Ein 200 Kilometer langer Fahrradweg führt von Thüringen nach Sachsen-Anhalt, einmal den gesamten Verlauf der Unstrut entlang. Unsere Redakteurin Marie Tysiak schnappte sich ihr Fahrrad und erkundete den Unstrut-Radweg! Eine Tour mit herzlichen und unterhaltsamen Wegbegleitern und einer rätselhaften Begegnung.

Enttäuschung macht sich in mir breit. Ich stehe an der Quelle der Unstrut in Kefferhausen. Nur, dass hier leider kein Wasser aus dem steinernen Tor fließt. Nicht einmal ein winziger Tropfen lässt sich blicken, wo normalerweise bis zu viereinhalb Liter die Sekunde plätschern.

Entlang des Unstrut-Radweges warten kleine Fachwerk-Dörfer am Wegesrand.

Marie Tysiak

Doch das fehlende Quellwasser macht mir meine viel größere Enttäuschung erneut bewusst: Meine Freundin Sarah, mit der ich geplant habe, in den kommenden Tagen den Unstrut-Radweg von der Quelle in Thüringen bis zur Mündung in die Saale in Sachsen-Anhalt zu radeln, ist krank. Nierenbeckenentzündung. Akut, gestern Mittag. Keine Chance mehr, den Trip umzuplanen. Und so stehe ich nun alleine hier vor der gähnenden Leere des Quellenlochs. Auch der herrliche Sonnenschein kann mich nicht trösten.

An der Quelle in Kefferhausen beginnt der Unstrutradweg.

Marie Tysiak

Doch das Fremdenverkehrsamt Unstrut-Saale hat dafür gesorgt, dass ich nicht lange alleine bleiben sollte. Für die Drei-Tage-Tour hat sie mir spontan Begleitung besorgt. Jeden Tag radle ich zwei Etappen am Flussufer entlang – am Morgen und am späten Nachmittag. Auf jeder Etappe wird mich jemand Ortsansässiges begleiten. Ich habe also eine Liste mit Telefonnummern, Namen und Treffpunkten in der Hosentasche.

Ich bin skeptisch. Das kann auf der einen Seite unglaublich spannend werden – oder total schieflaufen. Was, wenn jemand nicht kommt? Habe ich das gleiche Tempo wie meine Mitradlerinnen und Mitradler? Finden wir ein Gesprächsthema für mehrere Stunden gemeinsame Fahrt? Habe ich irgendwann genug davon, neue Leute kennenzulernen?

Unsere Redakteurin radelte von Kefferhausen entlang der Unstrut.

Marie Tysiak

Mit dem Baumeister auf zur ersten Etappe auf dem Unstrut-Radweg

»Morgen«, mein erster Mitfahrer ist am Treffpunkt eingetroffen.

»Hat wohl nicht genug geregnet die letzten Tage. Aber keine Sorge, die Unstrut wird noch.«

Wir lernen uns bei einem deftigen Frühstück aus der Eichsfelder Metzgerei mit reichlich frischer Wurst, Käse und Filterkaffee kennen. Michael ist Baumeister aus Dingelstädt, dem Dörfchen gleich nebenan.

In Thüringen an der Unstrut frühstückt man deftig.

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Wir sind schnell warm miteinander, die Sonne ist es heute auch mit uns – und dann geht es los auf die Räder. Ganz ohne Navi – schließlich kennt Michael sich bestens aus. Der Weg ist auch nicht schwer: immer am Flussufer entlang. Oder besser gesagt, dem Wasserlauf folgend. Auf den ersten Kilometern kaum mehr als ein wenige Zentimeter breiter Kanal, machen wir bei Kilometer zehn in einem idyllischen Wäldchen Halt, am Ufer des nun glasklaren und zwei Meter breiten Baches. Der Sommerwind raschelt durch die Bäume, ein Blättchen kreist in Zeitlupe hinunter, berührt die Wasseroberfläche und gleitet davon. »Wir haben es schon schön hier an der Unstrut«, seufzt Michael zufrieden.

Der Unstrutradweg führt durch idyllische Natur.

Marie Tysiak

Auf dem Weg hierher habe ich schon viel erfahren können. Der Baumeister, der sein Leben an der Unstrut verbracht hat, Familienvater und gut vernetzt ist, weiß einiges über Land und Leute zu erzählen.

