatten. Der Smog der Großstadt ist wie vergessen.
Köstlich: Reisnudeln und die mit Shrimps gefüllten Sommerrollen
Zehn Kabinen gibt es auf der Bassac, jede ist mit einem Doppelbett und Badezimmer ausgestattet. So also haben die französischen Kolonialisten gelebt, denke ich. Ich schiebe mein Gepäck ins Zimmer, werfe mich aufs Bett und döse vor mich hin. Aus dem geöffneten Fenster höre ich den sanften Wellenschlag gegen den Bug. Am frühen Abend gehen wir vor Anker und setzen mit dem Beiboot aufs Festland über.
Bei unserem Spaziergang passieren wir ein abgelegenes Dorf mit von Kokospalmen eingefassten Häusern, umgeben von weitläufigen Reisfeldern. Der Wind streicht über die Halme. Ruhe.
Nichts könnte ich besser gebrauchen nach einer in Saigon durchfeierten Nacht. Außer die selbst gemachten, mit Reisnudeln und Shrimps gefüllten Sommerrollen vielleicht, an denen wir uns nach der Rückkehr auf die Bassac bei einem Cocktail versuchen. Mit der Bassac den Strom hinab: Auf kaum eine Weise lernt man Vietnam so gut kennen wie bei einer Fahrt über seinen größten Fluß, den Mekong.
Unterwegs auf dem schwimmenden Markt
Nach einer Nacht auf dem Wasser erreichen wir am nächsten Morgen unser Ziel: den schwimmenden Markt vor der Stadt Can Tho. Mit etwas mehr als einer Million Einwohner ist sie die viertgrößte Stadt Vietnams und gilt als die Metropole des Mekong-Deltas.
»Hier treffen sich die Händler aus der ganzen Region, um ihre Waren zu verkaufen«, erklärt Do Truoc. »Nicht nur auf den Straßen, sondern auch auf dem Wasser.«
Halb verrottete Kähne liegen dicht an dicht, an senkrecht zum Himmel zeigenden Bambusrohren baumeln einige ihrer Waren wie Fahnen – Kürbisse, Kakaobohnen und Kokosnüsse. Auf Deck die Verkäufer, die sich mit breiten Hüten vor der brennenden Sonne schützen. Auf dem schwimmenden Markt von Cai Rang herrscht reger Verkehr.
Fast wie auf den Straßen Saigons, nur auf dem Wasser. Unsere Tour beenden wir am Hafen von Can Tho. Nach einem Rundgang durch die bunten und belebten Gassen und einem Abstecher zum 400 Jahre alten Khmer-Tempel mit glänzend-goldenen Statuen und Wandmalereien ist unser Ziel das Luxushotel Azerai.
Wer nach einer Nacht auf dem Mekong noch immer keine Ruhe gefunden hat – hier ist Entspannung sicher. Das Hotel mit seinen geräumigen Kabinen wurde auf eine kleine Insel vor der Stadt gebaut, mit Seen, Wasserwegen und Mangroven. Auf dem Gelände befindet sich neben einem Restaurant ein Spa-Bereich mit Sauna und Massagen.
Es ist Nachmittag. Ich sitze auf der Terrasse vor meiner Kabine, lasse den Blick über den Fluss schweifen. Von den tropischen Büschen um mich herum zirpen Grillen, aus der Ferne höre ich das leise Rauschen der Autos auf den Straßen. Einige führen Richtung Saigon. Zurück ins Gedränge, zu knatternden Motoren, dem Benzingestank in der Luft. Zurück ins wunderbare Chaos, das uns morgen wieder erwartet.
Tipps für eine Reise nach Vietnam
Anreise. Vietnam Airlines fliegen in etwa zwölf Stunden direkt von Frankfurt nach Ho-Chi-Minh-Stadt. Flüge kosten rund 650 Euro. Informationen unter vietnamairlines.com
Unterkunft. Das Vier-Sterne-Hotel Liberty Central City Point bietet europäischen Komfort und eine zentrale Lage in der Innenstadt von Saigon. Eine Übernachtung im Doppelzimmer kostet rund 80 Euro. Luxuriöser ist die Unterkunft im Fünf-Sterne-Hotel The Myst Dong Khoi. Die Zimmer sind mit Möbeln aus edlen Tropenhölzern eingerichtet, und es gibt einen Spa-Bereich. Die Übernachtung im Doppelzimmer kostet ab 210 Euro.
Im Mekong-Delta bietet das Azerai Hotel Can Tho eine weitläufige Spa-Landschaft. Auf einer Privatinsel gelegen, kann man hier die Seele baumeln lassen. Das hauseigene Restaurant bietet Speisen aus der modernen vietnamesischen Küche. Eine Übernachtung im Doppelzimmer kostet ab 250 Euro.
Wer auf eigene Faust in Saigon unterwegs ist, lädt sich am besten die App des Anbieters Grab auf sein Smartphone. Die App findet Fahrer von Motorrollern, aber auch Limousinen, und berechnet Wege und Preise im Voraus.
Eine Schiffstour durchs Mekong-Delta mit dem Schiff Bassac bietet TransMékong. Die Bassac ist mit luxuriösen Kabinen mit eigenem Bad ausgestattet. Eine Übernachtung im Doppelzimmer kostet pro Passagier 224 Euro. Drei Mahlzeiten und Programm sind enthalten. Für größere Gruppen kann auch das ganze Schiff gemietet werden.
Rundreise. Komplette Rundreisen bietet der Reiseveranstalter Reisen mit Sinnen. Eine 23-tägige Tour führt nach Saigon und ins Mekong-Delta, danach in die Altstadt von Hoi An und nach Hanoi. Die Gruppen sind mit sechs bis zwölf Gästen überschaubar. Die Rundreise kostet rund 3.600 Euro pro Person bei Übernachtung im Doppelzimmer.
Den reisen EXCLUSIV-Guide gibt es hier.
Die Recherche wurde unterstützt von der Reiseagentur Reisen mit Sinnen.