Mit dem Fahrrad und Fuß die Bergwelt Österreichs erkunden. Reisen-EXCLUSIV-Reporter Martin Häußermann hat E-Bike und Wandern miteinander kombiniert zu einer aussichtsreichen Bike-and-Hike-Tour im Karwendelgebirge, die sich wunderbar für ein Aktivwochenende eignet.
Ich bin früh dran. Die Straßen nach Scharnitz in Tirol waren frei, das eigene E-Mountainbike schnell aus dem Auto geladen und startklar gemacht. Da bleibt noch Zeit für einen Eiskaffee im Café Länd, direkt neben dem Wanderparkplatz, der auch ein Bikerparkplatz ist. Nach meiner Einschätzung – und der Zahl an Autos mit Fahrradträgern und Bullis – sind hier mindestens so viel Biker am Start wie Fußgänger.
Das ist auch nicht weiter verwunderlich, schließlich ist das Angebot an Wegen riesig groß. Hier kann man sich die Schuhe für eine kleine einstündige Rundwanderung oder auch für Mehrtagestouren schnüren. Eine vergleichbare Vielfalt finden auch die Bergradler vor. Vom Parkplatz aus lässt sich eine gemütliche Tour starten, die gut elf Kilometer lang ist. Der Anstieg von 360 Höhenmetern ist auch für mäßig trainierte Biker gut zu schaffen, mit einem E-Bike ohnehin.
Scharnitz ist aber auch der Etappenort des Tirol Bike Trails. Der ist mit einer Strecke von rund 1.000 Kilome-tern und Aufstiegen von sage und schreibe 27.000 Höhenmetern der längste zusammenhängende Mountainbike-Rundkurs der Alpen. Hier startet auch die Etappe Nummer sieben, die bis zum Achensee führt – die sogenannte Karwendeldurchquerung. Luftlinie wären das ungefähr 45 Kilometer, die Wegstrecke für diese Etappe wird mit 67 Kilometern angegeben. Ob man das wirklich in einem Tag schafft?
Bikebergsteigen als neues Hobby?
Wie ich so sinniere, sehe ich auf einmal Tassilo, einen befreundeten Bergsportler, um die Ecke biegen. Er hat mich auf die Idee zu dieser Tour gebracht und ist mit ein paar weiteren Gleichgesinnten mit der Bahn angereist. Die sind, das muss ich zugeben, ökologisch korrekter unterwegs als ich. Immerhin sind wir Gäste eines Naturparks. Tatsächlich fährt vom Münchner Hauptbahnhof aus eine Regionalbahn nach Scharnitz, die auch Fahrräder mitnimmt. Das haben sich meine Mitreisenden aber gespart und sich bei einem Sportgeschäft in der Nähe Leihräder besorgt, teils mit Elektrounterstützung, teils ohne.
Tassilo fährt ausschließlich mit Muskelkraft, schließlich bezeichnet die Sportskanone Bikebergsteigen als ihr Hobby. Da packt der Sportler sein Rad, kurbelt den Berg hinauf, soweit es irgend geht, dann wird geschoben oder notfalls getragen, bis der Gipfel erreicht ist – um von dort dann wieder abzufahren. »Da wurden wir schon von manchen Bergwanderern ungläubig angeschaut«, erzählt der Wahlmünchner und grinst. Ich schaue ebenfalls ungläubig und frage vorsichtig, ob er das auch mit uns vorhat. Zwar ist mein Liteville dank Carbonrahmen nicht übermäßig schwer, aber rund 22 Kilogramm wären auch hier zu stemmen. Das will man keinen Berg hochtragen. Tassilo scheint meine Gedanken zu lesen, grinst noch ein bisschen breiter und beruhigt:
»Nein, nein, unsere Bikestrecke ist echt entspannt.«
Womit er tatsächlich recht hat. Mehr als das. Denn heute müssen wir nur das Karwendelhaus erreichen. Auf dem Wegweiser an unserem Startort lese ich: »Länge 17,9 km, Höhenmeter 850, Schwierigkeit: mittelschwierig.« Tatsächlich entpuppt sich unsere erste Etappe als schön ausgebauter Forstweg, der über weite Strecken dem fröhlich vor sich hinplätschernden Karwendelbach folgt und an diesen Abschnitten auch nur leicht ansteigt. Zu Fuß wäre das ein ziemlicher Hatsch, wie der Österreicher zu mühsamen, etwas eintönigen Wanderungen sagt. Deshalb bin ich froh, im Sattel zu sitzen. Mit dem Fahrrad hat man in diesem langen Streckenabschnitt – zumindest aufwärts – genau das richtige Tempo, um die Landschaft zu genießen, ohne dass es langweilig wird.
