Whale Watching extrem: In den Wintermonaten tummeln sich in den norwegischen Fjorden Orcas. Die beste Gelegenheit, die Tiere in ihrem Element zu erleben. Ein Abenteuer der Extraklasse! Text: Bianca Klement

In der nasskalten Luft schwingt der Geruch von Hering mit. Mächtige Mantelmöwen und  braungraue Skuas ziehen kreischend ihre Kreise über dem eisigen Fjord. Immer wieder stürzt ein Vogel herab und schnappt sich einen Fisch – oder das, was davon übrig ist. Der Himmel ist wolkenverhangen und die Berggipfel rechts und links des Meeresarms verschwinden in dichtem Nebel. Doch die trübe Aussicht über unseren Köpfen interessiert uns nicht. Unser Fokus liegt auf dem, was unter unserem Schlauchboot zu sehen ist. Wir blicken auf die Überreste einer Party. Einer Party, zu der wir zu spät gekommen sind – dieses Mal.

Orcas beim Whale Watching in Norwegen

Bianca Klement

Das tintenblaue Meer funkelt. Wie glitzerndes Konfetti treiben unzählige silberne Schuppen durch das klare Wasser. Es sind die Schuppen von Heringen, die sich in den Wintermonaten in die Tiefen der norwegischen Fjorde zurückziehen. Millionen, vermutlich Milliarden Fische harren in der Dunkelheit gut 300 Meter unter der Meeresoberfläche aus und überwintern hier im Nordmeer, zwischen dem Arktischen Ozean und dem Nordatlantik. Das lockt Jäger auf den Plan: Zwergwale, Finnwale, Buckelwale und vor allem Orcas. Die schwarz-weißen Zahnwale sind die unangefochtenen Könige der Meere und stehen an der Spitze der Nahrungskette. Hier, an der zerklüfteten Küste Norwegens, haben es die intelligenten Meeressäuger nur auf eines abgesehen: fette Heringe. Zwischen Ende Oktober und Februar stehen die Chancen besonders gut, die Orcas in ihrem Element zu erleben.

Der Waltourismus in Norwegen

Seit den achtziger Jahren blüht in Norwegen der Waltourismus. Tatsächlich ist es einer der wenigen Flecken auf der Erde, an denen es erlaubt ist, zu den Tieren ins Wasser zu gehen und mit ihnen zu schwimmen. Riskante Vorfälle oder gar Unfälle mit den Orcas hat es bislang nicht gegeben, noch nie haben sich die Tiere feindselig oder aggressiv verhalten. Tatsächlich dulden sie Menschen in ihrer Nähe und interagieren sogar mit ihnen. Haben sie die Nase voll von den zweibeinigen Touristen, schwimmen sie davon und sind binnen Sekunden außer Sichtweite. Auch wenn Killerwale in anderen Regionen Seelöwen, Haie oder sogar Wale jagen, die Orcas in Norwegen sind strikte Fischfresser.

Hafen in Norwegen

Bianca Klement

Schwertwale sind hochempathische Wesen mit der Fähigkeit zu lieben und Trauer zu empfinden. Die Bereiche in ihren großen Gehirnen, die für Emotionen und soziale Intelligenz zuständig sind, sind deutlich ausgeprägter als bei uns Menschen. Diese komplexen Tiere kommunizieren miteinander, spielen und jagen gemeinsam und in diesen arktischen Gefilden können Besucher ihnen dabei zusehen.

Neoprenanzug an und los!

Und so sitze ich nun in einem sieben Millimeter dicken Neoprenanzug mit Maske auf der Nase in einem Schlauchboot und stiere wie gebannt auf das glitzernde Meerwasser. Die silbrigen Schuppen auf der Oberfläche signalisieren, dass hier vor wenigen Minuten noch Orcas waren. Denn die Wale treiben die Heringe zu einem »Baitball« zusammen, bis die Fische eine dichtgedrängte Kugel bilden, schwimmen immer wieder um dieses Fischkarussell herum und schlagen dann mit ihrer Fluke zu, und so mehrere Heringe außer Gefecht setzen. Nach dem Festmahl treiben dann Tausende glänzender Schuppen im Wasser. Dieses Naturschauspiel einmal live unter Wasser zu erleben, das wäre der Jackpot. Doch zunächst ist es unser Ziel, überhaupt Orcas zu sichten und ein wenig zu beobachten – auch wenn es nur vom Schlauchboot aus ist.

