Die Bardenas Reales in Spaniens Nordosten gelten als »Monument Valley Europas«. Die surreal wirkende Mondlandschaft mit ihren bizarren Felsformationen ist nicht nur Europas größte Halbwüste, sondern auch Sehnsuchtsziel für Vanlifer, eindrucksvolle Kulisse für Hollywoodproduktionen und Dorado für Vogelkundler. In vergangenen Jahrhunderten jedoch machten die Menschen einen weiten Bogen um die Bardenas – denn hier versteckten sich Outlaws und geächtete. Und deren Spuren lassen sich noch heute erahnen …
Text: Anja Kocherscheidt
Willkommen in Tudela im Nordosten Spaniens
Tudela im Nordosten Spaniens. Es ist Ende August, die Region ächzt unter Temperaturen um die 40 Grad Celsius. Hier in der kleinen Bar an der Plaza ist es angenehm kühl. Die Klimaanlage brummt und das frische Bier, das mir Raúl in einem eisgekühlten Glas reicht, befeuchtet meine trockene Kehle. Ich wische mir den Schweiß von der Stirn und werfe Raúl einen dankbaren Blick zu: »Wie haltet ihr das bloß aus?« »Ach, daran gewöhnt man sich«, zuckt der Kellner mit den Schultern. »Wir Menschen hier sind zäh – und das ist noch gar nichts. Früher gab es hier so eine Art Robin Hood, der hat sich jahrelang in den Bardenas durchgeschlagen. Das ist eine Leistung!« Robin Hood? Ich muss mich verhört haben. Hier in Spanien? »Nein, nein, das ist schon richtig«, erklärt mir Raúl lachend. »Aber natürlich nicht der mit den Strumpfhosen.«
Sanchicorrota: Der spanische Robin Hood
Tatsächlich meint der Barmann nicht den legendären Robin von Locksley, der mit seinen Männern im englischen Sherwood Forest hauste und für die Freiheit der Armen eintrat. Vielmehr, so erklärt er mir, ist die Rede von Sancho de Rota, einem ehemaligen Müller aus dem Städtchen Cascante im Süden Navarras. Dieser avancierte unter dem Beinamen Sanchicorrota im 15. Jahrhundert zum wohl berühmtesten Banditen der Region und soll so etwas wie Spaniens Gegenstück zu Robin Hood gewesen sein.
Und da es hier keine weitläufigen Wälder gibt wie in England, wählte der ein anderes Versteck vor der Justiz: die Bardenas Reales, eine der monumentalsten und zugleich unwirtlichsten Landschaften Europas. Sie liegen nur wenige Kilometer von Tudela entfernt – logisch, dass ich mir das nicht entgehen lassen kann!
Vegetation? Fehlanzeige!
Keine dreißig Autominuten später finde ich mich in einer fast surreal wirkenden, spröden Mondlandschaft wieder.
Um mich herum Berge aus ockerfarbenem Lehm. Der Cierzo, ein heftiger und trockener Nordwestwind, hat sie zu spektakulären Formationen geschliffen. Sie sehen aus wie zu Stein gewordene Pyramiden, riesige Krater, teilweise auch wie zerbrechliche Türme.
Regenfälle sind hier äußerst selten – was erklärt, dass sich nur ein paar zähe Pflanzen wie Rosmarin, Wacholder und Thymian trotzig der Sonne entgegenstrecken. Auch Esparto, ein silbrig-grünes Gras, aus dem die Römer Seile fertigten, entdecke ich auf dem lehmigen Boden.
Bardenas Reales in Spanien: Das Versteck der Banditen
Über viele Jahrhunderte galten die Bardenas, die heute von der Unesco als Biosphärenreservat geschützt sind, als Banditenland. Zahlreiche Outlaws versteckten sich hier vor dem Arm des Gesetzes, und Sanchicorrota, besagter Ex-Müller aus Cascante, von dem mir Raúl in Tudela erzählt hat, soll einer von ihnen gewesen sein. Kein Wunder also, dass Maultiertreiber, Postkutschen, Bischöfe und königliche Karawanen einen tunlichst großen Bogen um das schwer zugängliche Gebiet machten.
Wirklich Instagrammable!
Heute ist das freilich anders: Vanlifer, Fotografen und Hollywoodregisseure haben die Bardenas Reales in Spanien als eindrucksvolle Kulisse entdeckt.
James Bond war hier, im »Monument Valley Europas«, Fans der Erfolgsserie »Game of Thrones« erkennen das fiktive Dothrakische Meer wieder.
Und auf Instagram posieren schöne, junge Menschen mit ihren Campern und Geländefahrzeugen vor den bizarren Felsen und unwirklich scheinenden Sonnenuntergängen.
»El Rallon«: Eines der wichtigsten Vogelschutzgebiete der Bardenas Reales
Doch wer in der monumentalen Landschaft vor allem eine Kulisse sieht, versäumt viel von ihrer historischen Tiefe. Während sich auf der Schotterpiste, die mich zum »Cabezo de Sanchicorrota« geführt hat, langsam der aufgewirbelte Staub legt, umgibt mich eine fast unwirkliche Stille. Vor mir ragt ein massiver Felsen auf, dahinter erstreckt sich eine lang gezogene, sichtbar in verschiedene Sedimentschichten unterteilte Formation. Diese als »El Rallon« bekannte Felsenkette zählt heute zu den wichtigsten Vogelschutzgebieten der Region: Neben Geiern, Steinadlern und Eulen nisten hier auch Krähen, Turmfalken, Dohlen und Trauersteinschmätzer.
