Auf einer Fläche, die so groß ist wie das moderne Paris, haben die Khmer zwischen dem 9. und 13. Jahrhundert rund 1.000 Bauwerke errichtet. Heute gehört der archäologische Park Angkor mit dem zentralen Tempel und Mausoleum Angkor Wat zu den beeindruckendsten Zielen, die Asien zu bieten hat. Text: Markus Grenz

»Nicht von dieser Welt«, schießt es mir durch den Kopf, während mein Blick über die fünf maiskolbenförmigen Steintürme wandert, die sich knapp 250 Meter vor mir in den Himmel strecken. Gerade habe ich die äußere Einfassungsmauer passiert und nähere mich dem westlichen Haupteingang, der direkt ins Prunkstück der antiken Stadt Angkor führt: Angkor Wat. Die »königliche Stadt, die ein Tempel ist«, so die Bedeutung des modernen Namens, wartet auf mich.

Wahrhaft majestätisch mutet dieser ehemalige Wohnort und Tempel des Khmer-Herrschers Suryavarman II. an. Immer den Blick nach Westen, zum Totenreich der Hindus, wachte er hier nach seinem Tod in einem Mausoleum im prachtvollen Haupttempel. Mein Weg führt mich über den Pilgergang ins Zentrum des antiken Kambodscha.

Mehr als ein antiker Michelangelo arbeitete für den Herrscher

Wie es sich für einen anständigen Pilger gehört, ist der Marsch zum Ziel mit Schweiß verbunden. Während ich mich über den breiten Steinweg der nächsten Einfassungsmauer nähere, scheint die Sonne erbarmungslos auf meinen Hut. Heiß ist es, vielleicht 40 Grad im Schatten. In der flimmernden Luft wachsen die monumentalen Bauten immer höher in den stahlblauen Himmel. Rechts und links von mir spiegeln sie sich wider in den beiden Wasserbassins. Zweimal fünf Ausrufezeichen einer hoch entwickelten Kultur.

Angkor North Gate

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Mit dem dort gesammelten Wasser versorgte der König die rund 20.000 Menschen, die hier, zwischen den äußeren Mauern, lebten. Von 1113 bis 1150 hatte ihr Herrscher dieses heilige Haus Vishnus errichten lassen. Da er sich selbst als Inkarnation desselben verstand, war ihm für seinen Wohnsitz das Beste gerade gut genug. Mehr als nur einen antiken Michelangelo hatte er in seinen Diensten. »Großartiger als alles, was von den Römern und Griechen überliefert ist«, hat der französische Naturforscher Henri Mouhot, der das vergessene Wunder Angkor in den 1860er-Jahren wieder entdeckte, seine Eindrücke in Worte gefasst. Zu dieser Zeit lebten hier längst andere Götter. Nach der religiösen Revolution und einer Invasion aus Thailand wandelten die Nachfahren des göttlichen Königs im 13. Jahrhundert ihr Prunkstück in ein buddhistisches Kloster um.

Immer schön nach vorn schauen, das ist die Devise

»Auch die haben ihre ewigen Spuren hinterlassen«, denke ich mir, während meine Augen über die kunstvollen Fresken und Figuren der Galerie der 1000 Buddhas wandern. Lange möchte ich mich aber an der dritten Einfassungsmauer nicht aufhalten, lieber noch schnell einen Wall aus Stein überwinden, bis ich direkt am zentralen Turm stehe.

Buddha-Skulpturen

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Dies ist das Highlight der Anlage im wahrsten Sinne des Wortes. Vielleicht 50 Meter geht es steil nach oben. Nichts für Unsportliche? Eine britische Seniorin belehrt mich eines Besseren. Fest schnürt sie sich ihren Rucksack, zieht ihr Sonnenhütchen in die Stirn und ergreift das Geländer. Stufe für Stufe kraxeln wir den Maiskolben hinauf. Mit meinen Sandalen Größe 46 passe ich gerade auf die Quader. Immer schön nach vorne schauen. Als ich die obere Galerie erreiche, hat es sich die Dame von der Insel schon mit verklärtem Blick gemütlich gemacht. »Wonderful«, schnauft sie, und während sich auch mein Atem beruhigt, sehe ich, was sie meint. Der Dschungel ringsum leuchtet in sattem Grün. Giebel, Galerien, Götter, Gestalten und die zahlreichen anderen Details der Anlage lassen uns gemeinsam staunen und schweigen.

1.700 himmlische Tänzerinnen

Doch jetzt nicht schlappmachen, schließlich wartet auf mich noch der Lohn der anstrengenden Pilgerei: 1700 Nymphen. Die letzten Säulengänge winden sich schmucklos in die Höhe. Der Blick, so haben es die Baumeister damals gewollt, soll nach oben wandern. Dort, an der Schnittstelle zum Himmel und zum Göttlichen, liegt die Grabkammer, die König Suryavarman II. vorbehalten ist. Dort stehe auch ich und sehe sie: 1700-fach lächeln mir die Apsaras entgegen, himmlische Tänzerinnen, die den hübschesten Frauen des Landes in ihrer freizügigen Garderobe nachgebildet wurden. »Schönheit erfreut auch die Götter«, haben sich die Steinmetze wohl gedacht und sich viel Mühe mit der Skizzierung der aparten Gesellschaft für ihren Herrscher gegeben. Gottkönige hatten es gut. Und ich kann mich glücklich schätzen.

Sapras

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Auf meinen ausgiebigen Streifzügen durch den Rest des riesigen archäologischen Parks sollte ich das in den kommenden Tagen noch öfter denken. Dabei habe ich den Zauber der ersten Entdecker von Angkor gefühlt, als ich mich dem Tempel »Ta Prohm« im Dschungel genähert habe. Wie ein halb verfallenes Zauberschloss kauert er inmitten der Natur, die Wurzeln zweier mächtiger Bäume haben ihn überwuchert.

Qual der Wahl angesichts von 1.000 Bauwerken

In der Anlage »Bayon« hingegen konnte ich gar nicht dem Buddharaja, dem Buddhakönig, in jedes einzelne seiner rund 200 Gesichter schauen, die auf über 50 Türmen in alle vier Himmelsrichtungen lächeln. Bei 1000 Bauwerken, die die Khmer im heutigen Weltkulturerbe zwischen dem 9. und 13. Jahrhundert errichtet haben, hat man die Qual der Wahl. Mithilfe meiner Übersichtskarte habe ich eine Fläche unter die Räder meiner Rikscha genommen, die größer ist als das heutige Paris. Drei Tage hatte ich Zeit umherzustreifen. Und bin danach um eine Erkenntnis reicher: Michelangelos waren hier einige am Werk – und das Jahrhunderte, bevor der Mann aus Caprese geboren wurde.

Anreise. Sehr gute Verbindungen bietet Thai Airways via Bangkok aus Frankfurt a. M. an.

Einreise. Zur Einreise benötigt man ein Visum. Das Touristenvisum wird direkt am Flughafen oder in der kambodschanischen Botschaft in Deutschland (Benjamin-Vogelsdorff-Straße 2, 13187 Berlin) ausgestellt.

Hotel. The One Hotel Angkor in Siem Reap ist ein wunderbares Hideaway – ein All-Suite-Hotel, ab USD 250 die Nacht The Passage, Old Market Area, Siem Reap, Kingdom of Cambodia, (Preise können variieren)