Schnorcheln in Norwegen

Bianca Klement

Am Vorabend bin ich mit gut eineinhalb Dutzend anderer Wal-Enthusiasten aus der ganzen Welt in Tromsø an Bord des Expeditionsschiffes »Strønstad« gegangen, um eine Woche lang in den Fjorden Norwegens auf Orca-Safari zu gehen. Und wenn es richtig gut läuft, auch mit den Tieren zu schwimmen. Die Crew ist erfahren und betont, dass das Wohlergehen der Wale Priorität hat. Es werden keine Tiere gejagt, beim Schlafen gestört oder bedrängt. Die Aussage beruhigt mich. Natürlich wollen wir Wale sehen, aber nicht um jeden Preis und schon gar nicht auf Kosten der Tiere.

Zu Besuch auf einem Expeditionsschiff

Abenteuer wie diese sind immer ein bisschen wie Glücksspiel. Auch wenn die Aussichten Anfang November in Nordnorwegen sehr gut sind – ganz sicher sein kann man sich nie. In den ersten Novemberwochen sind die Lichtverhältnisse noch akzeptabel. Zwar wandert die Sonne nicht mehr zum Zenit, aber für ein paar Stunden schenkt sie noch gedämpftes Tageslicht. In der zweiten Novemberwoche sind es knapp sechs Stunden, bei guten Wetterverhältnissen. Gegen acht Uhr dämmert es langsam, ab 14 Uhr ist es wieder dunkel. Und jeden Tag wird es weniger. Wir befinden uns knapp 400 Kilometer nördlich des Polarkreises.

Fjord in Norwegen von oben

Bianca Klement

In den Tagen zuvor wurden viele Orcas gesichtet, unsere Erwartungen sind dementsprechend hoch. Dass es aber keine Garantie gibt, das betont auch Simon Lorenz von Insider Divers. Er hat die Reise organisiert und ist zuversichtlich, dass uns ein unvergessliches Abenteuer bevorsteht, aber er verspricht nichts. Dafür hat Simon zu viel Erfahrung. Die Natur folgt ihren eigenen Regeln. Auf Reisen, bei denen Wildtierbeobachtungen im Fokus stehen, muss man sich darüber im Klaren sein. Nicht nur die Anwesenheit der Meeressäuger ist nicht vorhersagbar, auch das Wetter an der Küste am Rande des Nordatlantiks kann schnell umschlagen. Bei zu starkem Wind oder Schneefall wird es fast unmöglich, Wale zu erspähen. Und ins Wasser zu gehen steht dann außer Frage.

zu Besuch auf einem Expeditionsschiff in Norwegen

Bianca Klement

Hot Tub an Board

Die Strønstad ist für die kommenden Tage unsere Homebase. Sie ist ein altes Marineschiff, die Kabinen sind klein aber gemütlich und nur mit Betten und Waschbecken ausgestattet. Luxus ist bei dieser Art von Reise die Natur und das Abenteuer. Trotzdem sind alle mehr als glücklich, dass sich an Deck ein Hot-Tub befindet, in dem man sich nach einem Tag im eiskalten Wasser aufzuwärmen kann. Der große Vorteil der Strønstad: Das Schiff ist flexibler als stationäre Walbeobachtung-Boote. Entdecken wir Wale, besteigen wir eines der beiden wendigen Zodiacs, die das Schiff im Schlepptau hat.

Der Tagesablauf ist stets gleich strukturiert: Noch vor Sonnenaufgang aufstehen, Frühstücken, rein in die Tauchausrüstung und sich auf die Schlauchboote aufteilen. Mit Beginn der Dämmerung sind wir auf dem Meer, um nach Orcas zu suchen. Mit Taucherflasche und Atemgerät zu tauchen ist verboten, nur Freitauchen ist erlaubt. Die meisten Wal-Touristen schwimmen oder schnorcheln in wasserdichten Trockentauchanzügen, worin sich die Kälte besser aushalten lässt. Das Wetter ist kühl. Die Luft-Temperaturen schwanken zwischen minus zwei und drei Grad plus. Das Wasser hat erfrischende vier Grad. Dunkelheit und Kälte sind die größten Herausforderungen auf dieser Reise.