Besonders gut kennt er sich – wie es sich für einen Baumeister gehört – mit Gebäuden aus. In Dingelstädt führt er mich rund um die schnuckelige Wallfahrtskirche »Maria im Busch« und erzählt von dem alljährlichen Brauch des Steckenpferdrennens zu Ostern, bei dem Jugendliche auf ihren Steckenpferden um die Kirche reiten und dafür mit Applaus und Süßigkeiten von den Zuschauern belohnt werden – ein skurriles Andenken daran, als die Kirche im Dreißigjährigen Krieg vor der Plünderung der Schweden dank eines mutigen Pferdes verschont blieb.

Michael begleitet unserer Autorin entlang des Unstrutradweges.

Marie Tysiak

Ein Stopp in Mühlhausen und ein Blick in seine Kirchen

Zu vielen der tollen Fachwerkhäuser entlang des Weges hat er spannende Geschichten aus vergangener Zeit parat, und so bin ich ganz erstaunt, wie schnell der Morgen verflogen ist; vorbei an blühenden Sonnenblumenfeldern, Dörfchen und Feldern, bis wir zum Mittag in Mühlhausen das Stadttor passieren.

Das gut 30.000 Einwohner zählende, malerische Kleinstädtchen zieht mich sofort in seinen Bann. Und so spaziere ich nach einem ausgiebigen und deftigen Mittagessen im Brauhaus zum Löwen (unbedingt die eigenen Bierspezialitäten probieren!) über das Kopfsteinpflaster des sonnigen Mühlhausens. Michael hat sich mittlerweile verabschiedet, denn er muss seine Kinder aus der Schule abholen und weiter zu einem Termin im Gemeinderat.

Mühlhausen entlang des Unstrut-Radweges lohnt den Stop!

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Im Mittelalter war die Reichsstadt das zweitgrößte Zentrum Thüringens (nach Erfurt) – und von diesem Erbe zeugen viele historische Gebäude, auch Teile der Stadtmauer sind noch erhalten. Rund um den pittoresken Markt an der Holzstraße, der jedes Jahr Ende August bei der größten Stadtkirmes Deutschlands zum Hotspot für Feierwütige aus ganz Thüringen wird, reihen sich die schiefen Bauten aus einem Jahrtausend Stadtgeschichte aneinander.

Mühlhausen ist einfach toll - am besten nächtigt man hier entlang des Unstrut-Radweges.

Marie Tysiak

Doch das wahre Juwel der Stadt sind ihre vielen evangelischen Kirchen und ihre erlebnisreiche Geschichte. Die spitze Marienkirche am Markt besitzt den höchsten Kirchturm Thüringens, aber nicht nur das. Da niemand anderes als Thomas Müntzer hier zu Zeiten des Bauernkrieges im 15. Jahrhundert Pastor war, hielt er viele seiner bedeutenden Reden in der gigantischen gotischen Halle.

Wenn Kirchen ausgedient haben …

Mühlhausen wurde so unweigerlich zu einer der wichtigsten Städte während der radikalreformatorischen Bewegung. 2016 rief man sie zur Reformationsstadt Europas aus. In dem ehemaligen Franziskanerkloster erfahren Interessierte in einer umfangreichen Ausstellung alles über die Zeit der Reformation und das Wirken Luthers.

Die Marienkirche in Mühlhausen ist ein geschichtsträchtiger Ort.

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Wenige Straßen weiter, in der gotischen Divi-Blasii-Kirche am Untermarkt, war Johann Sebastian Bach knapp zwei Jahrhunderte später Organist. Zwar spielte er nur gut ein Jahr diese Orgel – doch die Zeit in Mühlhausen prägte ihn. Man ist mächtig stolz und widmete ihm 2009 eine bronzene Statue vor der Kirche.

Da die Stadt heute mit abnehmender Religiosität der Bevölkerung viele Kirchen kaum noch als solche nutzen kann, sind einige der Sakralbauten heute entweiht und erfüllen einen anderen Zweck.

In Mühlhausen entlang des Unstrutradwegs finden sich in den Kirchen so manche Überraschung!

Marie Tysiak

Die eindeutig innovativste Nutzung weist die Jakobikirche vor: Hier findet sich nun ein Großteil der Stadtbibliothek wieder. Die hohen Bücherregale, die sich auf mehreren Ebenen in der Kirchenhalle befinden, machen gleich Lust, es sich mit einem der Bände in die schönen Leseecken unter den bunten Kirchenfenstern bequem zu machen.

