Ein besonderer Ort in Indien ist der Nationalpark Ranthambhore. Leoparden, Streifenhyänen und Lippenbären leben hier. Vor allem aber ist der Park berühmt für seine Tiger. Aber sieht man die auch? Ein Besuch.
New Delhi Railway Station, 14 Uhr am Nachmittag. Im Eingangsbereich und auf den Bahnsteigen ist die Hölle los. Menschenmassen strömen in und aus alle Richtungen; Geschäftsleute, Gruppen von Kids, offenbar Schulklassen, aber auch Obdachlose, die sich mit ihren Habseligkeiten auf dem Boden niedergelassen haben.
Mittendrin einige Touristen. Die meisten von ihnen unterwegs mit Reiseführern, die den Weg zum richtigen Gleis suchen. So auch wir. Die Orientierung dauert eine Weile, denn Delhis Bahnhof ist nicht der von Lüneburg. Der Zug, der uns nach Sawai Madhopur zum Nationalpark Ranthambhore im Bundesstaat Rajasthan bringen soll, kommt uns gefühlt Kilometer lang vor – bis wir unseren Waggon erreicht haben, vergehen fast fünfzehn Minuten.
Die exakte Nummer des Sitzplatzes ist draußen am Waggon vermerkt. Handschriftlich auf einem Blatt Papier. Nichts wie rein, denn es gibt in Indien schönere Momente, als auf dem Bahnhof stundenlang auf den nächsten Zug warten zu müssen. Für die rund 370 Kilometer lange Strecke nach Sawai Madhopur benötigt der Zug viereinhalb Stunden.
Für Raucher öffnet der Schaffner während der Fahrt gern die Zugtür
Wir haben Glück, unser Abteil befindet sich in der sogenannten AC-Klasse, die über eine Klimaanlage verfügt – zwar überraschend kühl, aber besser als weiter hinten. Denn in den Wagenklassen ohne Klimaanlage ist es drückend heiß. Aber immerhin lassen sich dort die Fenster öffnen, was bei uns nicht möglich ist.
Auch gibt es im gesamten Zug Ventilatoren; die sind zwar laut, leisten aber gute Arbeit, so dass es auch im Hochsommer im Zug angenehmer ist als auf dem Bahnsteig. Das Rauchen ist in den Zügen offiziell verboten, aber wer zwischen den Waggons raucht, muss sich nicht vor dem Schaffner fürchten. Eher davor, dass er aus Höflichkeit während der Fahrt (!) die Zugtür öffnet, um den Rauchenden ein wenig frische Luft zukommen zu lassen …
Praktischerweise liegt der Bahnhof von Sawai Madhopur nicht weit von den Hotels, die sich fast ausnahmslos in der Nähe des Nationalpark Ranthambhore befinden. Berühmt ist der Park vor allem für seine Tiger. Jährlich pilgern Zehntausende Touristen in die Gegend, in der Hoffnung, eine der Raubkatzen zu sehen.
Weltbekannt wurde der Nationalpark Ranthambore, als Ex-US-Präsident Bill Clinton dort zwei Tiger erblickte. Bei kaum einer Pauschalreise zwischen Delhi, dem Taj Mahal, Udaipur und Jaipur fehlt ein Stopp im Nationalpark Ranthambhore. Die Begegnung mit den Tigern reduziert sich zwar oft auf Spuren im Sand, das Naturerlebnis ist trotzdem überwältigend, wie wir in den nächsten Tagen feststellen sollen …
Das Aman-i-Khás im Nationalpark Ranthambhore
Unsere Unterkunft ist das Aman-i-Khás – zweifelsohne eines der luxuriösesten Wildniscamp der Welt. Den Managern des Hauses muss man zu Gute halten, die gesamte Klaviatur der Vorurteile der Mitteleuropäer gegenüber Indien schnell vergessen zu machen. Gegen die Angst vor Armut, Dreck, fauliges Wasser, Menschenmassen und was immer der Europäer sonst noch assoziiert, setzen sie auf Opulenz, Luxus, klinische Hygiene, extrem freundliches Personal und einer Gartenanlage, die mit dem Rasiermesser gepflegt zu werden scheint. Mit nur zehn Zelten ist das Aman-i-Khás ein kleines Hotel und dennoch so exklusiv, dass es sogar einen eigenen Kräuter- und Gemüsegarten unterhält.