Orcas in Norwegen

Bianca Klement

Trainieren für den großen Moment

»Es ist wichtig, dass ihr alle einmal eure Ausrüstung testet, bevor wir rausfahren. Ihr müsst spüren, wie sich das Wasser anfühlt und wie ihr aus dem Boot aus und wieder einsteigt«

sagt Asbjørn Lausten. Der Däne ist der leitende Tauchguide auf diesem Trip und schaut aufmerksam zu, wie wir nacheinander in voller Montur unsere arktische Wasserprobe machen. Seit mehr als zehn Jahren ist Asbjørn jeden Winter in den norwegischen Fjorden auf der Suche nach Orcas unterwegs. Er kennt die Gewässer genau und weiß, wie er das Verhalten der Wale deuten muss. Und seine Erfahrung wird uns in den nächsten Tagen außergewöhnliche Begegnungen bescheren. Asbjørn hat in seinem Leben schon Tausende Orcas gesehen – und doch er kriegt nie genug von ihnen.

Orca Safari in Norwegen

Alex Pham

»Diese Tiere sind so faszinierend und sehr intelligent, auf jeder Tour lerne ich etwas was Neues über sie. Dieses Jahr ist eine besonders gute Saison. Es gibt viele Heringe und es halten sich hunderte Wale in den Fjorden auf.«

Eine eiskalte Angelegenheit

Obgleich uns Tromsø mit klarem Himmel und einem beinahe kitschig schönen Sonnenuntergang verabschiedet hat, müssen wir die folgenden Tage auf nordisches Vorzeigewetter verzichten. Die Wolkendecke hängt tief, als wir dicht gedrängt im Schlauchboot sitzen und Ausschau halten. Schon seit Stunden fahren wir umher. Der kalte Wind beißt im Gesicht. Füße und Hände werden langsam taub. Seit knapp zwei Kilometern begleiten wir zwei Bullen. Sie folgen in großem Abstand ihrer Familie. Sobald sie Heringe gefunden haben, schließen sie sich zusammen und jagen gemeinsam.

Asbjørn ist hoch konzentriert. Er ermahnt uns, aufmerksam zu sein und keinen Lärm zu machen, das mögen die Tiere nicht. Wir fahren weiter und lassen einen Teppich aus glitzernden Schuppen zurück. Die Minuten vergehen und wir sehen nichts. Nur Berge, Wasser, Wolken. Aber wir geben nicht auf. Als Asbjørn fragt, ob jemand zurück auf die Strønstad möchte, um sich aufzuwärmen oder die Toilette zu benutzen, schütteln alle mit dem Kopf. Zwischen uns herrscht ein stillschweigendes Einverständnis: Solange Tageslicht ist, solange bleiben wir draußen und suchen nach Orcas. Asbjørn scannt den Himmel und verzieht keine Miene. Ein paar Raubmöwen kreisen keine 500 Meter von uns. Sie ahnen, dass ein Festmahl bevorsteht.

auf der Suche nach Orcas beim Whale Watching in Norwegen

Bianca Klement

Und plötzlich beginnt das Spektakel

Und dann sind sie da: Überall durchschneiden plötzlich schwarze Rückenflossen die Wasseroberfläche, tauchen ab und wieder auf. Asbjørn stellt den Motor aus. Mit offenen Mündern beobachten wir das Schauspiel vor uns: Neugierig schwimmen die Wale um uns herum und unter unserem Boot hindurch, um wenige Meter dahinter aufzutauchen. Durch das klare Wasser können wir ihren weißen Bauch und die Sattelflecken hinter ihrer Rückenflosse sehen. In einem Radius von 300 Metern zähle ich 20 Orcas, darunter mächtige Bullen aber auch vereinzelt die kleinen Rückenflossen von Kälbern. Ihre Brust ist noch nicht strahlend weiß, sondern hat einen leicht orangen Schimmer – ein Zeichen, dass sie noch nicht mal ein Jahr alt sind.

