Schroffe Bergwelten, tropische Täler, feine Sandstrände und im Hintergrund Musik: Wer den ganz besonderen Reiz der Kapverdischen Inseln kennenlernen möchte, muss aus Deutschland nur sechs Stunden fliegen. Lohnt sich, findet reisen EXCLUSIV-Autor Harald Braun.
»Cachuuuupppaaaaa!«, ruft Hetty breit grinsend, »das ist Essen für arme Leute – kriegt ihr nirgendwo so delikat wie bei mir!« Möglicherweise klingt das ein wenig widersprüchlich. Aber nicht in Hettys Welt. Ich hab mich an ihre amüsante Art, sich das Leben so zu machen, wie es ihr gefällt, schon gewöhnt. Heute sind wir bei ihr zu Hause eingeladen. Die ganze Gruppe, acht Leute, die Hetty als Local Guide betreut und der sie Capo Verde erklärt, ihre geliebte Heimat.
Und zu der gehört halt auch eine zünftige Cachupa, die hiesige Nationalspeise. Schön sieht die nicht aus. Wir reden über eine Art Eintopf, der aus gestampftem Mais, Zwiebeln, grünen Bananen, Maniok, Süßkartoffeln, Kürbis, Yams, Tomaten und Kohl besteht. Es schmeckt allerdings prima, muss ich zugeben. Und das will Hetty auch hören! Seit Tagen reisen wir schon mit ihr durch São Vicente und Santo Antão, den beiden »Wanderinseln« auf den Kap Verden.
Und ahnen: Wer das Große und Ganze auf Capo Verde verstehen will, der sollte sich an Hetty halten. 29 Jahre jung, abwechselnd auf den Kap Verden und in Rotterdam groß geworden, mit einer Überdosis Energie und einem abgeklärten Pragmatismus gesegnet, der sich über das Leben keine romantischen Illusionen macht. Aber gewillt ist, jede kleine Chance auf ein paar Kröten fest bei den Hörnern zu packen. Hetty kann dreckiger lachen als ein Kegelchor auf der Reeperbahn, »Amor!« ruft sie ihren Mann, »bring den Maracuja-Punsch!« Auch den hat sie mithilfe des legendären Santo Antão-Grogues selbst gemacht, ein wunderbar klebriges Gesöff mit amtlichen Umdrehungen und einer erlesenen Geschmacksnote. Köstlich.
Im nächsten Moment herzt Hetty Stieftochter Bianca (3), ihren Sohn Keanu (4) und die französische Bulldogge Luise (6) gleichzeitig. Das ungleiche Quartett tanzt zusammen zu den Klängen der kapverdischen Coladera-Musik in einer Art Grotte, einem ehemaligen Ziegenstall, den ihr »Amor« zur Hochzeit umgebaut hat, inklusive einem in die Felswand gehauenen Sprudel-Pool. Wir werden zum »Gruppentanz« aufgefordert, der etwa 15 Minuten dauert. Jeder von uns wird einmal von Hetty in der Mitte des Raums herumgeschleudert wie ein Brummkreisel. Ein Lächeln legt sich über den Abend wie eine wärmende Decke. Kein Zweifel, das Leben ist schön auf den Kap Verden. Mehr als Sonne, einen Teller Cachupa und Musik braucht ja hier auch niemand, um glücklich zu sein, oder?
Das größte Kapital des Landes: Sonne
Die Kapverdischen Inseln zählen seit 2008 nicht mehr zu den ärmsten Ländern der Welt, sondern wurde von der Weltbank den Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zugeordnet. Die zehn wichtigsten Inseln – neun davon bewohnt – liegen nordwestlich von Senegal, rund 600 Kilometer von der westafrikanischen Küste entfernt. Das Land ist dennoch gebeutelt von 21 Prozent Arbeitslosigkeit und steter Dürre, der Nordostpassat fächelt den Kapverdischen Inseln nahezu ganzjährig trockene Luft zu. Wasser ist ein rares Gut auf den Kap Verden, bei 360 Sonnentagen im Jahr auch keine wirkliche Überraschung.
360 Sonnentage sind aber andererseits auch das große Kapital des Landes, das von Jahr zu Jahr mehr Touristen auf die so unterschiedlichen Inseln lockt. In den letzten Jahren hat man begonnen, verstärkt in die Infrastruktur zu investieren. Europäische Winterflüchter sind bei rund sechs Stunden Flugzeit fast genauso schnell am Ziel wie bei einer Reise auf die Kanaren. Der größte Teil der hauptsächlich französischen und deutschsprachigen Touristen reiste vor der Pandemie noch nach Sal, der sonnenreichsten Badeinsel der Kap Verden, die auch für Windsurfer und Taucher beste Voraussetzungen für einen netten Urlaub bietet. Daneben zog auch Boa Vista (Schöne Aussicht), das neben seinen hervorragenden Bedingungen für Wassersportler auch einige kleinere Wanderberge anbietet, viele Besucher an. 2007 eröffnete auf der Insel ein Flughafen. Ein Abstecher in die mit rund 2.000 Einwohnern eher gemütliche, aber durchaus charmante Boa-Vista-Hauptstadt Sal Rei dürfte ebenfalls kein Fehler sein.