In Mühlhausen war auch der junge Johann Sebastian Bach aktiv.

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Weiter geht’s nach Bad Langensalza

Wieder zurück auf dem Rad werde ich am Nachmittag von Julia begleitet. Die gelernte Mediengestalterin ist für das Marketing von Bad Langensalza zuständig – eine bessere Ansprechpartnerin hätte ich mir also kaum wünschen können. So erfahre ich zum Beispiel, woher die Unstrut ihren Namen trägt: Zusammengesetzt bedeutet Unstrut in etwa »böser Sumpf«.

Der Unstrutradweg entlang des Flusses ist einfach malerisch.

Marie Tysiak

Doch es dauert nicht lang und wir quatschen über das Reisen, ihren neuen Hund – eine seltene japanische Rasse – und ich fühle mich fast, als würde mich eine gute, alte Freundin begleiten.

»Die Menschen in Thüringen sind ein wenig wie die Kölner. Sehr direkt und offen«,

plaudert Julia. Wir radeln vorbei an Feldern, die Sonne steht bereits tief. Die Unstrut ist mittlerweile zu einem ansehnlichen Fluss geworden, der so langsam fließt, dass man es kaum bemerkt. Der Name ist hier Programm, wie ich ja eben gelernt habe. Plötzlich bleibe ich stehen. Inmitten eines kleinen Stroms – ich kann meinen Augen kaum trauen – erblicke ich einen braunen Rücken, der nur wenige Zentimeter aus dem Wasser lugt. Mir schaudert‘s. Die Nachrichten des berüchtigten Unstrut-Krokodils liegen noch keine zwei Wochen zurück.

Eine Etappe entlang des Unstrutradweges.

Marie Tysiak

Ein Krokodil schreibt Geschichte   

Ein Krokodil in der Unstrut? Klingt nach einem schlechten Scherz. Ist aber keiner. Vor knapp einem Monat wollen drei Angler das Tier gesichtet haben – kurze Zeit später meldete sich eine Frau ebenso mit einer Sichtung. Dann war Handeln angesagt: Der Fluss wurde weitestgehend abgeriegelt, mit Wärmebildkameras, Helikoptern und von Booten aus suchte man nach dem Tier. Zwischenzeitlich berichtete man in aller Welt von dem »East German Crocodile«, das der Unstrut über Nacht internationale Berühmtheit einbrachte.

Zwei Wochen lang lief die Suche – vergebens. Schließlich gab man auf. Seit letzter Woche (September 2020) ist auch der Unstrut-Radweg nun wieder geöffnet. Woher das Krokodil gekommen sein soll, und ob es wirklich ein Krokodil war, dass die Menschen gesehen haben – darüber wird hitzig diskutiert. Doch Forscher haben bestätigt, dass ein Krokodil sich in dem moorigen Gewässer der Unstrut tatsächlich sehr wohl fühlen würde.

Aufgrund eines vermeintlichen Krokodils musste der Unstrut-Radweg im September 2020 gesperrt werden.

Marie Tysiak

Doch je länger ich auf den braunen, langen Schatten im Wasser starre, desto sicherer bin ich: Es ist bloß ein toter Baumstumpf, der sich im Morast verhangen hat. Als ich am Abend in Bad Langensalza durch die prächtig angelegten Gassen schlendere (Tipps zur Stadttour in der Infobox), ist das Krokodil vergessen.

Die Gartenstadt Bad Langensalza entlang der Unstrut lohnt den Besuch.

Marie Tysiak

Bad Langensalza – die Stadt der Gärten – trägt ihren Titel zu vollem Recht. Zehn Gärten und Parks zieren das pittoreske Kurbad mit seinen berühmten Travertinsteinen. Dieses Jahr ist Bad Langensalza zudem Außenstandort der Bundesgartenschau. Ob es an dem schönen Licht der tiefstehenden Sonne liegt? Der Japanische Garten jedenfalls, der in seiner perfekten Symmetrie von innen heraus zu strahlen scheint, hat es mir am meisten angetan. Ein Grüner Tee im schmucken Teehaus macht den Besuch komplett.