Die zehn Zelte sind identisch und dem Stil der Reisezelte aus der Moghul-Zeit nachempfunden. Kein Camping im eigentlichen Sinn: Jedes Zelt misst üppige 108 Quadratmeter und bietet einen abgegrenzten Eingangs- und Wohnbereich mit Sessel, Tisch und Stühlen. Auf dem befestigten Außendeck bieten sich ebenfalls Sitzgelegenheiten an. Im Zentrum des Zeltes befindet sich unter dem sechs Meter hohen Zeltdach das Tagesbett.
Tiger, wo bist du nur?
Mit Wohnbereichen, die durch Stoffwände voneinander getrennt sind, spiegeln die klimatisierten Gästezelte einen edlen Moghul-Stil wider. Cognacfarbenes Holz, lederbezogene Sessel und cremefarbene Naturstoffe dominieren das Interieur. Wem ein Zeltkollaps droht, findet Abwechslung in den Dining- und Spa-Zelten, an der Lagerfeuerstätte, in der Lounge oder der Bibliothek. Oder geht im großen Pool planschen.
Das Hideaway ist sieben Monate im Jahr von Oktober bis Ende April geöffnet. Dies ist die beste Zeit, um die Tiere im Nationalpark Ranthambhore zu beobachten – darunter Affen, Leoparden, Wüstenluchse und Gazellen. Aber die interessieren uns nicht besonders. Wir wollen einen Tiger sehen. In freier Natur. Endlich. Jetzt sind wir schon am zweiten Tag im Nationalpark und haben noch keinen einzigen Tiger entdeckt. Am nächsten Morgen sollte es schon weitergehen. Unser Fahrer hält während unserer Jeeptour durch den Park ein letztes Mal.
Mucksmäuschenstill sollen wir sein. In Ranthambore trifft man tagsüber häufiger und mehr Tiger als in jedem anderen Park oder Schutzgebiet. Sie haben hier die Furcht vor dem Menschen verloren und lassen sich durch seine Gegenwart nicht stören.
Aber den Tiger, den sehen wir nicht im Nationalpark Ranthambhore
Wir warten. Es ist dieser Moment, in dem einen die Faszination der Monotonie überkommt. Die Weite des Himmels, in der Ferne das Grün der riesigen Bäume und sonst nichts als die still und scheinbar endlos vor sich hindösende Natur. Es herrscht Schweigen. Dabei ist es nicht nur der tiefe Respekt vor der Natur und der Wunsch, durch die Stille vielleicht einen Tiger zu erblicken.
Alle, ja selbst unser Fahrer, der schon Dutzende Male hier umher getuckert ist, spüren die Magie des Parks. Der Blick schweift in die Ferne. Trockene Felsgebiete, einige Seen und kleinere Wasserläufe werden von Trockenwäldern gesäumt. Ein altes Fort aus dem 10. Jahrhundert erhebt sich über dem Park. Jeder ist ergriffen von der Einsamkeit in der menschenleeren Gegend. Alle Sinne sind jetzt wach. Aber einen Tiger sehen wir nicht. Es sollte nicht sein …
Auf dem Rückweg dann aber eine Begegnung mit anderen Bewohnern des Parks, die unseren Tiger-Frust schnell vergessen machen. In dem Park leben Tausende Affen; auch sie haben die Scheu vor dem Menschen verloren.
Dafür haben sie oft Hunger: An einem der Gates, die den Zugang zum Park erlauben, stauen sich die Touristenjeeps. Als die Insassen eines Jeeps in einem Moment der Unachtsamkeit ihre Tüten unbeobachtet lassen, stürzen sich die Affen in den Wagen und knabbern in alle Ruhe genüsslich die Kekse auf – Schadenfreude der übrigen Touristen inklusive.
Übernachtung. Aman-i-Khás, Fünf-Sterne-Luxus-Resort, Ranthambhore, Rajasthan, India, Tel. (91) 7462 252 052, E-Mail: aman-i-khas@amanresorts.com.