Möwen über Orcas in Norwegen

Alessandro De Maddalena

Ich bin vollkommen fasziniert und überhöre fast, als Asbjørn sagt: »Okay. Ihr könnt rein. Gleitet langsam ins Wasser.« Auf diesen Moment habe ich gewartet. Wie automatisch schwinge ich meine Flossen über die Gummiwand. Das salzige Wasser ist kalt, aber nicht unangenehm. Meine Sinne sind hellwach. Ich hole tief Luft und tauche ab – in eine andere Welt. Die blaue Endlosigkeit unter mir ist lebendig. Immer wieder geraten Orcas in mein Sichtfeld. Ich sehe die Tiere nicht nur, ich höre sie auch. Lautstarkes Klicken und Fiepen schallt durch das Wasser.

Eine kleine Gruppe schwimmt langsam an mir vorüber und betrachtet mich neugierig. Ein junger Bulle dreht sich nur wenige Meter von mir auf die Seite und sieht mich an. Er nimmt mich nicht nur wahr, er betrachtet mich. Ich kann die Intelligenz in seinem Blick sehen. Für einen kurzen Moment blicken wir uns in die Augen und es ist, als ob die Zeit stillsteht. Dann schließt er sich wieder der Gruppe an und weg sind sie.

Ein magisches Erlebnis

Ich tauche auf, hole Luft. Alleine für diesen einen Moment, für diesen Augenblick, hat sich die Reise gelohnt. Aber es ist noch nicht vorbei. Während ich mich neu orientiere, sehe ich überall schwarze Schwerter. Hier und da blitzt der Schnorchel einer meiner Mitreisenden auf. Ich begebe mich wieder unter die Wasseroberfläche, will Zuhören, was sich die Orcas zu sagen haben und sie aus nächster Nähe sehen. Nach wenigen Sekunden entdecke ich den ersten Wal, dann noch einen und noch einen. Irgendetwas ist im Gange, das ist mir klar. Sie sind auf der Jagd. Doch Heringe sehe ich keine. Asbjørns Worte vom Vorabend kommen mir in den Sinn: »Es kann passieren, dass du im Wasser bist. Du nimmst den Kopf hoch, holst Luft. Blickst wieder ins Wasser und plötzlich ist ein Baitball unter dir.«

Orca-Wal unter Wasser

wildestanimal/Shutterstock.com

Und genau so ist es, als ich wieder nach unten blicke. Ich bin fassungslos. Das Blau unter mir brodelt silbern. Tausende Heringe winden sich dicht gedrängt unter mir. Instinktiv schwimme ich zur Seite weg. Der Baitball hat einen Durchmesser von zehn bis 15 Metern. Vor lauter Heringen sehe ich nichts anderes mehr. Aber ich weiß, die wahre Action findet am Rande des Baitballs statt.

Nach ein paar Metern, als das Wasser unter mir ruhiger wird und ich den Orca sehe, der sich gerade einen der Fische schnappt, tauche ich auf, hole Luft und verweile. Gebannt verfolge ich die Jagdszenen unter mir, dann hebe ich den Blick. Etwa 200 Meter von mir entfernt taucht ein Buckelwal ab. Ich suche noch mehr Abstand zum Baitball, tauche ein paar Meter ab, um das Spektakel besser verfolgen zu können. In etwa 30 bis 40 Metern Tiefe blitzen die weißen Seitenflossen des Buckelwals in dem dunklen Blau unter mir. Ihn zieht es zu den Heringen. Ich tauche auf. Denn ich will unbedingt sehen, wie dieser riesige Bartenwal mit geöffnetem Maul aus dem Wasser schießt und Tausende Heringe verschlingt.

…und dann kommen noch mehr Wale

Der Anblick ist überwältigend. Alles geschieht in Sekunden. Ich kann mich nicht satt sehen. Adrenalin strömt durch meinen Körper. Ich tauche wieder ab und sehe gleich mehrere weiße Seitenflossen Richtung Baitball steuern. Ein Orca-Weibchen folgt den Giganten und versucht, einem Riesen in die Fluke zu zwicken, um ihn zu vertreiben. Schließlich haben die Schwertwale hier die ganze Arbeit geleistet und jetzt verspeisen die Buckelwale das Buffet. Es sind Szenen, von denen jeder Naturfilmer träumt. Die Mühen des Orca-Weibchens sind vergebens: Fast parallel pflügen gleich drei Buckelwale durch die Heringe und schöpfen die Fische ab. Mit prallgefülltem Kehlsack tauchen die Riesen wieder unter. Ich sehe, wie einer der Buckelwale unter mir hinwegtaucht und das Wasser aus seinem Maul presst. Dann verschwindet er in der gähnenden Dunkelheit. Sekunden später ist das Schauspiel vorbei. Die Buckelwale sind weg, die Orcas ebenfalls. Um uns herum funkelt das Meer wieder.