Bad Langensalza entlang des Unstrut-Radweges ist eine Augenweide - samt zehn Gärten.

Marie Tysiak

Mit Frau Uhlig auf dem Unstrut-Radweg nach Artern

An der schönen Wasserburg von Heldrungen habe ich Frau Uhlig getroffen. Die kleine, unterhaltsame Frau ist frischgebackene Rentnerin aus Artern, wo wir nun hinradeln. Ich muss fast aufpassen, dass sie mir auf ihrem E-Bike nicht davonflitzt. Immer wieder biegt sie plötzlich ab vom Unstrut-Radweg – um eine kleine Abkürzung zu nehmen. Sie nennt mich die gesamte Tour lang liebevoll »Kleines«. Und so höre ich dann nur meist nur eine kurze Warnung vor der Abbiegung: »Kleines, hier musst du aufpassen.«

Die Wasserburg Heldrungen liegt entlang des Unstrut-Radweges in Thüringen.

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Ich erzähle ihr von meinem Tag, der schönen Stadttour durch Sömmerda – und dass ich heute früh Pater Franz im ökumenischen Benediktinerkloster St. Wigberti in Werningshausen kennengelernt habe, wo Radfahrer in einem waschechten, noch aktiven Kloster unterkommen können.

Pater Franz, der seit 50 Jahren hier Mönch ist, hat tolle Geschichten auf Lager – wie die von der engen Verbindung des Klosters nach Russland. In der schönen Kapelle bestaunten einst während der Zeit der Besatzung sowjetische Soldaten das goldene Antlitz der Heiligen Elisabeth. Doch man erwischte sie, sandte sie zurück in die Heimat und wollte sie bestrafen. Denn: Den Besatzern war es untersagt, in deutsche Kirchen zu gehen. Doch man setzte sich in Werningshausen für die Soldaten ein, diese kamen ohne Strafe davon und sendeten als Dank ein noch pompöseres Freskenbild der Heiligen Katharina. So begann eine jahrelange Freundschaft – heute thront auch ein original russischer Zwiebelturm auf dem Dach des Klosters. Ein schöner wie wundersamer Anblick.

Im Kloster St. Wigbert kann man Pater Franz kennenlernen!

Marie Tysiak

Frau Uhlig findet das alles spannend. Sie ist sowieso vielseitig interessiert, wie mir scheint. Und engagiert. So erzählt sie mir, dass sie seit ihrer Rente mit drei ebenfalls pensionierten Freundinnen ehrenamtlich einen kleinen Second-Hand-Laden betreibt. Der Erlös der gespendeten Dinge wird für verschiedene Projekte in der Stadt ausgegeben. Einen Spielplatz haben sie schon finanziert – und sogar eine neue Brücke über die Unstrut, erzählt sie voller Stolz!

Etwas skurril, aber sehr liebenswert

Plötzlich klingelt ein Telefon. Nein, kein Handy, ein richtiges Telefon. Da zückt sie in voller Fahrt aus ihrer Tasche ein schnurloses Telefon, murmelt etwas von »Da muss ich ran, Kleines«, und beginnt ein lautes Gespräch, bei dem sie einen Treffpunkt in einer halben Stunde vereinbart. Als sie aufgelegt hat, erzählt sie mir, dass sie ihr Haustelefon so ausgestattet hat, dass sie es auch einige Kilometer mitnehmen kann – wie das technisch möglich ist, habe ich bis heute nicht herausfinden können. In jedem Fall kommt gleich ein Herr zu ihrem Laden, um ein paar Kisten Haushaltswaren zu spenden. »Magst du gleich kurz mal helfen, Kleines?«, fragt sie. Natürlich stimme ich zu.

Frau Uhlig flitzt unserer Redakteurin auf dem Unstrut-Radweg davon.

Marie Tysiak

Wir haben Artern erreicht. Kurz vor der Einfahrt in die Stadt halten wir an einem Apfelbaum am Rande eines Feldes. Frau Uhlig pflückt zwei noch knackige Äpfel für uns, ich habe noch ein paar Mettwürstchen von der Eichsfelder Metzgerei. Wir machen ein kurzes Picknick. »Da vorne, Kleines«, zeigt Frau Uhlig gen Horizont, »das ist der Kyffhäuserberg. Da kannst du auch das Barbarossadenkmal erkennen – das ist ‘ne ganz große Sache und ein tolles Ausflugsziel. Musst du nächstes Mal hin.«

Unsere Autorin fuhr auf dem Unstrut-Radweg entlang des Flusses.

