Der Princes Highway führt durch Australiens rauen Südosten – am Wegesrand warten neben langgezogenen Buchten auch Leckereien und landestypische Bewohner. Text: Ralf Johnen

Als ich an Bord des überdachten Ponton-Boots einchecke, denke ich noch mal an mein Australienbild zurück. Der Busch. Die Wildnis. Die brennende Sonne. Der Uluru natürlich. Und das formschöne Opernhaus. »Captain Sponge« gehörte nicht dazu. Sponge heißt mit bürgerlichem Namen Brett Weingarth. Ein kerniger Typ Ende 40 mit wallender Mähne, verspiegelter Sonnenbrille und einer heimtückisch aussehenden Waffe: ein Messer mit breiter, kurzer Klinge. Mit diesem Werkzeug bearbeitet er eine Delikatesse, die als Sydney Rock Oyster bekannt ist.

Brett Weingarth

Brett Weingarth

Dabei handelt es sich um eine endemische Austernart, die seit dem Aufstieg der sogenannten Raw Bars immer mehr Foodies in Ekstase versetzt. Diese Restaurants sind vor allem im englischsprachigen Raum rasend populär. Zum Hype gehören neben Ceviche, Sushi und anderen Zubereitungsarten roher Meerestiere auch Austern. Wir treiben mitten auf dem Pambula Lake, als der Captain drei Dutzend der Schalentiere servierfertig zubereitet. Ihm persönlich reicht zur Würze ein Schuss Zitrone, doch auch Variationen mit Chili oder Schalotten hält er für vertretbar. Das Fleisch der Austern ist fest und zugleich cremig. »Unique on this planet«, versichert Weingarth.

Sapphire Coast entspricht nicht gerade meinem Australienbild

Die Ware ist so einzigartig, dass ihm die Küchenchefs in Australiens Metropolen 14 bis 16 Dollar für das Dutzend bieten, um sie für 50 Dollar weiterzuverkaufen. Kapitän ist Sponge also nur im Nebenberuf. Das Gros seines Einkommens verdient er als Züchter der Austern. Und als Revier hat er sich ein Stück Australien ausgesucht, das sich in sicherer Distanz zu Sydney und Melbourne im Südostzipfel des Kontinents befindet. Fast ein wenig vergessen wirkt die Sapphire Coast. Das mag daran liegen, dass es hier noch die vom Aussterben bedrohte Siedlungsform des Fischerdorfs gibt. So oder so aber entspricht dieser Teil von New South Wales nicht meinem Australienbild.

Wie Captain Sponge versichert, kann sich die Sydney Rock Auster im Pambula Lake perfekt entfalten. Der See wird von Süßwasser gespeist, doch auch das Meer spült seine Fluten durch einen langen Korridor in das Becken hinein. Wir nehmen nach dem proteinhaltigen Snack Kurs auf den Pambula River, der durch einen dichten Wald mäandert, wo er streckenweise von Mangroven flankiert wird. Das Wasser schimmert nun smaragdgrün. Als wir eine weitläufige Sandbank erreichen, können wir die Brandung sehen. Das entspricht schon eher meiner Vorstellung von Australien.

Weiter geht es zum Cuttagee Beach

Am frühen Abend sehe ich die Brandung aus der Nähe. Ich schlendere über einen breiten Strand, wo ein einsamer Angler seine Ruten ausgeworfen hat. Doch der Mann muss aufpassen: Während die untergehende Sonne den Himmel melodramatisch einfärbt, peitschen die Wellen wütend auf das Land ein. Ich laufe, lausche dem Getöse und inhaliere die salzige Luft. In der Ferne sehe ich eine Bucht. Dahinter ragt eine hügelige Landzunge hervor, die spärlich mit Häusern bebaut ist: Merimbula.

Cuttagee Beach

Das klingt wieder so gar nicht nach Australien. Die Bucht entpuppt sich am nächsten Morgen als weitläufiger Naturhafen, der von heftigen Gezeiten heimgesucht wird. Mehr als zwei Meter beträgt der Tidenhub, weshalb die Bötchen der Fischer auf Grund liegen. Hin und wieder kreischt an diesem Vormittag im Mai eine Möwe. Die Tiere, die daheim immer so grimmig dreinblicken, scheinen mir hier einen deutlich freundlicheren Gesichtsausdruck zu besitzen. Ich frage mich, ob es sich wohl um eine endemische Art handelt. Irgendwo muss das Wort »Lachmöwe« ja herstammen. Das aber war es vorerst mit der Ruhe.

Mein kleiner Roadtrip nämlich führt mich zum Cuttagee Beach. Fast sieben Kilometer Sandstrand, die sich Tag für Tag den Angriffen der Brandung ausgesetzt sehen. Ein einzelner mutiger Surfer nimmt den Kampf gegen die schwungvoll anrollenden Wellen auf. Ansonsten ist kein Mensch zu sehen. Ich denke: Wären die Killerwale zu Besuch, die sich von Mai bis November gerne an der Küste blicken lassen, dürften sie in der weißen Gischt kaum auszumachen sein.