Als Geheimtipp gehen Sal und Boa Vista kaum mehr durch
Der Nachteil dieser neuen Beliebtheit von Sal und Boa Vista liegt auf der Hand: Die üblichen Begleiterscheinungen eines gesichtslosen All-Inclusive-Urlaubs waren mancherorts bereits zu spüren. Die beliebtesten Strände waren in der Hauptsaison gut gefüllt, Sal und Boavista gehen kaum mehr als Geheimtipp durch. Noch gilt das zum Glück nicht für die anderen Inseln von Capo Verde, was sich vor allem im Umgang zwischen Touristen und Einheimischen zeigt: Von der kommerziellen Zweckgemeinschaft, die ihr Verhältnis in so vielen angestammten Urlaubsländern prägt, ist auf der Wanderinsel Santo Antão oder auch auf der »afrikanischsten« kapverdischen Insel Santiago noch wenig zu spüren.
Freundlich und neugierig gehen die Einheimischen auf ihre Gäste zu, posieren für das eine oder andere Foto und lassen sich ansonsten kaum aus der Ruhe bringen – wer hier allerdings im Hotel oder Restaurant mitteleuropäischen Service und klare Strukturen erwartet, sollte besser zu Hause bleiben. Die Kap Verden sind gerade erst dabei, sich selbst als Gastgeber zu entwickeln. Für offene und neugierige Reisende ist das eine gute Nachricht: Der richtige Moment, um die Kap Verden zu bereisen, kommt, sobald die Coronaeinschränkungen das wieder erlauben.
Das findet auch Hetty, die uns nicht nur zeigte, wie atemberaubend schön (und steil!) die Wandermärsche auf San Antão sein können. Sie führte uns in Mindelo auf São Vicente auch zum Haus von Cesária Évora, einer »großartigen Frau und Sängerin«, wie Hetty betonte. Auf den Kapverdischen Inseln war die »barfüßige Diva« schon zu Lebzeiten eine Legende. Und beinahe die einzige Musikerin der Inselgruppe, die es auch zu internationaler Berühmtheit brachte – unter anderem veröffentlichte sie Aufnahmen mit Adriano Celentano, Bonnie Raitt und Peter Maffay.
Man vermische Blues, Latino-Klänge und etwas Fado
Morna, die in den ehemaligen portugiesischen Kolonien entstandene Musik, war ihre Domäne, ein Stil, der auf Capo Verde an jeder Straßenecke zu hören ist. »Morna passt zu unserem Volk«, sagt Hetty, »es ist zauberhaft schön, leidenschaftlich und ein wenig melancholisch zugleich!« Das kommt hin: Morna mixt Blues mit lateinamerikanischen Rhythmen und dem schwermütigen Fado aus Portugal. Und bezieht sich inhaltlich dabei stets auch auf die politischen und gesellschaftlichen Zwänge, mit denen sich die rund 500.000 Kapverdianer auseinandersetzen: Armut, Jahrhunderte der Unterdrückung, aber auch die Rolle der Frauen auf den Inseln.
Dazu hat Hetty auch etwas zu sagen: »Die Frauen auf Capo Verde sind starke Persönlichkeiten, die Männer aber …«, sie grinst und macht eine wegwerfende Handbewegung, schweigt aber dann doch. Ist ohnehin klar, was sie meint: Auf den Kap Verden ist die Ehe traditionell nicht sehr populär, über 50 Prozent aller Erwachsenen sind ledig. Trotzdem sind 44 Prozent der Bevölkerung unter 15 Jahre alt – viele Mütter sind alleinerziehend, Männer haben oft mehrere Kinder von unterschiedlichen Frauen. Hetty findet das im Prinzip auch in Ordnung: »Wir leben hier in großen Familien zusammen – und bei uns gibt es auch keine Diskussion über Gleichberechtigung.«
Was stimmt: Die meisten Frauen auf Capo Verde gehen einem Beruf nach, in der Verfassung ist die Gleichstellung von Frau und Mann explizit festgelegt. Das sollte man vielleicht auch mal »Amor« verraten, ihrem jüngeren Ehemann, der von Hetty an unserem Cachupa-Abend liebevoll herumkommandiert wird wie ein Viertklässler beim Schulausflug. An Amor prallt das lässig ab. Er grinst uns zufrieden an und zuckt nur mit den Schultern, während er eine neue Ladung Maracuja-Grogue an unseren Tisch trägt. Und wir verstehen das gut, nach drei Tagen auf Wandertour mit Hetty, dem Vulkan: Widerspruch wäre nicht nur zwecklos, er wäre auch gefährlich …
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