Marie Tysiak

Wir radeln weiter, am Horizont die Silhouette von Deutschlands drittgrößtem Denkmal. Vor ihrem Lädchen angekommen, wartet der angekündigte Herr bereits. Wir laden die Kartons von der offenen Ladefläche seines Pick-ups in das Lager des Second-Hand-Ladens. Hier findet sich allerlei: Kleidung, Möbel, Porzellan, ja sogar eine historische Geige entdecke ich zwischen all dem Plunder. Doch es bleibt keine Zeit zum Stöbern, mein Trödlerherz reißt sich los.

Wir schwingen uns aufs Rad und fahren weiter durch das beschauliche Artern. Vorbei an der alten Zuckerfabrik, die früher, vor der Wende, eine der wichtigsten Fabriken der DDR war. Fast alle haben hier gearbeitet – auch Frau Uhlig war einst Sekretärin in der Zuckerfabrik. Wir fahren in die Einfahrt der Fleischerei Friedchen, die zusätzlich eine kleine Pension betreibt. Ich finde es fast schade, dass Frau Uhlig nicht zum deftigen Abendessen im schönen Innenhof bleiben kann. Sie drückt mich herzlich zum Abschied.

Eine wilde, letzte Etappe auf dem Unstrut-Radweg

Ich stehe bereit zur letzten Etappe auf dem Unstrut-Radweg und warte am Treffpunkt vor dem imposanten Rathaus in Laucha. Ich höre meinen Namen und blicke mich um. Ganz oben, auf einer Empore im oberen Geschoss des Stadthauses, sehe ich drei Köpfe hervorlugen. Dann Hände, die winken. Kurz drauf stehen Daniel und Frank mit ihrem Chef Ronny samt Rädern neben mir auf dem Platz. Ich merke sofort: Diese Etappe wird lustig. Die jungen Herren sind zu Späßen aufgelegt, eine laute Boom-Box haben sie auch mit dabei. Und sie genießen offensichtlich ebenso die kommenden Stunden mit mir, in denen sie mir ihre Heimat zeigen.

Die Unstrut ist bei Freyburg immerhin zu einem ansehnlichen Fluss geworden.

Marie Tysiak

Wir düsen vorbei an den ersten Weinbergen, in denen die kleinen Weinberghäuschen nun zu schnuckeligen Sommerresidenzen der Städter aus Berlin oder dem nahen Leipzig dienen. An einer Mühle machen wir Halt. »Hier müssen wir eigentlich einen trinken«, sagt Ronny. Und schwupps, betritt er den kleinen Mühlenladen, der frisches Mehl und Leckereien der Region verkauft. Mit einer dieser »Leckereien« – drei kleinen Fläschchen Mühlentropfen – kommt er wieder heraus. »Zum Wohl!«, wünscht er und drückt uns jedem einen der Kräuterliköre in die Hand. Ich muss mich unweigerlich schütteln, diese klebrigen Dorfschnäpse waren noch nie mein Ding. Aber was tut man nicht alles für die Recherche.

Entlang des Unstrut-Radweges warten kleine Mühlen mit Gelegenheiten zur Pause.

Marie Tysiak

Nun tauchen die ersten Kirchtürme und Dächer von Freyburg auf. Hier bestimmt nun der Weinbau völlig die Szenerie, gleich hinter dem Dorfkern prangen die Reben an den Hängen. Wir machen am Herzoglichen Weingut Pause – denn die diesjährige Weinprinzessin Antonia wartet mit Snacks und einer Führung über den Weinberg, Verkostung inklusive. Am meisten hängen bleibt mir dieser treffende Satz der 21 Jahre jungen Prinzessin:

»Wir haben hier vor allem sehr, sehr trockene Weine. Doch die Menschen sind es nicht.«

Wo sie recht hat, hat sie recht und ich versuche, mit der fröhlich plärrenden Boom-Box mitzuhalten, und trete ordentlich in die Pedale.

Die Weinprinzessin von Freyburg.