Almidylle und tierische Freunde am Wegesrand
Aber 850 Höhenmeter schafft man bei dieser Streckenlänge nicht allein mit leichten Anstiegen. An manchen Passagen bin ich sehr dankbar um den elektrischen Schub, der meine Muskelkraft ergänzt. Und zwar schon ziemlich kurz nach dem Start. Denn nachdem wir die Isarbrücke überquert haben, folgt ein kurzer, steiler Anstieg bis zum Brandlegg. Ein guter Ort für einen ersten Fotostopp, schließlich sieht man hier in die benachbarten Täler.
Nach rund zehn Kilometern entlang des Bachs folgt die nächste Rampe, bei der ich auf Unterstützungsstufe zwei hochschalte. So meistere ich auch die Serpentinen bis zur Hochalm, auf deren saftigen Wiesen Kühe weiden. Die interessieren sich nicht weiter für zweibeinige und zweirädrige Touristen. Auch das Kalb am Wegesrand interessiert sich mehr fürs Grünfutter, bis ich »Muuh« rufe. Zugegeben etwas albern für einen erwachsenen Menschen, aber da mein jüngerer Sohn nicht dabei ist, der das bei sich bietender Gelegenheit zur Belustigung anderer auch immer tut, muss ich selbst aktiv werden. Das Kalb dreht kurz den Kopf, schaut gelangweilt und frisst dann sofort weiter.
… und plötzlich das Gewitter
Kurz danach erreiche ich den Hochalmsattel auf 1.803 Metern, der die Mühen für den letzten Anstieg mit einem wunderbaren Panoramablick belohnt. Anschließend rolle ich zum Karwendelhaus auf 1.771 Metern, einer traditionellen Berghütte, die wie ein Adlerhorst über dem Karwendeltal thront. Noch scheint die Sonne auf der Terrasse mit Aussicht ins Tal und Blick auf die Westliche Karwendelspitze. Das erste Weizenbier schmeckt köstlich. Doch während wir trinken, ziehen dicke Wolken auf und bei einigen sind die Gläser noch nicht leer, da treiben uns die ersten Regentropfen ins Haus.
Auch hier gelten in diesen Tagen Corona-Hygieneregeln. Wir tragen beim Weg durchs Haus Mundschutz und nutzen unsere eigenen mitgebrachten Schlafsäcke. Denn die sonst üblichen Decken werden derzeit nicht ausgegeben. Das Karwendelhaus ist zwar mehr als 110 Jahre alt, doch Ausstattung und Technik sind zeitgemäß. So stammt der Strom für die Hütte aus einem eigenen Wasserkraftwerk. Schon bei der Ankunft ist mir beispielsweise die Bike-Servicestation aufgefallen, an der man die Reifen aufpumpen und E-Bikes an insgesamt fünf Steckdosen aufladen kann. Letzteres ist deshalb erwähnenswert, weil der Deutsche Alpenverein, zu dem auch die Karwendelhütte gehört, zu E-Mountainbikes – vorsichtig gesagt – ein eher distanziertes Verhältnis hat. Aber Hüttenwirt Andreas Ruech denkt da anders. Als gelernter IT-Spezialist ist er eher dem Fortschritt zugewandt als traditionsbewusste Bergsportler.
Alpen-Kulinarik
So taucht er auch prompt mit dem Tablet auf, nachdem wir – je nach Gusto – unseren Schweinebraten oder Kaspressknödel vertilgt haben. Er gibt uns den Alpinwetterbericht für den folgenden Tag. Während er uns informiert, möchte man lieber nicht draußen sein. Nicht nur, dass es schüttet wie aus Kübeln, es zieht ein schweres Gewitter durch. Plötzlich wird es im Fenster taghell, unmittelbar kracht es buchstäblich donnernd. Wie wir am anderen Tag erfahren, hat der Blitz in die Antenne des Karwendelhauses, die aber einige Hundert Meter weiter steht, eingeschlagen. Das Internetsignal ist weg, das Telefon tot. Doch wir sind optimistisch für den zweiten Teil unserer Unternehmung.
»Ihr habt ein Zeitfenster zwischen sieben Uhr früh und zwei Uhr Nachmittags, also geht zeitig los, damit ihr vor dem großen Regen wieder zurück seid«, sagt Andreas.
Wir wollen am anderen Tag die Birkkarspitze erklimmen, mit 2.749 Metern der höchste Gipfel des Karwendels. Nicht mit dem Fahrrad schiebend auf dem Rücken, wie Tassilo das gemacht hat, sondern ganz klassisch zu Fuß. Mit kleinem Gepäck, alles was wir nicht brauchen lassen wir in unserem Basislager zurück. So ähnlich wie bei ganz großen Expeditionen.