Orca-Wale in Norwegen

BMJ/Shutterstock.com

Mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht hieven wir uns zurück ins Schlauchboot. Auch Asbjørn strahlt. Intensive Begegnungen wie diese sind auch für ihn kein Alltag. »Das habt ihr euch verdient«, sagt er stolz, als er das Schlauchboot Richtung Strønstad steuert. »Ihr habt heute nicht aufgegeben und der Kälte getrotzt. Ihr hättet lange umkehren können. Aber ihr habt nicht aufgegeben.« Glückselig taumeln wir an Bord des Schiffs. Die Kälte ist vergessen. Was für ein Auftakt. Auch Simon ist froh. Er weiß: Wir waren heute zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Kälte, Wind und Wellen getrotzt

Den Rest des Tages verbringen wir damit, uns aufzuwärmen, zu essen, GoPro-Videos anzusehen und jede Sekunde des Unterwasserspektakels wieder und wieder zu rekapitulieren. »Man kommt mit so vielen Erwartungen her. Alles ist aufregend und faszinierend und dann bekommt man tatsächlich noch viel mehr geboten, als man sich erhofft hatte«, freut sich Alex Pham. Der Amerikaner liebt Wale und war schon mit Pottwalen, Buckelwalen und sogar Blauwalen im Wasser. Aber Alex weiß, dass man für die ganz besonderen Begegnungen bereit sein muss, Opfer zu bringen. »Es ist kalt, windig und das Wasser ist rau. Aber all diese Aspekte machen diesen Trip doch nur noch besser. Denn wenn man unter diesen Bedingungen etwas Außergewöhnliches sieht, hat man das Gefühl, als hätte man es sich verdient. Man ist hier auf einer Expedition. Es ist nicht irgendein Urlaub.«

Orca unter Wasser

Alex Pham

Der Rest der Woche vergeht wie im Rausch. Im Morgengrauen quetschen wir uns in die klammen Tauchanzüge, steigen an Bord der Schlauchboote und gehen auf Orca-Pirsch. Meist suchen wir zu Beginn die Nähe der Fischerboote. In einem Umkreis von 800 Metern ist es uns zwar nicht erlaubt, ins Wasser zu gehen, doch es ist eine fantastische Gelegenheit, die Orcas in Aktion zu erleben. Um die großen Schiffe tummeln sich Hunderte. »Die Fischer stören die Orcas nicht, es gibt genügend Heringe für alle. Sie sind höchstens von uns genervt«, erklärt Asbjørn.

Wo Heringe, da die Orcas

Manchmal sehen wir über Stunden keine Tiere, manchmal schlafende Gruppen oder schnell schwimmende Familien. Immer wieder gibt es kurze Momente, zu denen wir zu den Walen ins Wasser können. Es sind meist nur wenige Minuten, aber jeder dieser Momente ist magisch. Für kurze Augenblicke schenken uns die Wale ihre Aufmerksamkeit und interagieren mit uns. Jede Begegnung ist wie ein Schatz. Trotz des eher bescheidenen Wetters bleibt die Gruppe euphorisch. Keiner will etwas verpassen. »Diese Art Reisen macht süchtig, weil es so unberechenbar ist«, sagt Alex bibbernd, während er seine Hände in die Ärmel seines Sturm-Ponchos schiebt. »Wir können nie wissen, was uns erwartet. Aber dafür siehst du vielleicht Dinge, die noch nie jemand anderes vor dir gesehen hat.« Recht hat er. Und so frieren wir mit Freude und werden belohnt. Jeden Tag sehen wir Orcas und häufig auch Buckelwale. Sogar Finnwale – die zweitgrößten Lebewesen unseres Planeten, begegnen uns.