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Das Ende des Unstrut-Radweges: Wo die Unstrut in die Saale mündet

Und so kommt es, dass ich auf dem letzten, kleinen Stück dieser Etappe wie beflügelt dahingleite. Die Unstrut ist tatsächlich ein ansehnlicher Fluss geworden, als wir endlich die Saale erreichen. Eine kleine Fähre setzt hier über, ein paar Wohnmobile verweilen in dieser malerischen Landschaft zwischen Hügeln, Wiesen und Weinbergen.

Bei Naumburg mündet die Unstrut in die Saale.

Marie Tysiak

Hier, am Naumburger Blütengrund, verabschiede ich mich von den Jungs – was ein geselliger und krönender Abschluss dieser Tour! Ronny, Daniel und Frank radeln zurück nach Freyburg – ich werde mir noch vor meiner Abreise in Ruhe den Naumburger Dom ansehen, der dank seiner detailreichen Architektur und berühmten Stifterfiguren Weltkulturerbe ist, und radle den letzten Kilometer alleine.

Im Naumburger Dom dürfen sich Architekturfans auf die Stifterfiguren freuen.

Marie Tysiak

Da bimmelt mein Handy. Eine Nachricht von meiner Freundin Sarah. Es geht ihr schon etwas besser, das Antibiotikum hilft. Und es tut ihr so leid, dass sie mich im Stich lassen musste. Ich tippe eine schnelle Antwort, wünsche ihr weiterhin gute Besserung. Und schreibe:

Du fehlst. Wurdest aber ehrenhaft vertreten. Ich erzähle dir bald alles bei einem Gläschen Wein. Ich bring uns einen Müller-Thurgau mit. Es ist traumhaft hier, das traue ich mich kaum, dir zu schreiben.

Der Naumburger Dom ist Weltkulturerbe - und einfach wunderschön.

Marie Tysiak

Als der prunkvolle Naumburger Dom mit seinen spätromanischen Türmen vor mir im rotleuchtenden Sonnenuntergang auftaucht, denke ich an all die lieben Menschen, die diese Reise zu etwas ganz Besonderem gemacht haben. Die Unstrut verbindet nicht nur zwei Bundesländer, unzählige schöne Altstädte, Projekte, Natur und Weinberge. Der Unstrut-Radweg hat mir vor allem die Möglichkeit gegeben, die Einheimischen auf eine ganz besondere Weise, nämlich auf dem Sattel eines Fahrrads, kennenzulernen und tief in ihre Herzen zu blicken.

Eine Weinprobe am Herzoglichen Weinberg.

Marie Tysiak

Tipps unterwegs auf dem Unstrut-Radweg

Mehr Infos zum Radweg beim Unstrut-Radweg e.V. und beim Saale-Unstrut Tourismus.

Nicht nur Eisenbahn-Fans sollten der Modelleisenbahn Wiehe in Roßleben-Wiehe unbedingt einen Besuch abstatten, auch wenn man einen kleinen Schlenker vom Unstrut-Radweg machen muss. Mit Leidenschaft und liebe zum Detail füllen Nachbauten berühmter Sehenswürdigkeiten und Landschaften aus aller Welt fußballgroße Hallen – alles aus der einst privaten Sammlung von Hans-Jörg Stiegler, der gerne mit spannenden Details durch die Ausstellung führt.

In Roßleben-Wiehe wartet die Modeleisenbahn auf Eisenbahn-Fans und Entdecker entlang des Unstrut-Radwegs.

Marie Tysiak

Gelegenheit für einen süßen Zwischenstopp bietet seit 2005 die Goethe Schokoladenmanufaktur gleich am Unstrut-Radweg. Kuchen, Kaffee und Kakao aus eigener Herstellung, aber auch Leckereien zum Mitnehmen werden hier verkauft.

In Memleben könnt ihr euch die Ruinen des Klosters anschauen, das einst zu den wichtigsten Klöstern der Region gehörte. Es gibt Ausstellungen, eigene Weinverkostungen und die Gelegenheit, in einem ehemaligen Kloster unterzukommen.

Im Kloster in Memleben kommen Radfahrer in einem echten Kloster unter.

Marie Tysiak

In Bad Langensalza führt das Team rund um Mary Fischer engagiert und verkleidet durch den historischen Altstadtkern. Man könnte ihr ewig zuhören – und verliebt sich bei dieser besonderen Stadttour automatisch ein wenig in Bad Langensalza.

Am Naumburger Blütengrund endet der Unstrut-Radweg.

Marie Tysiak