Am anderen Morgen um sieben Uhr ist die Welt tatsächlich wieder in Ordnung. Der Regen hat den Staub von unseren Bikes gespült und das Gewitter hatte tatsächlich reinigende Wirkung, denn die Sicht ist deutlich besser geworden. Ein stärkendes Frühstück soll die Energiespeicher nochmals aufladen, unser Bergführer Franz leistet uns Gesellschaft. Er war am frühen Morgen von Scharnitz mit dem E-Bike hochgefahren, ich würde sagen, er ist gebrettert, wenn ich höre, dass er erst kurz vor sechs losgefahren ist. Wir haben am Vortag zweieinviertel Stunden gebraucht, allerdings inklusive diverser Fotostopps.
Hier ist Konzentration gefordert
Vorsichtig frage ich, wie die Schwierigkeit unserer Bergtour denn einzuordnen ist: »Mit ein bisschen Kondition und Trittsicherheit schafft man das leicht«, sagt Franz. Und Hüttenwirt Andreas ergänzt:
»Wer die kleine Kletterpassage gleich hinter dem Haus schafft, der kommt auch auf den Gipfel.«
Schlüsselstelle nennen Alpinisten eine solche Passage. Direkt hinter dem Karwendelhaus geht es einen schmalen Pfad durch Lawinenverbauungen hinauf. Ich habe schon meine Wanderstöcke ausgepackt, um sie aber an der Schlüsselstelle in eine Hand zu nehmen. Denn hier empfiehlt es sich, immer eine Hand an den Drahtseilsicherungen zu haben, die in den Felsen eingelassen sind. Hier ist Konzentration gefordert. Tritt suchen, am Seil festhalten und sich dann langsam, aber sicher über die großen Steinbrocken nach oben schieben. Danach geht es durch das Schlauchkar, ein ewig lang scheinendes Geröllfeld nach oben. Auch wenn Franz vorher noch sagte, diese Tour könne ein geübter Bergwanderer auch allein gehen, ich bin ganz froh, dass hier einer die Spur legt und ich einfach hinterhergehen muss. Ich bin froh, dass alles trocken ist und sich auch die Altschneefelder, die hier bis in den Juli hinein liegen können, an ein paar schattige Ecken verzogen haben.
Endspurt
Über den Schlauchkarsattel erreichen wir die Birkkarhütte. Wer hier nun Kaiserschmarrn oder ein frisches Bier erwartet, wird herb enttäuscht, diese relativ neue Hütte ist nichts als ein Schlechtwetterunterstand. Zwei Bänke, ein Tisch, das war’s. Ach ja: Ein Scherzkeks hat tatsächlich ein Kinderfahrrad hochgetragen und an der Hütte angekettet. Nach einer kurzen Trinkpause geht es los zum Gipfelsturm. Die Wanderstöcke bleiben in der Hütte. Die wären auf dem letzten Streckenabschnitt hinderlich. Denn jetzt ist tatsächlich ein bisschen Kraxelei angesagt. Da sollte man die Hände frei haben. Eine alpine Höchstleistung ist das zwar nicht, aber anstrengen muss man sich schon. Und Tassilo hatte sicher recht mit seinem Hinweis:
»Mit Halbschuhen würde ich da nicht raufgehen.«
Als Lohn für die Mühe wartet am Gipfel ein fantastischer Ausblick. Von den Hohen Tauern über die Ötztaler Alpen und bis ins Bayerische Voralpenland erstreckt sich das scheinbar endlose Panorama. Mit Blick auf das erwähnte Zeitfenster beschränken wir uns auf der höchsten Erhebung des Karwendelgebirges auf eine kurze Trink- und Vesperpause sowie ein coronagerechtes Gruppenfoto. Denn bisher haben wir mit dem Wetter mehr als Glück gehabt – und wollen dieses nicht herausfordern.
Fünf Stunden nach unserem Start sind wir wieder am Karwendelhaus. Trotz der Wanderstöcke, die bergab ja wirkungsvoll bremsen und Druck von den Beinen nehmen, spüre ich unten meine brennenden Oberschenkel. Ob eine Abfahrt auf dem Kinderrad die bessere Lösung gewesen wäre.
Infos zum Bike-and-Hike im Karwendelgebirge
Anreise. Mit der Bahn: ab München Hauptbahnhof mit der Regionalbahn nach Scharnitz; Fahrtdauer ca. zwei Stunden; Fahrradmitnahme möglich (kostet € 6 extra).
E-Bike-Verleih. Wer ohne eigenes Mountainbike anreist, hat die Möglichkeit, sich in Seefeld eines zu leihen. Der Bike-Verleih ist im Zentrum von Seefeld, etwa fünf Gehminuten vom Bahnhof entfernt. Im Verleih sind Mountainbikes (€ 20 pro Tag) und E-Bikes (€ 35 pro Tag) der Marke Cube. Von Seefeld zum Startpunkt der Tour in Scharnitz braucht man knapp eine Stunde (ca. 13 km).
Weitere Informationen auf der Website der Olympiaregion Seefeld.