William Wade verwöhnt mich heute in seinem Restaurant »Long time no sea«

Der erneute Spaziergang macht mich hungrig. Gut also, dass nur einen Steinwurf entfernt dieses angesagte Restaurant ist. Es liegt auf einer Hügelkuppe mit Blick auf das Meer und trägt den Namen »Long time no sea«. Am Herd steht mit William Wade ein ehrgeiziger Chefkoch. Der 28-Jährige hat den weiten Weg auf sich genommen, um bei René Redzepi ein Praktikum zu machen. Der Aufenthalt beim dänischen Superstar (»Noma«) hat Spuren hinterlassen: Wade serviert kühne Gerichte, die zum Teilen gedacht sind.

Ich labe mich gerade an seinem Blumenkohlsalat, als ich abgelenkt werde. Hangabwärts in Richtung Meer sehe ich Bewegungen, die ich nicht einordnen kann. Es ist eine Polonaise von Tieren, die mit einiger Eleganz den Hügel hinauf springen.

Kängurus in New South Wales

Ralf Johnen

Als der Anführer der Herde seinen Weg unterbricht, stoppen alle. Auf einmal blicken rund 20 Kängurus in meine Richtung. Gut zwei Minuten lang starren wir einander an. Dann lässt ihre Neugier schlagartig nach, und die Kolonne setzt sich wieder in Bewegung. Ein Individuum nach dem anderen, mit unnachahmlicher Effektivität. Ihr Auftritt wird zu meinem lang erwarteten Bilderbucherlebnis.

Unterwegs auf dem Princes Highway Richtung Norden

Am nächsten Tag sichte ich eine Handvoll alter VW-Busse, auf deren Dächer die obligatorischen Surfbretter geschnallt sind. Es gibt sie also noch, die unangepassten Freigeister, die von Bucht zu Bucht fahren und die in dieser Lebensphase keinen festen Wohnsitz brauchen. So, wie es die aus Brisbane stammende Band The Go-Betweens in ihrem Song »Surfing Magazines« verewigt hat.

Surfer

Nick Duell

Später nehme auch ich Kurs auf eine weitere Bucht. Ich fahre den Princes Highway immer weiter in Richtung Norden. Die Straße bahnt sich über 2.200 Kilometer von Port Augusta in der Provinz Westaustralien ihren Weg bis nach Adelaide, Melbourne und Sydney.

Als ich dem Schild zum Pebbly Beach folge, finde ich eine kurvenreiche Straße vor, die sich durch einen dichten Wald schlängelt. Zivilisationsspuren sind nur spärlich vorhanden, denn die Region ist Teil des Murramarang-Nationalparks. Am Ende der Straße breitet sich ein Strand aus, über den mir jeder Gesprächspartner in New South Wales gesagt hat, dass ich den unbedingt aufsuchen müsse als Europäer. Die Bucht mag nur 500 Meter breit und der Sand voller Treibholz sein. Dennoch aber ist der Strand alles andere als eine Enttäuschung, denn er ist bewohnt – von einer wechselnd großen Population Kängurus.

Angst kennen die Kängurus nicht

Heute sind die Beuteltiere nicht auf Anhieb zu sehen, denn sie fläzen sich auf einem Rasenstreifen am Waldrand. Als ich mich niederlasse, dauert es aber nicht lange, bis sich die Einheimischen den Eindringling aus der Nähe ansehen wollen. Erst ist es ein Känguru, das entschlossen angesprungen kommt, dann ein zweites, ein drittes und ein viertes. Die pelzigen Zeitgenossen zeigen keinerlei Form von Angst. Mir kommt es eher so vor, als würden die Tiere flirten. Ja, sie posieren wahrhaftig für ein Selfie neben mir! Während ich das perfekte Bild zu machen versuche, vergesse ich die Zeit.

Känguru

Ralf Johnen

So checke ich viel später als angedacht im Paperbark Camp ein. Nach einigen Tage ohne Begegnungen mit Giftfröschen, Spinnen oder Schlangen fühle ich mich gewappnet für eine Nacht unter freiem Himmel. Gut, streng genommen bietet mir eine zu allen Seiten mit Netzen abgesicherte Jurte ausreichenden Schutz. Dennoch aber bekomme ich Herzrasen, als ich mitten in der Nacht ein Trippeln auf dem Dach der Jurte höre. Am nächsten Morgen lasse ich mir die Erklärung aufbinden, dass es sich bei dem Störenfried um ein rastloses Opossum gehandelt haben muss. Ihre raschen Fußtritte sind mittlerweile einem bekannten Geräusch gewichen: Regen. Der Niederschlag will gar nicht mehr aufhören. Als ich in Huskisson eintreffe, wird der Wolkenbruch von heftigen Windböen begleitet. Der australische Mai ist eben unser November – und das lässt er die Bewohner der Küste auch spüren.