Der Aufstieg in die Höhle von Sanchicorrota
Aber auch die Höhle von Sanchicorrota soll sich hier oben befunden haben, darum wage ich den Aufstieg über einen schmalen Pfad. Allerdings: Was aus der Entfernung wie eine bizarre Lehmformation wirkte, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als scharfkantiges, fast wie mit Glassplittern gespicktes Kalkgestein. Der Fels fällt zu beiden Seiten nahezu senkrecht ab – nicht auszumalen, was es bedeutet, hier abzurutschen!
Abenteuerlich wage ich mich voran, setze vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Derweil kreisen über mir wie im Western ein paar Schmutzgeier, die sich – so mein Eindruck – vermutlich schon auf eine köstliche Mahlzeit freuen.
Ich versuche sie zu ignorieren und erreiche schließlich den Gipfel. Bei der Aussicht über die monumentale Mondlandschaft stockt mir der Atem.
Abenteuer-Feeling pur in der Bardenas Reales
Und während ich den Blick schweifen lasse, entdecke ich im Licht der späten Nachmittagssonne tatsächlich den gewölbten Eingang zu einer kleinen Höhle. Ihre Decke scheint von Menschenhand geschaffen – vielleicht ist ja tatsächlich etwas dran an der Überlieferung, dass Sanchicorrota ein paar Dorfbewohner aus der Umgebung dafür angeheuert haben soll, ihm ein Versteck zu graben? Ein Schauer überläuft mich. Denn die Legende besagt ebenfalls, dass er sie anschließend getötet haben soll, damit sie seinen Aufenthaltsort nicht verraten konnten.
Ich versuche, diese Erzählung mit dem heldenhaften Banditen in Einklang zu bringen, der die Reichen bestahl, um es den Armen zu geben – doch es will mir nicht gelingen. Zu groß sind die Widersprüche. Auch die ursprüngliche Anklage wegen Mords passt nicht zum heldenhaften Image des spanischen Robin Hood: So soll er einen Mann, der mit seinem Vater in einen Landstreit verwickelt war, sowie drei zu seiner Festnahme herbeigeeilte königliche Wachen auf dem Gewissen haben. Anschließend floh Sanchicorrota der Legende nach in die Bardenas und schloss sich dort jener Räuberbande an, die er später anführen sollte.
Sanchicorrota und seine Räuberbande
Jahrelang foppte der selbst ernannte »König der Bardenas« die rund 200 Männer, die der damalige Herrscher Juan II. auf ihn angesetzt hatte: So beschlugen der listige Müller und seine 30 Getreuen etwa die Hufe ihrer Pferde verkehrt herum und führten die Häscher damit in die Irre.
Als die vom König befehligte Gruppe Sanchicorrota schließlich doch aufspürte, soll dieser einen Dolch gezogen und sich selbst getötet haben, um nicht gefangen genommen zu werden. Zur Abschreckung wurde sein Leichnam in vielen an die Bardenas angrenzenden Gemeinden öffentlich zur Schau gestellt, bevor er in der Stadt Tudela am Galgen aufgehängt wurde.
Bevor auch ich mich auf den Rückweg nach Tudela mache, genieße ich noch einmal die abendliche Stille über der Wüste. Denn abgesehen vom umstrittenen Militärgelände, das große Teile der Bardenas heute einnimmt, und gelegentlichen Überflügen durch Nato-Flieger geht es doch deutlich beschaulicher zu als zu Sanchicorrotas Zeiten:
So leben im Biosphärenreservat vor allem Schafe – bis zu 100.000 Tiere sollen jeden Herbst aus den 80 Kilometer nördlich gelegenen Pyrenäen ins Tal kommen.
Jedes Jahr im April brechen die Hirten und ihre Tiere wieder auf und lassen die Halbwüste noch stiller zurück. Dann gehört das einmalige Terrain wieder ganz den Wanderern, Radfahrern und Vanlifern.
Mehr Infos zu den Bardenas Reales in Spanien
Hier findet ihr allgemeine Infos zur Region der Bardenas Reales und ganz Spanien.
Anreise. Von den meisten deutschen Flughäfen über Madrid, Bilbao und Barcelona. Von dort am besten mit dem Pkw bis nach Arguedas, dem Eingang zum Naturpark.
Schlafen. Das von vier jungen Einheimischen mit viel Liebe zum Detail restaurierte Boutiquehotel »Santa Ana« ist das einzige mitten in der Altstadt von Tudela und kombiniert historische Gebäudesubstanz mit zahlreichen modernen Annehmlichkeiten. Die Zimmer kosten um € 150 pro Nacht.
Futuristisch mutet das Hotel »Aire de Bardenas« im Süden des Naturparks an – hier nächtigt man in Würfeln oder transparenten Bubbles mit Blick auf die unwirkliche Umgebung und den einmaligen Sternenhimmel. Um € 300 pro Nacht.
Touren. Active Experience bietet geführte Touren auf Englisch und Spanisch, geleitet von Stefania und Paco. Zur Auswahl stehen Allradfahrzeuge, Buggys oder auch E-Bikes.
Essen. Aufgrund seiner Lage im fruchtbaren Schwemmland des Ebro ist Tudela berühmt für seinen Gemüse- und Weinanbau. Spezialitäten sind im Mai und Juni der weiße und grüne Spargel, rote Paprika und Artischocken. Besonders lecker: der lokale Gemüseeintopf Menestra sowie die Ribera-Weine der Umgebung.