auf Orca Expedition

Bianca Klement

Am vorletzten Tag unserer Safari will es einfach nicht aufhören zu regnen. Eine echte Härteprüfung. Gegen elf Uhr beschließen einige von uns, zurück auf die Strønstad zu gehen und sich aufzuwärmen. Der Rest von uns bleibt auf dem Meer, in der Hoffnung, dass es sich auszahlt. Noch ist Tageslicht da und solange es hell ist, suchen wir. Regen, Wind und Wellengang stellen uns auf die Probe, und wir werden belohnt: Stundenlang begleiten wir eine große Orca-Familie. Sie haben sich an den Klang unseres Schlauchbootes gewöhnt, schwimmen mal vorweg und sind dann wieder ganz nah. Ihr Anblick lässt die Kälte vergessen.

In den letzten Tagen haben wir viel über die Tiere gelernt. Ich glaube zu erkennen, ob ich ein Weibchen oder einen Bullen vor mir habe oder gerade ein Jungtier betrachte. Die Matriarchin schwimmt vorweg, in der Mitte der Gruppe folgt der Kindergarten. Mehrere Weibchen begleiten die Jungtiere, während die anderen nach Heringen suchen. Die Kleinen spielen miteinander, drehen sich auf den Rücken oder machen Bauchklatscher. Sie haben Spaß und lassen uns zusehen.

Eine Mutter mit Jungtier ganz nah

Die Wale schwimmen ununterbrochen, machen keine Pause. Trotzdem wirkt es so, als ob sie uns nicht abhängen möchten. Immer wieder kehren sie zu unserem Boot zurück und schwimmen dicht an uns vorbei. Irgendwann werden ihre Bewegungen langsamer und Asbjørn macht den Motor aus. Wir warten ab, bis Asbjørn schließlich grünes Licht gibt. Wenn wir wollen, dürfen wir ins Wasser. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Ich tauche direkt ab, weil ich mich so schneller und vor allem leiser bewegen kann.

zwei Orcas in Norwegen

wildestanimal/Shutterstock.com

Ein Weibchen kommt mit einem Jungtier auf mich zu geschwommen und taucht kurz vor mir auf, um Luft zu holen. Wieder unter Wasser umkreisen sie mich. Beäugen mich interessiert und ohne Scheu. So dicht habe ich noch nie einen Wal gesehen. Einen Augenblick verweilen sie, dann ziehen sie weiter. Glückselig tauche ich auf und atme tief ein. Bevor ich zum Schlauchboot zurückschwimme, tauche ich noch einmal ab und schaue mich unter Wasser um.

Ich drehe mich um meine eigene Achse und plötzlich ist direkt hinter mir ein Orca-Weibchen. Sie mustert mich und richtet sich ein wenig auf. Will sie mich imitieren? Ich strahle sie an. Sie ist wunderschön. Fast als wollte auch sie mich anlächeln öffnet sie ihr Maul und ich sehe ihre Zähne und die rosa Zunge. Der Moment ist vollkommen und friedlich. Dann dreht sie sich leicht auf die Seite, blickt mich an und schwimmt davon. Die Szene brennt sich in mein Gedächtnis.

Orca-Safari am Rande der Arktis

Eine Orca-Safari am Rande der Arktis ist vielleicht nicht der klassische Wellness-Trip, aber der Weg nach Norwegen hat sich gelohnt und war magisch. An manchen Tagen waren meine Finger taub und meine Füße schmerzten vor Kälte. Manchmal haben wir über Stunden nichts als Nebel und Wellen gesehen. Aber so ist das auf dem Meer. Nicht zu wissen, was der nächste Tag parat hält. Ob Enttäuschung, oder ein atemberaubendes Erlebnis. Ein Orca-Lächeln zum Abschied? Besser geht’s nicht!

Mehr Infos zur Orca Safari und Whale Watching in Norwegen

Auch in der nächsten Orca-Saison organisiert Simon Lorenz mit Insider Divers eine Gruppenreise nach Norwegen. Früh buchen ist angesagt, denn die Zahl der Plätze ist begrenzt. Reisezeitraum: 03.11 – 09.11.2023

Weitere Informationen und Ablauf gibt es unter: www.insiderdivers.com