Meine Tour durch die Jervis Bay wird denn auch zu einer Grenzerfahrung: Statt in Shorts auf eine grünlich schimmernde Traumbucht zu blicken, stehe ich im Ölmantel an Deck des Ausflugsbootes. Kevin versucht, mich bei Laune zu halten, indem er mir von den mächtigen Klippen am Ausgang der Bucht berichtet, in denen er immer klettern geht. Manchmal hängt er im Fels, wenn er Buckelwale oder eben Killerwale vorbeiziehen sieht.

Mieses Wetter im Mai

Heute jedoch zeigt sich New South Wales von seiner unwirtlichsten Seite. Nur ein offensichtlich gelangweilter Delfin lässt sich dazu herab, das Boot mit ein paar Luftsprüngen zu begleiten. Ich unterstelle ihm gespielte gute Laune. Der Princes Highway nähert sich langsam seinem Ende. Nördlich von Huskisson ist New South Wales dichter besiedelt. Das Örtchen Berry mit seiner Downtown ist ein erster Vorbote. Die Häuser an der Main Street stammen aus dem späten 19. Jahrhundert und sind somit für australische Begriffe historisch.

Häuser in Berry in New South Wales

Ralf Johnen

Wollongong geht gar als Großstadt durch. Der Highway wächst sich hier zum Motorway aus, dem australischen Äquivalent einer Autobahn. Doch als wollte New South Wales noch einmal seine widerspenstige Seite betonen, baut sich kurz vor Sydney Stanwell Tops auf. Der spektakuläre Felsen fällt 275 Meter tief in den Pazifik ab.

Am Abend runde ich den Trip ab, wie ich ihn begonnen habe. Ich mache abermals Bekanntschaft mit der Sydney Rock Oyster. Die mir wohlbekannte Delikatesse ist Bestandteil einer Seafood-Platte in einem der Restaurants, die Captain Sponge und seine Kollegen aus dem 500 Kilometer entfernten Merimbula beliefern. Ich sitze in der Sydney Opera Bar und blicke auf die Harbour Bridge, die wir daheim im Glanze eines Feuerwerks am 31. Dezember als Vorboten für den nahenden Jahreswechsel kennen. Dann drehe ich mich um und sehe das Opernhaus. Ein eleganter Bau. Aber auch ein wilder Entwurf. So wie die Südküste von New South Wales.

Hinfliegen, übernachten, informieren

Anreise. Die Anreise nach Sydney dauert um die 24 Stunden, Tickets kosten je nach Saison und Vorausbuchungszeitraum ab € 1.000 aufwärts. Die Strecke wird unter anderem von Qantas (www.qantas.com, mit Umsteigen in Dubai), Etihad (www.etihad.com, mit Umsteigen in Abu Dhabi) und Emirates (www.emirates.com, mit Umsteigen in Dubai) bedient.

Unterwegs in New South Wales. Ab Sydney geht es weiter mit dem Regional Express nach Merimbula (www.rex.com.au); ein One-Way-Ticket kosten ab € 120. Es kann günstiger sein, auch den Hinweg mit dem Mietwagen zurückzulegen. MietWAgeN Mittelklassewagen kosten über Auto Europe (www.autoeurope.com) inklusive aller Nebenkosten und Versicherungen um die € 200 pro Woche. Achtung: In Australien herrscht Linksverkehr.

Reisezeit. Die touristische Saison im Süden von New South Wales erstreckt sich von November bis Mai. Wer die Wale sehen möchte, sollte entweder den November oder den Mai wählen, da sich die Meeressäuger nur in der kalten Jahreszeit Australiens vor der Küste blicken lassen.

Übernachtung. Coast Resort Merimbula, 68 Elizabeth Street, Merimbula, schicke Appartements in Strandnähe, ab € 205. The Whale Motor Inn, 102 Wagonga Street, Narooma . Cooles Retro-Motel, das einem ehemaligen Surfweltmeister gehört, ab € 85. Paperbark Camp, 571 Woollamia Road, Woollamia, Jervis Bay. Glamping in der freien Natur, ab € 261 pro Jurte.

Restaurants. Long Time No Sea, 3521 Tathra-Bermagui Road, Barragga Bay, Mai bis November geschlossen Sydney Opera House and Opera Bar, Bennelong Point East Circular Quay, NSW, 2000,

Attraktionen. Captain Sponge’s Magical Oyster Tours, 6 Little Gahan Street, Pambula, 2 Stunden, € 33. Dolphin Watch Cruises, 50 Owen Street, Huskisson, 90 Minuten, € 23